Kommentar
CEO von Philip Morris tadelt Schweizer Politik
Red. Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.
Am 23. Januar lud Philip Morris (PM) am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos Medienleute aus der ganzen Welt zur Konferenz «Unsmoke your mind. – Pragmatische Antworten zu komplexen Fragen einer rauchfreien Zukunft». Beim Anlass ging es darum, die Beziehungen der Gesellschaft zum Rauchen zu beschreiben und aufzuzeigen. Offensichtlich lässt der Tabakkonzern nichts unversucht, um die Öffentlichkeit von seiner unwahrscheinlichen Wandlung (1) zu überzeugen, wonach er mit seinen Produkten eine rauchfreie Zukunft anstrebe.
Philip Morris zeigt sich unglücklich über Behörden von Ländern, mit denen man «kein ernsthaftes Gespräch» führen könne, weil die Angesprochenen mit «intellektueller Trägheit» antworten würden. Fragen und Bemerkungen nach dem desaströsen Ruf seiner Firma, der vor allem durch die systematische Irreführung der Öffentlichkeit zustande kommt, weicht PM-CEO André Calantzopoulos aus. Stattdessen weist er auf die neueren Produkte hin: «Wir haben die Wissenschaft auf unserer Seite» während «unsere Gegner die Strategie (verfolgen), Verwirrung zu stiften» (2). Es sei an der Zeit, endlich damit aufzuhören – «ein erwachsener Dialog» sei angebracht.
Getreu dieser Argumentation sieht Calantzopoulos nicht etwa die Todesfälle durch E-Zigaretten, sondern die Verwirrungsstrategie der Gegnerinnen und Gegner als Grund für die rückläufigen Verkaufszahlen der neuen «reduced risk products». Diese legten im Oktober 2019 zwar noch um 14 Prozent zu, davor hatte der Konzern bei den Verkaufszahlen aber ein Wachstum von 70 Prozent verzeichnet. In einem derart angsteinflössenden Klima würden Raucher dazu verdammt weiter zu rauchen, obwohl Alternativen existieren würden (3). Das sei aber möglicherweise von den NGO’s beabsichtigt, die dadurch eine grundlegende «Wandlung wie die unsere», nicht ins Auge fassen müssten. Die beste Verteidigung ist noch immer der Frontalangriff.
Schweiz soll stolz auf Philip Morris sein
Über den im Sommer 2019 geplatzten Sponsoringvertrag zwischen PMI und dem Departement von Bundesrat Ignazio Cassis an der Weltausstellung in Dubai will Calantzopoulos erstmals durch Zeitungen erfahren haben. Die Angelegenheit illustriere, dass «gewissen Politikern der Mut fehle» (4). Apathisch oder ängstlich würden sie die offene Diskussion zu Tabakalternativen meiden. Nur «weil drei oder vier NGO’s aufschreien, ziehen sie ihre Aussage zurück. Finden Sie das mutig?», fragt er in die Runde. Dennoch sei die Schweiz das «Zentrum unserer Aktivität», in das die Firma investiere. «Unser IQOS ist eine schweizerische Innovation, die heute von Millionen Menschen in der ganzen Welt konsumiert wird. Das Land könnte stolz darauf sein!».
Gemäss Calantzopoulos sollen die neueren Produkte per Ende des letzten Jahres 19 Prozent des Gewinns ausgemacht haben, das sind acht Prozent mehr, als noch im Jahr 2018. Zwar mache man Fortschritte «wenn auch nicht so rasch, wie ich es mir wünschte.» Das Problem seien die Regierungen, die ihre «Gesetzgebung nicht den neuen Produkten angepasst» haben.
Es ist kaum zu übersehen, dass das Weissbuch (5), das an der Veranstaltung präsentiert wurde, sowie die internationale Pressekonferenz und die Interviews vordergründig die angeblich ernsthafte Wandlung von PM darstellen sollen. So gibt sich PM dank seinen angeblich unschädlichen Rauchersatzprodukten bereits seit einiger Zeit als Partner der öffentlichen Gesundheit aus. Produkte, die im Übrigen in der Schweiz sehr gewinnträchtig sind, da sie der Tabaksteuer entgehen (6).
Perfekt inszenierte PR-Aktion
Die eigentlichen Adressaten der Kommunikationsstrategie sind somit offensichtlich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier: In der kommenden Sitzung der nationalrätlichen Gesundheitskommission vom 21. Februar werden sie über die Besteuerung der Tabak- und Nikotinprodukte zu befinden haben. Nach 15 Jahren verweigerter FCTC-Ratifizierung werden sie in dieser Legislatur endlich mit dem Tabakproduktegesetz (TaPG) Tabak- und Nikotinprodukte gesetzlich regeln und Werbeverbote beschliessen. Oder auch nicht.
Auf den Jugendschutz ohne Werbeverbote ging Calantzopoulos nicht ein. Und auch nicht darauf, dass sein neues Geschäftsmodell der Schadensreduktion für aufhörwillige Raucher nicht ehrlich gemeint sein kann. Denn ohne Neu-Rekrutierung von (jungen) Nikotinsüchtigen durch Werbung kann dieser Markt auf Dauer nicht bestehen.
Die aufmerksame Schweizerin und der aufmerksame Schweizer muss erneut darüber staunen, wie es der Tabakindustrie – nach der offiziellen Absage als Hauptsponsor in Dubai – dank genügend einflussreichen Verbündeten im Land, mit der prominenten Show am WEF einmal mehr gelang, eine perfekte PR-Aktion zu inszenieren.
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Quellen/Faktencheck:
1. R.M. Kaelin : Lügen : «Juul», Cannabis und die Stiftung für eine rauchfreie Welt. SAeZ 2019;100(10):350-352.
2. Eidgenössische Kommission für Tabakprävention (EKTP): Praktiken der Tabakindustrie zur Einflussnahme auf die Schweizer Gesundheitspolitik. Eine Übersicht. November 2019. Der Bericht beschreibt die Strategien der Tabakindustrie, u. a. das Stiften von Zweifel und Verwirrung.
3. Zur Unterstellung, die Tabakzigarette sei für PMI Auslaufprodukt: «….. further demonstrating our ability to maintain combustible tobacco leadership internationally, as evidenced by Marlboro’s full year cigarette share of 10 % – an all time high» . PMI Inc. Reports 2019. Fourth Quarter and Full Year Results. February 6. 2020
4. Gogniat V. : «Certains politiciens manquent de courage». Le Temps. 25.01.2020.
5. Der Bericht «Unsmoke Your Mind : Pragmatic Answers to Tough Questions for a Smoke-Free Future» wird dargestellt als Resultat einer «unabhängigen Umfrage», mit der die Firma Povvado LLC. St. Louis Missouri, beauftragt worden war. Sie soll 17’251 Erwachsene im Alter von 21-74 Jahren befragt haben. Die genannte Firma ist nach eigenen Angaben «an issue management firm, spezializing in strategic research and communication design.» Dass sie diese Untersuchung in 14 Ländern mit 10 Sprachen in der angegebenen Zeit vom 4.-19. Dezember 2019 durchgeführt hat, erscheint zweifelhaft.
6. Ruth Humbel (CVP/AG) im Nationalrat, 29.Sept.2017 : «Warum werden Heat-but-not-burn-Produkte nicht als das besteuert, was sie sind, nämlich als Zigaretten?»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Arzt Rainer M. Kaelin ist Internist und Pneumologe.