Die Damentoilette wird verwanzt
Whistleblower waren Barack Obama ein Dorn im Auge. Er verfolgte Aufdecker von Machtmissbrauch und Korruption. Doch WikLeaks liess er gewähren. Denn sollte Obama gegen WikiLeaks vorgehen, so hätte er sich auch alle diejenigen Zeitungen vorknüpfen müssen, die mit Assange zusammengearbeitet hatten. Dazu gehörten der «Spiegel», die «New York Times», der «Guardian» und weitere.
EXKLUSIV: So brachte die CIA in London Assange unter Kontrolle (2. Teil)
Red. Julian Assange hat in Madrid gegen die spanische Sicherheitsfirma UC Global Strafanzeige erstattet. UC Global habe Räume der ecuadorianischen Botschaft in London verwanzt und der CIA Zugang verschafft. Unterdessen führt die spanische Justiz ein Untersuchungsverfahren. In einer dreiteiligen Folge informiert Infosperber aus dem Inhalt der Strafanzeige sowie über notariell beglaubigte Aussagen von geschützten Zeugen. Über die Stellungnahme von UC GLobal berichtet Infosperber, sobald diese zugänglich wird. Ein Anwalt von UC Global bestritt gegenüber NDR, dass UC Global innerhalb der Botschaft Audioaufnahmen machte und mit der CIA zusammenarbeitete. Für natürliche und juristische Personen gilt bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung.
Doch die Zeiten änderten sich für WikiLeaks, nachdem Donald Trump in den USA und Lenin Moreno in Ecuador an die Macht kamen. Zwar sprachen einzelne Mitglieder der US-Regierung kurz zuvor noch in den höchsten Tönen über WikiLeaks. Doch im März 2017 wurden die CIA Vault 7 Files veröffentlicht, welche die elektronische Überwachung des US-Geheimdienstes detailliert aufdeckten. Jetzt argumentierten Beamte des Justizministeriums, dass WikiLeaks nicht mehr als journalistische Plattform geschützt sei und verlangten umfassende Ermittlungen gegen Assange und sein Team. Die Veröffentlichung von Hacking-Tools sah die US-Regierung als ein Überschreiten der roten Linie an. Dazu kam in ihren Augen, dass Assange auch eine Rolle gespielt habe während den Präsidentschaftswahlen 2016.
Darauf wurde es für Assange und sein Team ungemütlich. Trumps damaliger CIA-Chef und heutiger Aussenminister Mike Pompeo erklärte in seinem ersten öffentlichen Auftritt im April 2017: «Es ist an der Zeit, WikiLeaks als das zu bezeichnen, was es wirklich ist – ein nichtstaatlicher feindlicher Nachrichtendienst, der oft von staatlichen Akteuren wie Russland unterstützt wird.» Das Ausschalten von Assange erhielt für Pompeo oberste Priorität. Gemeinsam mit dem damaligen Generalstaatsanwalt Jeff Sessions entfesselte der CIA-Chef eine aggressive Kampagne gegen WikiLeaks und legte damit die Basis für die Anklage gegen Assange.
Mit grossem Aufwand versuchte die US-Justiz, mehr über Assange und seine Verbindungen zu Russland zu erfahren. Hochrangige US-Beamte waren überzeugt, dass der WikiLeaks-Gründer mit Moskau zusammenarbeite. Die CIA begann nun WikiLeaks auszuspionieren. Als einer der wichtigsten Partnerinnen des US-Auslandsgeheimdienstes erwies sich die Sicherheitsfirma UC Global von David Morales (siehe 1. Teil: «US-Geheimdienste spähten Assange aus»).
Telefon wird verschlüsselt
Aus der Strafanzeige geht weiter hervor: Nur zwei Tage nachdem WikiLeaks am 26. Februar 2017 die Veröffentlichung der CIA Vault 7 Files angekündigt hatte, hielt sich UC Global-CEO David Morales unweit vom CIA-Hauptquartier in Langley Virginia in einem Hotel auf. Obwohl UC Global keine öffentlich bekannten Verträge mit irgendeiner Firma im US-Bundesstaat Virginia hatte, verschickte Morales verschlüsselte E-Mails von einer IP-Adresse in Alexandria, einer kleineren Stadt in Virginia. Auch bezahlte er in den nächsten acht Tagen Rechnungen eines örtlichen Hotels.
