Kommentar

kontertext: Radioprogramme – verdünnt und weichgespült

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Am Beispiel der Zusammenführung von «Doppelpunkt» auf SRF 1 und «Input» auf SRF 3.

Im Frühjahr wurden die Redaktionen der Wortsendungen «Input» und «Focus» von SRF 3 mit derjenigen von «Doppelpunkt» auf SRF 1 in eine sogenannten Co-Redaktion zusammengelegt. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass die drei Sendegefässe eine lange Geschichte und Tradition haben. «Input» war das Flaggschiff der Wortsendungen auf dem dritten Programm, eine wichtige Ergänzung zu den thematischen Musiksendungen. Ehemals dauerte die Sendung zwei Stunden und konnte damit auch brisante Themen weit gefächert ausbreiten. Nach einem heftigen Kampf um den Erhalt der Sendung und nicht zuletzt um die Existenz des dritten Senders, wurde «Input» auf eine Stunde reduziert. «Focus», ein einstündiges Gespräch mit einer interessanten Person, ist eine wichtige Ergänzung dazu. Sie wird jeweils am Montagabend – also einen Tag später als «Input» – ausgestrahlt. Das Sendegefäss «Doppelpunkt» ist noch viel älter. Ursprünglich wurde es von DRS 2 hergestellt, dauerte ebenfalls zwei Stunden und wurde als Zweitsendung auch vom ersten Sender übernommen, später wechselte die Sendung ins erste Programm und wurde auf eine Stunde gekürzt. «Doppelpunkt» setzte dabei vermehrt auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen, während «Input» die Vielfalt aller möglichen gesellschaftlichen Themen beibehielt.

Soweit also die Geschichte. Dass diese Sendegefässe ein so langes Leben haben, ist mit ihrem thematischen Schwergewicht und der Beliebtheit beim Publikum zu erklären. Aber selbstredend bleibt die Geschichte nicht stehen und die Bedürfnisse verändern sich. So gibt es auch keinen Anlass, die neueste Wandlung zu kritisieren. Und selbst eine senderübergreifende Zusammenarbeit könnte durchaus eine Chance bieten, wenn die Kapazitäten damit erweitert würden. Das heisst, wenn sich die Qualität steigert.

Mehr Privates und mehr Pseudopsychologie

Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Es hat eine drastische Verflachung stattgefunden; sie betraf die Sendung «Focus» weit weniger, obwohl die Verschiebung bei der Auswahl der Porträtierten deutlich zu spüren war. Da wurde der Focus vermehrt auf Sportler und andere Prominente verlegt. Doch dank einer guten Auswahl und der persönlichen Ausstrahlung der Gesprächspartner wurde das Niveau der Sendungen hochgehalten. Anders bei den beiden anderen Partnern – dem «Input» und dem «Doppelpunkt». Hier war eine massive Veränderung spürbar, die vor allem weg von den allgemeinen gesellschaftskritischen und gesellschaftspolitischen Themen zu psychologisierenden Inhalten stattfand.
Da gibt es etwa eine Sendung, die fragt, wie sich Sterben anfühlt oder wie sich das Menschen vorstellen. Dort geht es um Scheidungskinder und um die Beziehungen der Kinder zu ihren Stiefvätern. Nicht dass solche Themen wichtig sein können, die Bearbeitung jedoch war immer auf die individualisierten Geschichten gerichtet; Erklärungen dazu gaben mehr oder weniger ausgewiesene Experten ab. Meistens artete es in eine Art Lebenshilfe aus, die Ratgeber in Zeitschriften oft nüchterner und besser machen.
Daneben waren auch ein paar vermeintliche Tabubrüche angesagt, etwa in der Sendung über den Anus – oder den After, der in der Umgangssprache meistens mit derberen Worten bezeichnet wird. Oder eine Sendung zu Seitensprüngen in Beziehungen. Meistens angereichert mit ein wenig Sex oder persönlichen Erlebnissen aus dem Innersten, die den Zuhörer zum Voyeur machen. Besonders fragwürdig war die Sendung über Depressionen, bei der ein selbsternannter Therapeut seine persönlichen Erfahrungen ausbreiten und vor allem sich selbst darstellen konnte. Keine hilfreiche Sache.
Zum traurigen Höhepunkt wurde vor Kurzem die Sendung zu den Schwiegermüttern. Wer glaubte, dieses von stereotypen, abgeschmackten Sprüchen umrankte Thema sei sogar an Männerstammtischen im Aussterben begriffen, sah sich getäuscht. Nur waren diesmal die Rollen vertauscht. Es waren die Frauen, die ihre Schwiegermütter mit Spott und Häme eindeckten. Sie durften es in der Sendung gleich reihenweise anonym tun. Das ist ein journalistischer Missgriff, denn geschützt darf nur werden, wer wirklich bedroht ist, und keineswegs jene, die nicht zu ihrer Aussage stehen möchten. Der Ausgangspunkt zu dieser Sendung war übrigens ein Buch einer deutschen «Beziehungsexpertin», die 2008 ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat und in der Sendung ausführlich zu Worte kam. Sie sparte nicht mit Vergleichen aus der Tierwelt, mal waren die Schwiegermütter zugeklemmte Austern, dann Klammeräffchen oder gar Meckerziegen. Sie verwechselte das offenbar mit Humor.

