Trumps Sanktionen gegen den Iran führen zu noch mehr Härte
Wahrscheinlich wollte Irans Innenminister, Abdolreza Rahmani Fazli, die Situation im Land möglichst drastisch darstellen, um das massive Vorgehen der so genannten Sicherheitskräfte zu rechtfertigen: 50 militärische Basen und 183 Militärfahrzeuge seien angegriffen, 34 Ambulanzfahrzeuge, 731 Banken, 140 Benzin-Tankstellen, neun religiöse Zentren, 307 private Fahrzeuge und 1076 Motorräder in Brand gesteckt worden. Und an all dem hätten sich zwischen 130’000 und 200’000 «Vandalen» beteiligt. Am Mittwoch lobte dann der oberste geistliche Führer, Ayatollah Khamenei, die diversen an der «Niederschlagung der von ausländischen Mächten gesteuerten Verschwörung» beteiligten Truppenteile in den höchsten Tönen – und mit einer Härte, die klar machen sollte: So nicht noch einmal!
Was ist davon zu halten? Wahrscheinlich dies: Das Regime fühlte sich erstmals seit langem ernsthaft bedroht. Die Proteste entzündeten sich zwar an der nur halbwegs politischen Frage, ob die drastische Reduktion der Benzin-Subventionen und damit eine massive Preissteigerung gerechtfertigt sei oder nicht – aber sie erhielten darüber hinaus schon bald auch eine politische Dimension. Die Wut der Demonstranten zielte nämlich auch auf die Frage, ob das militärische Engagement des Regimes im Ausland wirklich notwendig sei, ob man nicht Milliarden verschwende auf Kosten des Lebensstandards der über 80-Millionen-Bevölkerung.
Dazu ein paar Zahlen: Offiziell gibt Iran fürs Militär pro Jahr um die 16 Milliarden Dollar aus. Das ist wenig im Vergleich etwa zum Rivalen Saudiarabien (67 Milliarden im vergangenen Jahr, weit über 70 Milliarden jetzt) oder den relativ kleinen Vereinigten Arabischen Emiraten (22 Milliarden). Nur werden da offenkundig die Kosten für die Einsätze der al-Quds-Brigaden im Irak und Syrien ebenso wenig eingerechnet wie die Entlöhnung der Söldner in den (geschätzt) gut hundert schiitischen Milizen, ebenfalls in Irak. Das US-amerikanische IISS schätzt diese Kosten auf nochmals rund 16 Milliarden. Jene für Hizballah auf weitere 700 Millionen plus ein paar Millionen für die Huthi-Rebellen in Jemen. Das alles lastet, zusammen gerechnet, gewaltig auf dem Budget der Islamischen Republik. Und deren Wirtschaft steckt ja ohnehin schon in tiefer Krise aufgrund der US-Sanktionen, die dazu führten, dass der Export von iranischem Erdöl von sechs Milliarden Fass pro Tag auf weniger als 500’000 sank, Tendenz weiterhin sinkend. Und dass kein ausländisches Unternehmen, auch kein europäisches, auf normale Weise Geschäfte mit Iran durchführen kann. Wer immer das tun will, riskiert das hundert mal wichtigere USA-Geschäft.
Der Wohlstand der Iraner ist stark subventionsabhängig
Die iranische Regierung subventioniert traditionell mit den Erlösen aus dem Export von Erdöl und Erdgas zahlreiche Konsumgüter, von Lebensmitteln bis zu Diesel und Benzin. Allein die Subventionen für Treibstoffe kosteten pro Jahr 2,5 Milliarden Dollar. Benzin und Diesel waren bisher allerdings auch, im internationalen Vergleich, unglaublich billig – keine zehn Rappen pro Liter für die monatlich ersten 200 Liter, danach um ca. 50 Prozent höher. Und jetzt soll der tiefste Preis nur noch für 60 Liter ausgerichtet werden, danach kostet der Sprit drei mal so viel.
