«Die Welt leidet an der Schweiz»
Red. Wir veröffentlichen hier einen Vortrag, den Mark Pieth, Professor für Strafrecht an der Universität Basel, am 31. Oktober in der Universität Zürich gehalten hatte.*
1. Zum Selbstverständnis der Schweiz
Wir sind zu Recht stolz auf unser Land: Es ist eine der ältesten Demokratien der Welt und bekanntlich beschränken wir uns nicht darauf, unsere Repräsentanten zu wählen. Die Bürger (und inzwischen auch die Bürgerinnen) nehmen am politischen Prozess teil: Wir äussern uns in regelmässigen Abständen zu Sachthemen.
Eng verbunden mit der Organisation unseres Staates von unten nach oben und mit der Verantwortungsübernahme der Bürgerschaft ist ein ausgeprägtes Sicherheitsgefühl im Alltag. Sie kennen im Übrigen die Kommentare von ausländischen Besuchern zur Zuverlässigkeit unserer Verkehrsbetriebe, unserer Schulen und des Gesundheitswesens. Immer wieder ist auch die Rede von der Sauberkeit. Auch wenn nicht alles zum Nennwert zu nehmen ist, macht es einen wesentlichen Anteil der Lebensqualität aus, für die wir bekannt sind.
Nicht zufällig figuriert die Schweiz ganz oben in diversen internationalen Ratings und Rankings, angefangen bei der Bonität, aber auch als Standort für multinationale Unternehmen überhaupt, für Kreativität und eben für Lebensstandard.
2. Der Piratenhafen
Soweit die guten Nachrichten. Machen wir uns nichts vor. Die Schweiz ist zugleich auch einer der Standorte von Unternehmen, von denen erhebliche Risiken ausgehen. Wenn man es etwas scharf sagt, dann kontrastiert das positive Selbstverständnis der Schweiz, das ich eben skizziert habe, mit der Tatsache, dass wir ein Land sind, an dem die Welt leidet.
Die Themen sind bekannt.
Wir beherbergen einen Finanzplatz, der, zumal im Segment «private banking», ca. ein Viertel bis ein Drittel des Weltmarktes beherrscht. Darauf können wir stolz sein, aber wir müssen uns – spätestens nach den Panama Papers – darüber im Klaren sein, dass dieser Finanzplatz, mit allen Professionen, die dazu gehören (ich denke gerade auch an Treuhänder und Anwälte), zugleich auch die Eingangspforte zur Unterwelt ist, zur «shadow economy».
Das Erste, was Joseph Stiglitz und mir bei unserer Arbeit in Panama gesagt wurde, ist, dass sie das alles von der Schweiz gelernt hätten. Und tatsächlich gibt es Tausende von Sitzgesellschaften allein bei Mossack Fonseca, die von Schweizer Anwälten und Privatbanken gekauft und eingerichtet worden sind.
Hinter diesen Sitzgesellschaften aber, Sie wissen es, verbirgt sich eine Vielzahl von Staatsmännern, die ihre Länder ausgeplündert haben, Sie finden Drogenbarone oder Menschenhändler (einschliesslich die Chefs von Kinderprostitutionsringen) und Sie finden Kriegsverbrecher. Es muss gesagt sein: Schweizer Banken haben sich im Übrigen auch an der Finanzierung von Waffenhandel mit Krisenstaaten beteiligt.
Szenenwechsel: Wenn Sie sich für Korruption interessieren, finden Sie in Schweizer Strafverfahren viele illustre Namen von westlichen multinationalen Unternehmen (von Siemens über ABB, Alstom, Odebrecht, Braskem), von Staatsfonds wie 1MDB und von den Banken, die ihnen dabei behilflich waren.
Nochmals in eine andere Richtung geht die Schweiz als Hub weltweiter Rohstoffmärkte. Bekanntlich sind wir bei vielen Rohstoffen inzwischen der bedeutendste Handelsplatz der Welt. Die betreffenden Unternehmen haben allerdings Mühe mit der Kritik, die ihnen von NGOs entgegenschlägt. Dabei übersehen sie aber die Vielzahl der Problemfelder, die mit Rohstoffen verbunden sind.
Bei den sogenannten weichen Rohstoffen (insbesondere Nahrungsmitteln) ist die Spekulation eines der Hauptprobleme.
Demgegenüber werden harte Rohstoffe oftmals in schwachen, unterregulierten Staaten oder gar in Kriegszonen gewonnen. Das Spektrum der Probleme reicht von Kriegsverbrechen, Umweltproblemen bis hin zur Kinderarbeit. Zudem ist der Rohstoffhandel oftmals mit Steueroptimierung oder Steuerhinterziehung verbunden, so dass die Steuern nicht dort bezahlt werden, wo die sozialen Kosten anfallen.
