Kommentar

kontertext: Schwere Zeiten für Kulturjournalismus

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsGuy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. ©

Guy Krneta /  Tageswoche streicht Kulturstellen, Abgänge bei NZZ, Kooperationen bei TA und AZ: Kritische Zeiten für die Kulturberichterstattung.

Am letzten Tag des Jahres schrieb die Basler Gruppierung «Kulturstadt Jetzt» in einem Facebook-Post: «Wir sind besorgt über die negativen Entwicklungen im Kulturjournalismus. Zu einer lebendigen Kulturszene gehört nicht zuletzt eine wache Kritik – gerade auch in Sachen niederschwellige und populäre Kultur.» Anlass war die Streichung von zwei Vollstellen im Kulturressort der Basler «Tageswoche» sowie die Entlassung eines Musikredaktors bei der «Basler Zeitung».

Dass die regional ausgerichtete stiftungsfinanzierte «Tageswoche» ausgerechnet im Kulturbereich spart und gleichzeitig ankündigt, ihre Community ausbauen zu wollen, sorgt für Kopfschütteln. Und dass dabei die «niederschwellige und populäre Kultur» unter den Tisch fällt, macht einmal mehr bewusst, dass die «weniger niederschwellige» und angeblich «unpopulärere» Kultur ihre regional-mediale Beachtung längst verloren hat. Es gibt in der Musikstadt Basel keine Berichterstattung über Alte und Neue Musik, ähnliches gilt für den Jazz, die Kunst (gerade auch nach einem der Abgänge bei der «Tageswoche»), die Architektur, die Literatur, die Kulturpolitik. Etwas besser mag es zurzeit noch um die Theater- und Filmkritik bestellt sein. Bezüglich überregionaler Ausstrahlung ist die Basler Kultur angewiesen auf die Sender von SRF, deren Kulturredaktionen – dies einziger Lichtblick am Horizont – in absehbarer Zeit hier angesiedelt werden.

Kooperationen landauf landab

Der Abgang bei der BaZ ist als nächster Entwicklungsschritt in der Zerlegung des einstigen Monopolblatts zu werten. Christoph Blocher und Markus Somm wussten noch nie viel anzufangen mit dem Kulturteil ihrer Zeitung – für das Etablieren «rechter Intellektueller» (ein Steckenpferd der Kulturberichterstattung der «Weltwoche») stehen ihnen auch thematische Sonderseiten zur Verfügung. Die neuste Kooperation mit Tamedia gibt ihnen nun Zugriff zu sämtlichen Kulturbeiträgen des «Tages-Anzeiger». Die regionale Ergänzung, so sie eine solche überhaupt noch für nötig erachten, ist mit einer oder zwei Stellen zu leisten.

Auch die für Basel mittlerweile so essentielle «bz Basel» verantwortet mit 1,6 Stellen drei Kulturseiten pro Woche (plus Beiträgen für den Mantelteil) und bezieht den grösseren Teil vom Mutterblatt im Aargau. Das führt zur gelegentlich befremdlichen Situation, dass eine Theaterpremiere in Bern übermässige Beachtung findet, während vergleichbare Ereignisse in der Region Basel unerwähnt bleiben. Dies könnte wiederum mit weiteren Kooperationen zusammenhängen: So hat die «Aargauer Zeitung» im Tauschrecht Zugriff zu sämtlichen Kulturbeiträgen der «Berner Zeitung» (die Tamedia gehört), der «Neuen Luzerner Zeitung» (die der NZZ gehört) und der «Südostschweiz» (die Somedia gehört).

Der Berner «Bund» als Tamedia-Kopfblatt tauscht seine Beiträge mit dem «Tages-Anzeiger» aus. Die «Berner Zeitung» ist mit den Zürcher Seezeitungen und dem Winterthurer «Landboten» verbunden. Der «Tages-Anzeiger» hat neu Zugriff zu sämtlichen Artikeln der «Süddeutschen Zeitung».

Auf Kosten von Regionalität und Vielfalt

Diese Kooperationen, die auf Kosten von Vielfalt und Regionalität gehen (die Kultur ist nun mal im Wesentlichen regional), haben im Einzelfall auch positive Effekte: So kann eine Buchbesprechung des «Bund» – wie ich es kürzlich erlebt habe – vom «Tages-Anzeiger» übernommen werden und dadurch überraschende zusätzliche Beachtung finden. Es stellt sich aber die Frage, ob der «Tages-Anzeiger» nächstens auch Beiträge der Blocher-BaZ übernimmt.

