Trump als «Vulkanausbruch der Demokratie»
Die USA taumeln der Präsidentenwahl vom 3. November 2020 entgegen – zu 50 Prozent mit der gleichen Besetzung wie 2016, aber jetzt mit 100 Prozent Trump-Erfahrung. Vor vier Jahren war das noch anders. Der Wahlkampf liess zwar schon damals erahnen, aus welchem Holz der schwerreiche New Yorker Immobilienmagnat geschnitzt war. Aber erstens hielten die wenigsten Experten und Journalistinnen eine Wahl Trumps für wahrscheinlich. Und zweitens, so dachten viele, ist Wahlkampf eben Wahlkampf, das würde sich im Falle seines Einzugs ins Weisse Haus dann schon geben. Denn schliesslich «sind die USA eine gefestigte Demokratie», schrieb Roger Köppel in der Weltwoche (06.10.2016) im Vorfeld der letzten Präsidentenwahl.
Gegen die «Armada der Kultivierten»
Überhaupt die Demokratie! Für den Verleger und Chefredaktor des Zürcher Wochenblattes, SVP-Nationalrat Roger Köppel, war die Präsidentenwahl vom 8. November 2016 gar eine «Sternstunde der Demokratie». «Dass die beiden Kandidaten mit ultraharten Bandagen kämpfen, liegt in der Natur der Sache. Der Wahlkampf ist rau und dreckig, aber eben auch ehrlicher und befreiender als die salonfähige Verlogenheit der offiziellen Politik.» Denn schliesslich «rollen mit der Frontfrau Hillary Clinton die Panzerdivisionen des Establishments. Es ist das geballte Aufgebot des Status quo mit dem ganzen Arsenal an gelehrten Politikprogrammen, Beraterstäben, überschlauen Phrasen, Kleiderordnungen, Sprachregelungen und Denkverboten, eine Armada der Kultivierten, Korrekten und Anständigen, der Gut- und Bessermenschen, die sich einbilden, die Zivilisation zu verkörpern». Gegen einen solchen Feind, gegen eine solche «Panzerdivision des Establishments», sind alle Mittel recht. Mit anderen Worten: «Trump ist ein Vulkanausbruch der Demokratie, fürchterlich, heilsam». (Weltwoche, 20.10.2016).
«Mehr Vielfalt und Freiheit auf der Welt»
Nach der Wahl war Köppel beinahe ausser sich vor Begeisterung. Titel seines Editorials vom 10.11.2016: «Die Befreiung». «Meine Begeisterung hat weniger mit der Person und dem Charakter Trumps zu tun als mit dem demokratischen Erdrutsch, den Trump nicht entfesselt hat, dessen Treiber und Verkörperung er nun allerdings gegen alle Prognosen geworden ist: der richtige Mann zur richtigen Zeit. Trumps Erfolg ist eine gigantische Ohrfeige gegen das ‘System’, das in Amerika, aber nicht nur dort, die Leute nervt und plagt. Und, ja, diese Ohrfeige fühlt sich gut an. (…) Das hochmütige politische Kartell, das ihn bekämpfte, erlebt seine schrecklichste Niederlage. Die Priesterkaste wurde besiegt. Und das allein ist eine grossartige Nachricht. Wir haben wieder mehr Vielfalt und Freiheit auf der Welt. Und, ja, das fühlt sich gut an.»
«Friede den Hütten, Krieg den Palästen»
Auch für den zweiten Trump-Versteher unter den prominenten Schweizer Journalisten, Markus Somm, damals noch Chefredaktor der Basler Zeitung, war es eine Ohrfeige, gar «die grösste Ohrfeige aller Zeiten. Man muss weit zurückgehen, bis man einen ähnlichen demokratischen Aufbruch erlebt hat.» «2016 ist das Jahr der Wende. Nach der ersten Revolution, die im Sommer in Grossbritannien vorgefallen war, als ein eigenwilliges, mutiges Volk den Brexit beschloss, ist das nun die zweite Rebellion der einfachen, normalen Leute. (…) In Demokratien kann es sich eine Elite ein paar Jahre leisten, sich nicht um die Mehrheitsmeinung ihrer Völker zu kümmern, aber nicht endlos. Was in den USA geschehen ist, wo ein völlig ungeprüfter Aussenseiter das höchste Amt im Sturm erringt: Es dürfte nur der Anfang sein. Viele Länder im Westen werden bald Ähnliches erfahren. Es herrscht eine revolutionäre Stimmung. Friede den Hütten, Krieg den Palästen, hat Georg Büchner, der grosse deutsche Dramatiker, geschrieben. Das gilt noch heute.» (Basler Zeitung, 10.11.2016).
