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US-Präsident Donald Trump betreibt auf dem Rücken der wichtigsten US-Gesundheitsbehörde Politik © pixabay

USA: Der Fall der grössten Gesundheitsorganisation der Welt (1)

Tobias Tscherrig /  Die Einmischung von Trump, ein Virus und das Versagen der eigenen Führung führten zum Fall der wichtigsten US-Gesundheitsbehörde.

Das durch Stiftungen finanzierte US-amerikanische Non-Profit-Netzwerk für investigativen Journalismus «ProPublica» zeichnet den Fall der grössten öffentlichen Gesundheitsorganisation der Welt «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) nach – die in der Vergangenheit weltweit die Pocken und in den Vereinigten Staaten die Kinderlähmung ausgerottet hatte.

Die rund 23-Seiten starke Recherche «Inside the Fall of the CDC» zeigt auf der Grundlage von Hunderten E-Mails, internen Regierungsdokumenten und Interviews mit anonymen CDC-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern sowie Auftragnehmern und Beamten der Trump-Administration, wie eine wichtige Behörde frontal mit einer Verwaltung zusammenstösst, die verzweifelt den Eindruck bewahren will, dass sie die Covid 19-Pandemie unter Kontrolle hat. Trotz der über 216’000 Todesopfer, die das Virus in den USA bereits gefordert hat.

Sie zeigt auch, dass die Einmischung von US-Präsident Donald Trump Schäden verursacht hat, die viel länger als das Virus andauern könnten.

In einer vierteiligen Serie zeichnet «Infosperber» den Fall der CDC nach. Teil eins zeigt, wie sich das Weisse Haus in die Angelegenheiten der Gesundheitsbehörde einmischt und auf ihrem Rücken Politik betreibt.

Die Krux mit dem Gottesdienst
Der Niedergang der CDC, einer Behörde des US-Gesundheitsministeriums mit Sitz in Druid Hills, beginnt mit der Frage nach dem Covid-19-Ansteckungsrisiko während Gottesdiensten und Chorproben. Jay Butler, damaliger Leiter des Teams, das sich in den USA mit der Pandemie auseinandersetzte, versuchte eine Anleitung auszuarbeiten, die den US-Amerikanerinnen und -Amerikanern die sichere Rückkehr in die Gottesdienste ermöglichen sollte. Dies auf der Grundlage einer CDC-Untersuchung über einen Covid-19-Ausbruch in einer Kirche in Arkansas, bei der sich in einer Chorprobe 52 von 61 Sängern mit dem Virus infizierten. Der Ausbruch forderte zwei Leben.

Butler, ein Spezialist für Infektionskrankheiten mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung, schien die ideale Person für die Leitung der Corona-Massnahmen zu sein. Ausgebildet als einer der Elite-Krankheitsdetektive der CDC, half er dem FBI bei der Untersuchung der Milzbrandanschläge. Ausserdem hatte er die Verteilung von Impfstoffen während der H1N1-Grippe-Pandemie geleitet.

Inmitten der Arbeit begann Donald Trump öffentlich für die Wiedereröffnung von Kirchen zu werben. Das Team um Butler stand plötzlich im grellen Licht der Öffentlichkeit. Trump kündigte an, dass die CDC «sehr bald» Sicherheitsrichtlinien für Gottesdienstbesuche herausgeben würden. Er machte den Fall zum Politikum und warf den demokratischen Gouverneuren vor, die Kirchen nicht zu respektieren.

Das Weisse Haus mischt sich ein
Also beeilte sich das Team um Butler, die Richtlinien für Kirchen, Synagogen und Moscheen fertigzustellen, welche rund einen Monat zuvor bereits einmal von Trumps Helferinnen und Helfern blockiert worden waren. Butler und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten einige Änderungen des Weissen Hauses abgelehnt, die im Widerspruch zur CDC-Forschung standen. Das Weisse Haus forderte etwa die Streichung einer Zeile, in der die Gemeinden aufgefordert wurden, «den Einsatz von Chören auszusetzen oder zumindest zu verringern».

Als die CDC die Richtlinien schliesslich publik machten, reagierte das Büro des Vizepräsidenten wütend. Die Vorschläge des Weissen Hauses seien nicht umgesetzt worden, der Gesundheitsbehörde wurde Ungehorsamkeit vorgeworfen. Fünfzehn Minuten später liess einer von Butlers Stellvertretern den CDC-Text durch die Version des Weissen Hauses ersetzen. Die Ansteckungsgefahr bei Chorproben und während der musikalischen Untermalung von Gottesdiensten verschwand.

In einer E-Mail an Kolleginen und Kollegen kommentierte Butler: «An diesem Sonntagmorgen bin ich sehr beunruhigt. Es wird Menschen geben, die krank werden und die vielleicht sterben wegen dem, wozu wir gezwungen waren.»

