Geldspielgesetz: Zocken auf dem Affenfelsen?
Im Vorfeld der Abstimmung über das Geldspielgesetz vom 10. Juni wird zwar viel über Protektionismus und Bevormundung im Internet gestritten. Weitgehend ausgeblendet bleibt daneben aber, dass in dubiosen Steuerparadiesen wie der britischen Kronkolonie Gibraltar Abermillionen schwarzer Spielgelder verschwinden.
Seit sich die Briten im spanischen Erbfolgekrieg 1704 auf dem legendären Affenfelsen an der Südspitze der iberischen Halbinsel festsetzten, geniessen dessen Bewohner in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus. Nicht zuletzt in Steuer-Belangen. Ursprünglich sollte damit die Finanzierung des kostspieligen Vorpostens im spanischen Feindesland kompensiert werden. Nach dem weitgehenden Abzug der britischen Garnisonen und der zumindest teilweisen Normalisierung des Verhältnisses zum Nachbarn nach Spaniens Beitritt zur Europäischen Union 1986 gingen auf dem Felsen viele Arbeitsplätze verloren. Also begann man sich dort nach neuen Geschäftsmodellen umzusehen und setzte vermehrt auf die Attraktivität als Offshore-Paradies für dubiose «Investoren» aus aller Welt.
Operationsbasis für kriminelle Organisationen
Die Russenmafia verwandelte die Kronkolonie im letzten Vierteljahrhundert zur bevorzugten Operations-Basis für ihre Machenschaften an der nahen Costa del Sol. Marokkanische Schlepperbanden dirigieren von dort aus ihren Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel über die gleichnamige Meerenge und auch der internationale Terrorismus weiss solche «Dienstleistungen» am strategisch seit jeher hoch interessanten Schnittpunkt zwischen Europa, Afrika, Atlantik und Mittelmeer zu schätzen.
Die 32’000 Bewohner der nur 6,5 Quadratkilometer kleinen Halbinsel stammen aus aller Welt und verfügen fast alle über einen britischen Pass, den Gibraltars Ausländerbehörde so gut wie jedem Einwanderer ohne grössere Formalitäten ausstellt. Bis zum Vollzug des Brexit anerkennt auch die EU die Inhaber solcher Papiere vorbehaltlos als Bürger des Vereinigten Königreiches. Umgekehrt ist der Felsen aber weder Teil des europäischen Binnenmarktes noch finden dort das Schengener Grenzabkommen oder die europäischen Mehrwertsteuer-Bestimmungen Anwendung. Optimalere Rahmenbedingungen können sich Geldwäscher kaum wünschen. Weshalb auch die Zahl der Briefkastenfirmen Gibraltars Einwohnerzahl um ein Vielfaches übersteigt.
Online-Casinos profitieren von tiefer Gewinnsteuer
Auch die internationale Glücksspiel-Industrie weiss solche Vorteile seit jeher zu schätzen. Wobei das alte Casino auf dem Felsgipfel und die traditionellen Spielhöllen am Hafen oder in der Altstadt heute nur noch Nebenrollen spielen. Das ganz grosse Geschäft hat sich vielmehr ins Internet verlagert, wo unzählige Online-Casinos ihre Dienste anbieten mit Verweis auf die besonders attraktiven Vorteile ihres Standortes. Kennt Gibraltar doch bislang für juristische Personen aller Art nur eine «Inlandsteuer» von gerade mal 1 Prozent (!) auf deren Gewinnen, was auch beim Glücksspiel umso höhere Gewinn-Ausschüttungen erlaubt. Zwar hat Grossbritannien wiederholt versucht mittels einer Mehrwertsteuer einen Teil dieser Gelder abzuschöpfen, sich dabei aber am wütenden Widerstand der ansonsten ja so verhätschelten Untertanen in der Kronkolonie die Zähne ausgebissen.
Schon vor dem Brexit-Referendum hatte der Europäische Generalstaatsanwalt 2014 der Brüsseler Kommission empfohlen Grossbritannien und Gibraltar in Bezug auf den Binnenmarkt als Einheit zu behandeln, um endlich mehr direkte Kontrolle über das Geschäftsgebaren auf dem Felsen zu erhalten. Nicht zuletzt hätte die EU damit auch einen Mindestsatz für die Mehrwertsteuer durchsetzen können, was die fiskalische Belastung für Firmen in Gibraltar schlagartig vervielfacht und damit das Steuerparadies in seinen Grundfesten erschüttert hätte. Trotzdem stimmten die Bewohner Gibraltars beim Brexit-Referendum mit 98 Prozent für den Verbleib in der Union, weil sie auf die vielen Vorteile ihres Sonderstatus nicht verzichten wollten.