Als Ausländer ist man versucht zu fragen: Braucht denn der durchschnittliche Iraner, die Iranerin, derart viel Benzin oder Diesel, was ist los mit dem Verkehrssystem in diesem Land mit seinen gut 80 Millionen Menschen? Ja, da liegt manches im Argen, auch wenn die Infrastruktur, den öffentlichen Verkehr betreffend, in Iran viel besser ist als beispielsweise in Irak oder Ägypten. Es gibt zum Beispiel eine gute S-Bahn-Verbindung von der rund 50 Kilometer entfernten Vorstadt Karaj nach Teheran, es gibt auch eine effiziente U-Bahn in Teheran selbst (beschränkt allerdings auf wenige Linien). Aber die Struktur des Landes liegt mit dem, was vorhanden ist, im Widerspruch. Aus Karaj beispielsweise (das war vor 40 Jahren noch eine Kleinstadt) pendeln täglich fast zwei Millionen Menschen zur Arbeit nach Teheran, die meisten mit ihren Renaults-206 älterer Bauweise, mit im Lande selbst gebauten Peugeots etc. Weil die S-Bahn eben doch nicht in jenen Teil der 13-Millionen-Stadt fährt, wo sie arbeiten, weil, wie sie zumindest selbst gerne sagen, es keine wirkliche Alternative zum Auto gebe. Morgens geht die Lawine hinein in die Metropole, am Abend wieder hinaus. Auch mit den entsprechenden Folgen für die Umwelt.
Eine zu schwache Infrastruktur führt zu mehr Auto-Kilometern
Also, «die Leute» sind aufgrund der Alltagszwänge oder -Gewohnheiten auf billiges Benzin angewiesen. Die Regierung versucht jedoch, eine Gegenrechnung zu präsentieren: Ein «Riesenprozentsatz» der subventionierten Treibstoffe werde geschmuggelt oder zweckentfremdet. Kein Wunder aufgrund des komplizierten Systems, das bisher auch beinhaltete, dass Bus- und Lastwagenfahrer sich oft so grosse Sonderkontingente für Diesel oder Benzin zum Tiefstpreis beschafften, dass sie einen Teil davon unter der Hand weiter verkaufen konnten.
Es gibt noch weitere Knotenpunkte im wirtschaftlichen Gefüge, einer wird jetzt eben erneut Wirklichkeit (schon der frühere Präsident, Ahmadinejad, praktizierte etwas Ähnliches): Um den Zorn der von den höheren Benzinpreisen Betroffenen zu dämpfen, wird ein flächendeckendes System von monatlichen Zuwendungen für «alle Bedürftigen» eingeführt, für angeblich 60 Millionen Menschen. Kosten für die Regierung: geschätzte 1,5 Milliarden – womit die Einsparungen aufgrund der Streichung der Benzin-Subventionen schon wieder weitgehend kompensiert wären …
Im fernen Washington werden sich die Trump-Getreuen über die jetzt zutage getretene Nervosität des Regimes (überdeckt, wie erwähnt, durch zur Schau getragene Härte) freuen. Seht her, denken oder sagen sie auch offen, unsere Strategie des «grössten Drucks» wirkt. Aber tut sie das wirklich?
Was die US-Strategie erreicht hat, ist doppelte Frustration bei Millionen in Iran: Frustration über das eigene Regime ebenso wie über die von den USA diktierten Sanktionen. Sie stehen am Ursprung der Krise – es gibt vor allem einen eklatanten Mangel an Medikamenten. Selbst Aspirin soll zur teuren, für Viele unbezahlbaren Mangelware geworden sein. Zorn auf die «Ayatollahs» bedeutet nicht Sympathie für Trump. Für Alle sichtbar ist, dass die irrlichternde Politik Washingtons zumindest vorerst dazu führt, dass der Einfluss der «Hardliner», also der Revolutionswächter, der Basiji und auch des Kommandanten der al-Quds-Brigaden, Qassem Suleimani, wächst. Und dass das Regime sich in Schritten so weit vom Atomabkommen entfernt, dass der Zeitpunkt eines Revanche-Ausstiegs der Europäer, mangels Alternativen, näher und näher kommt.
