Kommentar
kontertext: Architekt oder Handlanger?
Christoph Blocher hielt Martin Wagner für einen, bei dem «man schauen muss, dass er nicht zu nahe kommt». Ein «hervorragender Medienanwalt» sei er gewesen, aber «charakterlich unberechenbar». Dies teilte Blocher in seinem wöchentlichen Tele-Talk mit, wenige Tage nach Wagners gewaltsamem Tod. Und Markus Somm schrieb in seinem Nachruf: «Verrat, Lügen, Verzweiflung und Streit, nichts allzu Menschliches war Martin – und zuweilen mir – fremd. Ich erinnere mich an SMS, die mitten in der Nacht eintrafen wie Atombomben in Briefumschlägen». Wer Geschäftspartner hat, die Atombomben in Briefumschlägen für allzu Menschliches (oder schon nur für ein gelungenes Sprachbild) halten, darf wohl nicht allzu viel Dankbarkeit erwarten.
Architekt, Handlanger, Gschäftlimacher?
Dabei war Wagner, der sich selbst als «politisch neutral» und «wirklich immer in der Mitte» bezeichnete, der Türöffner gewesen für die national-konservative Presse in der Schweiz. Und es stellt sich bis heute die Frage, welche Rolle er dabei gespielt hat: War er Architekt, eilfertiger Handlanger oder einfach naiv-raffinierter Gschäftlimacher? Sicher ist: Ohne ihn gäbe es keine Roger-Köppel-Weltwoche und keine Christoph-Blocher-BaZ. Zweimal hat er nach dem gleichen Schema gehandelt: Als Rechtskonsulent der Basler Zeitung verhinderte er den Verkauf von Zeitungstiteln an ein grösseres Medienunternehmen im letzten Augenblick und fädelte stattdessen ein «private placement» rund um den libertären Investor Tito Tettamanti ein.
Ein dritter Versuch nach dem gleichen Schema scheiterte: Als Verwaltungsrat von Ringier unterbreitete er dem Unternehmen, das er eigentlich mit verwaltete, ein Kaufangebot für die gesamte Blick-Gruppe. Wieder stand eine anonyme Investorengruppe hinter ihm, diesmal angeblich rund um SVP-Autoimporteur Walter Frey.
Zu welchem Zeitpunkt bei diesen Deals jeweils Christoph Blocher ins Boot kletterte, lässt sich nicht restlos klären. Wagner hatte eine einfache Erklärung dafür: Blocher sei überall involviert, bei jedem Mediengeschäft, jedem Bankengeschäft, immer gebe es irgendwelche Drähte zu ihm. So hatte mir das Wagner einmal ins Mikrophon diktiert. Und gegenüber Journalisten hatte er damit geprahlt, ein Spezialist zu sein für Firmenkonstruktionen, bei denen man die Eigentümerschaft nicht mehr sehe. Mit dem Effekt allerdings, dass auch er selber die Eigentümerschaft nicht mehr sehe.
Win-Win
Bei der Weltwoche war die Sache noch aufgegangen. Wagner rühmte sich dafür, Roger Köppel aus Deutschland zurückgeholt und die Zeitung neu positioniert zu haben. Die anderen Jean-Frey-Titel (Beobachter, Bilanz u.a.) konnten, wie es heisst, mit sattem Gewinn an den deutschen Axel-Springer-Verlag verkauft werden. Auch für Wagner zahlte sich der Handel aus: Er verblieb im Verwaltungsrat der Weltwoche und wurde zusätzlich Verwaltungsrat von Axel Springer Schweiz. Von beiden Häusern wurde er zudem mit Anwaltsmandaten betraut.
Bei der BaZ lief die Sache dann weniger günstig. Hier hatte Wagner eine eigene Agenda, träumte von einem Multimediaunternehmen mit Zeitungs- und Buchverlag, Sport- und Eventmarketing sowie «social gaming». In einem ersten Schritt schuf er sechs neue Online-Stellen. Der amtierende Chefredaktor wurde heimlich durch eine neue Co-Chefredaktion ersetzt. Die entsprechenden Verträge waren, angeblich mit Tettamantis Zustimmung, unterschrieben. Doch parallel dazu holte Tettamanti Christoph Blocher als Berater, der mehr und mehr Einfluss nahm.
