AZ Medien: Personalentscheid Richtung rechts
Es war zu erwarten und zu befürchten: dass nach dem Abgang Christian Dorers als Chefredaktor der AZ/Nordwestschweiz Richtung Chefredaktion SonntagsBlick der Chefredaktor der AZ-Sonntagsausgabe, der Schweiz am Sonntag, auch noch die Verantwortung für die tägliche Ausgabe der AZ/Nordwestschweiz übernehmen wird. Nun ist es so bestätigt worden.
Verleger Peter Wanner hatte bereits bei der Schaffung einer Badener Split-Ausgabe der Aargauer Zeitung im Oktober 2014, die wieder unter dem historischen Titel Badener Tagblatt erscheinen sollte, die Verantwortung nicht dem Chefredaktor der Aargauer Zeitung Christian Dorer übertragen, sondern Patrik Müller, der bereits Chefredaktor der Schweiz am Sonntag war. Nachvollziehbar war diese etwas schiefe Verantwortungskonstellation insofern noch, als Patrik Müller aus dem Surbtal im Bezirk Zurzach stammt, tendenziell also immer schon eher Baden-orientiert war und heute auch in Baden wohnt, während Christian Dorer aus dem etwas weiter entfernten Lenzburg im sogenannten Berner Aargau stammt und, trotz heutigem Wohnort Baden, noch immer mit Lenzburg emotional eng verbunden ist. So etwa ist er als «alter» Autobus-Freak immer noch einmal pro Monat als Bus-Chauffeur für die Autobus Lenzburg AG im Einsatz.
Patrik Müller und Christian Dorer kennen sich von ihrer Tätigkeit beim Blick und waren – oder sind vielleicht noch immer – persönliche Freunde. Und sie haben 2006 sogar gemeinsam ein Buch geschrieben: Der rote Boss, ein Porträt des ehemaligen SBB-Chefs Benedikt Weibel. Bei der Aargauer Zeitung wusste man es, Christian Dorer war ein Adlat von Patrik Müller, sie lagen auch journalistisch nicht weit auseinander. Beide verstehen sich als Macher, bewirtschaften gut verkäufliche Ereignisse gelegentlich über mehrere Seiten und haben primär den Verkaufserfolg des Blattes im Auge.
Politisch auseinandergelebt
Der aufmerksame Leser allerdings konnte beobachten, dass sich Christian Dorer in seinen chefredaktionellen Kommentaren mehr und mehr verselbständigte. Und gleichzeitig, dass sich Patrik Müller mehr und mehr Richtung SVP bewegte. So etwa gehört Patrik Müller erklärterweise zu jenen doch eher wenigen Journalisten, die bei der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 allen rationalen Argumenten zum Trotz ein Ja einlegten. Christoph Blocher gehört denn auch zu seinen regelmässigen Interview-Partnern, und er scheute sich auch nicht, etwa dem holländischen Rechtsaussen-Widerling Geert Wilders gleich zwei volle Seiten in der Schweiz am Sonntag als Plattform für dessen fremdenfeindliche Ansichten zur Verfügung zu stellen. Und Patrik Müller war auch der, der mit der Veröffentlichung einer peinlichen Nacktselfie-Geschichte versuchte, den Badener Stadtammann und grünen Nationalrat Geri Müller politisch abzuschiessen. Noch ist ein Gerichtsverfahren hängig.
Die politische Differenz der beiden Chefredaktoren im Hause Wanner konnte man gerade auch wieder in den letzten Tage beobachten. Christian Dorer etwa verurteilte in einem eigenen Kommentar am 24. September 2016 die Angriffe der SVP im Nationalrat auf FDP-Nationalrat Kurt Flury, den sie in der Diskussion als «Totengräber der Demokratie» bezeichnete, scharf. So schrieb er wörtlich: «Politiker sollen hart um Lösungen ringen. Wer jedoch den Gegner verunglimpft, wer einfache Lösungen vorgaukelt, wo es keine gibt, wer aufhetzt gegen einen Kommissionssprecher, der seinen Job macht: Der ist der wahre Totengräber der Demokratie.»
Nicht so Patrik Müller. Er bedauerte nur wenige Tage später in einem Kommentar in der Schweiz am Sonntag ausdrücklich das momentane Auseinanderdriften von SVP, FDP und CVP und plädierte für ein Zusammenhalten der bürgerlichen Parteien, da ohne dieses «im Volk kaum Mehrheiten zu gewinnen» seien.
Es geht um die Politik!
Christian Dorer geht spätestens im Februar nächsten Jahres, jetzt als neuer Chefredaktor, zurück zum SonntagsBlick. Patrik Müller aber wird nun neu zusätzlich Chefredaktor der Aargauer Zeitung/Nordwestschweiz. Damit wird der journalistische Stil der Aargauer Zeitung nicht gross ändern, wohl aber der politische Kurs. Der Entscheid Peter Wanners, des Verlegers der AZ Medien Gruppe, ist klar ein weiterer Schritt in der Schweizer Medienwelt nach rechts: Der TagesAnzeiger bzw. die Tamedia entfernt sich mehr und mehr vom ehemals traditionell linksliberalen Kurs, die NZZ hat mit dem neuen Chefredaktor Eric Gujer ebenfalls einen Rechtsrutsch vollzogen, im Hause Ringier ist der Einfluss des linksliberalen Konzern-Vordenkers Frank A. Meyer alias FAM kaum mehr zu erkennen, die Basler Zeitung ist eh geprägt vom politischen Kurs ihres Besitzers und SVP-Gurus Christoph Blocher – und jetzt also auch noch das.
Quo vadis Schweizer Presse? ist man geneigt zu fragen. Sich wehren gegen den Rechtsdrall kann man kaum, die vier grossen Medien-Konzerne sind nun einmal in den Händen von betuchten Privaten, denen es um das Geschäftsergebnis am Ende des Jahres geht – Politik hin oder her.
Etwas aber kann man tun, nein, muss man tun: das Kesseltreiben des Verlegerverbandes, des Gewerbeverbandes und speziell einiger SVP-Politikerinnen und -Politiker gegen die SRG, das öffentlich-rechtliche Schweizer Radio und Fernsehen, nicht nur beobachten und kritisieren, sondern so schnell wie möglich stoppen. Selbst wenn es gälte, demnächst für die SRG auf die Strasse zu gehen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war von 2003 bis 2009 CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe in Solothurn, die auf den Zeitpunkt seiner Pensionierung hin an die AZ Mediengruppe verkauft wurde. (Und auf Wunsch aus dem Kollegenkreis zusätzlich auch diese Info: Von 1965 bis 1978 arbeitete der Autor für das damalige Badener Tagblatt, zuerst als freier Journalist, dann als Redaktor und Leiter des Regionalressorts Baden und zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung und Stellvertreter des Herausgebers Otto Wanner, des Vaters des heutigen Verlegers Peter Wanner.)