Wall Street bestimmt mehr als Clinton oder Trump
Derzeit wird nicht der geringste Versuch unternommen, den Krieg in Syrien zu beenden. Ganz im Gegenteil: Er wird mit unverminderter Härte angefacht, und das nicht nur wegen der strategisch wichtigen Lage Syriens, sondern aus einem für die US-Finanzindustrie überaus wichtigen weiteren Grund.
Das grosse Problem der Wall Street: der Ölpreis
Die USA haben vor einigen Jahren mit Hilfe des Fracking den Versuch unternommen, von ÖI-Importen unabhängig und im Öl- und Gasbereich zu einem globalen Marktführer zu werden. Da der technische Fortschritt beim Fracking diese zunächst teure Art der Produktion immer ertragreicher werden liess, stiegen zahlreiche finanzstarke Investoren in das Geschäft ein und vergaben Kredite in Höhe von mehreren hundert Milliarden US-Dollar an die aufstrebende Industrie.
Inzwischen ist klar, dass sie sich verkalkuliert haben. Der Ölpreis ist in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 50 Prozent gefallen. Zwar konnten die Produktionskosten im Fracking erheblich gesenkt werden, aber der seit Monaten um 45 Dollar pendelnde Preis reicht nicht aus, um die zum Überleben der Firmen dringend benötigten Profite zu erwirtschaften.
Zwischen Januar 2015 und Juli 2016 sind bereits 90 Öl- und Gasproduzenten Bankrott gegangen und haben einen Schuldenberg von mehr als 66 Milliarden Dollar hinterlassen. Da die Kredite mit Sicherheit über Kreditausfallversicherungen rückversichert waren, müssen sie erhebliche Löcher in den Bilanzen der US-Grossbanken hinterlassen haben.
Wenn im Spätherbst nun die Rückzahlung des Löwenanteils der an Fracking-Firmen vergebenen Kredite fällig wird, sieht es für die Gläubiger düster aus. Auch die Zukunftsaussichten sind trüb: Der Weltmarkt stagniert, ein wirtschaftlicher Aufschwung ist höchst unwahrscheinlich. Mit einer Drosselung der globalen Produktion ist wegen des brutalen Konkurrenzkampfes vieler betroffener Länder nicht zu rechnen. Zudem drücken Marktmanipulationen auf den Ölpreis: Auf den Weltmeeren stauen sich bis an den Rand mit Öl gefüllte Frachter und die Lager bersten aus allen Nähten.
Es ist also mittel- und langfristig kaum mit einem Anstieg des Ölpreises zu rechnen.
Rechnet die Finanzindustrie mit ausgeweitetem Krieg?
Spätestens zum Jahresende droht damit eine Krise des US-Finanzsystems, die ähnliche Ausmasse wie die Dotcom-Krise zur Jahrtausendwende annehmen dürfte. Nur: Das US-Finanzsystem ist acht Jahre nach dem Beinahe-Crash von 2008 erheblich instabiler geworden. Die FED hat mehr als 4,5 Billionen Dollar ins System gepumpt, der Leitzins liegt fast bei Null, die Finanzspekulation im Bereich der Derivate ist auf vierstellige Billionenbeträge angewachsen, zudem sind riesige Blasen an den Anleihe-, Aktien- und Immobilienmärkten entstanden. In dieser Situation könnten die Probleme der Fracking-Industrie zum Funken werden, der das Pulverfass US-Finanzsystem (und damit das globale Finanzgefüge) hochgehen lässt.
Das schiere Überleben der Wall Street hängt davon ab, dass der Ölpreis genügend steigt. Doch die Nachfrage wird nicht grösser und die Ölländer weigern sich, ihre Produktion zu drosseln. Ein Ausweg ist die Eskalation des Krieges im Nahen Osten und die Zerstörung einer grossen Zahl von Ölquellen.
Ein Anzeichen, dass hinter den Kulissen bereits eine Entscheidung für diese Option gefallen ist, kann man an der Entwicklung der Ramschanleihen im Ölgeschäft der USA ablesen. Seit Juni dieses Jahres steigen die Kurse solcher Ramschanleihen. Auf einige ist fast schon ein Run im Gang. So wurden zum Beispiel für das Unternehmen PDC Energy, dessen Kreditwürdigkeit vier Stufen unter «kreditwürdig» liegt, 1,5 Milliarden Dollar für Anleihen im Wert von 400 Millionen Dollar geboten. Dazu sind die Prämien für Kreditausfallversicherungen auf Ramschanleihen seit Februar um 30 Prozent gefallen. Das heisst, Investoren rechnen vermehrt damit, dass diese Ramschanleihen mit Zinsen und Rückzahlungen bedient werden können. Für die Strategen der Bank of America Meryll Lynch war der Sommer 2016 «einer der besten, … was hochertragreiche fremdfinanzierte Kredite angeht».
Dass Teile der Finanzindustrie auf einen Anstieg des Ölpreises setzen, der kaum anders als mit Krieg bewirkt werden kann, wird sowohl von Hillary Clinton als auch von Donald Trump als Handlungsanweisung verstanden. Beide sind sich in ihrem «Wahlkampf» in einem Punkt einig: Der «Kampf gegen den Terror», die «Ausrottung des radikalen Islamismus» und die «Vernichtung von Isis» dienen ihnen als Vorwand, um sich die Option der Ausweitung eines Krieges im Nahen Osten offen zu halten.
