Hiobsbotschaft aus der Schweizer Medienlandschaft
Breaking-News nennt man das unter Journalisten: Meldungen, die alles andere in die zweite Priorität absinken lassen. Meldungen, die besonders wichtig sind. Meldungen, die besonders viele Leute betreffen.
Die Breaking-News von gestern Mittwoch: Christoph Blocher, milliardenschwerer Geschäftsmann und Vordenker der Schweizerischen Volkspartei SVP, hat die Verlagsgruppe Zehnder gekauft.
Zehnder Verlag? Schon mal gehört?
Die Verlagsleute wissen es: Der in Wil SG ansässige Zehnder Verlag ist der Herausgeber von 25 sogenannten Anzeigern mit insgesamt 29 Splitausgaben: regionalen Wochenblättern, die gratis in alle Haushaltungen kommen und die oft auch die amtlichen Nachrichten der Gemeinden enthalten, zum Beispiel die Baugesuche und -bewilligungen, vor allem aber auch die Zivilstandsnachrichten, Geboren am … , Verheiratet mit … , Gestorben am … , und so weiter, und so fort. Das ist DER Lesestoff für alle Gewerbetreibenden, weil sie ja wissen müssen, wer da was vorhat, die Handwerker vor allem, aber auch die Versicherungs-Heinis, denn selbst Neugeborene brauchen heutzutage ja bereits eine Lebensversicherung, also muss man wissen, wo es diese Neugeborenen gibt. Aber auch die Privaten lesen diese Anzeiger intensiv und regelmässig, sie wollen ja wissen, wenn in ihrer Nähe ein Haus umgebaut werden soll, das künftig vielleicht mehr Schatten wirft, oder dass Meiers Vreni jetzt geheiratet hat, einen Kosovaren zum Beispiel («wie schrecklich!»), etc. etc.
Diese lokalen und regionalen Anzeiger und Wochenblätter sind trotz Krise im Bereich der Printmedien noch immer ein sicheres Geschäft. Manche sind gar eine kleine Goldgrube. Auch – wenn auch nicht nur – weil viele von ihnen von den Gemeinden subventioniert sind: Es wird zum Beispiel die Verteilung in alle Briefkästen des Ortes von der Gemeinde bezahlt. Die Gemeinde hat ja eine Verpflichtung, ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu informieren, die Gemeindeversammlungen zum Beispiel und deren Traktandenliste rechtzeitig anzukündigen und die dort gefassten Beschlüsse anschliessend bekanntzugeben. Und vieles andere.
Viele dieser Anzeiger mit den amtlichen Nachrichten haben keinen grossen redaktionellen Teil. Die Inserate sind für die Einwohner der Gemeinde oder der Region so interessant, dass kein redaktioneller Text darum herum nötig ist, um sie attraktiver zu machen. Oft beschränkt sich der redaktionelle Teil in den Anzeigern deshalb auf PR-Texte und andere kostengünstig zu erhaltenden Beiträge, um die Seiten des Anzeigers, wie man das intern nennt, viereckig machen zu können. Wer Blut & Leberwurst mag, der findet Ort und Datum der nächsten Metzgete eben am besten im Anzeiger, mit oder ohne redaktionellen Teil.
Und jetzt Blocher!
Die Nachricht, dass Christoph Blocher den Zehnder Verlag käuflich übernommen hat, ist eine wahre Hiobsbotschaft, denn der Zehnder Verlag ist DER Verlag der Anzeiger. Die Zehnder-Anzeiger erreichen gemäss WEMF um die 800’000 Leserinnen und Leser. Und Blocher kauft keine Zeitungen, weil er als Unternehmer am Verlags- und Druckgeschäft interessiert ist. Er kauft Medien nur, um über die ihm gehörenden Medien seinen politischen Einfluss zu stärken, wie das die Oligarchen in Mittel- und Osteuropa überall – und leider mit grossem Erfolg – vormachen. Das zeigte nicht zuletzt Blochers Übernahme der Basler Zeitung: die dazugehörende Druckerei Birkhäuser in Reinach, die sich gerade in einem erfolgreich angelaufenen Turnaround befand, hat er in kürzester Zeit verscherbelt.
Was ist zu erwarten?
