Mutige Tamedia-Redaktionsmitglieder blitzen bei CEO-Supino ab
Viele Redaktionsmitglieder und Produktionsmitarbeitende der Tamedia-Zeitungen (u.a. Tages-Anzeiger, Bund, Berner Zeitung, Basler Zeitung) wollen die Verseuchung ihrer journalistischen Arbeit mit bezahlten, aber auf den ersten und zweiten Blick nicht erkennbaren PR-Artikeln, nicht mehr hinnehmen. 128 von ihnen schrieben deshalb am 23. September einen Brief an ihren eigenen Verleger Pietro Supino: «Tamedia publiziert seit Monaten ganzseitige, textlastige Anzeigen, die in Layout, Schrift, ja Autorenschaft (‹Mark van Huisseling›) eindeutig darauf abzielen, den Leser über ihren Anzeigencharakter zu täuschen und vorgaukeln, es handle sich um redaktionellen Inhalt.» Diese «offensichtliche Täuschungsabsicht» widerspreche den Richtlinien des Presserats.
Laut KleinReport stiess unter anderen ein ganzseitiger, kommerziell motivierter Zeitungbeitrag für Mazda sauer auf, der optisch wie ein redaktioneller Beitrag dahergekommen war. Nur ganz oben auf der Zeitungsseite, im Vergleich zum fetten Titel klar untergeordnet, fand der Leser bei genauerer Betrachtung eine kleingeschriebene Kennzeichnung als «Tamedia Commercial Publishing, Sponsored, Anzeige von Mazda.»
Infosperber hatte ein Beispiel vom 9. September 2019 kritisiert: Unter den attraktiven Titelzeilen «Mythen und Märchen auf dem Teller: Um die Ernährung ranken sich allerhand Irrtümer und Halbwahrheiten. Wir räumen mit den 13 häufigsten Food-Märchen auf» folgte nicht etwa eine Recherche der Redaktion, sondern ein bezahlter Artikel der Organisation der Fleischlobby Proviande, deren Aufgabe es ist, den Absatz von Schweizer Fleisch zu fördern. Die Aufmachung der Seite glich vollständig einer redaktionellen Seite. Nur ganz oben am Rand der Seite hiess es kleingedruckt «Anzeige von Proviande – Sponsored – Tamedia Commercial Publishing»:
Das Konzept ist klar: Die Sponsoren oder Inserenten möchten, dass die meisten Leserinnen und Leser nicht oder höchstens nach erfolgter Lektüre merken, dass es sich um bezahlte PR handelte. Je besser das gelingt, desto mehr sind sie bereit zu zahlen. Deshalb verzichten Verlage auf eine Schrift und eine Aufmachung, die sich auf den ersten Blick vom redaktionellen Teil unterscheidet. Sie kommen den Unternehmen so weit entgegen, dass sie lediglich am Rand der Seite «Anzeige von Proviande – Sponsored – Tamedia Commercial Publishing» oder Ähnliches vermerken. Wohlwissend, dass die wenigsten Leute beim Zeitungslesen diese Oberzeilen lesen.
Das Geschäft scheint zu lukrativ zu sein, als dass CEO Supino zu Konzessionen bereit wäre – allen Bekenntnissen zur «deutlichen Trennung des kommerziellen Inhalts» zum Trotz. Keck behauptet er in einer E-Mail an die protestierenden Redaktionsmitglieder, dass die kritisierten Seiten «eindeutig als kommerzielle Botschaft erkennbar» seien. Das berichtet KleinReport.
Von einer «Täuschungsabsicht» will Pietro Supino nichts wissen, im Gegenteil: Die Umsetzung von Native Advertising sei bei Tamedia fast schon vorbildlich: «Im Vergleich in der Schweiz – beispielsweise in der NZZ am letzten Sonntag für die UBS – scheint mir das Format bei uns besser», findet der Verleger. Und weiter: «Wir sind überzeugt, dass kommerzielle Inhalte damit deutlich als solche ausgewiesen werden und für die Leserinnen und Leser klar erkennbar sind.»