Politischer Kitsch
Das ist etwas gar viel Pathos und Revolutionsromantik – politischer Kitsch in Reinkultur. Büchner und seine Revolutionsschrift «Friede den Hütten, Krieg den Palästen», in der er die Prunk- und Verschwendungssucht der Reichen und Mächtigen anprangert, in einen Zusammenhang mit Trumps Wahlsieg zu stellen, ist nur noch peinlich. Wenn sich etwas klar herauskristallisiert hat in den vergangenen vier Jahren, dann das: Donald Trump ist zwar demokratisch gewählt worden, aber ein Demokrat ist er nicht, sondern ein Möchtegern-Autokrat. Demokratische Minimalstandards wie etwa die Medienfreiheit bedeuten ihm nichts. So hat er die Presse ausdrücklich als «Volksfeind» bezeichnet.
Zudem hat er mit autokratischen Herrschern aller Schattierungen kaum Berührungsängste, ja er hofiert sie geradezu, während er demokratischen Staaten und ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten nicht selten mit grosser Reserve oder sogar schroff gegenübertritt. Die klare Abgrenzung zu rechtsextremen Bewegungen fällt ihm nicht nur schwer, er gibt deutliche Signale, dass er auf sie zählt – so geschehen im TV-Duell mit seinem Herausforderer Joe Biden. Und schliesslich unterlaufen er und seine ihm hörige Republikanische Partei das Wahlsystem, indem sie etwa versuchen, die bewährte Briefwahl und das Wahlrecht der Minderheiten einzuschränken.
Demokratie in Gefahr
Weitherum besteht die Sorge, dass Trump im Fall einer Wahlniederlage und je nach Lage der Dinge das Feld möglicherweise nicht räumen könnte. Trump selbst hat sich zu dieser Frage schon verschiedentlich eher kryptisch geäussert. In einem Interview der Republik antwortete Stuart Stevens auf die Frage, wie gefährlich das für die amerikanische Demokratie sei: «Seit dem Sezessionskrieg war unsere Demokratie nie mehr so in Gefahr wie in diesen Wochen. Dass Donald Trump die Legitimität der Wahlen in Frage stellt ist grässlich». Stuart Stevens kämpft für den Demokraten Joe Biden, nachdem er fast 40 Jahre lang für die Republikanische Partei tätig war und zweimal wesentlichen Anteil an der Wahl von George W. Bush hatte. Er beurteilt den Zustand seiner einstigen Partei derart kritisch, dass er sagt: «Wir können nicht darauf vertrauen, dass die Republikaner im Krisenfall die Demokratie hochhalten.»
Trumps Brandstifter-Qualitäten
Die Lage vor dem Wahltag am 3. November ist angespannt. Trump hat die schon seit langem bestehenden Gräben innerhalb der amerikanischen Gesellschaft nicht nur nicht zugeschüttet, er hat entscheidend dazu beigetragen, die Unversöhnlichkeit noch zu verschärfen. Eindrücklich unter Beweis gestellt hat er das angesichts des Versuchs einer rechtsextremen Bande in der ersten Oktoberhälfte 2020, die Regierung des Bundesstaates Michigan zu stürzen und die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu entführen. Trumps Reaktion? Zuerst verdächtig langes Schweigen, statt sich sofort und vorbehaltlos hinter die Regierung eines US-Bundesstaates zu stellen. Dann folgten Tweets, in denen er Gouverneurin Whitmer angriff, um sich dann nebenbei noch ein bisschen von extremer Gewalt zu distanzieren. Ein ungeheuerlicher Vorgang.