Natürlich werden nicht alle 25 neuen Blocher-Anzeiger ab morgen stramme SVP-Politik propagieren. Da ist Christoph Blocher clever genug, dieses Manöver subtiler zu inszenieren. Aber man denke an die Anzeigen – an die Anzeigen der SVP! Wenn Blocher vor Abstimmungen in jeden Briefkasten der Schweiz ein Extrablatt mit seiner Werbung hat verteilen lassen, dann landete sein Geld in den Kassen von Zeitungsdruckereien und vor allem auch in der Kasse der Post. Jetzt kann er eine Million Briefkästen bedienen mit einem Produkt, das aus Gründen der Tradition und der Leser-Gewohnheiten eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit geniesst als ein Extrablatt, das nur vor Volksabstimmungen erscheint. Und die Werbung kann dosiert erfolgen – und vor allem wiederholt: Steter Tropfen höhlt den Stein. Und das künftig alles gratis – fast gratis, um genau zu sein. Es braucht ein bisschen mehr Papier, etwa 4g pro Seite, bei einem Papier-Preis von weniger als 1000 Franken pro Tonne. Und diese Inserate können als sogenannte Füller platziert werden, gratis, oder, falls doch als Inserat verrechnet, ist es künftig für Blocher einfach Geld aus der einen Tasche rein in die andere Tasche. Inserate, wie sie etwa am 2. August wieder gelaufen sind.
Rechtlich zwar ein Inserat, aber einen redaktionellen Beitrag vortäuschend: Ein Interview mit Christoph Blocher in der AZ vom 2.8.2017.
Solche politischen PR-Anzeigen können schon bald in Millionen-Auflage verbreitet werden – praktisch zum Null-Tarif.
Gegenwärtig zeigen auch die Verleger des Verlegerverbandes, wie man das macht: Es erscheinen – für die Verleger gratis – in ihren Blättern ganzseitige Anzeigen, auf denen man zum Beispiel ausgerechnet die SVP-Nationalrätin Natalie Rickli sieht. Natalie Rickli, die Vorkämpferin im Polit-Krieg gegen die öffentlich-rechtlichen Medien SRF – und trotz dieser extremen politischen Position Präsidentin der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, in der es vor allem auch um die Medienpolitik geht. Und die SVP-Nationalrätin wird in diesen Gratis-Eigenanzeigen zitiert mit dem Satz «Unabhängige Medien sind wichtig für unsere Demokratie» – als ob unser Radio und unser Fernsehen nicht auch – oder eben vor allem – zur Medienvielfalt beitragen würden.
Der Schweizer Verleger-Verband wirbt mit seitengrossen Gratisanzeigen – und dies ausgerechnet auch mit einem Bild der Anti-SRG-Politikerin Natalie Rickli von der SVP.
Was ist jetzt zu tun?
Nach der Übernahme des Zehnder Verlages durch Christoph Blocher sind nun vor allem die Gemeinden und die Regionalverbände gefordert. Es darf nicht sein, dass die amtlichen Nachrichten in Gratisblättern erscheinen, die einem Milliardär gehören, der sie zwecks Stärkung seines politischen Einflusses übernommen hat und herausgibt. Diese Zusammenarbeitsverträge der öffentlichen Hand mit den privatwirtschaftlichen Medien eines Oligarchen gehören gekündigt. (Zur Präzisierung: Mit «Oligarch» werden international schwerreiche Männer bezeichnet, die ihr Geld dazu benutzen, ihre Macht auszubauen, nicht zuletzt über die wirtschaftliche Beherrschung von Medien. In Osteuropa ist das mittlerweile schon der Normalfall.)
Aber auch die SRG ist gefordert. Wenn der Service Public im Medien- und generell im Informationsbereich in der Schweiz erhalten bleiben soll – und genau DAS ist für unsere Demokratie absolut unentbehrlich! –, dann muss sich die SRG künftig auch um die Ebene der lokalen und regionalen amtlichen Anzeiger kümmern, im Idealfall in Zusammenarbeit mit der Post, die dank einem immer noch relativ grossen Poststellennetz gleichzeitig die ideale Annahmestelle für amtliche Mitteilungen und private Anzeigen sein kann. Die Mitte- und Links-Parteien sind aufgefordert, in diesem Bereich aktiv zu werden und wieder demokratiewürdige Verhältnisse zu schaffen.
PS: Als ehemaliger CEO einer der zehn grössten Medien-Gruppen der Schweiz und deshalb auch mit dem Anzeiger-Know-how in der Tasche schreibe ich gerne schon morgen das Konzept für einen SRG/Post-Anzeiger-Medien-Teppich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war von 2003 bis 2009 CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe, die anschliessend an die AZ Medien Gruppe verkauft wurde. Zur VS Medien-Gruppe gehörten auch diverse Anzeiger.