Der Austausch mit der «Süddeutschen» wird zur Folge haben, dass die bei der Zürcher Redaktion so beliebten internationalen Festivals künftig von München aus besprochen werden. Umgekehrt werden wohl eher selten Zürcher Beiträge Eingang finden in die «Süddeutsche».

Stellenabbau und Ideologisierung

Auch im Kulturteil der NZZ findet ein Um- und Abbau statt. René Scheus Versuch, das Feuilleton vermehrt zum Ort nationalistischer und rechts-libertärer Debatten zu machen, auf Kosten der Kulturberichterstattung, fordert Opfer. Die Theaterkritikerin Barbara Villiger-Heilig schmiss im Herbst den Bettel hin. Dem Kunstkritiker Samuel Herzog wurde gekündigt. Auf Ende Jahr strich die NZZ das Fixum der Berliner Kulturkorrespondentin Sieglinde Geisel, nach über zwanzig Jahren Zusammenarbeit.

Den umgekehrten Weg hat die Wochenzeitung WoZ eingeschlagen. Im Bewusstsein, dass ihr links-liberales Publikum auch ein kulturaffines ist, wurde der Teil Kultur / Wissen im Herbst 2015 um eine Seite ausgebaut und die Redaktion um eine Stelle auf fünf Personen aufgestockt. Neben medien- und kulturpolitischen Schwerpunkten sowie längeren Essays soll es Kulturberichterstattung weiterhin auch in Form von Einzelkritik geben.

Perspektiven

Kunst, die nicht beachtet wird und über die keine Auseinandersetzung stattfindet, verliert ihre Bedeutung. Aufmerksamkeit kann vielleicht mit neuen Medien und geschicktem Marketing erzeugt werden, doch Auseinandersetzung ist nicht durch Lärm zu ersetzen. Es gilt neue Modelle zu erfinden und bestehende Medien auszubauen.

Als natürliche Partner bieten sich dabei die «Programmzeitungen» (Basel), «Kulturagenden» (Bern) und «Kulturmagazine» (Aargau, Luzern, St. Gallen) an, die vermehrt – beispielsweise im Online-Auftritt – durch aktuelle Kritik ergänzt werden könnten.

Die zuverlässigste Besprechung von Schweizer Literatur findet derzeit bei Viceversa (www.viceversaliteratur.ch) statt, mit Rezensionen, themenzentrierten Artikeln, Interviews, die in Auswahl auch als Jahrbuch erscheinen. Eine grössere Beachtung und Verbreitung wäre insbesondere den Buchkritiken zu wünschen, die von neuen Medien übernommen werden könnten.

Bemerkenswert ist der Schweizer Feuilletondienst (www.feuilletondienst.ch), 1939 gegründet mit dem Ziel, «Zeitungen und Zeitschriften mit Texten schweizerischer Autoren zu beliefern». Heute werden bei den Rezensionen sämtliche Kultursparten berücksichtigt, besonders auch mit Blick auf den Austausch zwischen den Sprachregionen. Seit 1993 kooperiert der Feuilletondienst mit der «Schweizerischen Depeschenagentur», so dass die Texte von Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen übernommen werden können. Es gälte zu prüfen, ob die Zusammenarbeit unter den sich verändernden Umständen auch auf weitere Medien ausgedehnt werden könnte.

Die Kulturschaffenden jedenfalls sind gut beraten, mehr als «besorgt» zu sein.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Guy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. Im Herbst erschienen die Bücher "Filetschtück" (Verlag der gesunde Menschenversand, Luzern) und "Stottern und Poltern" (Verlag der Autoren, Frankfurt M.). Ausserdem hatte im Dezember sein Theatertext "In Formation" am Schauspielhaus Zürich (Schiffbau Box) Premiere, in dem es auch um medienpolitische Fragen geht.

    Red. kontertext greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Ob Analyse, Sprachkritik oder Statement - kontertexte sind undogmatische Einwürfe, die Publiziertes ernst nehmen, ohne selber dem Ernst ganz zu verfallen.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 17.01.2017 um 00:10 Uhr
    Permalink

    Die Kulturredaktion der bz produziert nun seit einigen Jahren im Schnitt 5 bis 6 regionale Kulturseiten die Woche. Wir besprechen auch regelmässig Neue und Alte Musik. Natürlich dürfte es noch mehr sein.

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