Versöhnlicher hätte die letzte in diesem Jahr ausgestrahlte Sendung stimmen können, die sich mit den «Stillen» in der Gesellschaft befasste, jenen, die sich nicht ständig mitteilen wollen und oft lieber alleine sind. Hier hätte es in der Tat Ansätze zu einer Analyse des mittlerweile üblichen Zwangs zu lauter Selbstinszenierung gegeben. Leider wurde auch diese Chance verpasst und es blieb beim Werben um Verständnis für die ach so anders gearteten Mitmenschen. Ähnlich oberflächlich fiel auch jene Sendung über Arbeitslose aus, die nach einer Krankheit oder einer persönlichen Krise trotz aller Bemühungen keine Arbeit mehr finden. Auch hier wurde auf ein Einzelschicksal fokussiert und es gab weder grundsätzliche Fragen zu einer Gesellschaft, die Menschen auf diese Weise ausschliesst, noch darüber, was allenfalls zu ändern wäre.

HörerInnen für dumm verkauft?

Das Ziel dieser beiden grossen Wortsendungen wäre es nach wie vor, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, sie möglichst breit zu beleuchten und sie zur Debatte zu stellen. Das ist bis vor Kurzem beiden gelungen – der einen in der breiten Ausfächerung, der andern eher im handfesten aktuellen Bezug. Zu beobachten ist jedoch, dass die Sendungen neuerdings einen gesellschaftskritischen Ansatz ängstlich vermeiden und sich mehr in die Darstellung der privaten Meinungen und persönlicher Befindlichkeiten flüchten – analog zum Austausch in den sozialen Medien.

Und damit wären wir beim wunden Punkt angelangt: Offenbar ist die Konkurrenzangst vor den sozialen Medien die treibende Kraft bei den Programmverantwortlichen von SRF. Sie setzen darauf, finanzielle und personelle Mittel auf die Digitalisierung umzupolen für zusätzliche Angebote im Netz (Podcasts, Video- und Audioangebote), die mehrfach verwertet werden können und den Eindruck von Omnipräsenz erwecken, obwohl doch allen klar ist, dass ein lineares Radioprogramm noch immer das Rückgrat des öffentlichen Rundfunks ist und es auch bleiben wird.
Wenn jetzt finanzielle Ressourcen von diesen Sendungen abgezogen werden, respektive die Vielfachverwertung mehr personelle Ressourcen verschlingt und die Programmschaffenden viel mehr zeitraubende digitale Arbeit leisten müssen, dann fehlt die Zeit anderswo für das Wichtigste: für die Qualität. Zwangsläufig zieht das eine Verflachung und Nivellierung der Inhalte nach sich. Gleichzeitig findet auch eine Verdünnung des Programms statt, weil man hofft, mit den oft über Tage hingezogenen Mehrfachverwertungen und Wiederholungen im Programm einen Teil der Mittel wieder einsparen zu können. So fehlt der Platz für andere Inhalte. Mit der Zeit werden sich alle betrogen fühlen, in diesem Falle die anspruchsvollen HörerInnen von «Input». Sie werden sich früher oder später abwenden. Und die ebenso anspruchsvollen «Doppelpunkt»-HörerInnen, die sich gerne mit gesellschaftspolitischer Aktualität befassen. Sie werden hier für dumm verkauft. Das hat für das öffentliche Radio längerfristig Konsequenzen.
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  • Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

