HandwrterbuchrechtsextremerBegriffe

«Wer Worte wie Flüchtlingswelle einfach übernimmt ..., macht sich schuldig.» © Wochenschau Verlag

Sprachliches Gift aus der rechten Küche

Jürg Müller-Muralt /  Wie Rechtsextreme mittels Sprache die Politik beeinflussen: Zwei bemerkenswerte Annäherungen an ein unterschätztes Thema.

Sprache ist Politik. Wer den Begriff Masseneinwanderung verwendet, transportiert eine andere Aussage als jener, der von Zuwanderung spricht. Worte sind immer mehr als bloss sachliche Informationen, gerade in der Politik. Oft spüren wir es gar nicht mehr, wie stark und wie subtil wir durch Sprache manipuliert werden. Das Wort Flüchtling ist so ein Beispiel: Alle verwenden es, aber statt von Geflüchteten oder Flüchtenden zu sprechen, werten wir diese Menschen durch die Endung «-ling» ab, machen sie klein, sogar ein bisschen minderwertig. Viele finden das wahrscheinlich spitzfindig, werden mich vielleicht als unqualifizierten Schreiberling bezeichnen – und damit gleich den Nachweis liefern, dass ich so unrecht nicht habe: Der Schreiber wird zum Schreiberling abgewertet.

Manipulative Sprache

Auf diese Zusammenhänge hat jüngst in verschiedenen Medien die deutsche Linguistin Elisabeth Wehling hingewiesen, zuletzt in der «NZZ am Sonntag» vom 27.03.2016. Sie forscht in Berkeley (USA) über Ideologie, Sprache und unbewusste Meinungsbildung. Es geht ihr darum, «wie man Diskurse demokratisch transparent gestalten kann, damit Menschen nicht über Sprache manipuliert werden». Dass Populisten heute so viel Raum einnehmen, habe damit zu tun, «dass die Mitte und die Linke nicht klar kommunizieren, worum es ihnen moralisch geht. Wer Worte wie Flüchtlingswelle einfach übernimmt, obwohl er eine menschliche Antwort auf die Fluchtkatastrophe will, macht sich schuldig», sagt sie in der «NZZ am Sonntag».

Kampf um kulturelle Hegemonie

Nicht Fakten bedingten politische Entscheidungen, «sondern kognitive Deutungsrahmen, in der Wissenschaft Frames genannt. Sie werden über Sprache im Gehirn aktiviert und gefestigt und bestimmen, wie wir politische Fakten wahrnehmen. In der Kognitionsforschung ist man sich daher schon lange einig: Sprache ist Politik. (…) Je häufiger also Ideen sprachlich in einen Zusammenhang gestellt werden, umso mehr werden diese Zusammenhänge Teil unseres ganz alltäglichen, unbewussten Denkens, unseres Common Sense. Denn sprachliche Wiederholung stärkt Verbindungen im Gehirn und damit die für uns sinngebenden Frames» (Elisabeth Wehling in der «Huffington Post Deutschland», 25.03.2016). (Siehe auch Buchhinweis unten).

Diese Zusammenhänge sind von allergrösster Bedeutung für die politische Kultur. Denn wer die Deutungshoheit politischer Vorgänge mittels Sprache erlangt, gewinnt Boden im Kampf um die kulturelle Hegemonie. Die Nase vorn haben in dieser subtil ablaufenden Auseinandersetzung rechte und rechtsextreme Strömungen. Immer häufiger kann man beobachten, wie Formulierungen, Begriffe und Begriffszusammenhänge in die gesellschaftliche Mitte vordringen, die bisher ins Vokabular von ganz rechts gehörten.

Rechtsextreme Kampfbegriffe

Eindrücklich dokumentiert wird dieser bedenkliche Vorgang im jüngst erschienenen «Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe» (siehe Buchhinweis unten). Es ist ein Gemeinschaftswerk des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf. Der Ausdruck «Kampfbegriffe» im Buchtitel ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt. Er löst die Vorstellung aus, es stünden ausschliesslich kämpferische Parolen im Vordergrund der Untersuchung. Nebst zentralen Begriffen der rechtsextremen Szene stehen auch harmlose, alltägliche Ausdrücke zur Debatte, die aber in einen rechtsextremen Sinnzusammenhang eingebunden werden, mit dem Ziel, diese Deutungen in möglichst breiten Kreisen der Gesellschaft zu verankern.

So finden sich im Buch auch Kapitel, wie Rechtsextreme Wörter wie «Gemeinschaft», «Demokratie» und «Freiheit» benützen. Wer gehört im «rechten» Verständnis denn überhaupt zur Gemeinschaft? Ist mit Demokratie wirklich die Mitbestimmung aller gemeint, oder geht es nicht vielmehr um «Volksherrschaft» als Begriff für einen plebiszitär gestützten Autoritarismus unter Ausschaltung der Gewaltenteilung? Und läuft die postulierte «Freiheit» am Ende vor allem darauf hinaus, ungestraft Minderheiten zu diskriminieren oder gar Nazi-Verbrechen zu leugnen?