Keiner von beiden verliert ein Wort darüber, dass die Isis als der angeblich grösste Feind der USA einen erheblichen Teil seiner Anhängerschaft aus Terrororganisationen wie Al Kaida, deren Ableger Al Nusra und der Freien Syrischen Armee rekrutiert, die von den USA im Kampf gegen den syrischen Präsidenten Assad gefördert und mit Geld und Waffen ausgerüstet wurden.
Keiner wird erwähnen, dass es niemals zu einer internationalen Radikalisierung so vieler Muslime gekommen wäre, wenn die USA und ihre Verbündeten nicht ganze Länder wie Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien mit Bomben angegriffen und deren Bevölkerungen terrorisiert und gegen sich aufgebracht hätten. Und keiner von beiden wird erwähnen, dass viele Investoren an der Wall Street profitieren, wenn weitere Zehntausende von Menschen getötet werden.
Stattdessen werden beide Kandidaten dem amerikanischen Volk weismachen, Sicherheit der USA hänge von der Vernichtung der Organisation Isis ab. Sowohl Clinton als auch Trump bereiten die Bevölkerung auf längere Kriegshandlungen vor, was den Interessen der Wall Street entspricht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen im Tectum-Verlag, Marburg.
Genau sowenig ist Russland an Frieden in Syrien interessiert, da eine geplante Gaspipeline die auch durch Syrien gehen sollte, Europa unabhängiger von Gas aus Russland machen würde.
Der Hinweis auf Russland ist fehl am Platz, Herr Klee. Russland wurde von der syrischen Regierung um Hilfe gebeten, als diese von bewaffneten Milizen angegriffen wurde, welche von den Golfmonarchien und westlichen Regierungen finanziert und bewaffnet wurden. Die Hilfe Russlands für den syrischen Bündnispartner ist völkerrechtlich einwandfrei. Der UN-Sicherheitsrat wäre verpflichtet gewesen Syrien zu Hilfe zu kommen. Das militärische Engagement der USA in Syrien ist ein Akt der Aggression gegen einen souveränen Staat.
Mir geht es nicht darum, wie es begann, sondern lediglich darum, dass auch Russland kein Interesse hat, dass es endet.
Und Europa und ihre Waffenschmieden heissen ohnehin jeden Krieg willkommen, selbst wenn er verheerende Folgen für Europa haben könnte: Am Wiederaufbau liesse sich doch auch noch verdienen.
Danke Herr Ernst Wolff für diesen wertvollen Artikel.
@Stephan Klee: Wieso hat Ihrer Meinung nach Russland kein Interesse an einem Ende des Krieges in Syrien? Das leuchtet mir nicht ein. Denn wie Sie richtig konstatiert haben, geht es auch um eine Gaspipeline durch Syrien, die es den Russen ermöglicht viel Geld in Europa zu verdienen. Assad ist absolut gewillt, diese Pipeline den Russen zu geben, den Verbündeten der USA hat er hingegen eine Abfuhr erteilt und ihnen gesagt, dass er nicht bereit dazu ist, ihnen eine Gaspipeline durch sein Land zu bauen.
Die Folgen dieser Entscheidung Assads sieht man seit 2011 in dem mit Terroristen und Krieg durchzogenen Syrien. Ob die Russen das Selbe gemacht hätten, wenn sich Assad umgekehrt entschieden hätte, also pro USA contra Russland ? Ich wag es zu bezweifeln.
"Mir geht es nicht darum, wie es begann, sondern lediglich darum, dass auch Russland kein Interesse hat, dass es endet. «
Falsch. Russland ist wohl am meisten an einem stabilen Syrien interessiert, gerade WEGEN der Gas-Pipeline. Aber ein US Vasallenstaat muss von Russland mit allen Mitteln verhindert werden, um wirtschaftlich kein Desaster zu erleben und erpressbar zu werden.
Daher ist die Frage nach Frieden jene, ob die USA bereit sind, von ihrem Vorhaben abzusehen, Russlands Gaseinkommen mit einer Gaspipeline durch Syrien zu untergraben (Wortspiel nicht beabsichtigt …).
Der Plan für die Pipeline wurde im Juli 2011 bekanntgegeben, also zum selben Zeitpunkt, als sich die Freie Syrische Armee formierte. Das passt natürlich zum Spiel der USA, die die wahren Kriegstreiber sind – da sind wir uns wohl einig. Und ich denke auch nicht, dass Russland sich in Syrien eingemischt hätte, wenn Assad sich für die USA als Partner entschieden hätte.
Aber der springende Punkt ist das Embargo gegen Russland seit 2014. Gerät Syrien unter die Kontrolle von Amerika und die Pipeline würde gebaut (Iran muss nicht zwingend loyal zu den Russen bleiben), kann Russland sein Gas gar nicht mehr nach Europa verkaufen und verliert sein wichtigstes Druckmittel gegen den Westen.