Die Wissenschaft vor dem Weissen Haus schützen
Leitende CDC-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter beschreiben gegenüber «ProPublica» wie sie plötzlich Kämpfe führen mussten, bei denen es nicht nur darum gegangen sei, die Öffentlichkeit vor Covid-19, sondern auch die Wissenschaft vor dem Weissen Haus zu schützen. Ein Krieg, den sie in den meisten Fällen verloren hätten.

Die Mitarbeiter sprachen offen über die politische Einmischung und ihren Wunsch, die Gesundheitsbehörde deswegen zu verlassen. Trotzdem ergaben sie sich wieder und wieder und taten, was von ihnen verlangt wurde. Im Falle von zu vielen Abgängen oder von zu kritischen Wortmeldungen befürchteten sie, dass das Weisse Haus aufhören könnte, die CDC überhaupt zu konsultieren – und eine noch gefährlichere Politik durchsetzen könnte. «Die Feigheit und das Nachgeben sind abscheulich», sagt ein Wissenschaftler gegenüber «ProPublica».

Aber die CDC haben auch eigene Fehler gemacht. So gab es etwa Probleme und Streitigkeiten in dem Labor, indem die ersten US-Tests für COVID-19 durchgeführt wurden. Ein angesehener Laborwissenschaftler wandte ein Verfahren an, das die Gefahr einer Kontamination mit sich brachte, sah zwar die Probleme, schickte die Tests aber trotzdem in die Labors des öffentlichen Gesundheitswesens.

Politik auf dem Rücken der Öffentlichen Gesundheit
Aber selbst dann, wenn die CDC keine Fehler machten, nutzte die Trump-Administration die Ereignisse aus, um die Kontrolle über die Kommunikation der Organisation zu übernehmen. Als eine tödliche Pandemie wütete, verwandelte das Weisse Haus die CDC in einen politischen Knüppel, um Trumps Agenda voranzubringen. Zum Beispiel, in dem das Weisse Haus die CDC-Leitung bei der Ausübung ihrer Quarantänebefugnisse hinderte oder sie im umgekehrten Fall zwang, ihre Befugnisse einzusetzen, obwohl die Gesundheitsfachleute das gar nicht wollten.

Obwohl die CDC einst ein unpolitisches Bollwerk waren, ertrugen sie die Einmischung durch Beamte mit wenig bis keiner Erfahrung im öffentlichen Gesundheitswesen. Trumps Tochter Ivanka mischte sich ein, sein Schwiegersohn Jared Kushner, ebenso Stephen Miller, der Architekt des präsidialen Immigrationskrieges. Eine wechselnde Besetzung von Trumps politischen Helferinnen und Helfern und privaten Auftragnehmern sass plötzlich in wichtigen Treffen über gesundheitspolitische Entscheidungen.

Insider der Behörde verloren den Glauben daran, dass sich der von Trump ernannte CDC-Direktor Robert Redfield an die Linie der Wissenschaft halten würde. Ein Abteilungsleiter weigerte sich, eine seiner Meinung nach schlecht durchdachte und fremdenfeindliche Trump-Verwaltungsanordnung zu unterzeichnen. Redfield unterschrieb sie schliesslich selbst.

«Propaganda für politisches Regime»
CDC-Spezialisten mit weltweitem Ruf wurden an den Rand gedrängt, zum Schweigen gebracht oder versetzt – oft, weil sie einfach das taten, was immer ihre Aufgabe gewesen war. Einige der besten CDC-Wissenschaftler verschwanden aus der Öffentlichkeit, nachdem sie offen über das Virus gesprochen hatten. Die Trump-Administration «eignet sich ein öffentliches Unternehmen an und macht es zu einem Agenten der Propaganda für ein politisches Regime», sagte ein CDC-Wissenschaftler in einem Interview.

Trotzdem wies ein Sprecher des Department of Health and Human Services, das die CDC beaufsichtigt, alle Anschuldigungen der politischen Einmischung zurück.