Blauäugige Argumente
Seit der Ausstieg des Mutterlandes Tatsache zu werden droht, spekulieren Gibraltars schlitzohrige Politiker und Geschäftsleute auf eine Art «dänisches Modell» mit umgekehrten Vorzeichen: Wie das Mutterland Dänemark nach dem Austritt seiner Kolonie Grönlands aus der EU möchten sie in der Union bleiben. Natürlich mit derselben Narrenfreiheit wie bisher in weitgehend rechtsfreiem Raum ohne allzu direkte Einmischung fremder Aufpasser, worauf sich Brüssel freilich kaum einlassen dürfte.
Trotzdem verfechten auch hierzulande die Gegner des neuen Geldspielgesetzes unbeirrt solche Utopien, ohne freilich wohlweislich das anrüchige Vorbild Gibraltar zu erwähnen. Dass damit nicht nur den schweizerischen Sozialwerken wichtige Einnahmen verloren gehen, sondern auch mafiöse Geschäfte internationaler Verbrechersyndikate und Terrornetzwerke finanziert werden, ficht libertäre Schwadroneure wie den Jungfreisinnigen Andri Silberschmidt nicht an. Unter dem verräterischen Titel «Ein gigantischer Schwarzmarkt» stellt er in der NZZ die Tatsachen auf den Kopf, schwärmt von einem Lizenzmodell für Glückspiel-Veranstalter als Alternative zu den in seinen Kreisen verpönten Netzsperren und zitiert dafür ausgerechnet die angeblich so erfolgreichen Vorbilder Grossbritannien und Spanien!
Dass dank der traditionellen Rivalität der beiden um Gibraltar und der gerade deshalb dort bestehenden Grauzonen digitale Spielhöllen und Geldwaschmaschinen astronomische Gewinne für mafiöse und kriminelle Hintermänner erwirtschaften ohne Behelligung durch Kontrolleure irgendwelcher Obrigkeiten, wird von den ignoranten Neo-Anarchisten rechter Observanz salopp unterschlagen. Mal abgesehen davon, dass sich viele Online-Casinos in Gibraltar hinter britischen Scheinlizenzen verstecken. Wie beim Datenklau von Facebook&Co wird die naive Öffentlichkeit von solchen Internetakrobaten genüsslich verhöhnt und soll solches Gebaren dann bitte gefälligst auch noch mitfinanzieren. Sei’s mit Steuer- und Rentenausfällen oder mit Spieleinsätzen in der Hoffnung auf ein sorgloses Leben, das am Ende dann doch wieder nur die Profiteure solcher Machenschaften führen.
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Zu diesem Artikel von Alexander Gschwind erreichte uns folgender Brief von der staatlichen Informationsagentur von Gibraltar:
«Am 15. Mai veröffentlichten Sie einen Artikel mit dem Titel “Geldspielgesetz: Zocken auf dem Affenfelsen? Im Offshore-Paradies Gibraltar erwirtschaften unzählige Online-Casinos Millionengewinne für mafiöse und kriminelle Hintermänner.“ Wir erlauben uns eine Anzahl von konkreten und pauschalen Behauptungen zurückzuweisen.
Sie behaupten Gibraltar sei die „bevorzugten Operations-Basis der Russenmafia für ihre Machenschaften an der nahen Costa del Sol“, dass „marokkanische Schlepperbanden von dort aus ihren Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel dirigieren“ und dass der „internationale Terrorismus solche „Dienstleistungen“ zu schätzen wisse“. Diese pauschalen und reisserischen Aussagen sind unwahr und können von keinem spanischen, britischen oder INTERPOL Polizeibericht untermauert werden. Solche unbegründete Beschuldigungen konnte man bisher nur in rechtslastigen spanischen Medien wie ABC finden, die nachträglich diese unbegründeten und unbelegbaren Meldungen korrigieren mussten.
Sie behaupten die Ausländerbehörde von Gibraltar stelle „so gut wie jedem Einwanderer ohne grössere Formalitäten“ einen Britischen Pass aus. Diese Aussage ist unwahr. Die Erlangung der Britischen Staatsbürgerschaft in Gibraltar unterliegt den gleichen Bedingungen wie im Vereinigten Königreich.
Die Zahl der Briefkastenfirmen übersteigt nicht, wie Sie schreiben, „Gibraltars Einwohnerzahl [33.000] um ein Vielfaches“ – es gibt (Stand 10. April) 14.221 aktive Gesellschaften in Gibraltar.
Sie meinen dass Gibraltar „nur eine «Inlandsteuer» von gerade mal 1 Prozent (!) auf … Gewinne“ erhebe. Diese Aussage ist falsche. Die Körperschaftssteuer in Gibraltar beläuft sich auf 10%.
Ihre Aussage Grossbritannien habe „wiederholt versucht mittels einer Mehrwertsteuer“ einen Teil der Online Casino Gewinne abzuschöpfen, hätte sich dabei aber „am wütenden Widerstand der ansonsten ja so verhätschelten Untertanen in der Kronkolonie die Zähne ausgebissen“ ist vollkommen falsch. Tatsache ist dass Grossbritannien seit 2014 eine Point of Consumption Tax von 15% auf die Einnahmen von ausländischen Firmen bei britischen Spielern erhebt.