Von diesem Moment an reiste Morales, oft in Begleitung seiner Frau Noelia Paéz Gutierrez, fast jeden Monat in die USA, darunter auch mehrfach nach Las Vegas. Das zeigen Gerichtsdokumente. «Ich erinnere mich, dass David Morales eine Person aus dem Unternehmen bat, ein sicheres Telefon mit sicheren Anwendungen vorzubereiten, genauso wie einen verschlüsselten Computer, um mit ‹den amerikanischen Freunden› zu kommunizieren. Damit wollte er die Beziehung zu den USA aus der Reichweite des Unternehmens nehmen», sagte ein ehemaliger Mitarbeiter von UC Global als geschützter Zeuge vor Gericht aus.
Einzelne Mitarbeiter zeigten sich mit Beginn der regen Reisetätigkeit ihres Chefs fortan skeptischer. Innerhalb der Firma entstand ein Klima der Konfrontation. «Ich habe Morales in heftigen Diskussionen scharf attackiert. Ich sagte ihm wiederholt, dass ein Unternehmen wie das unsrige darauf basiert, ‹Vertrauen zu schaffen› und dass es der Gegenseite keine Informationen ‹herausgeben› kann», erklärt der Ex-Mitarbeiter.
Am Ende einer Auseinandersetzung habe Morales sein Hemd aufgerissen, seine Brust herausgestreckt und ausgerufen: «Ich bin ein Söldner von ganzem Herzen!» Weiter erinnert sich der Ex-Mitarbeiter: «Manchmal, wenn ich ihn eindringlich fragte, wer seine ‹amerikanischen Freunde› seien, nannte der UC Global-CEO die ‹US-Geheimdienste›.» Als er dann wissen wollte, wem genau er die Informationen über Assange übermittle, habe Morales jeweils das Gespräch abgebrochen. Morales meinte, dass dies ausschliesslich seine Sache sei und es den Rest der Firma nichts angehe.
Mit dem Beginn der USA-Reisen beobachteten UC Global-Mitarbeiter bei Morales auch einen beträchtlichen Vermögenszuwachs. Er sei in dieser Zeit oft nach Gibraltar gereist, wo er einen Teil seines Geldes auf Banken versteckt haben soll, heisst es in den Gerichtsdokumenten.
Mikrofone am Feuerlöscher und in der Damentoilette
Richtig los legte Morales im Juni 2017. In diesem Monat begann er mit der Durchführung einer ausgeklügelten Spionageoperation in der ecuadorianischen Botschaft in London. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es dort ausschliesslich Kameras mit einer geschlossenen Leitung, sogenannte CCTV-Kameras, die keinen Ton aufnehmen konnten. Ihre Funktion bestand darin, Eindringlinge aufzuspüren.
Das genügte UC Global respektive den US-Geheimdiensten aber nicht mehr. Am 19. Juni schrieb ein Mitarbeiter von UC Global an das Unternehmen für Überwachungsausrüstung «Espiamos.com», dass in die Kameras Mikrofone einzubauen seien, jedoch «ohne dass sie mit dem blossen Auge wahrgenommen werden». Nach der Installation zeigte sich Morales aber unzufrieden, weil die Tonaufzeichnung für die Kameras nicht wie geplant funktionierte (Bild: Austausch der Kameras in der ecuadorianischen Botschaft. Quelle: Unterlagen Gerichtsuntersuchung Madrid).
Assange, der bereits ahnte abgehört zu werden, hatte im Hauptkonferenzraum eine Klangmaschine mit weissem Rauschen, einem stark höhenbetonten Geräusch, benutzt und versuchte die Gespräche mit seinen Anwälten damit möglichst sicher zu halten. Wenn der WikiLeaks-Gründer Mitarbeiter von UC Global fragte, ob seine Gespräche abgehört wurden, dementierten diese stets. Die heikelsten Unterhaltungen hielt er mit seinen Anwälten gar auf der Damentoilette ab. Dabei liess er den Wasserhahn laufen, um den Ton ihrer Gespräche zu übertönen.