Der «Schuldkult»

Um zu provozieren oder sich gegenseitig in ihrer Weltanschauung zu bestärken, arbeiten Rechtsextreme auch mit Codes. So etwa, wenn Björn Höcke, Vorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen, immer wieder die Nähe zur Sprache des Dritten Reichs sucht. So als er im vergangenen Oktober in einer Rede vor dem Magdeburger Dom der Menge zurief: «Ich will, dass Deutschland nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit hat. Ich will, dass Deutschland auch eine tausendjährige Zukunft hat». Hitlers zwölf Jahre dauerndes «tausendjähriges Reich» lässt grüssen.

Als eigenständiger Beitrag kommt diese unsägliche Aussage von Höcke im Buch zwar nicht vor, dafür andere Begriffe, die unmittelbar auf den rechtsextremen Standpunkt verweisen. So etwa «Schuldkult», mit welchem Gedenkveranstaltungen zu den nationalsozialistischen Verbrechen verhöhnt werden. Immer häufiger wird auch die «deutsche Volksgemeinschaft» bemüht. Bis vor Kurzem kursierten solche Codes nur in begrenzten rechten Zirkeln, in jüngster Zeit kommen sie in öffentlichen Reden von AfD-Politikern hemmungslos zur Anwendung.

«Gutmensch» und «Islamisierung»

Neben dieser eindeutigen Kategorie werden auch Begriffe untersucht, die nicht in der rechtsextremen Szene entstanden, aber mittlerweile zu klar rechten Kampfbegriffen geworden sind. Der «Gutmensch» gehört dazu, mit dem alle bedacht werden, die für Grundrechte, Gleichheit und gegen Sexismus und Rassismus eintreten.

Auch der Begriff «Islamisierung» wird laut den Autoren als propagandistischer Kampfbegriff verwendet: «In zumeist grob vereinfachender, alarmistischer und oftmals hetzerischer Weise wird eine angebliche ‘Islamisierung’ als krisenhafte Bedrohung für die westlich-europäische Welt heraufbeschworen. Im Zuge dessen werden sowohl der Islam als auch Musliminnen und Muslime, die auf verallgemeinernde Weise nicht als einzelne Individuen, sondern als ‘die’ Muslime betrachtet werden, zumeist negativ dargestellt». Der Mechanismus ist hier besonders augenfällig: Viele Medien verwenden den Begriff kritik- und gedankenlos. «Islamisierung» suggeriert sprachlich einen schleichenden, subversiven Prozess. Damit gelingt es der Rechten auch gleich noch, die Immigration von Muslimen an den Diskurs von Gewalt und Kriminalität anzudocken.

Das ist eine der Stärken des Buches: Die Autorinnen und Autoren untersuchen jedes Stichwort darauf hin, in welcher Form über Medien, etablierte Parteien und weitere Multiplikatoren solche Begriffe sowie die mit ihnen verknüpften Positionen langsam aber stetig in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Die politische Richtung wird eben nicht allein durch Wahlen, Abstimmungen, durch Entscheide von Parlamenten und Regierungen beeinflusst, sondern auch durch viel subtilere Prozesse. Zum Beispiel durch Sprache, Begriffsbildungen und die Vorstellungen, die durch sie transportiert werden. So verändern sich schleichend Werthaltungen, und zwar nicht durch bewusste Auseinandersetzung mit Problemen, sondern unbewusst.

Elisabeth Wehling: «Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und damit Politik macht». Herbert von Halem Verlag. 226 Seiten. CHF 38.90

Bente Giesselmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.): «Handwörterbuch rechtsextremer Begriffe». Wochenschau Verlag, Schwalbach 2016. 368 Seiten. CHF 28.90


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8 Meinungen

  • am 1.04.2016 um 12:51 Uhr
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    Bloss blöd, dass die zitierte Dame Wehling heisst, «werten wir doch diese Menschen durch die Endung «-ling» ab, machen sie klein, sogar ein bisschen minderwertig».
    Ist das wirklich so? Dann bleibt einem Firmling bloss noch der Schierling?

