Schweizer Entwicklungspolitik – vom Mittelmass in den Keller?
Die Parole „Aussenpolitik ist Innenpolitik“ gibt neu die Richtung für die Entwicklungszusammenarbeit vor. Sie soll der Migrationsabwehr dienen, mehr mit der Privatwirtschaft kooperieren und auf „Swissness“ setzen. Aussenminister Ignazio Cassis will es so. Er liess sich auch nicht durch die Leiterin des OECD-Entwicklungsausschusses von der Neuausrichtung abbringen, die sich kurz vor der Publikation des erläuternden Berichtes des Bundesrates für die Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung als prioritäre Ziele aussprach. Diese sind nun weit nach unten gerutscht. „Nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ hat jetzt Vorrang vor nachhaltiger Entwicklung.
Die Begriffswahl ist verstörend. Denn nachhaltiges Wirtschaftswachstum bedeutet – gemäss Duden – dauerndes Wirtschaftswachstum. Es steht für die Rückkehr zum Wachstumsdenken aus der Frühzeit der Entwicklungshilfe, als die Experten auf den wirtschaftlichen „Take-off“ als angebliches Wundermittel gegen die Armut setzten und damit kläglich gescheitert waren.
Innenpolitik ist auch Aussenpolitik
Der Rückfall wird international wahrgenommen werden. Entwicklungspolitik braucht zwar innenpolitische Abstützung und ist folglich auch Innenpolitik. Doch Innenpolitik ist auch Aussenpolitik. Was innenpolitisch entschieden wird, wird draussen eingeschätzt – besonders, wenn es um Beziehungen zum Ausland geht. Der OECD-Entwicklungsausschuss macht es. Auch Think Tanks tun es und vergleichen die Schweiz mit den anderen Gebernationen. Das „Center for Global Development“ in Washington publiziert seit vielen Jahren den „Commitment Development Index“, das „Overseas Development Institute“ in London seit 2013 den „The Principled Aid Index“, die Bertelsmann Stiftung seit kurzem den „SDG Index“3). In allen drei Bewertungen erreicht die Schweiz nur Mittelmass.
Der „Principled Aid Index“ bewertet, wie ein Land Entwicklungszusammenarbeit betreibt. Der Commitment Development Index“ ist breiter angelegt; er analysiert das Verhalten der Länder in den sieben Bereichen Entwicklungshilfe, Handel, Finanzen, Sicherheit, Umwelt, Technologie und Migration. Noch mehr Bereiche untersucht der SDG-Index. Er misst, wie die Länder die 17 von der Staatengemeinschaft beschlossenen „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ erfüllen. Damit bewertet er – im Unterschied zu den beiden anderen Indices – nicht nur Beziehungen zu anderen Ländern, sondern auch rein innenpolitisches Handeln.
Wenig schmeichelhafte Urteile
Auf den ersten Blick fallen die drei Rankings für die Schweiz sehr verschieden aus. Beim Hilfs-Index des Londoner Instituts schafft sie es in die Mitte der 29 untersuchten Länder, beim Entwicklungsindex des Washingtoner Zentrums nur auf Rang 21 von 27 Ländern, beim SDG-Index mit Rang sieben in die Spitzengruppe.
Das glänzende Abschneiden bei den Nachhaltigen Entwicklungszielen ist allerdings der guten bis sehr guten Bewertung jener Bereiche zu verdanken, die das Handeln im Innern des Landes betreffen. Es gibt in der Schweiz nur wenig extreme Armut, die Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Wasserversorgung und –qualität sind exzellent wie auch die Innovationskraft der Industrie. Diese Bewertungen bringen die Schweiz in die Spitzengruppe.