Auf diese Vorsichtsmassnahmen konterte UC Global umgehend. Am 26. Dezember 2017 schrieb ein Mitarbeiter der Firma an «Espiamos.com»: «Die Bildqualität ist recht gut, die Qualität wurde gegenüber der vorherigen Installation bei weitem übertroffen. Nicht so glücklich sind wir mit dem Ton. Man kann kaum verstehen, was man sagt.» Darauf platzierten Angestellte von UC Global ein magnetisches Mikrofon an der Unterseite eines Feuerlöschers. So gelang es ihnen durch das weisse Rauschen zu schnüffeln. Ein zweites Mikrofon wurde in der Damentoilette installiert.
Die Mikrofone zeichneten Audiomaterial über viele Stunden hinweg auf einem internen Speicher auf, dessen Inhalt UC Global-Mitarbeiter später jeweils herunterluden und an den Firmenhauptsitz nach Jerez de la Frontera schickten. Morales ging sogar soweit, den US-Geheimdiensten einen direkten Zugriff auf die Kameras zu gewähren.
Dies gelang, indem zwei getrennte Benutzer geschaffen wurden: ein Administrator für den ecuadorianischen Kunden und eine separate Sicherheitsanmeldung für die «Freunde der Vereinigten Staaten», wie Morales in einem Mail schrieb. Letztere hatten dadurch die volle Kontrolle über die Überwachung Assanges. Sie konnten jetzt in Echtzeit über einen direkten Streaming-Zugriff bei den Konversationen Assanges mitlauschen.
Das bestätigte ein ehemaliger Arbeiter von UC Global als geschützter Zeuge vor Gericht. Dadurch gelang es den US-Geheimdiensten alle Treffen Assanges mit seinen Anwälten, seinen Ärzten und vielen weiteren Personen abzuhören. Durch die Mikrofone im Sitzungssaal waren sie sogar in der Lage, Treffen ecuadorianischer Regierungsmitarbeiter zu überwachen.
Auch NDR klagt im Namen eines Journalisten gegen UC Global
Red. Es bestehe ein dringender Verdacht, dass die Gespräche des NDR-Journalisten John Goetz (Bild links) mit Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London von der Sicherheitsfirma UC Global abgehört wurden. Es sei um Interviews und vertrauliche redaktionelle Absprachen gegangen, schreibt die Medienanstalt NDR. «Das ist ein Angriff auf meine Privatsphäre», erklärt Goetz auf der ARD-Webseite. Der Norddeutsche Rundfunk begründet seine Strafanzeige unter anderem wie folgt: «Systematische Videoüberwachung, Mitschnitte von Gesprächen, Vermerke über Gäste und abgehörte Telefone – Unterlagen zeigen das Ausmass der Überwachung. Neben Goetz könnten mit Reiko Pinkert und Antonius Kempmann noch zwei weitere Journalisten des Norddeutschen Rundfunks von Überwachungsmassnahmen betroffen gewesen sein. «Wir gehen davon aus, dass unsere Mitarbeiter ausgespäht wurden und so ihre Persönlichkeitsrechte und auch das Redaktionsgeheimnis verletzt wurden», sagt NDR-Justiziar Klaus Siekmann.»
Die Anwälte von UC Global weisen die Anschuldigungen gegenüber NDR zurück. Zwar bestätigte ein Anwalt, dass UC Global mit US-Nachrichtendiensten zusammenarbeite. Allerdings beziehe sich dies nur auf andere Aufträge. Auch seien von UC Global keine Audioaufnahmen innerhalb der Botschaft angefertigt worden.
US-Geheimdienste instruieren UC Global
Die Anweisungen, den US-Geheimdiensten einen eigenen Zugriff zu gewähren, erhielt Morales laut den Gerichtsdokumenten direkt von diesen selbst. Morales sendete am 10. Dezember 2017 aus Sheldon Adelsons Hotel «The Venetian» in Las Vegas eine in perfektem Englisch verfasste Powerpoint-Präsentation an ausgewählte Mitarbeiter, in der er detailliert beschrieb, wie sie auf die Kameras zugreifen konnten. Und zwar so, dass Ecuador nicht herausfand, dass es noch einen anderen Benutzer gab.
