Mehr als eine «Schande» – Höckes AfD-Deutschland
Red. Die Landtagswahlen in den deutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg machen klar: Deutschland (und Europa) wird sich auf eine Zukunft mit der AfD einstellen müssen. Und zwar mit einer AfD, die immer weiter nach rechts rückt. Der sogenannte «Flügel» um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wird immer einflussreicher. In einer Nachwahlbefragung der ARD geben selbst 37% der AfD-Wählenden in Brandenburg an, die Partei distanziere «sich nicht genug von rechtsextremen Positionen». Trotzdem haben sie eben dieser Partei die Stimme gegeben.
Der nicht als Linker bekannte «Welt»-Journalist Robin Alexander hält in der Sendung «Markus Lanz» vom 4. September 2019 fest: «Mittlerweile sind die dominierenden Kräfte in der AfD offen rechtsextrem.» Er sei immer davon ausgegangen, der Co-Vorsitzende und Co-Fraktionschef der AfD Alexander Gauland würde «die Höckes in die Schranken weisen». Und spricht dann den ebenfalls bei «Markus Lanz» sitzenden Gauland direkt an: «Nur langsam müssen Sie das auch mal machen.» Der schüttelt nur den Kopf und macht wieder einmal den Gauland. Die Rede von Höcke – «das berühmte Mahnmal der Schande» – sei von den Medien «bewusst falsch» interpretiert worden. Höcke, Gauland, die AfD – die Unverstandenen.
Jürgmeier hat sich im Januar 2017 die Rede von Björn Höcke am 17. Januar in Dresden auf «Youtube» angesehen und das ins Internet gestellte Transkript nachgelesen. Seine Analyse stellen wir nochmals online. Damit nicht vergessen geht, was Höcke gesagt und gemeint hat.
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Der deutsche AfD-Politiker Björn Höcke hat am 17. Januar 2017 wieder einmal eine Rede gehalten. In Dresden. Das er zur Freude seines Publikums die «Hauptstadt der Mutbürger» nennt: «Eigentlich dürfte nicht Berlin, eigentlich müsste Dresden die deutsche Hauptstadt [sein].» Und Höcke – der Kanzler? der Führer? «Ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg. Aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt, und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD.» Auch das sagt der Geschichtslehrer a. D. in dieser Rede, nach der, so der Kolumnist Sascha Lobo auf Spiegel online am 18. Januar, «keiner mehr sagen» könne, «er habe nicht gewusst, was Höcke mit der AfD vorhat». Nämlich inhaltliche «Fundamentalopposition». Und: «Wir werden das so lange durchhalten, bis wir in diesem Land 51 Prozent erreicht haben.»
Widerstandskämpfer in Feindesland
Die Rede – die Sehnsüchte & Phantasien verrät, auf die noch vertiefter einzugehen ist – provoziert wie, bestimmt, beabsichtigt Empörung & mehrere «Anzeigen wegen Volksverhetzung» (Wikipedia). Aber, was wäre die Wirkung eines Verbots solcher Reden? Böte es Schutz vor dem, was da aus dem Schoss zu kriechen droht, der nach Bertolt Brecht noch immer fruchtbar ist? Oder stützte es die propagandistischen Mut- & Heldeninszenierungen der AfD? Höcke lobt am Anfang seiner Rede die Junge Alternative für den «Mut», den sie bewiesen, einen «unbequemen Redner», ihn, einzuladen. Das sei «ein grosser, schwieriger organisatorischer Akt, gerade wenn man gegen so viele Gegner zu kämpfen hat».
Heute wäre es für ihn «wahrscheinlich eine lebensgefährliche Aktion», wenn er sich auf dem Weg zu einem Pegida-Spaziergang an «Gruppen von sogenannten Antifaschisten» vorbeidrängen müsste. Auch wenn AfD-Vertreter*innen schon mal (undemokratisch) niedergebrüllt & nicht nur gewaltfrei am Reden gehindert werden, wie am 12. Januar an der Uni Magdeburg, die Höckesche Selbstinszenierung als Widerstandskämpfer in Feindesland ist in einem Staat, in dem noch die unerträglichsten Reden (zu Recht) durch die Verfassung geschützt werden, reine Propaganda. Mit dem Ziel, die AfD als «letzte friedliche Chance für unser Vaterland» zu preisen. Das tönt wie eine Drohung vor dem, was Deutschland bevorstünde, wenn seine Bürger*innen nicht AfD wählten.
