Kommentar
Trump ohne Bolton: Verunsicherung bleibt Devise
Der Rücktritt respektive Rauswurf des US-Sicherheitsberaters John Bolton ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Er zeigt zumindest, dass Donald Trump es satt hatte, eine erklärte Kriegsgurgel in seiner unmittelbaren Umgebung zu haben. Bolton kannte ja nur eine Devise: Bomben werfen. Zielstrebig arbeitete er daran, die USA in einen Krieg mit Iran zu ziehen – «bomb Iran», lautete sein Credo. Fast hätte er es geschafft. Trump zog vor Wochen in letzter Minute noch die Reissleinen, sonst wäre es zum Luftangriff auf mindestens einige Ziele in Iran gekommen.
Iran-Konflikt: Kursänderung der USA eher unwahrscheinlich
Allerdings ist es dem Sicherheits- oder Unsicherheitsberater innerhalb eines Jahres doch gelungen, die Lage so weit zuzuspitzen, dass eine Entspannung nur noch schwer vorstellbar ist. Das Sanktionssystem gegen Iran ist derart umfassend, dass Teheran zu recht von einem Wirtschaftskrieg spricht – einem Wirtschaftskrieg, der nicht nur bilateral ausgetragen wird, sondern die ganze Welt zur Geisel der USA machen will. Wer immer mit Iran Geschäfte abschliessen möchte, verliert den US-Markt. Und da der Handel zwischen Westeuropa und den USA im Durchschnitt 90- bis 100-mal umfangreicher ist als es jener mit Iran sogar in den drei Jahren der Sanktionsmilderungen (2015 – 2018) war, sind die Chancen für ein Ausscheren aus dem US-Diktat gleich null.
Die iranische Führung agierte in den letzten Wochen rat- und kopflos. Das stufenweise Ausscheren aus dem sogenannten Atomvertrag von 2015 hilft in keiner Weise, die auf dem Papier noch immer vertragstreuen Europäer (Unterzeichnerstaaten sind Grossbritannien, Frankreich und Deutschland) zu motivieren – es macht sie, im Gegenteil, ebenso ratlos. Und zwingt sie über kurz oder lang, aus dem Abkommen auszusteigen. Wenn das geschieht, hat Israels um die Wiederwahl kämpfender Premier Netanyahu erneuten Auftrieb beim Trommelfeuer gegen den angeblich nach Atomwaffen dürstenden Iran.
Trump setzt auf wirtschaftliche Macht der USA
Trump ohne Bolton – bedeutet das eine Hinwendung zu einer vernünftigeren Geopolitik? Der Rauswurf zeigt, dass der US-Präsident keinen militärischen Konflikt irgendwo auf der Welt will. Doch Trump wäre nicht Trump, würde er nicht weiterhin daran glauben, dass die USA dank ihrer wirtschaftlichen Macht andere Staaten zur Kapitulation zwingen können. Handelskriege seien leicht zu gewinnen, sagte er vor rund einem Jahr, als er damit begann, Strafzölle gegen China zu verhängen und gegen Europa anzudrohen. So einfach wie vorgestellt sind sie allerdings doch nicht, wie das Beispiel Chinas zeigt. Die negativen Auswirkungen auch auf die Konsumenten in den USA, auch auf die globale Wirtschaft, sind nicht mehr zu übersehen. Was wohl auch im Weissen Haus zur Frage führen muss, ob man Konflikte dieser Art nicht doch vermeiden respektive beenden sollte. Doch das ist wohl leichter gedacht und gesagt als getan.
Strategie für eine gute Wiederwahl
Donald Trump wird in den nächsten Monaten eine Strategie für möglichst gute Wiederwahl-Chancen im Jahr 2020 entwickeln. Was die internationale Szene betrifft, wage ich diese Prognose:
- Iran: keine Kompromisse hinsichtlich der Sanktionen. Ein Einknicken in diesem Bereich würde ihm von seinen Stammwählerinnen und -wählern als unverzeihliche Schwäche ausgelegt. Aber Trump dürfte die Einladung an den iranischen Präsidenten Ruhani zu einem Gipfeltreffen wiederholen.
- Afghanistan: Auch wenn die Verhandlungen mit den Taliban abgebrochen wurden, kann Trump wohl der Versuchung nicht widerstehen, einen Teil der Truppen zurückzuziehen. Er muss seinem Publikum, nach 18 Jahren Kriegs-Engagement am Hindukush, irgend einen «Erfolg» präsentieren.