Naiv oder clever?
Ob Martin Wagner tatsächlich geglaubt hatte, Tettamanti lasse ihn quasi zum Nulltarif gewähren? Für ein Unternehmen mit einem Kaufpreis von 70 Mio Franken und Schulden von 100 Mio Franken hatte er bloss Fr. 250’000.- bezahlt. Die Co-Chefredaktion, die Wagner verpflichtet hatte, musste für Blocher aus politischen Gründen klar eine Provokation sein. Wollte Wagner Blocher damit aus dem Busch klopfen? Oder meinte er, Blocher so zurückbinden zu können? Umgehend verlangte Tettamanti die Auflösung aller neu abgeschlossenen Verträge und stattdessen die Einsetzung Markus Somms als Chefredaktor – was putschartig erfolgte, unter Bereitstellung externer Streikbrecher, die nicht zum Einsatz kamen, da die Redaktion nicht streikte.
«Vor gut sieben Jahren bin ich nach Basel gekommen, auch dank Martin, der vieles dafür getan hatte, dass ich diese Position übernehmen konnte», schreibt Markus Somm in seinem schwülstigen Nachruf. Viel dafür getan hat Martin Wagner eher nicht. Wagner hat sich vielmehr darüber gewundert, dass ihn nie ein Journalist danach gefragt habe, warum er als Verwaltungsratspräsident der Weltwoche Somm nie zum Chefredaktor gemacht habe, beispielsweise nach Köppels Abgang nach Deutschland. Das wäre doch naheliegend gewesen, sagte er mir seinerzeit ins Mikrophon. Das Heu auf der gleichen Bühne hatten die beiden kaum, wenn auch nicht aus politischen Gründen.
Ohne Wagner kein «Rettet Basel»?
Mit Somms Einsetzung, die Wagner nach aussenhin lächelnd vollzog, erübrigten sich sämtliche Multimediapläne. Eine ideologische Kampf-BaZ passte nicht in das Konzept. Somm hatte spürbar Rückendeckung, während Wagner die Zügel entglitten. Es gibt Hinweise, dass es nun Wagner selber war, der in dieser Situation die NZZ am Sonntag über Blochers Einfluss bei der BaZ informierte. Letzter Versuch eines Befreiungsschlags? Der entsprechende Artikel von Lukas Häuptli am 14. November 2010 löste einen Sturm von Empörung aus, angefacht durch unseren spontanen Aufruf «Rettet Basel». Ohne Wagner und die internen Machtkämpfe wäre Blochers Rolle bei der BaZ womöglich nie aufgedeckt worden. Die Geschichte des Machtkampfs wiederholte sich dann beim Abgang Moritz Suters. Durch das Bekanntmachen seines Vertrags outete er Blocher definitiv als Eigentümer.
«Blocher will keine freien Medien»
Die Erfahrungen, die Wagner bei der BaZ gemacht hatte, meinte er im Weiteren für seinen Nationalratswahlkampf nutzen zu können: «Blocher macht ‚Management by Champignon’», verkündete er im Sonntagsblick: «Man lässt die Mitarbeiter im Dunkeln, bestreut sie gelegentlich mit Mist und wenn sich ein heller Kopf zeigt, schneidet man ihn ab». Oder: «Blocher ist Gift für die Schweiz, und war es speziell für Basel. Basel ist eine liberale, weltoffene Stadt mit Grosskonzernen. Das Blocher-Prinzip funktionierte hier nicht». Nach wie vor aktuell ist auch dieses Zitat: «Das Blocher-Prinzip unterdrückt Menschen und verhindert einen echten Meinungsbildungsprozess. Dabei ist Demokratie unser wichtigster Wert. Deshalb geht es uns so gut. Medien bilden die Basis der Demokratie. Blocher will keine freien Medien, sondern Parteiblätter, die auf seinem Kurs sind.»