Deutschland 2017 zeichnet er als Land mit «aufgetürmten Problemhalden». Die «einst geachtete Armee» sei zu «einer durchgegenderten multikulturalisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen». «Unsere einst hoch geschätzte Kultur» drohe, nach einer «umfassenden Amerikanisierung», «in einer multikulturellen Beliebigkeit unterzugehen». «Unser einst weltweit beneideter sozialer Friede ist durch … den Import fremder Völkerschaften und die zwangsläufigen Konflikte existenziell gefährdet.» «Altparteien», Gewerkschaften, Amtskirchen und «die immer schneller wachsende Sozialindustrie … lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl. Aber wir … Patrioten werden diesen Wasserstrahl jetzt zudrehen, wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen.» Welches Deutschland meint der 1972 Geborene? Parallelen zur Sprache in düstersten Zeiten deutscher Geschichte sind unabweisbar. Daran ändert auch das von Provozierenden gerne & empört nachgeschobene «So war es nicht gemeint» nichts. Wer (immer wieder) redet wie Höcke, weiss, was er sagt. Und wer ihm zuhört, weiss, was er meint.
«Deutsche Opfer gab es nicht mehr, … nur noch deutsche Täter»
Höckes Rede vom 17.1. zielt darauf ab, «wieder eine positive Beziehung zu unserer Geschichte» aufzubauen. Ohne ein Wort zu den Opfern nationalsozialistischer Angriffskriege und der Vernichtungslager des «Tausendjährigen Reiches» beklagt er, mit der «Bombardierung Dresdens und der anderen deutschen Städte wollte man nichts anderes als uns unsere kollektive Identität [was heisst das in Nazideutschland?] rauben. Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden.» Da wird die nationalsozialistische Ausrottungspolitik um 180 Grad gedreht & auf die Alliierten projiziert. Ähnlicher «Logik» folgend geisselt er die Entnazifizierung nach 1945 als «systematische Umerziehung». Als hätte die Diktatur 1945 nicht geendet, sondern erst begonnen. «Deutsche Opfer gab es nicht mehr, sondern es gab nur noch deutsche Täter. Bis heute sind wir nicht in der Lage unsere eigenen Opfer zu betrauern.» Als hätten deutsche Opfer in Wissenschaft, Literatur und Film nicht längst einen festen Platz neben den Opfern «der Deutschen» gefunden. Und dann zieht Höcke eine direkte Linie zwischen Berlin 1945 und Berlin 2016: «Augenfällig wurde das wieder beim würdelosen Umgang mit den Opfern des Berliner Terroranschlags.»
Eine ähnliche Verbindung macht auch Dominique Eigenmann am 18. Januar, vermutlich noch in Unkenntnis von Höckes Rede, in seinem Tagesanzeiger-Kommentar «Tätervolk trauert nicht». Anders als in angelsächsischen habe es in deutschen Medien «statt anrührender Geschichten über die Opfer … lange Geschichten über den Täter» zu lesen gegeben. «Fehlt Deutschland eine Gedenkkultur?», fragt der Schweizer Journalist in Berlin, «Oder ist der schnelle Übergang zur Normalität ein Zeichen für mentale Gesundheit in Zeiten des Terrors? Oder aber, im Gegenteil, Beleg einer neuen ‹Unfähigkeit zu trauern›, wie sie die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt hatten?»
Während ich, am 27. Januar, diese Zeilen schreibe, überträgt das ZDF (wieder einmal) eine Gedenkstunde des Deutschen Bundestags für die Opfer des Nazi-Regimes. Der Versuch, nach einer (mitverschuldeten) Katastrophe möglichst schnell in den Alltag zurückzukehren, ist nicht spezifisch deutsch. Die meisten Individuen & Kollektive neigen dazu, die kaum auszuhaltende VerzweiflungOhnmachtTrauer angesichts von Tod & Getöteten zu vertreiben, indem sie weitermachen, als ob nichts geschehen, oder Schuldige für das Unerträgliche suchen, sich mit den Täter*innen beschäftigen, um nicht im Meer der Tränen unterzugehen. Auch der französische Präsident François Hollande hat nicht nur «die Opfer von Terroranschlägen als Märtyrer der Republik» geehrt, er hat auch den Tätern umgehend (wieder) den Krieg erklärt.
Vor allem aber haben die Mitscherlichs mit ihrem berühmten Diktum nicht in erster Linie fehlende Gedenkkultur gemeint, sondern «die Unfähigkeit zur Trauer um den erlittenen Verlust des Führers» als «Ergebnis einer intensiven Abwehr von Schuld, Scham und Angst». Nicht die fehlende Trauer um die «eigenen» Toten steht in dem 1967 erschienenen Buch von Margarete & Alexander Mitscherlich im Vordergrund, sondern die weitgehend ausbleibende Trauer um den toten Hitler & das zusammengebrochene «Grossdeutschland». Als ob nicht grosse Teile der Bevölkerung dem «Führer» eben noch zugejubelt und auf den «Endsieg» gehofft hätten. «Die Nazivergangenheit wird derealisiert, entwirklicht.» Die Erinnerung an Millionen Gemordeter durch das deutsche Wirtschaftswunder ausgelöscht.
