Kommentar
kontertext: Fragen eines lesenden Users
Zur Zeit geht es Schlag auf Schlag. Als Medienkonsumierende können wir Zeugen sein von historischen Entwicklungen, die vor unseren Augen im Eiltempo ablaufen. Unsere Informationsdemokratie oder unser Informationsmarkt, je nach Blick, organisiert sich neu. Und aktuell scheint sie oder er sich vor allem grotesk zu desorganisieren.
Zusammenlegen
Vom Plan, dass Tamedia ihre Tageszeitungen von zwei Grossredaktionen aus bespielen will, vernahm ich Anfang Jahr. Damals meinte ich, es handle sich um eines von mehreren Szenarien, die geprüft würden. Ende Juni aber wurde die Sache Mitarbeitenden und Öffentlichkeit schlüsselfertig übergeben. Ab 2018 werden dann die Stellenstreichungen folgen. Bis zu 250 redaktionelle Stellen müssen bis 2020 abgebaut werden, wenn durch «Effizienzsteigerung» die prognostizierten Inserateverluste wettgemacht werden sollen.
Abwickeln
Ende 2016 stellten die AZ Medien ihre «Schweiz am Sonntag» ein. Wer damals noch glaubte (ich tat es), hier werde ein neues Modell ausprobiert – samstags Papier, sonntags die erweiterte und aktualisierte Ausgabe online – sah sich bald getäuscht. Tatsächlich haben die AZ Medien einfach ihre Samstagsausgabe gestrichen, ohne jede weitere Idee. Nächstens fällt dann wohl die Ausgabe vom Montag flach. Und übernächstens die vom Mittwoch. Bei gleich bleibenden Abo-Preisen, versteht sich.
Am vergangenen Wochenende wurde bekannt, dass die zur NZZ-Gruppe gehörende «Ostschweiz am Sonntag» ihre Printausgabe einstelle und diese fortan nur noch online erscheine. Interessant. Gibt es Hinweise darauf, dass Leute vermehrt am Sonntag online lesen wollen und nicht bloss News abrufen? Oder ist es auch einfach eine mehr oder weniger freundliche Massnahme, Abos kostengünstig auslaufen zu lassen?
Auslagern
Von der verrücktesten Entwicklung erfuhren wir dann ebenfalls am vergangenen Wochenende: Die NZZ-Regionalmedien (Luzerner Zeitung, St. Galler Tagblatt) würden ihr Korrektorat nach Banja Luka auslagern. Die AZ Medien prüften, lasen wir am nächsten Tag, mit denselben Blättern eine gemeinsame Mantelredaktion. Ob auch die AZ Medien in absehbarer Zeit ihr Korrektorat nach Banja Luka auslagern?
Die Sache könnte satirisch kaum überboten werden. Eine private Firma aus Deutschland mit Niederlassungen in Banja Luka, Peru und Indien soll künftig die Regionalberichterstattung aus Luzern und St. Gallen korrigieren. Zum Einsatz kommen junge Frauen (so jung können sie eigentlich nicht mehr sein), die als Asylsuchende in deutschsprachigen Ländern Germanistik studiert haben. Offenbar gibt es keine Frauen dabei, die in der Schweiz studiert haben, sonst müssten sie nicht in einem Helvetismen-Kurs mit den Besonderheiten des lozärnischen und sanggallerischen Schriftgebrauchs vertraut gemacht werden.
Darüber hinaus wirft die Sache aber weitere Fragen auf: Warum ausgerechnet Banja Luka, Hauptort der ethnisch bereinigten «Serbischen Republik»? Wäre nicht das multikulturelle Sarajevo nahe liegender, dessen Universität mit deutschen Universitäten kooperiert? Oder geht es vielleicht gar nicht darum, serbische Flüchtlingsmädchen in Banja Luka zu beschäftigen? Da die Arbeit gemäss Stelleninserat von zu Hause aus erledigt werden kann, kommen vielleicht auch Germanistinnen andernorts in Frage, beispielsweise in deutschsprachigen Ländern. Zum Tarif allerdings von Banja Luka (medienwoche.ch).
