Medienkritik – bitte recht «freundlich»
«Edito» ist «Das Schweizer Medienmagazin», das die beiden Mediengewerkschaften «Syndicom» und «Syndikat Schweizer Medienschaffender SSM» gemeinsam herausgeben und ihren Mitgliedern gratis ins Haus liefern. In der ersten Ausgabe des laufenden Jahres kündet «Edito» auf der Aufschlagsseite «Erste Eindrücke zum neuen Medienprojekt» an. Bei diesem Projekt geht es um die Online-Zeitung «Republik», die ein Jahr lang viel Wind machte, bevor sie am 14. Januar 2018 erstmals erschien (so viel zur Information für jene Leserinnen und Leser, die nicht zur Gilde der Medienschaffenden gehören).
«Freundliche Kritik» – Vorgabe erfüllt
Wie die «Ersten Eindrücke» zu werten sind, verrät die «Edito»-Redaktion dann auf Seite 14: «Edito hat vier Fachleute um eine kurze und freundliche Kritik gebeten.»
Dieser Satz ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Erstens, weil «Edito» öffentlich bekannt macht, dass es den vier Personen die Vorgabe machte, eine «freundliche» Kritik zu schreiben. Und zweitens, weil vier Medienleute diese Bedingung akzeptierten. Dabei handelt es sich um die «NZZ am Sonntag»-Redaktorin Katharina Bracher, den Redaktionsleiter der «Medienwoche» Nick Lüthi, den NZZ-Chef vom Dienst Boas Ruh und den «Medienprofessor» Manuel Puppis von der Universität Freiburg.
Die «vier Fachleute» akzeptierten die Vorgabe nicht nur, sondern erfüllten sie auch mit besonderer Freundlichkeit: «Intellektuell anregender, stilvoll präsentierter Qualitätsjournalismus», schwärmt Katharina Bracher. «Gut geschriebene Texte und sauber recherchierte Geschichten» erwartete Manuel Puppis und konstatiert: «Das wird meines Erachtens klar erfüllt.» Nick Lüthi bekam «eine geballte Ladung Qualität», hofft nach dem «Warmlaufen des Redaktionsmotors» auf einen «noch breiteren Mix» und feuert die Republikanerinnen und Republikaner via «Edito» abschliessend an: «Weitermachen. Das kommt gut.»
Leise Kritik übt einzig Boas Ruh, der «noch mehr Recherchen, mehr hartnäckigen Journalismus» erwartet hätte. Im Grossen und Ganzen bleibt Ruh aber ebenfalls freundlich: «In den ersten Tagen dominierten Essays, Erklärstücke und Kolumnen das Angebot. Da ist die ‹Republik› stark, das macht sie gut.»
Ein Urteil ohne Vorgabe
Bei so viel medieninternem Schulterklopfen muss man – als unvoreingenommener Nicht-Leser der «Republik» – froh sein, dass mit dem «Schweizer Journalist» (SJ) noch ein zweites Branchenmagazin existiert. Dieses ist zwar nicht gratis erhältlich, aber auch nicht a priori der Freundlichkeit verpflichtet. So nimmt sich Chefredaktor Kurt W. Zimmermann in der neusten SJ-Ausgabe die Freiheit heraus, die «Republik» nicht ganz so toll zu finden. Unter dem Titel «Die Erwärmung der Luft» fasst er im Vorspann zusammen: «So zeitlos-entrückt hat man das nicht erwartet. Die ‹Republik› setzt auf Vorlesungsjournalismus. Sie liefert täglich ein betuliches Monatsmagazin.»
Der SJ-Schriftleiter las neun Tage lang täglich bis drei – teils sehr lange – «Republik»-Artikel, die alle «garantiert aktualitätsfrei» waren und nach seinem Befund «längst zerkaute und zeitlose Themen» auftemperierten. «Solche Volkshochschul-Vorlesungen», so kommentierte Zimmermann, «beschreibt man im Journalistenjargon mit einem kurzen Wort: ‹Gähn›.» Am zehnten Tag fand er dann den «ersten Artikel mit aktuellem Bezug». Dabei handelte sich um einen Beitrag zum Weltwirtschaftsforum WEF in Davos, den die 81-jährige «Journalismus-Doyenne» Margrit Sprecher – laut SJ offenbar eher widerwillig – geschrieben hatte.
Nachdem er die «Republik» über drei Magazin-Seiten zerpflückt hatte, umschrieb Zimmermann das Journalismus-Verständnis der beiden «Republik»-Gründer Constantin Seibt und Christof Moser am Schluss mit einer leicht hämischen Frage: «Wieso soll man über ein aktuelles Thema im Februar schreiben, wenn man auch im April darüber schreiben kann? Oder im Oktober.»
Und ein Nachwort zum «Trio Grande»
Soweit vier «freundliche» und eine andere Einschätzung zur «Republik». Wobei der Medienkritiker Kurt W. Zimmermann an anderer Stelle ebenfalls freundlich sein kann. In der gleichen SJ-Ausgabe lobt er die «drei wichtigen Chefredaktoren der Schweiz» wortreich als «Super-Chefs der Nation» und «Trio Grande». Dabei handelt es sich um Pascal Hollenstein, Christian Dorer und Arthur Rutishauser, die neuerdings den Einheitsbrei der NZZ-Regionalmedien («St. Galler Tagblatt», «Neue Luzerner Zeitung» samt 17 Kopfblättern), der «Blick»-Gruppe» (am Morgen, am Abend und am Sonntag) und der Tamedia (von «Tages-Anzeiger» über Berner «Bund», «Berner Zeitung», «Landbote» etc. bis zur «Zürichsee-Zeitung») zubereiten lassen. Wer sich ein eigenes Urteil über die «Republik» bilden will, muss die neue Online-Zeitung selber abonnieren – was der hier Schreibende nicht tat und sich darum aufs Zitieren beschränkte.