Richtet man den Blick auf jene SDG-Ziele, die über die Landesgrenzen hinaus Wirkung haben, fällt die Schweiz deutlich zurück. Sie schneidet dann auch beim SDG-Index nur mittelmässig ab. Bei den Zielen „Verantwortungsvolle Konsumption und Produktion“, „Leben und Land“ mit dem besonderen Augenmerk auf die Biodiversität und bei den „Partnerschaften“ in den Bereichen Entwicklungshilfe, Steuerflucht oder Geheimhaltung in Finanzangelegenheiten schafft es die Schweiz unter den reichen 29 Ländern, die beim Aid-Index bewertet werden, nur auf Positionen zwischen 20 und 26. Einzig beim ebenfalls international relevanten Ziel „Klima-Aktion“ steht sie mit Rang 11 besser da.
Was wird gemessen
Rankings geben kein objektives Bild wieder, mag man einwenden. Sie sind nicht so objektiv, wie sie präsentiert werden. Die Methodik hinter den Zahlen prägt die Ergebnisse. Sie vermag zu überzeugen oder auch nicht. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat verschiedentlich die Qualität des Development-Index angezweifelt. Sie tat es insbesondere in den Jahren, als die Schweiz noch schlechter da stand und einmal sogar auf den allerletzten Platz abgerutscht war.
Mit gutem Grund lässt sich beispielsweise in Zweifel ziehen, dass der grosse Anteil der von der Schweiz bilateral vergebenen Hilfe kritisch zu sehen sei. Für ein grosses Land mit geostrategischen Interessen wie die USA ist solche Kritik angebracht, nicht aber für ein kleines Land ohne geostrategisches Potenzial. Die Kritik an der Entwicklungshilfe ist aber nicht entscheidend dafür, dass die Schweiz im „Development-Index“ schlecht platziert ist. Stärker ins Gewicht fallen die Abschottung beim Handel und die noch immer wenig transparente Politik im Bereich Finanzen.
Wenig mäkeln lässt sich am Index des Londoner Overseas Development Institute, der die drei Aspekte der Entwicklungshilfe bewertet: die von den Ländern mit der Hilfe verfolgten Ziele, den Stellenwert, den ein Land der internationalen Kooperation einräumt und ob ein Land geopolitische und kommerzielle Eigeninteressen oder gemeinwohlorientierte Interessen stärker gewichtet.
Am besten rangiert die Schweiz beim dritten Kriterium, bei dem sie es gerade noch unter die ersten zehn schafft. Beim Kriterium internationale Kooperation liegt sie mit Rang 12 nur wenig zurück. Viel schlechter (Rang 19) steht sie mit der Ausrichtung ihrer Hilfe da. Kritisiert werden die überproportional vorgenommenen Budgetkürzungen und die innenpolitisch motivierte Verknüpfung der Hilfe mit der Migrationsabwehr.
Entwicklungspolitisch wird die Schweiz im internationalen Vergleich nur mittelmässig benotet und viel schlechter als bei zahlreichen Wirtschaft-Rankings. Sie wird regelmässig als weltweit wettbewerbsfähigstes, innovativstes und am meisten globalisiertes Land gepriesen und der Welt zur Nachahmung empfohlen. In den Beziehungen zu den armen Ländern fällt die Vorbildrolle meist skandinavischen Staaten zu. Beim Development Index belegen Schweden, Dänemark und Finnland die drei ersten Ränge. Beim Aid-Index sind mit Schweden, Norwegen und Finnland drei skandinavische Länder unter den ersten zehn, beim SDG-Index alle vier skandinavischen Staaten.
Weiterer Abstieg in Sicht
Sollte das Parlament dem Bundesrat Folge leisten und die Entwicklungszusammenarbeit noch enger mit Migrationsabwehr verknüpfen, dauerndes Wirtschaftswachstum statt Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung zur Priorität erheben sowie die Finanzmittel kürzen, wird die Schweiz im internationalen Urteil weiter zurückfallen. Denn Innenpolitik ist auch Aussenpolitik: Sie sendet Signale aus, die draussen gehört und kritisch begutachtet werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Prioritäten in der Entwicklungshilfe: Freiwillige Familienplanung und Einbindung in die internationale Arbeitsteilung
10% der bestehenden Entwicklungshilfegelder für das UNO-Menschenrecht auf freiwillige Familienplanung wären bescheiden und dringend nötig. Wir wollen den Entwicklungsländern keine Vorschriften machen, nur jene Entwicklungsländer und Familien unterstützen, welche unter der hohen Kinderzahl leiden.