Trumps Brandstifter-Qualitäten kamen schon im Wahlkampf 2016 deutlich zum Vorschein. Trotzdem flötete Weltwoche-Chef Roger Köppel in seinem Editorial nach den Wahlen am 10.11.2016: «Ich gebe Trump eine faire Chance, dass er seine Kritiker überraschen und die Leute über die Gräben hinweg wieder zusammenbringen wird. Seine beherrschte, versöhnliche und sogar durchaus charmante Rede nach dem Wahlsieg ging in diese Richtung.»
Trumps Schuldengebirge
Prognostisch böse danebengegriffen hat Köppel auch in Sachen Staatsschulden. Der Kampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump sei unter anderem auch einer um «Milliardendefizite gegen Ausgabensenkung», schrieb er in der Weltwoche vom 13.10.2016. Das Resultat? Die USA steigen in Sachen Staatsschulden auf das Niveau von Griechenland hinab. «Zum ersten Mal seit Kriegsende wird die Bundesschuld die Marke von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung übertreffen. (…) Dass die USA jetzt mit Griechenland in einem Atemzug genannt werden, ist mitnichten allein dem Coronavirus geschuldet. Im Gegenteil, die Regierung Trump hatte die Kreditaufnahme schon vor Ausbruch der Krise und trotz boomender Konjunktur so massiv aufgebläht, dass sich jetzt zwei Schuldenwellen zu einem echten Brecher vereinen. Zu nennen sind hier die drastischen Steuersenkungen von Anfang 2018 sowie hohe Mehrausgaben insbesondere für das Militär», schreibt der Bund vom 09.10.2020.
Sabotage der internationalen Sicherheit
Die USA sind nach wie vor die grösste Militärmacht der Welt, und sie setzen Unsummen ein, damit das so bleibt – das haben Trumps Vorgänger getan, das werden auch seine Nachfolger tun. Doch der gegenwärtige Präsident hat die Säulen der ohnehin fragilen internationalen Sicherheitsarchitektur in den vergangenen Jahren systematisch und massiv geschwächt. Seine Politik basiert nicht auf vertrauensbildenden Massnahmen. Er hat praktisch alle sicherheitspolitisch relevanten Verträge attackiert oder zerstört, so das Atomabkommen mit Iran, den INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenwaffen, den Uno-Vertrag über den Waffenhandel. Wie es mit dem amerikanisch-russischen New-START-Abkommen über die Begrenzung nuklearer Interkontinentalraketen weitergeht, ist noch unklar; ohne Verlängerung läuft es im Februar 2021 aus.
Trump als Friedensfürst?
Trotz dieser tristen Bilanz versucht sich Trump mitunter als Friedensfürst zu profilieren. Etwa mit den Abkommen, die er zwischen Israel, den Arabischen Emiraten und Bahrain förderte. Das verleitet Markus Somm in der SonntagsZeitung vom 20.09.2020 dazu zu schreiben, Trump sei «der erste amerikanische Präsident seit langem, der wirklich keinen Krieg mehr will – weil er es wagt, den Rat seiner Militärs zurückzuweisen. Trump, der unmögliche Pazifist.» Es ist richtig: Trump hat keinen Krieg begonnen, und er ist generell bei militärischen Interventionen äusserst zurückhaltend. Das ist verdienstvoll und vorbehaltlos anzuerkennen. Doch er zerstört gleichzeitig diesen hoffnungsvollen Ansatz wieder. Denn Trump ist in allen anderen internationalen Politikfeldern sehr konfrontativ, was generell destabilisierend wirkt. In einem Interview mit der Republik vom 13.10.2020 sagt der frühere Schweizer Spitzendiplomat Jakob Kellenberger, er sei «überzeugt, dass Trump und seine globale Politik eine grosse Gefahr für den Weltfrieden sind. Sie kennt keinen ‘respect de la différence’. Trumps Weltpolitik akzeptiert nicht, dass es Staaten und Menschen gibt, die sich verschieden organisieren und unterschiedliche Prioritäten haben.»
Markus Somm hat 2017, in Trumps erstem Präsidialjahr, in der Basler Zeitung zu umstrittenen Entscheiden des Präsidenten den schönen Satz geschrieben: «Das ist nichts anderes als Demokratie, wie sie rattert und dampft. Eine wirklich neue Politik haben die Wähler verlangt – und zu diesem Zweck einem ganz und gar neuen Mann die Regierung anvertraut, der neuen Ansätzen und anderen Inhalten das Wort redete.» Das ist in der Tat so – auch wenn es nicht die Demokratie ist, die rattert und dampft.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die USA haben die Wahl, ein weiterhin erruptierender Vulkan mit Donald Trump oder Grabesruhe mit Joe Biden: make your choice!..