Ehemalige Mitarbeiter von Morales zeigten sich überzeugt, dass die Präsentation nicht von ihrem Chef Morales verfasst sein konnte. «David Morales hatte das technische Wissen gar nicht, um eine solche Präsentation zu erstellen. Diese muss von einer dritten Partei übermittelt worden sein. Ich vermute, dass der US-Geheimdienst dahintersteckt», sagte ein geschützter Zeuge vor Gericht. Auch machten ehemalige Mitarbeiter darauf aufmerksam, dass Morales nicht fähig gewesen sei, fehlerfrei in Englisch zu schreiben.
In der Powerpoint-Präsentation erklärte Morales, wie ein zweiter Benutzer direkt auf die Kameras zugreifen konnte. (Quelle: Gerichtshof Madrid)
Die Angestellten, die ohnehin nach Beginn der regelmässigen USA-Reisen von Morales gegenüber diesem bereits skeptisch waren, zeigten sich jetzt immer besorgter. Als ein Mitarbeiter im Januar 2018 die Rechtmässigkeit der versteckten Mikrofone in Frage stellte, gab ihm Morales zu verstehen, dass er seine Befehle zu befolgen habe. Er sei schliesslich der Chef und gewährleistete die Sicherheit innerhalb der Botschaft.
Ein Mitarbeiter installierte jetzt im Auftrag von Morales an allen Fenstern in der Botschaft spezielle Aufkleber. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die US-Geheimdienste bereits Lasermikrofone vor der Botschaft platziert gehabt, die auf die Fenster gerichtet waren. Weil Assange aber eine Klangmaschine benutzte, entstand eine Vibration an den Fenstern, die es schwierig machte, den Ton zu extrahieren. Mit den Aufklebern konnten die Lasermikrofone den Ton besser abfangen und die Kommunikation präziser abhören.
Morales beteuerte seinen Angestellten stets, dass Ecuador von den Aktionen Bescheid gewusst habe und dies vertraglich im Sicherheitsvertrag mit dem ecuadorianischen Geheimdienst abgedeckt gewesen sei, was allerdings nicht stimmte. Um seinen Sicherheitsvertrag nicht zu verlieren, zahlte Morales sogar regelmässig Bestechungsgelder. An die SENAIN-Mitarbeiterin Gabriela Páliz Jerez, die zuständig für die Sicherheit in der Botschaft war, flossen monatlich 20’000 Euro.
Einzelne Mitarbeiter zeigten sich davon überzeugt, dass die beiden erwähnten Mikrofone, die am Feuerlöscher und in der Damentoilette installiert wurden, nicht auf Morales Initiative hin platziert worden waren, sondern dass die US-Geheimdienste dahinterstanden. Auch misstrauten sie Morales Behauptungen, dass dies im Sicherheitsvertrag mit Ecuador abgedeckt gewesen sei. Morales selbst gestand gegenüber seinen Mitarbeitern zuletzt, dass die «amerikanischen Freunde» ihn gebeten hätten, überall in der Botschaft Mikrofone zu installieren, selbst im Schlafzimmer von Assange – davon durften die ecuadorianischen Behörden jedoch nichts mitbekommen.
Morales hielt nichts davon ab, seinen harschen und wohl auch lukrativen Kurs beizubehalten. Allerdings sollte die Situation eskalieren. Es wurden Pläne für eine mögliche Vergiftung oder Entführung Assanges geschmiedet.
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Siehe den ersten Teil dieser Berichterstattung:
«US-Geheimdienste spähten Assange aus»
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Lesen Sie im dritten Teil: Wie die US-Administration Assanges Flucht aus der ecuadorianischen Botschaft vereitelte. Und dabei auch vor einer möglichen Vergiftung Assanges nicht zurückschreckte.
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QUELLEN:
- Strafanzeige von Assange gegen UC Global (Original in spanisch)
- Strafanzeige von Assange gegen UC Global (maschinelle Übersetzung auf englisch)
- Notariell beglaubigte Zeugenaussagen (1)
- Notariell beglaubigte Zeugenaussagen (2)
- Notariell beglaubigte Zeugenaussagen (3)
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Rafael Lutz arbeitet als Redaktor bei der Regionalzeitung «Der Tössthaler» und schliesst gerade ein Studium der Soziologie an der Universität Freiburg mit dem Master ab.