Trumps «Regime-Change»-Politik funktioniert auch im Iran nicht
Offen ist, ob der Druck im sprichwörtlichen Dampfkessel doch so gross wird, dass die iranische Führung ihre kostspieligen (und Blutzoll fordernden) militärischen Engagements in Irak und Syrien reduziert. Dazu wage ich keine Voraussage. Aber diese Prognose wage ich dennoch:
Für einige Zeit wird in Iran wieder erzwungene Ruhe herrschen. Der doppelte Unmut, über die eigene Regierung und das Diktat der USA, wird sich nach einiger Zeit jedoch wieder Luft schaffen. Es steht zu befürchten, dass es eine von Pulverdampf verunreinigte Luft sein wird. Zu dem von Trump ersehnten Sturz des Regimes aber wird das alles nicht führen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Der IRAN ist, ebenso wie der IRAK, Syrien sowie andere Länder OPFER der US-amerikanischen Politik wie z.B. in Venezuela, des eigenen Rohstoff-"Hungers"!
Dass sich der ohnehin arme IRAN sowohl im Libanon als insbesondere in Syrien und IRAK – beide von den USA total verwüstete muslimische Länder – aktiv einmischt, geschieht in erster Linie zum eigenen Schutz vor Saudi Arabien, aber natürlich auch den USA und Israel, wobei die Hisbolla im Libanon, vor der sogar Israel Respekt hat, eine besonders wichtige Rolle spielt!
Die amerikanische Behauptung, der IRAN wolle nicht mit ihnen verhandeln trifft zu, hat aber einen logischen Hintergrund: Die US-Forderungen an den IRAN sind eine Unverschämtheit und deshalb für diesen aus guten Gründen einfach «nicht verhandelbar"!
Und die Forderung der europ. Vertragspartner des NICHT vom IRAN, sondern den USA gekündigten Vertrages, ausgerechnet der Iran müsse sich daran halten, ist ein außenpolitischer Offenbarungseid, der deren Vasallenstatus entspricht, aber von IRAN nicht Ernst genommen werden kann!
Werter Herr Gysling,
Da hat sich aber mit dem U-Bahn System in Tehran seit Ihrem letzten Besuch einiges getan. Inzwischen werden 108 Metrostationen bedient. Auch das Schnellbus – System BRT wird laufend ausgebaut. Beide Systeme benutze ich fast täglich und die funktionieren sehr gut, das BRT Sytem übrigens 24/7.
Ob der amerikanische Markt für Europäer wirklich 100 mal wichtiger ist, zweifle ich stark an. Habe selbst Jahre in Tehrangeles gelebt und weiss, dass die wirklich guten Geschäfte Amerikaner vorbehalten sind. Die Deutschen dürfen ruhig Autos liefern, wenn Sie das Geld dazu auch noch bereitstellen, was seit Jahrzehnten gemacht wird. So kann jeder Exportweltmeister werden. Der Iran ist gerade für Mittelständler ein sehr interessanter Markt, bezahlt er doch mit echtem Geld oder realer Ware und nicht nur mit gedrucktem, grünem Papier.
Leider ist der Iran an einer geopolitischen Schlüsselstelle und verfügt dazu noch über ALLE Reichtümer die man sich vorstellen kann. Wir hatten vor über 200 Jahren das Glück, dass sich Russland mit seinem griechischen Aussenminister für die europäische Schlüsselstelle ( Schweiz ) eingesetzt hatte und uns die Neutralität ermöglichte. Der Iran hat dieses Privileg nicht und es ist deshalb taktisch klug, die Feinde ausserhalb seines Territoriums zu Beschäftigen. Im Verlaufe der Geschichte ging es den Persern immer gut, wenn Sie diese Taktik angewandt hatten.
Mit bestem Gruss aus Tehran
Freundeskreis Schweiz – Iran
Vital Burger