Trump hat keinen Krieg angefangen und US-Truppen aus den Mittleren Osten abgezogen, im Gegensatz zu Obama/Hillary (Syrien, Libyen, Jemen & Weiterführung Afghanistan, Irak).
Ein Sittenbild von populistischem Journalismus ! Eine treffsichere Studie über zwei völlig verblendete Journalisten, welche sich standhaft weigern, ihre einmal gefasste Meinung, die sich nach Jahren als irrig erwiesen hat, zu hinterfragen. Köppel und Somm – zwei Journalisten, welche sich partout nicht eingestehen wollen, dass sie sich mit der Einschätzung ihres vermeintlichen Hoffnungsträgers offenkundig auf den Holzweg begeben haben. Auf beiden Augen blind, uneinsichtig und unbelehrbar, als hätten sie des POTUS 45 Wirken in den vergangenen vier Jahren, alle seine Peinlichkeiten und dreisten Lügen, all die dummen Tweets und Pöbeleien nie mitbekommen, gefallen sie sich weiterhin unerschütterlich als Trumps Lobsänger: Roger Köppel, als Chefschreiber in seiner «Weltwoche» (eine Tätigkeit, welche ihn offenbar davon abhält, seinem Amt als Nationalrat so nachzugehen, wie man es eigentlich erwarten dürfte) und Markus Somm, dem die Tamedia nach seiner Absetzung als BaZ-Chefredaktor nunmehr sein Gnadenbrot als Kolumnenschreiber bei der SonntagsZeitung gewähren muss. In diesem Zusammenhang sollte auch noch der BLICK-Chefredaktor Christian Dorer die ihm gebührende Erwähnung finden, auch er ein Trump-Groupie der ersten Stunde. Sein warmer Willkommensgruss «Dear Mr President, Welcome to Switzerland !» und seine Wallfahrt ans WEF 2018 zur persönlichen Begegnung mit seinem Idol bleibt unvergessen.
Immerhin mal ein neuer Aspekt, der Blick auf Schweizer Fanatiker. Mein Problem ist allerdings dass dank Trump nun wieder viele die Banalität des Bösen übersehen, da Biden und Obama sehr anständig reden meinen viele in Europa, die USA seien ganz OK wäre es nicht unter Trump. Das Mörderregime in Ägypten und das in Saudi Arabien werden dabei genauso gedeckt, wie der türkische Terror der den IS in Syrien und jetzt Aserbaidschanische Kriegsspiele gegen Armenier unterstützt. Die ganzen Drohnenmorde gab es schon unter Obama, und der Hass auf Russland und China werden auch stets aus den USA geschürt. Trump ist die hässliche Fratze, das Monster aber ist der US Kapitalismus und Expansionismus.
Da ist viel Wahres in diesem Artikel, wobei die angedeuteten Defekte der Herausforderer auch nicht so falsch und belanglos sind. Aber das schlimmste von allem, warum sind die Demokraten nicht in der Lage, eine valable Alternative zu bringen? Ein 78 jähriger als Präsident, der am Ende seiner Amtszeit 82 Jahre alt wäre? Die Präsidentin der Demokraten leidet an der gleichen Krankheit. Sie wäre an sich eine gediegene Persönlichkeit, aber mit einem Alter von über 80 Jahren von einem natürlichen Risiko belastet.
Da fragt man sich, haben diese Demokraten keinen Nachwuchs oder wird dieser dermassen ins Abseits gedrängt, dass er gar nicht sichtbar wird?
Die USA eine Demokratie? Wer deren Zustand am treffendsten beschrieb ist bis heute immer noch Gore Vidal.
«There is only one party in the United States, the Property Party … and it has two right wings: Republican and Democrat. Republicans are a bit stupider, more rigid, more doctrinaire in their laissez-faire capitalism than the Democrats, who are cuter, prettier, a bit more corrupt – until recently … and more willing than the Republicans to make small adjustments when the poor, the black, the anti-imperialists get out of hand. But, essentially, there is no difference between the two parties.»