Hartnäckige Ärztin erhält «Prix Courage»
Es ist eine Genugtuung für die Narkoseärztin Natalie Urwyler: Nicht nur hat sie mit ihrer Diskriminierungsklage gegen das Inselspital zweimal vor Gericht Recht bekommen, nun wird sie von Jury und Leserinnen und Lesern der Konsumenten- und Beratungszeitschrift «Beobachter» für Zivilcourage ausgezeichnet. Ja, sie brauchte Mut und Rückgrat, sich mit einer Diskriminierungsklage mit einem der grössten Arbeitgeber des Kantons Bern anzulegen (Infosperber berichtete: «Als ginge es um Leben und Tod»).
Völlig alleingelassen
Besonders schlimm: Die habilitierte Anästhesiologin wurde völlig alleingelassen: Da war die Kampagne des Inselspitals gegen die streitbare Ärztin – mit Aussagen, die teilweise hart am Rande der Lügen waren. Da waren Politiker und Politikerinnen, die den Fall zwar interessant fanden, aber sich nie für sie als Person einsetzten. Da waren Frauenverbände und Ärztevereinigungen – mit Ausnahme der Medical Women Switzerland – die Urwyler ihren Kampf führen liessen, ohne sich selber die Finger verbrennen zu wollen. Dabei hatte sowohl das Regionalgericht, als auch das Obergericht der 44-Jährigen Recht gegeben und die Kündigung als Rachekündigung deklariert.
Oberrichter Christoph Hurni nahm in seinem Urteil kein Blatt vor den Mund und schien zwischenzeitlich etwas genervt. Mehrfach steht im Urteil: «Was die Berufungsklägerin (Red: das Inselspital) mit diesen Ausführungen zu ihren Gunsten erreichen will, erschliesst sich nicht.» Falls damit der «schwierigen Charakter» oder die «polarisierende Art» bewiesen werden solle, fügte der Richter an: «Solche Charaktere sind weit verbreitet und bilden für sich alleine keinen begründeten Anlass für eine Kündigung.»
Denn: Elf Jahre lang arbeitete Urwyler zu voller Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten im Inselspital. Erst als sie nach dem Mutterschaftsurlaub zu 80 Prozent zurückkommen und Zeit für Lehre und Forschung zugesichert haben wollte, kam es zum Bruch. Wie schrieb schon die Kommunikationschefin der Präsidentschaftskampagne von Hillary Clinton: «Die Menschen liebten sie als sie ihre Niederlage eingestand, aber sie hassten sie, als sie hinstand und sagte: Ich kann das und ich will das.»
Paradebeispiel für einen Missstand
Laut Zahlen der FMH, der Standesorganisation der Ärzte, beträgt der Frauenanteil bei den Chefärzten (mit Hauptberufstätigkeit im stationären Sektor) 12 Prozent, bei den Assistenzärzten hingegen 58 Prozent. Als Vergleich: Bei den Chefärzten beschäftigen die Spitäler 29 Prozent ausländische Männer, also mehr als doppelt soviel wie Frauen. Zwar ist klar, dass das Schweizer Gesundheitssystem auf hochqualifiziertes Personal aus dem Ausland angewiesen ist, aber wieso der Frauenanteil auf dem Weg nach oben derart sinkt und diese Lücke dann von ausländischen Männern gefüllt werden muss, ist zumindest erklärungsbedürftig.
«Kleine Herrscher in ihrem Königreich»
Nora Bienz, Präsidentin der Sektion Bern des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) nimmt kein Blatt vor den Mund: «Chefärzte – es gibt fast keine Frauen – sind oftmals kleine Herrscher in ihrem Königreich und können die meisten Anstellungen alleine vornehmen, ohne dass ein grösseres Gremium involviert wäre. Dabei werden objektive Kriterien regelmässig zu wenig berücksichtigt und Anstellungsentscheide werden aufgrund von Sympathien und Beziehungen gefällt. Diese Entscheide sind für die Bewerberinnen und Bewerber oftmals undurchsichtig, und messbare Kriterien wie Fähigkeitsausweise, Sprachkenntnisse oder Erfahrung fliessen zu wenig ein.»
Für Frauen habe das gravierende Konsequenzen: «Auf die Familienplanung werden die meisten Frauen in Vorstellungsgesprächen fast immer direkt oder indirekt angesprochen, obwohl dies keine zulässige Frage ist. Eine Absage hat gravierende Konsequenzen, weil aufgrund der überschaubaren Grösse der Spitallandschaft in der Schweiz oftmals Alternativen zu einer Kaderstelle fehlen.» Zudem, so eine Ärztin, die anonym bleiben möchte: «Wehrt man sich und kritisiert, wird man exkommuniziert.» Diese Erfahrung musste auch Natalie Urwyler machen: Sie fand als eine der wenigen habilitierten Anästhesistinnen keinen Job mehr, der ihrer Qualifikation entsprach. War sie beim Inselspital auf dem Sprung zur Oberärztin 2, musste sie nach der Kündigung als Assistenzärztin arbeiten und einen neuen Facharzt-Titel erwerben.
Nicht-Umsetzen des Gerichtsurteils
Der Fall Natalie Urwyler ist nicht zu Ende: Obwohl die Gerichte das Inselspital angewiesen haben, sie wieder einzustellen, hat das Inselspital – bereits bevor das Urteil rechtskräftig war – die Freistellung beschlossen und kommuniziert. Arbeitsrechtler Thomas Geiser weist darauf hin, dass natürlich neue Gründe zur Kündigung führen könnten, aber: «Es ist eher unsinnig, die Kündigungsabsicht im Voraus mitzuteilen. Damit zeigt die Arbeitgeberin, dass der Grund nicht im zerrütteten Vertrauensverhältnis liegt. Es liegt vielmehr eine Rachekündigung vor, welche dann möglicherweise wiederum nicht zulässig ist.» Klar ist: Wenn das Inselspital PD Dr. med. Natalie Urwyler nicht wieder einstellt, muss es Lohnnachzahlungen von einigen Hunderttausend Franken berappen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Monique Ryser war während vieler Jahre Redaktorin und Journalistin in Bern. Heute betreibt sie politisches Coaching.
Hoffentlich wird es richtig teuer für das Inselspital. Ein kräftiger Denkzettel. Dann sollte eine Verantwortlichkeitsklage folgen, damit die «verantwortlichen» Führungs-"Persönlichkeiten» zur Kasse geholt werden.