Zehn Monate nach Beginn der weltweiten Gesundheitskrise befürchten viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CDC, dass die US-Öffentlichkeit das Vertrauen in die Gesundheitsinstitution verloren hat. Eben jenes Vertrauen, das es braucht, damit Menschen Masken tragen, Menschenansammlungen vermeiden oder sich impfen lassen. Viele der CDC-Expertinnen und – Experten denken, dass es eine Generation oder länger dauern könnte, bis dieses Vertrauen wieder hergestellt ist.
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In einer vierteiligen Serie zeichnet «Infosperber» den Fall der CDC nach. Der zweite Teil wird die internen Probleme der Gesundheitsbehörde sowie den mangelnden Informationsaustausch zwischen China und den USA beleuchten. Er wird zudem zeigen, wie sich die Kluft zwischen der US-Regierung und der CDC stetig vergrösserte. Auch die fehlerhaften Covid-19-Tests der USA werden Thema sein.
2. Teil
3. Teil


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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5 Meinungen

  • am 25.10.2020 um 12:10 Uhr
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    Ich hoffe, dass der Trumpel erneut die Wahl gewinnt. Das wäre das verdiente Schicksal, das dieses Land mit seiner Cowboy-Mentalität, Kolonialismus, Rassismus, Bildungs- und Kulturlosigkeit verdiente: Die Kapitalisten verkaufen auch den Strick, an dem sie aufgehängt werden! Und man würde in der Schweiz wieder französisch, italienisch und romanisch reden und schreiben. Auch die Frauen würden nicht mehr mit zerrissenen Hosen und tätowiert herumlatschen. Alle diese scheusslichen Moden von ennet dem Deich würden dann total démodé und von den Jungen geächtet sein. Und man würde sich wieder auf kulturelle Qualität besinnen und all die dummen elektronischen Spielsachen zum Fenster hinauswerfen – sowieso alle Macs und PCs…

  • am 25.10.2020 um 17:51 Uhr
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    Es grüsst! T. Lysenko.

  • am 25.10.2020 um 18:28 Uhr
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    Wer braucht schon die CDC aber eine ausufernde Pandemie ?
    Die Kapitalstarken mit hohen Kapitaleinkommen ?
    1.) Die können sich den allerbesten und teuersten Schutz aus der «Portokasse» leisten. Einen Unterschied gibts, für den US-Präsidenten mussten die vielen ehrlichen Steuerzahler aus der Kapitalschwachen Mittelschicht aufkommen.
    2.) Wer von denen braucht schon «Kaufkraftschwache Konsumenten».
    3.) In vielen Bereichen hat Trump schon mit einzelnen Notstandsgesetzen Gelder nach oben verteilt, kaum was an die US-Demokratie- und US-Flagge-Gläubigen.
    3.) Es gibt eine relativ hohe Korrelation zwischen Staaten/Nationen mit «Defizitären Demokratien» u. absoluten Freiheitswerten mit relativ hohen Corona-Todesfällen, zumindest bisher.
    Im egalitären Liberalismus (Rawls) sind die Freiheitswerte relativ.

    [ Über den neuen Begriff «Defizitäre Demokratie» aus der Politik-Wissenschaft, kann sich jeder selbst im Internet aufklären.]
    Die EU selbst ist weder Staat noch Nation, sondern eine Union von denen. Deshalb sind die Todeszahlen so unterschiedlich.

  • am 26.10.2020 um 02:07 Uhr
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    »… die CDC einst ein unpolitisches Bollwerk…"
    OMG, das ist ja wohl ein arger Schnitzer, (egal, was die Trumper jetzt damit machen).
    CDC war ursprünglich eine Einrichtung der Streikräfte und hat die Orientierung auf militärische Sicherheit auch über allerlei bürokratische Umorganisationen immer als Leit-Thema behalten, das jetzt zur «Biosicherheit» mutiert ist – und damit zur allumfassenden Kompetenz auch über die «zivilen» USA.
    Die Donald-Truppe versucht, diesen Hebel für sich zu nutzen.

  • am 26.10.2020 um 08:14 Uhr
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    Der Infosperber (insbesondere Herrn Gasche) war bisher vorbildlich Statistiken im Kontext von Covid19 kritisch zu hinterfragen bzw. in die richtige Relation zu setzen.

    Die von T. Tscherrig erwähnten «216’000 Todesopfer» sind nicht «nur» wegen Covid19 gestorben, eine grosse Mehrheit dieser Toten hatte bereits andere Krankheiten. Die genannte Zahl ist irreführend, wenn nicht sogar falsch. Siehe dazu https://www.cdc.gov/nchs/nvss/vsrr/covid_weekly/index.htm Abschnitt «Comorbidities»:
    "For 6% of the deaths, COVID-19 was the only cause mentioned. For deaths with conditions or causes in addition to COVID-19, on average, there were 2.6 additional conditions or causes per death."

    Es mehren sich die Hinweise, dass die veröffentlichten Zahlen der «Corona Toten» z.T. sehr stark übertrieben sind – und das gilt nicht nur für die USA. Dem Journalisten Tscherrig müsste dies bekannt sein.

    Dass die 216’00 (Covid19-)Todesopfer unkommentiert aus dem ProPublica Report übernommen werden, das halte ich für schwach. Es ist aber leider typisch für den zeitgenössischen «Journalismus», wo wenig recherchiert und ganz viel kopiert wird.

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