Ein Segment aus diesem Themenbereich sorgt immer wieder für Schlagzeilen: Ich spreche vom Goldhandel.
Professor Mark Pieth
3. Die «Gold-Wäsche»
Es ist Ihnen bekannt, dass weltweit ein erheblicher Teil des Goldes nicht maschinell, sondern quasi von Hand (man nennt es artisanal) abgebaut wird. Dabei kommen unterschiedliche Techniken zur Anwendung: Zum einen die Zertrümmerung von Gestein und Amalgamierung des Goldes mit Quecksilber, das anschliessend mit Lötlampen abgedampft wird und giftige Wolken freisetzt. Diese Technik rivalisiert mit dem Schürfen oder Sieben von alluvialen Sedimenten. Auch hier kommt es vielfach zu hoher Umweltbelastung.
Die Arbeit ist typischerweise enorm gefährlich (ich denke an Taucher in Flüssen in Ostkongo) und wird zudem vielfach von Kindern verrichtet. In den Minen von Burkina Faso sollen 30-50 Prozent der Arbeitenden Kinder sein; ebenso wird in den Philippinen in Unterwasserkavernen Gold von Kindern mit Kompressormasken abgebaut; weltweit wird die Anzahl der Kinder in Goldminen auf eine Million geschätzt. Die Bedingungen sind unterschiedlich. Sie reichen von der Unterstützung der verarmten Familie bis hin zur Sklavenarbeit.
Das problematischste Segment des Goldabbaus ist das sogenannte «Konfliktgold»: Bewaffnete Banden besteuern Mineure, um anschliessend Waffen zu kaufen oder sie zwingen Minenarbeiter mit Waffengewalt, darunter auch Kinder, in den Minen für sie zu arbeiten. Im Ostkongo sind Goldminen Gegenstand kriegerischer Auseinandersetzungen, regelrechter Plünderungen durch bewaffnete Banden und schwerster Menschenrechtsverletzungen.
Was hat das alles mit der Schweiz zu tun?
Problemgold ist unverkäuflich, solange es die Spuren der Herkunft trägt. In der Schweiz (in sechs Unternehmen) werden 70 Prozent des Goldes der Welt raffiniert. Gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten UAE, mit denen die Schweizer Unternehmen enge Beziehungen unterhalten.
Die «Gold-Wäsche» ist die Grundbedingung, dass das Gold den «good delivery» Status des «London Bullion Market Exchange» erhält. Er ist Voraussetzung, dass das Gold weltweit an Nationalbanken, Anleger, Uhrenfabriken und Juweliere verkauft werden kann. Kurz: Die Raffinerien, zumal in der Schweiz, sind die Schnittstelle zwischen Herstellung und Verwendung und alles hängt davon ab, ob die Raffineure die Herkunft seriös abklären. Ihre Compliance-Texte und die CSR-Broschüren versprechen es.
Schwer nachzuvollziehen es unter diesen Umständen, weshalb Schweizer Raffinierien um 2003 nachweislich mehrere Tonnen Blutgold aus dem Bürgerkrieg von Ostkongo angenommen haben, dass die noch immer neben legalem auch grosse Mengen illegalen Goldes aus Peru beziehen, dass sie das Produkt von Sklavenarbeit aus Eritrea raffinieren, und dass sie nachweislich Gold aus Kinderarbeit entgegennehmen.
4. Fair Trade
Es geht mir hier nicht darum, zu skandalisieren. Allerdings müssen wir uns der Risiken der Unternehmen bewusst sein, denen wir in unserem Land Aufnahme bieten.
Die Frage ist aus meiner Sicht eher, wie wir die Diskrepanz von Selbstverständnis der Schweiz und Aussenwahrnehmung unseres Landes unter einen Hut bringen können. Um es deutlich zu sagen: Schweizerinnen und Schweizer wollen nicht Bürgerinnen und Bürger eines Piratenhafens sein: Wir sind nicht Tortuga aus den «Pirates of the Caribbean»!
Anhand des Goldbeispiels sind wir bereits auf entscheidende Punkte hingewiesen worden. Corporate Social Responsibility (CSR) mag «soft», ja sehr «soft» klingen; aber es ist wichtig, dass sich Unternehmen eine ethische Geschäftsbasis geben.
Compliance ist eine Stufe konkreter und mindestens so relevant.
Vielfach beruht die Unternehmensethik auf internationalen Grundlagen. Zu erwähnen sind etwa die «OECD Guidelines for Multinationals» und die «UN Guiding Principles». Bedeutsam an diesen Texten ist, dass sie die Verantwortung im Konzern für Tochterunternehmen statuieren. Allerdings bleiben auch sie «Soft Law».