Westeuropa ist darum reich, weil die Menschen dort die Länder dazu gemacht haben. Weshalb gibt es in Afrika keine Textilindustrie, keinen leichten Maschinenbau, kaum Weiterverarbeitung bei Nahrungsmitteln? Wenn die Menschen gebildet sind, die Regierung nicht korrupt ist und ein gewisser Fleiss herrscht, kann jedes Land in Afrika irgendwann in europäische Verhältnisse aufsteigen. Aber das hören viele nicht gerne. Heute ist Afrika überhaupt nicht eingebunden in die internationale Arbeitsteilung, in die Wertschöpfung. Und genau darum braucht es die jungen Afrikaner, die zu uns kommen, vor Ort.
Na ja, und wer bezahlt die Schmiergelder an die Eliten dieser Länder, die diesen dann erlauben ihre Völker, deren Arbeitskräfte und Rohstoffe auftragsgemäss auszuplündern und sich noch mehr zu bereichern? Wer hofiert die Diktatoren und liefert ihnen die Waffen etc.?
Herr Schneider:
Versuchen sie sich mal vorzustellen, dass es Menschen geben könnte, die die Lohnarbeit und das neueste Auto nicht als Lebensmittelpunkt und Lebensziel definieren. Die Afrikaner haben Jahrtausende sehr gut gelebt, bis sie vom kapitalistisch-imperialistischen Westen ab dem 15. Jh. systematisch überfallen, besetzt und ausgeraubt wurden. Erst ab da begann das Elend, nicht vorher! Es kann ja sein, dass Sie Herr Schneider, unsere Lebensweise für die Beste halten, aber wieso sollen das auch andere Völker tun? Wie wäre es, wenn sich der Westen (und mittlerweile auch Teile Asiens) aus Afrika zurückziehen und die Völker dort ihre eigene Kultur leben lassen? So wie die Afrikaner uns unsere Kultur leben lassen. Nun, das darf natürlich nicht passieren. Denn dann würde dem Westen der Aberglaube, dass wir unseren Reichtum mit fleiss erarbeitet haben auf den Kopf fallen und unsere BIP’s gegen Null tendieren. Auf einmal müssten wir wieder Subsistenzwirtschaft betreiben. Unsere gesamte Vorstellung einer Leistungsgesellschaft und der materialistische Fortschrittsaberglaube würde in sich zusammen brechen und alleine dastehen würde die nackte Arroganz.
Wir sollten versuchen die Welt hin und wieder ohne unsere westliche Brille zu betrachten. Es gibt mehr als eine Möglichkeit des Zusammenlebens. Ob unsere die Beste ist, ist reine Ansichtssache und ich finde es vermessen, dass wir von anderen fordern nach unseren Vorstellungen zu leben.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass beim neuen Rahmenkredit über die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz die Armutsbekämpfung im Mittelpunkt stehen sollte, so wie es im Gesetz steht, und nicht die Migrationsbekämpfung oder die Förderung des nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Allerdings wäre der Autor gut beraten, sich nicht auf die Definitionen des Dudens beim nachhaltigen Wirtschaftswachstum zu verlassen. Seit dem Brundtland-Bericht in der Mitte der 80iger Jahre wird nachhaltiges Wirtschaftswachstum so definiert, dass dieses so ressourcenschonend erfolgen soll, dass auch nachfolgende Generationen von diesen Ressourcen profitieren können. In diesem Sinne ist den Entwicklungsländern auch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu gönnen.