Seilziehen um die Zukunft Syriens
Zum trilateralen Gipfeltreffen in Sotschi, dem beliebten russischen Kurort am Schwarzen Meer, hatte Präsident Wladimir Putin eingeladen. Gemeinsam mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan wollte Putin am vergangenen Wochenende ausloten, ob sie eine für alle drei Parteien akzeptable Nachkriegsordnung für Syrien ausarbeiten und diese bei den Genfer Friedensgesprächen am 28. November vorstellen könnten. Über dieselbe Frage hatten zuvor ebenfalls in Sotschi auch die Generalstabschefs der drei Regionalkräfte getagt. Zum Schluss der Tagung waren die drei Präsidenten darum bemüht, Einigkeit zu demonstrieren. Der Krieg gegen die Dschihadisten des IS in Syrien sei «endgültig beendet» und die Zeit für eine politische Lösung gekommen, erklärten sie einstimmig.
Unüberbrückbare Differenzen
Ihre Lösungskonzepte für eine politische Nachkriegsordnung unterschieden sich aber stark voneinander. Der russische Präsident legte sein Schwergewicht offensichtlich auf den demokratischen Prozess der Nachkriegsordnung: Demnächst soll ein sogenannter «Kongress des Nationalen Dialogs» einberufen werden. Dieses aus Mitgliedern der Regierung und der Opposition bestehende Organ hätte vor allem zwei Ziele: eine neue Verfassung auszuarbeiten und Syrien zu «fairen, transparenten Wahlen unter Aufsicht der UNO» zu führen.
«Wir müssen alle zu Kompromissen bereit sein», erklärte Putin nach dem Gipfeltreffen ungewohnt versöhnlich. Der zuvor von ihm angekündigte Urnengang «unter Aufsicht der UNO» signalisierte schliesslich auch eine politische Wende seiner eigenen Syrien-Politik: Russland war im Jahr 2015 mit dem erklärten Ziel in den Krieg in Syrien eingestiegen, Baschar al-Assad mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Freie Wahlen beinhalten aber zumindest theoretisch das Risiko, das Ende al-Assads Herrschaft herbeizuführen.
Dass Putin das Versprechen von Neuwahlen nun ernst meint, zeigte sich, als der russische Präsident einen Tag vor dem Gipfeltreffen überraschend Al-Assad nach Sotschi kommen liess. Dort gab er seinem Gast unmissverständlich zu verstehen, dass auch die politische und militärische Elite in Damaskus kompromissbereit eine neue Verfassung und Neuwahlen zu akzeptieren habe. Baschar Al-Assad weiss, dass Moskau in seinem Land schon lange die erste Geige spielt. «Syrien hat Russland so viel zu verdanken», sagte er demütig.
Während für Russland Neuwahlen in Syrien Priorität zu haben scheinen, setzt Teheran nach wie vor auf einen Machterhalt Baschar Al-Assads ohne Kompromisse. Der iranische Präsident Rouhani forderte in Sotschi vor allem den «Abzug aller ausländischen Truppen, die ohne die ausdrückliche Erlaubnis von Damaskus im Land» seien. Damit waren in erster Linie die US-Truppen gemeint, die im syrischen Nordosten stationiert sind. Rouhanis Forderung dürfte aber auch als Seitenhieb gegen die Türkei zu verstehen sein. Aus der Sicht Teherans kämpfen die iranischen Revolutionsgardisten (Pasdaran) in Syrien hingegen mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Assad-Regimes.
Präsident Erdoğan begrüsste Putins Forderung nach «fairen, transparenten Neuwahlen in Syrien». Erdoğan hat seit dem Ausbruch des arabischen Frühlings in Syrien 2011 den Sturz Baschar al-Assads herbeigesehnt und hat oppositionelle Gruppierungen, zum Teil gar Dschihadisten logistisch unterstützt, um den «Schlächter von Damaskus» zu Fall zu bringen. Nun schliesst Erdoğan eine Übergangslösung mit Assad an der Macht nicht mehr so kategorisch aus und hofft, faire Wahlen könnten eine Niederlage Assads herbeiführen. Von der Aufforderung Rouhanis, die türkischen Truppen aus Syrien abzuziehen, wollte Erdoğan hingegen nichts wissen. Im August 2016 marschierte die türkische Armee in Nordsyrien ein und besetzte einen Streifen zwischen dem Städtchen Dscharablus an der türkisch-syrischen Grenze und al-Bab nördlich von Aleppo. Dass die Türkei mittlerweile in Dscharablus und al-Bab Türkei-treue Polizeitruppen ausbildet, Schulen mit türkischen Lehrern besetzt und im Gebiet bald auch Filialen der türkischen Post eröffnen will, deutet darauf hin, dass Ankara an einen raschen Abzug seiner Truppen gar nicht denkt.
Verwirrung um die Zukunft der Kurden
Völlige Verwirrung herrscht in der Frage über die Zukunft der syrischen Kurden. Werden sie in die Friedensgespräche einbezogen? Laut russischen Medien möchte Wladimir Putin die Kurden in dem angekündigten «Kongress des Nationalen Dialogs» an den Tisch holen. Eine Debatte über eine Befriedung Syriens sei erst möglich, wenn alle grossen, ethnischen und konfessionellen Gruppierungen in einen Dialog einbezogen würden, und dies betreffe auch die grösste kurdische politische Partei, die Demokratischen Union (PYD), soll Putin in Sotschi gesagt haben. Auch der Iran hatte laut russischen Presseberichten nichts gegen eine Teilnahme der PYD bei den Friedensgesprächen einzuwenden.
Für die Türkei hingegen wäre eine Teilnahme der PYD undenkbar. Die PYD hat im Januar 2014 die drei unter ihrer Kontrolle stehenden Regionen Afrin, Kobani und Cezira zu autonomen Gebieten erklärt. Dieses Gebiet entlang der türkischen Grenze nennen die Kurden Rojava (den Westen). Von diesem Gebiet aus kämpften sie all die Jahre an der Seite der USA gegen den «Islamischen Staat» (IS) und konnten vor einem Monat die Dschihadisten aus deren Hochburg Rakka vertreiben. Der Umstand, dass die PYD und ihre Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten (YPG) ideologisch der PKK nahe stehen, macht sie aus Sicht Ankaras aber gleich zu «Terroristen». «Niemand sollte erwarten, dass wir am selben Tisch mit Terrororganisationen sitzen», erklärte Erdoğan der türkischen Presse nach dem Gipfeltreffen. Glaubt man den Aussagen türkischer Politiker oder den Analysen der türkischen Presse, sei es Erdoğan in Sotschi gelungen, Putin von einem Ausschluss der Kurden bei den Friedensgesprächen zu überzeugen: Schliesslich lehne Präsident Baschar al-Assad eine Autonomie der Kurden in Nordsyrien ebenso ab, so Erdoğan.
Werden nach der Zerschlagung des IS die Kurden Syriens von den Mächtigen fallengelassen, verraten und vergessen – genauso wie vor einem Monat auch die Kurden des Iraks? Seit wenigen Tagen berichten türkische Medien jedenfalls, US-Präsident Donald Trump habe Recep Tayyip Erdoğan in einem Telefongespräch zugesichert, die Waffenlieferungen an die Kämpfer der kurdischen YPG in Syrien ab sofort einzustellen. Wie der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu sichtbar zufrieden der Presse erklärte, habe «Herr Trump deutlich gesagt, dass der YPG ab sofort keine Waffen mehr geliefert werden und dass dieser Unsinn in Wahrheit längst hätte beendet werden sollen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.