Wenn die Verleger tagen
Aber werfen wir den Blick noch mal ein paar Tage zurück. Mitte September präsentierten die Verleger des Verbands Schweizer Medien ihr «Medienpolitisches Manifest», ihre Antwort also auf die medienpolitischen Herausforderungen. Es umfasst vier Punkte.
Punkt eins: Die Öffentlichkeit soll für den «mündigen Umgang der Bürgerinnen und Bürger mit Medienangeboten» aufkommen. Sprich: Während die Medienunternehmen mit ihren gewaltigen Bestrebungen des «Sponsored Content» (und dem politisch motivierten Kauf von Zeitungen) die Grenzen zwischen redaktionellem Inhalt, Werbung und Propaganda möglichst verwischen, ist es an der Öffentlichkeit, danach für die nötige Klarheit und Resistenz in den Köpfen zu sorgen. Nett mitgedacht.
Punkt zwei: Gerade weil Print ein Auslaufmodell ist, soll die Öffentlichkeit den Vertrieb von Zeitungen stärker subventionieren oder die Post gar anweisen, den Gratisvertrieb zu garantieren. Ein verzweifelter Vorschlag: Ist es am Staat, da das Auto nun mal erfunden ist, öffentliche Gratis-Postkutschen anzubieten?
Punkt drei: Die Gebührenfinanzierung der SRG soll reduziert werden – auf ein Gesamtbudget von rund 1 Milliarde Franken, wie der Verband mündlich ausführte. Werbung, Sponsoring, Kommerzialisierung seien ihr längerfristig gänzlich zu verbieten.
Damit macht der Verlegerverband deutlich, welchen politischen Kräften er sich verpflichtet fühlt. Das Budget der SRG beträgt rund 1,6 Milliarden Franken. 400 Millionen stammen aus Werbung. Mit dem geforderten Entzug von 600 Millionen Franken (auf 1 Milliarde) würden die Verleger punktgenau den Vorgaben der SVP-Halbierungspläne entsprechen. Und dass ausgerechnet Markus Somm, Chefredaktor von Blochers Gnaden, die Vorschläge der Öffentlichkeit präsentiert, rundet das Bild ab. – Aber ob die mit ihren Lokalsendern ebenfalls von den Gebühren profitierenden AZ Medien beispielsweise den Kürzungsvorschlägen weiter zustimmen, wenn es hart auf hart geht?
Gestärkt im Kampf für kein Gesetz
Punkt vier: Der Verband Schweizer Medien will kein neues Mediengesetz. Gerade weil die Entwicklungen so rasant seien, solle das alte unangetastet bleiben. Ein neues Mediengesetz würde, behauptet der Verband, «die Unabhängigkeit der Medien gefährden». Und: Mit einem alten Gesetz glauben die Verleger, die SRG auf einem veralteten Auftrag (infosperber.ch) behaften zu können.
Gemäss Markus Somm habe der seinerzeitige Austritt von Ringier den Verband Schweizer Medien «gestärkt und zusammengeschweisst». Doch was sie da gemeinsam äussern, wirkt eher angeschlagen. Als ob auch die Handelnden den Entwicklungen nicht mehr hinterherkämen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Guy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. Vor kurzem erschienen ist eine Sammlung mit Theatertexten: "Stottern und Poltern" (Verlag der Autoren, Frankfurt M.). Der Band enthält u.a. Texte zum Theaterprojekt "In Formation", das im Dezember im Schauspielhaus Zürich zur Aufführung kam. Krneta ist Mitbegründer von Kunst+Politik und der Aktion Rettet-Basel.
- Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Diverse Ostschweizer Blätter haben schon länger das ganze Layout ins Ausland verlagert. Wir als Inserenten müssen seither alles exakt nach Vorgaben abliefern, der Verlag kann rein gar nichts mehr beeinflussen. Kein Wunder schwinden die Inserate dahin, gleichzeitig mit den Serviceleistungen der Verlage.
Beängstigend ist nicht nur was hier in rasantem Tempo gegen die existenziellen Interessen der Schreibenden und Lesenden abläuft, sondern auch wie kaltschäuzig arrogant die profitgesteuerten Verleger dazu informieren.