Siehe auch:
- DOSSIER: Kritik von Zeitungsartikeln
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Hanspeter Guggenbühl ist ein freier, nicht der Freundlichkeit verpflichteter Journalist, und regelmässiger Mitarbeiter der Online-Zeitung www.infosperber.ch
Hanspeter Guggenbühl: Finden Sie das fair, sich einen solchen Kommentar zu leisten, ohne diese ‹Republik› selbst je gelesen zu haben? Also ich nicht, obwohl mich diese ‹Republik› auch nicht wirklich überzeugt.
Selbst wissen ist Gold, sich ums selbst lesen drücken ist in meiner Welt eher feige. Um um diesen Punkt klarzustellen: Sie hätten locker auch ein Republik-Gratis-Abo erhalten, wenn Sie sich (wie andere mit mir) darum bemüht hätten. Deshalb: Rote Karte für Ihren Kommentar oben. Sorry.
Leider muss ich Herrn Zimmermann mit Bedauern rechts geben. Anstatt einem Geistes-Wecker am Morgen ist die Republik eher ein Wieder-Einschlafmittel.
Schade um Constantin Seipt, er hat bewiesen, dass er zu Besserem fähig ist.
Ohne deutliche Steigerung werde ich nicht verlängern.
Als in Anwesenheit von Kaiser Joseph II. die »Entführung aus dem Serail« uraufgeführt wurde, hatte der Monarch gewisse Vorbehalte und richtete sein kaiserliches Wort an Mozart: »Zu viele Noten, streich er einige weg, und es ist richtig.« Als Leser (oder bin ich gar Verleger?) von der Republik empfinde ich ähnlich: Zu viele Buchstaben…. Martin A. Liechti, Maur
Sehr geehrter Herr Guggenbühl,
Ich wurde weder gebeten, eine freundliche Kritik zu schreiben, noch würde ich mir vorschreiben lassen, ob die Kritik positiv oder negativ auszufallen hat. Von Edito kam eine professionelle Anfrage, drei Fragen zum Start der Republik zu beantworten. Das habe ich gerne getan und neben positiven Aspekten auch Schwächen erwähnt. Soweit zu den Fakten. Ob Sie meine Beurteilung (und die der anderen drei Personen) teilen, ist natürlich Ihnen überlassen. Wie eine Einschätzung ohne Lektüre der Republik aber möglich sein soll, sei dahingestellt.
Freundliche Grüsse, Manuel Puppis
Man darf ja auch einmal etwas gut finden – oder nicht? Ihre Medienkritik zur Medienkritik hat inhaltlich sicher weniger Substanz als die bemängelten Texte.
Das Geschäftsmodell von Republik ist erfolgversprechend, da der Einfluss von Geld, Wirtschaftsverbänden und andern Einflussnehmern ausgeschaltet wird . Leider besteht genau die Gefahr, wie für die online-Zeitung «Bonpourlatête», dass die «philosophisch-belletristische» Reflexion zum Zeitgeschehen versus der Daten-Fakten- Aktualität überwiegt und Artikel statt recherchierte und kritischen Inhalt zu bringen, zu Editorials werden. Meine Anregung an die Leute von «Republik» : «There is room for improvement» für kritisches Recherchieren, beispielsweise : Parlamentlobbying. Warum wurde im Ständerat der Vorschlag des Bundesrates, die Firmen zu gleichen Salären für Frau und Mann zu verpflichten ausgerechnet vom CVP-Ständerat Konrad Graber zu Fall gebracht ? oder : Warum findet man im Buch «von der Seuchenpolizei zu Public Health» (Chronos Verl) die WHO Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle weder im Stichwortverzeichnis, noch im Text, in dem die «Gutzwiller Initiative» totgeschwiegen wurde ? Man dürfte sich auch kritisch die Frage stellen, warum wohl eine ganze von Philip Morris gesponserte Beilage über ihre neueren «reduced risk products» in der NZZ am Sonntag erscheint, während der Vernehmlassung zum zweiten Entwurf des Tabakproduktegesetzes ? – das vom Team von Philipp Morris hätte formuliert werden können ? «Republik» wird Erfolg haben in dem Masse, wie sie kritische, seriöse, aktuelle Information zu und über unsere «res Publica» bringen wird. Dr Rainer M. Kaelin, Etoy
Guten Tag Herr Guggenbühl,
ich finde Ihren Artikel Ihnen unwürdig. Mir erscheint, dass es einen anderen Hintergrund geben muss, dass Sie die Republik nicht lesen und trotzdem drüber urteilen.
Schwingt da eine gewisse beleidigte Konkurrenz mit????
Mit freundlichen Grüssen aus Portugal.
PS. Ich bin sehr froh dass es die Republik gibt so wie sie es gibt.
ADOLF STOLL
Republik-Mitglied und TAZ-Genosse der ersten Stunde