- Israel, Nahost: demonstrative Solidarität mit Netanyahu. In welcher Form die USA allerdings den so genannten Friedensplan für die Palästinenser veröffentlichen werden, ist unklar.
- China: punktuelle Milderung der Strafzölle, gekoppelt mit Drohungen, den Handelskonflikt erneut eskalieren zu lassen. Wenn China einlenkt, kann Trump sich als Retter amerikanischer Arbeitsplätze und Erlöser der Welt von unfairen Handelspraktiken profilieren.
- Russland: keine Lockerung der Sanktionen – Trump will ja nicht im Nachhinein zugeben, dass er Moskau gegenüber Dankbarkeit für die seinerzeitige (in ihren Auswirkungen allerdings sehr unklare) Hilfe im Wahlkampf empfindet.
- Nordkorea: Trump wird ein weiteres Treffen mit Kim Jong-un vorschlagen – und wenn es dazu kommt, einige Sanktionen aufheben. So kann er den nordkoreanischen Diktator dazu bewegen, ein paar Schein-Konzessionen im Bereich der Atomwaffen und der Raketen einzugehen. Das kann Trump die Gelegenheit verschaffen, sich als «Friedenspräsident» darzustellen.
- Venezuela: weiterhin Druck auf Maduro, das ist in den USA populär – aber keine militärische Intervention (Drohungen in dieser Richtung gehörten in die Giftküche von John Bolton).
Fazit: eine Hinwendung zu einer rationalen Geopolitik ist nicht zu erwarten. Trump wird flächendeckend versuchen, Druck auszuüben und punktuell medienwirksame «Deals» auszuhandeln.
Und zum Schluss noch eine gewagte Prognose: Er wird die Wiederwahl im Jahr 2020 schaffen. Und danach die Welt vier weitere Jahre in Atem halten.
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Lesen Sie zu J.R. Bolton auch den Artikel von Christian Müller:
Boltons Berufung war «grossartig für Amerika!»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Dieser Analyse kann ich bloss zustimmen. Rationalität, ökonomische Rationalität, ist nicht Sache aktueller Politiker. Was würden diese tun, wenn die Probleme gelöst würden ?
Ich hatte immer das Gefühl, dass Netanjahu nichts mehr fürchtet, als dass der «Frieden ausbrechen würde».
Dies scheint, zumindest in einem gewissen Masse, auch auch auf Trump zuzutreffen.
Brexit ist allerdings noch etwas komplizierter. Wir sind schon bald wieder bei der Karikatur aus der «Vor-Thatcher-Zeit», welche Gewerkschafter mit gezücktem Messer wie die Elephanten im damaligen Knie-Zirkus, Runden drehen liessen. Nur heute sind es nicht mehr Gewerkschafter [die haben realpolitisch dazugelernt], sondern Parlamentarier der historischen Parteien des nicht mehr so «United» Kingdoms.
Was nach dem 31.10.19 [Halloween = «trick or treat"] noch übrig bleibt, wissen wir zwar noch nicht, die Gallerie dürfte sich wenigstens für einige Unterhaltung freuen.
"Win-win» kennt man offenbar weder in Europa noch in UK. Dass die US diese Möglichkeit ausgesetzt hat, ist seit einiger Zeit bekannt. Dass aber Europäer so borniert agieren können, ist für mich wenigstens, eine neue Erfahrung.
Enfin, schon Napoleon, und etwas später Hitler, versuchten GB auszugrenzen. Trafalgar ist vergessen. Vielleich erinnert sich die neue EU-Cheffin, dass Europa einmal eine Idee gemeinsamer Werte war. Dann könnten vielleicht sogar die Schweizer in diesem Gebilde wieder positiver Aspekte erkennen. Erasmus lässt grüssen.
Ob mit oder ohne Trump – die USA werden die Welt aufgrund der wirtschaftlichen, ressourcen- und geopolitischen Entwicklung ihrer Konkurrenten immer in Atem halten. Das Washingtoner Regime ist ein schlechter und unberechenbarer «Verlierer».
Wieso US Politik unberechenbar ?
"Die Vereinigten Staaten als „erste, einzige wirkliche und letzte Weltmacht“ nach dem Zerfall der Sowjetunion müssen ihre Vorherrschaft auf dem „großen Schachbrett“ Eurasien kurz- und mittelfristig sichern, um so langfristig eine neue Weltordnung zu ermöglichen.
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„Der gesamte (eurasische) Kontinent ist von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären.“ (S. 41)"
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft
Pingback: Boltons Buch über Trump: Eine erschreckende Selbstenthüllung - infosperber,