Neuer Kiewer Metropolit: «Wir müssen die Krim zurückhaben»
Wer die Ukraine kennt, der weiss: Das heutige Staatsgebilde «Ukraine» ist in keiner Hinsicht ein Einheit, eine «Nation». Weder ethnisch noch konfessionell, weder sprachlich noch kulturell. Die Machtpolitik der Kiewer Regierung unter Staatspräsident Petro Poroschenko unternimmt aber alles, um diese «Nation» zu schaffen und scheut nicht davor zurück, auch die Geschichte umzuschreiben. Historische Denkmäler werden abgerissen, Strassen werden umgetauft, vor allem aber werden Sprachen von Minderheiten verdrängt, ja verboten. Die Ukraine grenzt zu über 70 Prozent ihrer Staatsgrenze an Russland und etwa ein Drittel der Bevölkerung spricht, vor allem im Süden und Osten des Landes Russisch als Muttersprache. Nicht zuletzt die Absicht, die russische Sprache im Südwesten der Ukraine als Amts- und Schulsprache zu verbieten, war einer der Gründe für die Sezessionsbewegungen im Donbass nach dem Putsch auf dem Kiewer Maidan im Sommer 2014.
Lange nicht alle identifizieren sich mit Kiew
Der hier Schreibende war im Januar 2014 längere Zeit in Transkarpatien, einer Provinz der Ukraine, die an Polen, an die Slowakei, an Ungarn und an Rumänien grenzt. Interessiert hat ihn diese Region vor allem, weil die Menschen dort in hundert Jahren, von 1914 bis 2014, fünf mal – fünf mal! – die Staatszugehörigkeit ändern mussten. Fremdbefohlen, selbstverständlich. Wie fühlen sich die Menschen in so einem Umfeld? Eines war schon nach wenigen Tagen klar: Niemand fühlte sich mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew verbunden. Auf Ukrainisch, Russisch, Ruthenisch und, bei jungen Leuten, auch in englischer Sprache, sie sagten alle das gleiche, auf Popular-Deutsch übersetzt: Uns geht Kiew am Arsch vorbei. (Siehe seine Reportage hier.)
Orthodox, aber verschiedenen Patriarchen unterstellt
In der Ukraine gibt es auch verschiedene Religionen und veschiedene christliche Kirchen. Juden gibt es nicht mehr so viele, der Grossteil der jüdischen Bevölkerung wurde im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Truppen und ihren ukrainischen Mitläufern vertrieben oder umgebracht. Muslime gab und gibt es vor allem im Süden. Die muslimischen Tataren auf der Krim machen etwa 12 Prozent der dortigen Bevölkerung aus, aufs ganze Land gerechnet sind es (Ukraine noch mitgezählt) etwa 4 Prozent. Die Christen verteilen sich auf vier Kirchen, auf drei orthodoxe Kirchen und, eine Minderheit, auf die Griechisch-Katholische Kirche der Ruthenen.
Das soll sich, zum Zwecke der Bildung einer einigen «Nation», nun ändern. Die orthodoxen Kirchen wurden auf Druck der Politik eben formal vereinigt zu einer einzigen, deren Oberhaupt der Metropolit von Kiew sein soll. Der Zweck der Vereinigung: Jene russisch-orthodoxe Kirche, die bisher dem Patriarchen in Moskau unterstellt war, soll entmachtet, der über diese Kirche stattfindende Einfluss von Moskau auf die ukrainische Bevölkerung damit unterbunden werden. Die Neue Zürcher Zeitung NZZ hat diesen Vorgang auf ihrer Online-Plattform ausgiebig beschrieben (hier anklicken).
Ob diese von politischer Seite inszenierte Vereinigung der orthodoxen Kirchen in der Ukraine von der gläubigen Bevölkerung und ihren Geistlichen in den verschiedenen ukrainischen Regionen so ohne weiteres geschluckt wird, ist noch fraglich. Die Zeiten, da ganze Ländereien ihren Glauben nach Vorgabe ihrer Adeligen geändert haben, sind ein paar Jahrhunderte vorbei. Man lese dazu einfach die Geschichte des Dreissigjährigen Krieges, 1618 – 1648.