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    3 Meinungen

    • am 7.01.2020 um 12:42 Uhr
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      Wenn ich mir noch einmal vergegenwärtige, wie mutig und frech damals der dritte Kanal in der Deutschweiz angefangen hat, dann weiss ich heute als wie weniger, warum ich meine Aufmerksamkeit auf etwas lenken soll, dass so vorsehbar und dumm vor sich hinplappert, dass ich nur noch angewidert den Apparat abdrehe. Die Verseichtung, die Ausdünnung, das Absinken – nicht nur der Radioprogramme! – beklage ja nicht nur ich. Manchmal bekomme ich was zugesendet mit der Empfehlung es mir anzuhören, aber dann ist es meist eine Sendung, die für einen deutschen Sender produziert wurde. Und selbst dort drüben wird einem selten noch was anderes als Dummheit zugemutet. Das mag elitär tönen, aber es geht ja nicht nur mir so, dass man sich fragen tut, warum das Leben eigentlich viel spannenderes anzubieten hat, wenn man selbst hingeht und es anschaut. Die Politik des Radios folge dem Zeitgeist, bilde ihn also ab – doch was ist dieser Zeitgeist? Da meint man in Zeiten von zerbröckelnden Gesellschaftskitt mit häppchenartiger Zerstückelung Mainstream zu produzieren und merkt nicht wie weit weg man vom eigentlichen ist: beobachten und dann berichten, was da war. Aber das geht nicht mehr, denn der Blick des Beobachters soll ja auch mitreflektiert sein! Denn eine Zumutung soll vermieden werden, doch genau das sollte Radio wieder werden: eine Aufforderung, anderes anders zu sehen. Doch heute sind die Medien nur noch Meinungsmanagement und sollen die freie Meinungsbildung verhindern.

    • am 8.01.2020 um 03:10 Uhr
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      Sehr schön geschrieben und auf den Punkt gebracht. In Ergänzung auch mit Blick auf Herr Hagenbachs Kommentar möchte ich zu bedenken geben, dass das «freche, frische, jugendliche» das einst auch DRS3 beseelte heute ganz einfach auf Youtube und tiktok zu finden ist – und bei weitem nicht unpolitisch, wie oft unterstellt wird. Wenn ein SRF versucht, die neuen Medien in vulgären «Schockern» zu überbieten, dann verspielt es m.E. wirklich jegliche Daseinsberechtigung. Was Youtubern und tiktokern nicht möglich ist, ist der Zugriff auf ein weitreichendes Netz an Korrespondenten und Experten, sowie die Autorität eines nationalen Senders im Rücken bei der Anfrage an Interviewpartner. Daher erwarte ich von SRF auch Sendungen von Gehalt, die eben nicht auf Quoten schielen müssen, da sie ja bewusst staatlich finanziert werden.
      Besonders ärgerlich wird es, wenn ausgerechnet selber recherchierte Textsendungen gekürzt und gestrichen werden, angeblich aus Budget-Gründen. Kostet ein Jahr Kontext doch zweifellos weniger als auch nur ein Spiel der Fussball WM oder Champions League. Dass man den Lokalsport fördert mit Übertragungsrechten, die ausser SRF gar niemand kaufen würde finde ich OK. Aber diese Mega-Events könnten von jenen bezahlt werden, die sie sehen möchten. Mit Public Viewing der SRF Übertragung wird ja genug Geld gemacht, um SRF zusätzliche Gebühren zu finanzieren.

    • am 13.01.2020 um 13:50 Uhr
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      Danke Frau Stibler für die informative und sachliche Darstellung der Weichspüler-Politik bei Radio SRF. Doch hat das «Weglassen» und «Umstrukturieren» bei unseren nationalen Radiosendern SRF1 und SRF2 längst System! Die Sendung KONTEXT hat schleichend «Federn gelassen» – sie ist längst nur noch glanzloser Abklatsch. Da waren bis vor wenigen Jahren häufig hochinteressante politische Diskussionen und Analysen zu hören, die längst «wegzensuriert» sind, weil offensichtlich zu kritisch; z.B. die Beiträge von Andreas Zumach. Heute sind die ganze Woche über in diesem Gefäss meist nur «Weihspüler-Themen» zu hören – mit ganz wenigen Ausnahmen.
      Ein anderes, sehr auffälliges Beispiel: die Sparte HÖRSPIEL wurde und wird komplett kaputtgespart. Reihenweise werden «alte» Hörspiele wiedergesendet, Neuproduktionen sind sehr selten geworden. Ausserdem wechseln – gerade in letzter Zeit – vermehrt Sendetage und -termine: Soll damit den ZuhörerInnen das Gefäss definitiv «verleidet» werden?
      Die nunmehr einzige Sendung von sehr hoher Qualität ist nach wie vor «Echo der Zeit». Aber «ou da dran wird gschrübelet», siehe Verlagerung des Studiostandortes Bern und Schaffung eines zentralen «News-Centers» in Zürich. Was soll ein solches Center anderes sein als ein verstecktes und domestiziertes Vor-/Selbst-Zensur-Instrument?
      hansjürg feuz bern

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