Erst Jahre später beginnt die vertiefende, für die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen bis heute beklemmende Analyse & «Aufarbeitung» des Vergangenen. Höcke, um auf ihn & seine Rede im Januar 2017 zurückzukommen, benutzt den «Umgang» mit den Opfern von Berlin 2016 dafür, die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs, die es natürlich auch gegeben hat (nicht zuletzt unter den Juden & Jüdinnen, Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen und den im Rahmen des «Euthanasieprogramm» Ermordeten), in den Vordergrund zu schieben – «Bis heute sind wir nicht in der Lage, unsere eigenen Opfer zu betrauern» – und zu lamentieren: «Wir Deutschen – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier und heute versammelt haben – wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.» Auf die voraussehbare & willkommene Empörung ob dieses Satzes reagiert der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende mit einem klassischen AfD-Verteidigungsschlag: «Angeblich soll ich dort [Rede vom 17.1. in Dresden] das Holocaust-Gedenken der Deutschen kritisiert haben. Diese Auslegung ist eine bösartige und bewusst verleumdende Interpretation dessen, was ich tatsächlich gesagt habe. Wörtlich habe ich gesagt: ‹Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.› Das heisst, ich habe den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet» (Aus «Persönliche Erklärung von Björn Höcke zu seiner Dresdner Rede»).
«Erinnerungspolitische Wende um 180 Grad»
Warum nimmt er dann die ihm lauschenden «Patrioten» explizit aus diesem Volk aus? Spricht nur wenige Sätze nach dem ins Herz gepflanzten «Denkmal der Schande» von der «dämliche[n] Bewältigungspolitik»? Vor allem aber ist auch der in der Verteidigung seiner Rede verwendete Euphemismus «Schande für unser Volk» verräterisch. Das Deutsche Universalwörterbuch des Duden-Verlags definiert Schande als «etwas, was jemandes Ansehen in hohem Masse schadet». Das heisst, der millionenfache Mord, u.a. an Juden & Jüdinnen, schadet dem Ansehen Deutschlands. Diese «Schande» – die Millionen umgebracht hat – will er aus der deutschen Geschichte tilgen. «Anstatt die nachwachsende Generation mit den grossen Wohltätern, den bekannten weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben …, vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt» – das «Herrenvolk» lässt grüssen – «…anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen» – als ob das nicht geschähe –, «wird die … deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht.» Mit der Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen. «So kann es und darf es nicht weitergehen!» Und dann verrät er den (un)heimlichen Wunsch, den, vermutlich, auch andere in Deutschland mit ihm teilen: «Wir brauchen nichts anderes als [eine] erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.» Die Deutschen, 180 Grad ist 180 Grad, nicht mehr Täter, nur noch Opfer? «Wir brauchen eine lebendige Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den grossartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt.» Das heisst, Kriegsverbrechen, Völkermord und nationalsozialistische Tyrannei aus Geschichte & Erinnerung tilgt. Die Ermordeten würden trotzdem nicht wieder lebendig.
Damit würden die düsteren Ahnungen von Überlebenden deutscher Vernichtungslager Wirklichkeit. Gabor Hirsch (Überlebender von Auschwitz), der die Kontaktstelle für Überlebende des Holocaust in der Schweiz gegründet hat, mit dem Ziel, ihre Erinnerung weiterzugeben, um aufzuzeigen, «wohin Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus führen können», wird in einem Bund-Porträt vom 27. Januar 2017 mit dem Satz zitiert: «Trotzdem sind in vielen Ländern rechte Parteien auf dem Vormarsch. Wahrscheinlich haben wir keine gute Arbeit geleistet.» Wir und unsere Nachgeborenen können es nicht länger & ausgerechnet den letzten Überlebenden der «deutschen Schande» – die bald alle eines «natürlichen» Todes gestorben sein werden – überlassen, dafür zu sorgen, dass die Höckes nicht das letzte Wort haben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Es müßte selbstverständlich so sein, daß nach allem, was diese Horde während der Naziherrschaft angerichtet hat, in Deutschland schon rechtsgerichtete Gedanken mit Höchststrafe belegt werden müßten – in alle Ewigkeit. Aber das Wiedererstarken von gedanklichem Nazigut ist im Nachkriegsdeutschland jahrzehntelang nie ernsthaft verfolgt und noch weniger unterbunden worden. Jetzt sind solche Höckes schon fast wieder normal.
Wer, wenn nicht die Politiker und die Juristen hätte hier schon vor fünfzig Jahren entschieden einschreiten müssen (und auch Wirkung erzielt)? Aber nein, die neuen Rechtsradikalen wurden wie Falschparker betrachtet und behandelt – von denselben juristischen Steigbügelhaltern, die einst Adolf an die Macht brachten. Das periodisch hörbare politische Protestgeheul ist schon von weitem als Alibi-Empörung zu erkennen.
Es ist unfaßbar.