Und wenn die SRG durch all die neuen und alten Parteimedien der Herrliberger Bewegung sturmreif geschossen sein wird, werden wir alle eines Tages mit dem neuen Fernseh-Testbild – untergehende Sonne vor olivgrüner Scholle – erwachen, uns die Augen reiben und wie befohlen die Nationalhymne singen, bevor es ans verordnete Tagwerk geht.
Wer glabut, dass der Aufkauf von 25 «Qualitätsblättern» ein Zufall und reine Liebe zum Journalismus sei, sollte jetzt ganz schnell in die nächste Buchhandlung gehen und den Roman «Der Abgang — Bericht aus einer nahen Zeit» kaufen oder bestellen (siehe auch Interview in Infosperber). Ansonsten gilt das Wort von Willi Ritschard: Die Schweizer stehen zwar früh auf, aber erwachen zu spät.
gemäss Zehnder selbst sind das einige mehr Leser als ca. 800’000.
Man hat sogar eine sehr genaue Zahl publiziert 1’021’818
http://www.zehnder.ch/549/?no_cache=1
38 Titel, 21 Gebiete im so genannten neuen «Swiss Regio Combi» auf deren Seite man inserieren kann:
http://swissregiokombi.ch/index.php?id=2
…oder «Prospektbeilagen» 😉 publizieren
Was ist denn schon passiert, so lange Christoph Blocher nicht «Infosperber» übernimmt, ist doch die Medienfreiheit gewährleistet? Danke Herr Düggelin für diesen Beitrag.
Bravo Blocher: Es ist Zeit, die Macht der Mainstream-Medien zu brechen!
Soll ich jetzt über Alex Schneider und Christian Müller lachen oder weinen?
Mit diesen Käse Blättern eine Medienmacht aufbauen.Man erlebt ja in Basel was Blochers Millionen bewirken ! Was bisher an Gift aus diesen Gratisblaettern tropfte,wird in Zukunft die Marke Blocher tragen.Das heißt die 70 % Nichtsvpwaehler chlepfen nächsten einen Antianzeigerkleber an den Briefkasten.
Angst regiert die Welt — und somit uns Menschen.
Angst hat Christian Müller in erster Linie aber nicht vor Christoph Blocher, sondern vor dessen Meinung. Angst davor, argumentativ nicht allzu gut kontern zu können, fokussiert die Angst dann auf die Person Blocher.
Beide Ängste sind mir suspekt, denn ich liebe die Meinungsvielfalt. Somit freue ich mich — offenbar ganz im Gegensatz zum besorgten Christian Müller — über jedes bisschen Konkurrenz zu den eintönig einseitigen Mainstreammedien.
Persönlich wäre es mir lieber gewesen Chr. Blocher hätte ein paar Radiokanäle gekauft anstelle von Publizitätstitel wie eben die einiger Zeitungen.
Warum?
Ich höre den mir zusagenden Kanal, oder ich knipse den Radio aus.
Nun hat er eben sein Geld in Pressetitel investiert, dies taten andere politisch aktive Industrielle ebenfalls, und es machte sie keinesfalls zu besseren Menschen deswegen. Zu schlechteren womöglich auch nicht, denn jede/r ist das was sie/er aus sich macht und machen lässt.
Also, können Milliardäre ihr Geld dort anlegen gehen wo immer sie dies auch tun mögen.
Leider steht die SRG (noch) nicht zum Verkauf, bei Annahme der «No Billag» Initiative könnte sich dies ja ändern.
Ich weiss was ich geschrieben habe. Bin mir bewusst dass dies für einige Personen provokativ sein mag. Und ist es auch.
Ja, ich halte viel von demokratischen Regeln. Heisst noch immer das Volk hat zu bestimmen was weiter geschehen soll. Und das was als Meinung geschaffen wurde bestimmt auch die Entscheidungsfindung.
Was dies heisst?
Dies heisst nicht viel anderes als dass was käuflich erworben werden kann nicht immer der besten Gedanken entspringen muss.
Deshalb denke ich, zwei- bis dreimal nachdenken lohnt sich schon bevor man sich verkauft. In einer Demokratie ist dies möglich, jedenfalls war es dies bis vor .. .03.2018 noch.