Unstatistik: Vermeintlicher Lebensretter PSA-Test
«Der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs kann das Sterberisiko um mehr als ein Fünftel senken», verbreiteten die beiden Zeitungen. Mehr als 162’000 Männer im Alter von 55 bis 74 Jahren hätten an einer im «The Lancet» veröffentlichten Studie teilgenommen.
Information von «Tages-Anzeiger» und «Bund»
Der eingangs zitierte Satz enthält gleich zwei Unstatistiken. So heisst es «mehr als ein Fünftel». Bedeutet das, dass von je hundert Männern, die zum PSA-Screening gingen, das Leben von mehr als zwanzig gerettet wurde? Nein. Die Zahl ist eine relative, keine absolute Reduktion. Absolut gesehen starben in der Kontrollgruppe (ohne PSA-Test) nach 13 Jahren etwas mehr als 0,6 Prozent der Männer, in der Screeninggruppe (mit PSA-Test) etwas weniger als 0,5 Prozent. Die absolute Reduktion ist also 0,1 Prozentpunkte (gerundet), die relative Reduktion ein Fünftel (0,1/0,5).
Im Klartext bedeutet also «ein Fünftel» nichts anders als «ein Mann von 1’000» (genau: 1 von 781). Das steht auch so in der Zusammenfassung des Originalartikels. Aber «ein Fünftel» klingt beeindruckender, ist jedoch irreführend.
Irreführendes «Sterberisiko»
Die zweite irreführende Botschaft ist, dass sich diese Zahl auf das «Sterberisiko» bezieht. Das ist nicht der Fall. Sie bezieht sich nur auf das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, nicht aber auf das allgemeine Sterberisiko (d.h., alle Ursachen, einschliesslich Prostatakrebs). Denn dieses änderte sich durch PSA-Tests nicht: nach 13 Jahren waren genau so viel Männer am Leben – unabhängig davon, ob sie am Screening teilgenommen hatten oder nicht. Für diesen Unterschied zwischen Sterblichkeit und Prostatakrebssterblichkeit gibt es mehrere mögliche Ursachen. Beispielsweise werden Männer, die an den Folgen einer Prostata-Operation sterben, nicht in der Prostatakrebssterblichkeits-Statistik aufgeführt, aber in der Sterblichkeitsstatistik. Fazit: Die Studie erbrachte keinen Nachweis, dass durch das PSA-Screening Leben gerettet wurde.
Die Risiken nur unbestimmt erwähnt
Man muss sich fragen, warum so viele Journalisten diese elementaren zwei Fehler immer wieder machen – «Spiegel online» beispielsweise hat richtig und verständlich berichtet. Positiv anzumerken bleibt, dass der Schaden des Screenings, nämlich «Überdiagnosen» und «überflüssige Therapien» am Schluss erwähnt sind. Allerdings haben «Tages-Anzeiger» und «Bund» diese Risiken nicht beziffert: Auf jeden Mann weniger, der dank der Diagnose Prostatakrebs stirbt, kommen 27 Männer, welche unnötig operiert oder bestrahlt werden, was zu Inkontinenz und Impotenz führen kann. Ohne diese Quantifizierung können Männer Nutzen und Risiken nicht abwägen.
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Diesen Text schrieb der Autor ursprünglich auf deutsche Zeitungsartikel zugeschnitten auf der Webseite des «Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung». Er hat seinen Artikel den in der Schweiz von der SDA, dem «Tages-Anzeiger» und dem «Bund» veröffentlichten Wortlaut angepasst.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Gerd Gigerenzer ist Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Autor u.a. des Buchs «Risiko», Taschenbuch 2014
swr-doku: Krank durch Früherkennung:
https://www.youtube.com/watch?v=tQu5bNObkfQ
Aussagen:
…tatsächlich steigt aber die Zahl der Krebsdiagnosen, in dem Masse je intensiver nach diesem Krebs gefahndet wird. Auch hier: Keine Veränderung der Sterblichkeit»
Kein Einfluss auf Mortalität, aber mehr Kranke!
Minute 31:50:
Die Operation sehr riskant… Impotenz, Inkontinenz. Der Überlebensvorteil ist nicht nachgewiesen (Leitlinien Fachgesellschaft).
-> deutsche Urologen verstümmeln unnötig tausende Männer jedes Jahr.
!!Der Erfinder des PSA-Tests hat sich von der Methode distanziert.!!
Evidenzbasierte Medizin ist das eine. Für die grosse Masse mögen sie ok sein. Im Einzelfall können solche Empfehlungen aber komplett daneben liegen. Eine personalisierte Medizin ist gerecht. Ohne Fachkompetenz nicht zu leisten. Solche Details gehören in den Diskurs.
Zu ergänzen ist, dass ein PSA-Test oft unzuverlässige Daten liefert. In meinem Fall gab ein zweiter Test nur den haben Wert des Tests an, der einen Monat zuvor gemacht worden ist. Der Urologie-Chefarzt einer Uniklinik hatte dafür keine andere Erklärung als die Aussage, der Test müsse von einem anderen Labor ausgewertet worden sein. Das aber war nicht der Fall! Wenn auf der Basis derart unsicherer Daten radikale Operationen mit weitreichenden Nebenwirkungen ins Auge gefasst werden, so verkommt die Chirurgie zu einer über die Krankenkassen wirkenden finanziellen Belastung der Allgemeinheit – von den direkten psychischen und physischen Belastung der betroffenen Männern gar nicht zu reden.
"Nun stuft auch der Expertenrat des Swiss Medical Boards PSA-Tests als ungeeignet ein.»
-> https://www.ktipp.ch/artikel/d/nachgefasst-unnoetige-prostata-tests/
laut Erfinder ein «Desaster für das Gesundheitswesen»:
"In den Jahren 1986 bis 2005 wurden nach Angaben des Gremiums eine Million Männer operiert, bestrahlt oder beides, die ohne den PSA-Test niemals behandelt worden wären. Mindestens 5000 von ihnen starben kurz nach der OP und 10.000 bis 70.000 litten unter schweren Komplikationen, bei 20.000 bis 30.000 kam es zu Nebenwirkungen wie etwa Impotenz oder Inkontinenz.
Richard Albin, gewissermaßen der Erfinder des PSA-Tests, spricht angesichts dieser Zahlen in der «New York Times» von einem «Desaster für das Gesundheitswesen».
-> http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/krebsvorsorge-usa-schaffen-umstrittenen-prostata-test-ab-a-790439.html
der Erfinder weiter: «kaum genauer als ein Münzwurf"
müssen wohl die Schweizer noch auspressen, bevor der Test definitiv Geschichte ist.
@Fröhlich: Der Urologie-Chefarzt ist schlecht informiert oder hat Spass am Verstümmeln anderer Männer.