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Lesen Sie dazu:
Matthias Zehnder: Werbung im journalistischen Kleid ist ein gefährliches Geschäft, sie untergräbt die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
Noch dreister machen es Tourismusredaktionen: Eine redaktionelle Tourismus-Beilage der Sonntags-Zeitung unterschied sich in nichts von einer gut gemachten Werbebeilage. So konnte Tamedia zur Freude von Kreuzfahrtunternehmen usw. sogar die Hinweise «Tamedia Commercial Publishing» und «Sponsored» weglassen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wenn man ein Lehrbuch schreiben will, wie man den Ruf der Presse in kurzer Zeit ruiniert, muss man nur regelmässig die Produkte der Tamedia lesen. Da wird der Leser laufend an der Nase herum geführt. Wie heisst es so schön: «Man merkt die Absicht und ist verstimmt.» Wenn es nicht darum ginge, die Leser zu täuschen, müsste man ja solche Werbeformen, die auf eine Verwechslung mit dem redaktionellen Teil angelegt sind, gar nicht anbieten. Denn die funktionieren ja nur, weil sie sich ein redaktionelles Tarnmäntelchen anziehen. Der Leserschwund hält so natürlich an und das Unwort «Fake News» findet immer mehr Nahrung. Wenn ich Karikaturist wäre, würde ich Supino als Totengräber an einem Grab zeichnen, in dem seine Presseerzeugnisse begraben werden.
Mein Kommentar als leidenschaftlicher Zeitungsleser: Der gute Herr Supino tut alles, um die Glaubwürdigkeit von TA-Media zu untergraben. Das beste Gut einer Zeitung ist jedoch genau das. Mir scheint, es geht dem Herrn Verleger darum, TA-Media vor allem als eine Cashmaschine zu etablieren. Statt einer Plattform für Journalismus wird es eine Plattform für Werbung. Das ist (nicht) o.k., aber dann sollte man doch wenigstens ehrlich dazu stehen.
Ich habs auch bemerkt und finde die Reaktion der Redaktion gut. Supino denkt zu kurz, wenn er überhaupt wegen der schwindenden Leserzahlen aus lauter Panik noch denken kann: Statt das Familiensilber (journalistische Glaubwürdigkeit durch Unabhängigkeit) zu versilbern, sollte er eine Auszeit nehmen und versuchen zu faulenzen, um kreative Ideen zu gebären. Die gibts nämlich… Seine Grabschaufel ist jedoch die Gratis-Zeitung 20 Minuten, die auch Leser verliert – weil sie eben sehr durchsichtig konzipiert ist…
Guter Artikel, zeigt wie Supino tickt, JournalistenInnen, LeserInnen interessieren nicht, nur noch Werbung, da sind auch Taschenspielertricks legal. Nur was Supino nicht versteht, oder erst wenn Tamedia an die Wand geefahren ist, LeserInnen akzeptieren diese Verlagspolitik nicht, die neuesten WEMF-Zahlen beweisen es . Alle TA Medien auf der Verliererstrasse.
TA JournalistenInnen stehen vor der Entscheidung, ein regelmässiges Gehalt und Ansehen verlieren oder den Mut zum Aufbruch aufbringen. Fünfer und Weggli geht nicht!
Würde so eine Aktion in einem anderen Verlagshaus stattfinden, TA, BZ, BAZ, 20 Minuten mit grosser Berichterstattung. Über Interna berichten geht natürlich nicht da greift die Zensur. Auch ein Armutszeugnis für die ChefredaktorInnen!
Das ist eben nicht «Fake New». Schon in den 70er Jahren hat einer unserer Nachbarn diese Art der «indirekten Werbung» perfektioniert. Damals galt das noch als «potentiell fortschrittlich». Der Nachbar hat mittlerweile sein PR-Geschäft aufgegeben und sein Nachfolger scheint den gleichen Weg zu gehen.
Der Weg zwischen ehrlicher Promotion und billiger Kundenacquisition auf der Basis von «fake news» ist nicht immer evident. Ein bisschen Transparenz sollte aber immer möglich sein. «Pschiss» ist unschön, aus welcher Quelle er auch kommt.