Aus der europäischen Geschichte gelernt
Im Einklang mit der gegenwärtigen US-amerikanischen und europäischen Russophobie wird Präsident Putin oft vorgeworfen, die Russisch-Orthodoxe Kirche und den Patriarchen von Moskau, Kirill, für seine Machtpolitik zu instrumentalisieren. Ob man in den USA und in Westeuropa nun auch Poroschenko diesen Vorwurf machen wird? Sicher nicht!
Ironie der Geschichte: Poroschenko hat die Idee, die Kirche auch machtpolitisch einzuspannen, nicht selber erfunden. Schon der berühmten Kaiserin Maria-Theresia von Österreich (1717 – 1780), zu deren Imperium im 18. Jahrhundert auch Ländereien gehörten, die heute zur Ukraine gehören, hat nicht gefallen, dass die dortige Bevölkerung zwar zu ihren Untertanen zählten, aber nicht zur gleichen, der Römisch-Katholischen Kirche gehörte. Dass Untertanen von ihr in religiöser Hinsicht nach Moskau schauten, wollte sie nicht weiter hinnehmen. Sie zementierte deshalb mit der Moskau-orientierten Geistlichkeit eine Vereinbarung von 1646: Die orthodoxen Geistlichen durften alles behalten, ihren Ritus, ihre Liturgie, ja sie durften sogar wie bisher heiraten, unterstanden also nicht dem Zölibat, aber zuoberst mussten sie den Heiligen Vater in Rom als ihren obersten Kirchenfürsten anerkennen. Als Gegenleistung schenkte sie den Geistlichen der Region die den Jesuiten gehörende Kathedrale von Ushgorod. Und diese Regelung gilt bis heute: Der Dekan der Kathedrale von Ushgorod, Pater Ivan, ist verheiratet und hat drei Töchter, wallfahrtet aber alle paar Jahre nach Rom und küsst dem Heiligen Vater der Römisch-Katholischen Kirche in vollkommener Untergebenheit die Hand.
Da soll, was Kaiserin Maria-Theresia sich schon im 18. Jahrhundert ausgedacht hat, Poroschenko zum Vorwurf gemacht werden, die Kirche in die eigene Machtstruktur zu integrieren? Nein, Poroschenko wird man gar nichts vorwerfen, denn er tut eh nur, was dem Westen passt.
… und schon mischt Radio Free Europe / Radio Liberty mit
Dass durch die Vereinigung der drei orthodoxen Kirchen in der Ukraine der kirchliche Einfluss aus Moskau erschwert wird, passt dem Westen sogar bestens ins antirussische Konzept. Der US-amerikanische Propagandasender «Radio Free Europe / Radio Liberty» FRE/RL schickte seine Kameraleute schon einen Tag nach der formellen Vereinigung an die erste Messe des neuen Metropoliten von Kiew und produzierte ein eindrückliches Video (hier anklicken) . Und in einem Interview mit Epifani, dem Kiewer Metropoliten, entlockte RFE/RL dem Oberhaupt der jetzt national-ukrainischen Kirche die Sätze: «We have the occupied Crimea. We need to get it back.» (Wir haben die besetzte Krim. Wir müssen sie zurückhaben.)
Diese Aussage ging, wen wundert’s, von RFE/RL zur ukrainischen Nachrichtenagentur unian.info und von dort in die Kiewer Zeitungen, darunter auch in die englischsprachige Kyiv Post. Und gestern meldete die Kyiv Post sogar bereits, der Vatikan habe die neue national-ukrainische Kirche formell anerkannt.
Man merke: Der US-amerikanische Propaganda-Sender RFE/RL hat nicht eine Nachricht der ukrainischen Nachrichtenagentur übernommen, sondern die ukrainische Nachrichtenagentur hat eine – brisante – Nachricht von RFE/RL übernommen. So läuft die Meinungsbildung in der Ukraine.
Fehlt nur noch, dass Metropolit Epifani auch noch zu einem Waffengang aufruft. Eine historische Neuigkeit wäre das nicht. Christliche Kirchenfürsten haben das im Verlaufe der Geschichte immer wieder getan.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.
Besten Dank Herr Müller für diese schöne Einsicht. Etwas Rückschau in die Geschichte kann oft so vieles erklären.
Zur Episode «Radio Free Europe» und «Radio Liberty» – tönt ja ganz wie gehabt selbst ohne Facebook und Putin Trolls. Amerikaner machen so etwas eben in Direktregie. So ist alles klar und die Russen können sich einen «Müller-Report» über amerikanische Politmanipulationen sparen.
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