Im Rahmen einzelner Branchen gibt es sodann internationale öffentlich-rechtliche Standards. Bezüglich Gold verweise ich auf die OECD «Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas» und das dazu entwickelte «Gold Supplement».
Daneben gibt es seine Vielzahl von internationalen Branchenvereinbarungen, Standards und Zertifizierungssystemen. Warum sind sie wichtig? Naja, wollen Sie einen Ehering kaufen, der zu 25 Prozent aus von Kindern in Burkina Faso geschürftem Gold besteht?
5. «Soft Law» und «Hard Law»
Aufgrund meiner Erfahrungen mit der Regulierung von Problemfeldern wie Geldwäscherei und Korruption habe ich viel Verständnis für «Soft Law». Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass aufgrund von 25 Jahren im Business der internationalen Regulierung «Soft Law» alleine nicht reicht. Als Mitbegründer der «Wolfsberg-Gruppe» der Branchenvereinbarung von zwölf der weltgrössten Banken gegen die Geldwäsche, irritiert es mich nach wie vor, dass viele der Mitglieder dieser Gruppe immer wieder bei Compliance Breakdowns und gar bei vorsätzlicher Geldwäscherei erwischt werden. Ähnliches liesse sich über multinationale Unternehmen der Exportwirtschaft und das Problem der Auslandskorruption sagen.
Was funktioniert, ist die sogenannte Co-Regulierung: Staatliche Regeln kombiniert mit Branchenrichtlinien.
Zurück zum Gold:
Es gibt Fälle, in denen die Lieferkette von Völkermördern und Sklavenhaltern lückenlos zu Schweizer Raffinerien hat belegt werden können. Es ist fundamental, dass unser Strafgesetzbuch den Völkermord, die Plünderung als Kriegsverbrechen und die Verdingung als Kindersoldaten unter Strafe stellt. Hier ist kein Platz für «Soft Law».
6. Strafrechtliche Defizite
Aus strafrechtlicher Sicht kommen noch zwei Überlegungen hinzu:
Solange die Chefetage der Goldraffinerie sich nicht wirklich um die Lieferkette kümmern muss, riskiert sie nach geltender Praxis in der Schweiz nicht viel: Die Bundesanwaltschaft scheint im Wirtschaftsstrafrecht einen anspruchsvolleren Begriff des Vorsatzes als beispielsweise gegenüber Autorasern anzuwenden. So wurde von der Bundesanwaltschaft 2015 ein Verfahren gegen eine der grossen Schweizer Goldraffinerien eingestellt, obwohl die Lieferkette aus Kriegsverbrechen hat lückenlos nachgewiesen werden können.
Noch etwas: Die strafrechtliche Haftung des Unternehmens beschränkt sich in der ernstzunehmenden starken Form auf Bereiche, in denen wir aufgrund internationaler Verpflichtung dazu absolut gezwungen sind.
Dagegen können Sie die Unternehmenshaftung bei Tötung, Körperverletzung, sexuellen Übergriffen, Umweltdelikten, Menschenrechtsverletzungen usw. (nach Art. 102 Abs. 1 StGB) vergessen: Sie greift nur subsidiär, wenn die Tat wegen der mangelhaften Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Diese Anforderungen sind kaum zu erfüllen. Wenn Sie genau zugehört haben, haben Sie es gemerkt: Es geht nicht allein darum, dass keine natürliche Person haftet, sondern dass gerade wegen der Desorganisation des Unternehmens kein Individuum haftet.
Aus Sicht des Strafrechtlers ist unsere Rechtsordnung daher gerade bei schweren Menschenrechtsverletzungen und groben Umweltdelikten – sei es bei uns oder durch abhängige ausländische Unternehmen – defizitär. Hier besteht Bedarf nach Nachbesserung: Das Gesetz über die strafrechtliche Unternehmenshaftung muss dringend revidiert werden.
Schliesslich wollten wir doch nicht «Tortuga» sein.
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*Diesen Vortrag hat Professor Mark Pieth am 31. Oktober 2017 an der Universität Zürich gehalten. Eingeladen hatten die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik und das Europa Institut an der Universität Zürich.
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- Eine Besprechung des Vortrags von Mark Pieth und der anschliessenden Diskussion an der Universität Zürich finden Sie hier.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Professor Mark Pieth ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Basel.
Ist leider nur allzu wahr.
In den 70er Jahren stiegen die Steuereinnahmen der Privatbanken (lies Steuer-Freihäfen) massiv an und niemand wunderte sich.
In den letzten 10-Jahren stieg der internationale Handel mit Gold, Blutprodukten und anderen pharmazeutischen Produkten massiv an und niemand wundert sich.