«Das war doch unser Anwalt»
«Er wollte mal in den Nationalrat für die Freisinnigen», plauderte Christoph Blocher nach Wagners Tod auf seinem Kanal: «Und dann sagte er sich: ‚Jetzt mache ich Inserate gegen Christoph Blocher. Wahrscheinlich, die Freisinnigen hassen Christoph Blocher. Wenn ich das mache, werde ich gewählt’». Blocher bei Teleblocher tippte sich an die Stirn: «So eine Rechnung kannst Du nur machen, wenn du nicht in der Politik bist. Nur weil einer gegen einen ist, wählt man den nicht. Er war dann auch auf dem hintersten Rang und fiel raus. Aber er hat nie gedacht, dass die Leute sagen: Was ist denn das für ein Charakter? Das war doch unser Anwalt. Ich habe doch mit dem zusammen gearbeitet. Er war sogar Verleger der Basler Zeitung. Jetzt geht der auf den los? Ich hab nicht reagiert. Ich habe gesagt: Das läuft sich selber zu Tode». Bemerkenswert an der Passage ist nicht nur, wie selbstverständlich Blocher in den pluralis majestatis fällt; er hat offenbar auch vergessen, dass er zu jener Zeit in der Öffentlichkeit noch gar nicht zugegeben hatte, mit der BaZ etwas zu tun zu haben.
Wagner seinerseits verblieb als Rechtskonsulent bei der Weltwoche und wurde ein paar Jahre später als Anwalt zur Basler Zeitung zurückgeholt.
Öffentliches Interesse
Die Motive für die Tötung Wagners sind gemäss polizeilicher Untersuchung privater Natur. Grosser Respekt gilt den Söhnen Martin Wagners, die durch eine gerichtliche superprovisorische Verfügung die Boulevard-Berichterstattung der einschlägigen Blätter unterbunden haben. Demgegenüber schreibt Peter Knechtli bei onlinereports: «Dass nach einer solchen Tat keine Frage wie jene nach dem ‚Warum’ so zwingend das kollektive Bewusstsein beschäftigt und alle Variationen von Beziehungsformen öffnet, ist eine ganz natürliche Reaktion». Alex Baur geht in der Weltwoche noch einen Schritt weiter (obwohl er eigentlich das Gegenteil beabsichtigt): «Insgeheim stellen sich manche natürlich die Frage, ob die Eifersucht des» Täters «vielleicht begründet war». Bezeichnenderweise ist es auch Alex Baur, der als einziger den richtigen Vornamen der Frau des Täters nennt (womit die google-Suche nach Adresse und Handy-Nummer für jedermann recht einfach wird). Mag sich solche Fragen stellen, wer will, sie sind keine Fragen, die der Journalismus zu beantworten hat. Nein, Peter Knechtli: Öffentliches Interesse begründet sich nicht durch «kollektives Bewusstsein».
Der einzige gesellschaftlich zu diskutierende Punkt dieser Tötung ist, dass der Nachbar mit einer Pistole unterwegs war, die er nach seinem Ausscheiden aus der Armee übernehmen konnte. «Bei den Männern musst du aufpassen, wie sie reagieren. Die reagieren bei solchen Streits ganz anders», sagt noch einmal Christoph Blocher in seinem Tele-Talk. Dass der Staat eine Bevölkerungsgruppe, die sogar von Christoph Blocher für besonders gefährlich gehalten wird, einseitig mit kriegstauglichen Waffen ausstattet, müsste einen einmal mehr zu denken geben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Guy Krneta, geboren in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte. Sein neustes Buch ist eine Sammlung mit Theatertexten: "Stottern und Poltern" (Verlag der Autoren, Frankfurt M.). Die Aufführung des Stücks "In Formation" zum Medienwandel (Zürcher Schauspielhaus 2017) wurde von Dieter Fahrer aufgezeichnet und ist eben als DVD erschienen. Sie kann zusammen mit einem Kinoeintritt zu Fahrers «Die Vierte Gewalt» erworben werden. Krneta ist Mitbegründer von Kunst+Politik und der Aktion Rettet-Basel.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Ich bin sehr dankbar für Onlineports von Peter Knechtli.Wie bei Insideparadeplatz liest man bei Ihm das was andere verschweigen.
Herr Kretna, ist es für Sie völlig irrelevant was Grenadiere in Isone üben ?
Schließlich finde ich auch Ihre Arbeit wichtig, ich bin erstaunt das Wagner sogar bei Ringier mitmischte.