  • am 1.04.2016 um 14:08 Uhr
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    Man könnte jetzt spitz formulieren, dass Framing nur dann als Problem wahrgenommen wird, wenn die Gegenseite (vermeintlich) erfolgreicher damit operiert als man selbst. In Tat und Wahrheit versuchen alle erdenklichen Institutionen, Parteien, Ideologien, Religionen usw. usf. über die Sprache die Gesellschaft zu beeinflussen. Wehling wird ja auch mit «Sprache ist Politik» zitiert. In diesem Zusammenhang sei noch auf Steven Pinkers Konzept der euphemism treadmill verwiesen …

  • am 1.04.2016 um 20:36 Uhr
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    Menschen sind nicht einfach irrationales Opfer konspirativer Sprachmachenschaften. Sondern Menschen bevorzugen bestimmte Wörter ganz rational deshalb, weil diese Wörter aus ihrer Sicht die Realität besser beschreiben. Im Augenblick sind «rechte» Begriffe ein wenig auf dem Vormarsch, weil sie die Realität etwas besser wiedergeben.

    Im übrigen ist hier nicht nur das Mittel – der irrationale sprachliche Machtkampf – verfehlt, sondern auch das Endziel. Es sollte überhaupt keine kulturelle/sprachliche Hegemonie entstehen, weder einer rechte noch eine linke Hegemonie. Der bestehende kulturelle und sprachliche Pluralismus sollte aufrechterhalten werden.

    Was für einen Demokratiebegriff haben eigentlich Leute, die dem normalen Bürger und Sprachbenutzer überhaupt keine Urteilskraft zutrauen, sondern unterstellen, dass er unvermeidlich durch fremde Sprachstrategien gelenkt wird und werden muss – wobei es nur darauf ankommt, dass die richtigen (linken) Sprachlenker die Oberhand behalten?

  • am 1.04.2016 um 21:24 Uhr
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    "sprachliches Gift» leider auch aus «humanitärer Küche»: «Armutsbekämpfung…» (Weckruf gegen Hunger und Armut, eine Kampagne von 25 Schweizer Nichtregierungsorganisationen…):
    "Armutsbekämpfung» – mich schaudert’s! Schon der Aufruf zur Bekämpfung von etwas oder (assoziativ) von jemandem finde ich eine sehr fragliche Formulierung.
    Die gelebte Armut zeigt sich in Menschen… und da ist «Kampf» gar nicht angebracht, jedenfalls nicht für humanitäre Hilfswerke!
    Ich nehme an, diese Kampagne beabsichtig echte Verbesserung der Lebensgrundlagen für arme Menschen und allein die Wortwahl sei unglücklich.
    Getreu den neuen 10 Geboten vom Georgia Guidston handeln «Wohltäter» einer ganz anderen Kategorie. Sie wollen die Weltbevölkerung auf 0,5 milliarden Menschen reduzieren. «Reduzieren» bedeutet krankmachen, unfruchtbar machen, lebensuntauglich machen. «Armut bekämpfen» wird hier direkt zum Kampf gegen arme Menschen, die Elite macht etwas zum eigenen Vorteil und zur End-Lösung des Armut-Problems.
    Georgia Guidestones – Die 10 Gebote der NWO – deutsch – Armin Risi
    https://www.youtube.com/watch?v=R_zMiZSHQiw

  • am 2.04.2016 um 01:50 Uhr
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    @Lachenmeier: «NWO» (New World Order) ist auch so ein Framing-Versuch gewisser Kreise, die gerne Hüte aus Aluminium falten und tragen …

  • am 2.04.2016 um 19:14 Uhr
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    Aber die Zielvorstellung «New World Order» ist doch von «progressiven» Leuten erfunden worden und lange Zeit im positiven Sinn benutzt worden. Dann ist der Ausdruck natürlich auch von Leuten aufgegriffen worden, die der Sache kritisch gegenüberstanden – aber wer jetzt so tut, als hätten Rechte sich diesen Ausdruck in böser Absicht ausgedacht, kennt die Sprachgeschichte nicht.
    Überhaupt ist doch nichts normaler, als dass ein und derselbe Ausdruck von Anhängern der Sache positiv und von Gegnern der Sache negativ verwendet wird. Braucht man dafür eine anspruchsvolle Theorie des «Framing"?

  • am 4.04.2016 um 21:31 Uhr
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    Manipulative Sprache, genau so, wie man Jemanden, der sich als Patriot oder gar Nationalist bezeichnet, aus linker Zunge gleich als potentiellen Nazi (würde ja eigentlich National-Sozialist heisssen) oder gar Faschisten bezeichnet.

    Und da wundert sich noch jemand darüber, dass die Gemeinten dann auch zu gleichen Waffen, und Wörtern greifen.

    Gutmenschengelabere, meine Erklärung. Und es passt ja auch genau, zumindest in einigen Fällen, man erinnert sich an die kapitalstarke rote Berner Nationalrätin, die die ganze Zeit über die bösen Geldverstecker wettert, aber gleichzeitig in voller Gänze vom System, und seinen Möglichkeiten, profitiert.

  • am 11.04.2016 um 20:47 Uhr
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    Dass die Endung -ling abwertend gemeint ist, sieht man zum Beispiel am Wort Liebling.

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