Der Diamanten- und überige Edelsteinhandel scheint sich auch in diser Richtung zu entwickeln.
Die prosaischeren Rohstoffe haben ja ebenfalls hier eine schön abgeschirmte Drehscheibe gefunden. Danke für die schöne Darstellung in diesem Beitrag.
Immerhin hat bei uns nie jemand etwas von Tortuga gehört, selbst wenn der schwarze Sklavenkopf (nicht aus Schokolade) in diversen Gemeinde- und Familienwappen erscheint und offenbar konkreten historischen Ursprungs ist.
Meinen ganz grossen Respekt, Herr Prof. Pieth für diesen Vortrag. Echt. Nur:
– Ich möchte schon lange nicht nur öffentlich machen, sondern diese verdammte Schweizer Haltung überwinden.
– Ich wüsste auch, wie wir für die Schweiz eine wirtschaftlich mindestens ebenso komfortable Situation erreichen könnten, ganz ohne diese ‹Mauscheleien›: Per ‹immer-während neutrale Schweiz› (von der UNO offiziell anerkannt) + per Anbieten unserer ‹Guten Dienste› für alle Händel dieser Welt.
Umgekehrt möchte ich, dass sich die Schweiz dann raushält aus allen ‹Sanktionen der Willigen›, weil das unvereinbar ist mit dem Status einer ‹immer-während neutralen Schweiz›. Und ich schwöre: Dann brauchen wir uns nicht mehr an die USA anzulehnen, dann erhalten wir einen privilegierten Zugang zu den Märkten aller UNO-Staaten, und das auf Vertrauensbasis, nicht mehr unter de Schirmherrschaft solcher Partner wie den USA …
Vielen Dank für den Beitrag. Ich habe schon bei meiner Hochzeit vor 20 Jahren geahnt, dass Gold nicht «sauber» ist, und mir einen Ehering aus Silber machen lassen (ich hoffe, dass ist weniger schlimm). Leider brauchen wir viel Gold bei den Kontakten von elektronischen Geräten. Nicht nur deshalb kaufe ich auch keine neuen mehr, sondern höchstens im Brockenhaus.
Aber das sind nur hilflose Symbole gegen die Rohstoff-Schweiz, die selber keine hat, dafür von denjenigen anderer profitiert. Zum Glück sieht es so aus, als ob wir einmal über die Konzernverantwortungsinitiative abstimmen könnten, oder wenigstens einem griffigen Gegenvorschlag, damit man sich ein bisschen weniger schämen muss.
Wer sich fragt, wie es zur ‹Tortuga-Schweiz› kommen konnte, den kann ich nicht genug an die Gesetz-gebende Tätigkeit jener Parteien in Bundesbern erinnern, welche heute den Namen ‹Schulterschluss-Parteien› tragen: SVP + FDP + rechte CVP. Das fing bereits vor 40 Jahren + mehr an, das stammt nicht erst von gestern.
– Heute besteht ihr Steckenpferd im Sozialabbau, im De-Solidarisieren unserer Gesellschaft. Das ist für mich eine katastrophale Wende in der politischen Tätigkeit unserer Regierungsparteien.
– Früher bestand ihre desaströse Tätigkeit darin, bewusst Löcher in Gesetze mit schön klingende Namen einzufügen, welche diese verdammten Schweinereien gemäss dem Vortrag von Prof. Pieth erst ermöglichen. Kurzliste: (Ich führe auch eine Langliste, welche 2015 zum Bruch mit der FDP-Parteileitung führte.)
— Löcher in der Steuergesetzgebung
— Löcher in der Wirtschaftsgesetzgebung
— Löcher in der Korruptionsgesetzgebung
— Löcher in der Anwendbarkeit unserer Gesetze für die Tätigkeit im Ausland
– Und wichtig zu erkennen:
— Damals, bei Einführung dieser Löcher, war nicht die SVP (damals BGB) federführend. Damals waren es FDP + CVP in ihrer Blütezeit welche dieses ihr gemeinsames Kind zusammen schaukelten.
— Heute ist es das verbindende ideologische Glied dieser 3 Parteien, die neo-liberale (auf Gruppeninteressen ausgerichtete) Ideologie von FDP + rechter CVP, welche sich mit der ebenso neo-liberalen Ideologie der Blocher-Boys (übrigens nicht identisch mit der SVP-Basis) paart.
«Die Welt leidet an der Schweiz». Sehr gut gesagt von Mark Pieth. Aber so wie die Erde am Homo Sapiens leidet und dieser einmal/bald „vorübergeht“, arbeitet auch die Schweiz erfolgreich an ihrer „Endlichkeit“