Die Empfehlung des Europäischen Generalstaatsanwalts „Grossbritannien und Gibraltar … als Einheit zu behandeln“ hatte keinen Zusammenhang mit Mehrwertsteuer, wie Sie behaupten. Die EU hat niemals versucht die Mehrwertsteuer in Gibraltar einzusetzen weil für Gibraltar eine absolut rechtmässige und spezifische EU Vertragsausklammerung bezüglich der EU Mehrwertsteuerregeln besteht – eine Eigenschaft die Gibraltar mit den spanischen Territorien Ceuta, Melilla, und den kanarischen Inseln teilt und die man ebenso, unter anderen, auf den finnischen Ålandinseln oder dem deutschen Helgoland vorfindet.
Die Behauptung dass sich „viele Online-Casinos in Gibraltar hinter britischen Scheinlizenzen verstecken“ ist auch völlig verirrt – alle online Spielfirmen werden von der zuständigen Behörde in Gibraltar zugelassen. Im Gegensatz zu anderen Territorien wie Malta und Zypern, sind in Gibraltar nur 30 Firmen zugelassen die allerdings mitunter die grössten und namhaftesten der Branche weltweit umfassen. Die Remote Gambling Behörde in Gibraltar ist seit 1998 als die strengste des Sektors bekannt, führend im Bereich der wirksamen Regelung und Beaufsichtigung.
Die darüber hinaus verwendeten krassen Pauschalbeschreibungen Gibraltars wo „Geldwaschmaschinen astronomische Gewinne für mafiöse und kriminelle Hintermänner erwirtschaften ohne Behelligung durch Kontrolleure irgendwelcher Obrigkeiten“ und „mafiöse Geschäfte internationaler Verbrechersyndikate und Terrornetzwerke finanziert werden“ denn „optimalere Rahmenbedingungen können sich Geldwäscher kaum wünschen„ sind unbelegt, unbegründet, vollkommen falsch und ausserordentlich leichtfertig. Tatsache ist dass Gibraltar als EU Mitgliedsterritorium die gleichen EU- Rechtsvorschriften für die Bekämpfung der Geldwäsche einsetzt wie alle EU Staaten, mit seiner transparenten Finanz- und Steuerstruktur alle EU, OECD, IMF und Moneyval Richtlinien befolgt und aktiv steuerlichen Informationsaustausch unter diesen und FATCA/IGA Mechanismen durchführt. Gibraltar obliegt sehr wohl der EU Übersicht und OECD Kontrolle, die dem Territorium den gleichen Grad von Erfüllung wie Deutschland bescheinigte.»
Infogibraltar
Miguel Vermehren
Director
Nachsatz der Redaktion Infosperber:
Die Redaktion Infosperber.ch hat weder Zeit noch Lust, all diese Angaben der staatlichen Informationsagentur zu überprüfen. Auch wenn es auf 33’000 Einwohner tatsächlich nur 14’000 «Gesellschaften» gäbe (Was genau ist eine «Gesellschaft»?): Auf jeden zweiten Einwohner von Gibraltar eine Gesellschaft sagt eh schon alles (In der Schweiz gibt es, Mikrofirmen inbegriffen, eine Firma pro 13 Einwohner). Und der heute diensttuende Redaktor von Infosperber, Christian Müller, hat einen persönlichen Bekannten, einen Multimillionär, der in Andalusien eine Millionen-Villa hat, die einer «Gesellschaft» auf Gibraltar gehört, die ihrerseits wiederum einer «Gesellschaft» auf der Ile of Man gehört, womit diese Villa – der Eigentümer ist stolz darauf – steuertechnisch gleich über zwei Steuerparadiese abgesichert ist. Aber Gibraltar bzw. seine Informationsagentur soll natürlich das Recht haben, auch ihre Sicht der Dinge hier zu platzieren. Hätte sich die Informationsagentur korrekt an das Schweizer Recht gehalten, hätte sie uns eine Gegendarstellung geschickt. (Red.cm)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Alexander Gschwind war Spanien-Korrespondent bei Schweizer Radio DRS (heute SRF). Er ist Autor des Buches «Diesseits und jenseits von Gibraltar». Wer sich für die Länder Spanien, Portugal, Marokko, Algerien oder Tunesien interessiert, findet in diesem Buch viel Hintergrundwissen.
Ich bin ganz klar gegen Netzsperren und zwar aus Prinzip. Es muss andere Wege geben Glücksspiel Geschäfte zu regulieren. Es fängt an mit einer Netzsperre von Online Casino und könnte ganz schnell darin enden Seiten wie Infosperber oder corbettreport zu sperren.