Titanoxid: Strahlend weiss – und möglicherweise krebserregend
Es macht Wände weisser, Lebensmittel glänzender, Farben intensiver und schirmt in Sonnencremen die UV-Strahlung ab: Titanoxid findet sich an vielen Stellen. Es steckt in Farben, Kaugummis, Zahnpasta, Papier, Mozzarella, Medikamenten und vielen Kosmetika, oft in Form ultrakleiner Partikel.
Genau das ist ein Problem. Die EU-Kommission hat im Oktober 2019 beschlossen, Titanoxid als «potentiell krebserzeugend durch Einatmen» einzustufen. Damit müssten viele Produkte, die Titanoxid enthalten, mit einer Kennzeichnung versehen werden, falls sie eingeatmet werden können. Frankreich ging noch weiter und hat Titanoxid in Lebensmitteln ab Anfang 2020 verboten. Dies aus der Befürchtung heraus, es verursache auch beim Verzehr Krebs. Beide Gesetze drehen sich um dasselbe Produkt. Entscheidend sind die Wege, auf denen Titanoxid in den Körper gelangt.
Kritik aus der Industrie
Die herstellende Industrie kritisiert die Entscheidungen. Die Kritik richtet sich unter anderem gegen die Vorgehensweise. Ein Verbot, das ausgesprochen wird, weil die Titanoxid-Partikel so klein sind und so ihre unerwünschte Wirkung entfalten, sei problematisch. Es heisst nicht, dass derselbe Stoff in anderen Grössen giftig ist. Die CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) sieht vor, dass es um stoffspezifische Eigenschaften gehen muss – eine Verfahrensfrage also.
Das Lebensmittel-Verbot Frankreichs geht unter anderem auf einen Versuch französischer Wissenschaftler an Ratten zurück, der in der Zeitschrift «Nature» publiziert wurde. Sie beobachteten, dass Ratten, die Titanoxid mit dem Trinkwasser aufnahmen, Darmentzündungen bekamen und die Partikel ihr Immunsystem schwächten. Titanoxid, wiesen sie nach, gelangt als Nanopartikel durch den Darm ins Blut. Ob die Nanopartikel die Blut-Hirn-Schranke überwinden können, ist noch nicht bekannt.
Wissenschaftler rät zur Vorsicht bei entzündlichem Darm
Einen ähnlichen Versuch machten Forscher der Universität Zürich mit Zellkulturen und mit Mäusen. Titanoxid kann entzündliche Darmerkrankungen verschlimmern, stellten sie 2017 fest. Es aktiviert einen Proteinkomplex, der eigentlich für die Abwehr von Krankheiten zuständig ist. Dieser greift dann in einer Art Fehlreaktion den eigenen Körper an und löst Entzündungsreaktionen aus, weil er Titanoxid-Partikel für gefährlich hält. Die Übertragung von Tierversuchen auf Menschen ist jedoch schwierig, Versuchsreihen mit Menschen gibt es noch nicht. Die Wissenschaftler raten Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen dennoch, Titanoxid zu meiden.
Der Begriff Titanoxid fasst mehrere Oxide des Metalls Titan zusammen. Titandioxid (TiO2) wird als Farbstoff und Weisspigment verwendet und findet sich überall da, wo etwas weiss, farbig brillant und glänzend sein soll, zum Beispiel in Farben («Titanweiss»). Es wird als E171 Lebensmitteln, als CI 77891 Kosmetika zugesetzt. In Sonnencremen dient es als Sunblocker.
Jährlich werden davon etwa drei Millionen Tonnen hergestellt, ein Drittel davon in Europa. Der grösste Teil wird für Farben, Lacke, bei der Papierherstellung und in Kunststoffen eingesetzt. In Europa werden pro Jahr etwa drei Milliarden Euro (3,2 Milliarden Franken) mit Titanoxid umgesetzt. Grösster europäischer Produzent ist die «Group DF» in der Ukraine.
Es gibt also berechtigte Sorgen, aber noch zu wenig beweiskräftiges Studienmaterial. Die französische Agentur für Lebensmittelsicherheit ANSES hielt die Ungefährlichkeit von Titanoxid deshalb für nicht hinreichend bewiesen. Der Stoff wird zudem in Lebensmitteln zu keinem anderen Zweck gebraucht, als sie optisch ansprechender zu machen. Das Verbot gilt für ab 2020 neu in Verkehr gebrachte Produkte und läuft zunächst für ein Jahr.
Erste Hersteller haben bereits Rezepturen umgestellt
Nach einer Umfrage der ARD haben einige Lebensmittelhersteller aufgrund des französischen Verbots bereits Rezepturen geändert und verwenden kein Titanoxid mehr. Unter ihnen sind Kellogg’s, Bahlsen, Unilever, Ferrero, Danone, Ritter Sport und Intersnack. Vermutlich nicht aus Sorge um die Gesundheit ihrer Kunden, sondern aus Vermarktungsgründen, schätzt Sieglinde Stähle vom Verband der Deutschen Lebensmittelindustrie.
Bei Kosmetika, die Titanoxid enthalten, besteht keine Gefahr. Durch die Haut wandern die Titanoxid-Partikel nicht. Ganz anders sieht es aus, wenn sie eingeatmet werden, beispielsweise im Sprühnebel von Lack oder Sonnencreme. Die EU-Chemikalienbehörde ECHA beurteilte den Titanoxid-Staub schon 2017 als «vermutlich krebserregend bei Inhalation».
Der Zankapfel: die Kennzeichnungspflicht
Die neuen EU-Regeln bestimmen, dass auch draufsteht, was drin ist. Bestimmte Produkte mit Titanoxid müssen zukünftig mit dem Hinweis «möglicherweise krebserregend» gekennzeichnet werden. Die Widerspruchsfrist für diese Entscheidung läuft im Februar ab.
Der Industrieverband «Titanium Dioxide Manufacturers Association» (TDMA) führt dagegen an, dass «verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, das Titanoxid sicher keinen Krebs verursacht». Er verweist dabei auf «jahrzehntelange industrieunabhängige Forschung». Versuche zur Inhalation bei Ratten seien erstens mit einer sehr hohen Dosierung erfolgt und zweitens nicht auf den Menschen übertragbar.
Ähnliche Dimensionen wie Streit um Glyphosat
Bei der Auseinandersetzung geht es um viel Geld. Der Streit um Titanoxid habe eine ähnliche Dimension wie der um Glyphosat, sagt die ARD mit Bezug auf eine Brüsseler Organisation, die Lobbyeinflüsse analysiert.
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STELLUNGNAHME
Aufgrund obigen Artikels hat ein Infosperber-Leser von der deutschen Herstellerin Queisser Pharma GmbH folgende Antwort zu Gelenkpräparaten erhalten:
Wir bedauern sehr, dass Sie mit unserem Gelenk-Präparat aufgrund des enthaltenen Zusatzstoffes unzufrieden sind. Verbraucherzuschriften sind für uns enorm wichtig, denn sie helfen uns bei der Beurteilung und Optimierung unserer Produkte. Gern haben wir Ihre Rückmeldung an unsere Entwicklungsabteilung weitergeleitet.
Wenn möglich, versuchen wir auf Lebensmittelzusatzstoffe wie Titandioxid zu verzichten. Aus Stabilitätsgründen ist dies leider nicht bei allen Darreichungsformen möglich. Dies trifft auch für die Gelenk-Kapseln zu. Hier schützt das in der Kapsel befindliche Titandioxid empfindliche Inhaltsstoffe. D. h. es wird nicht verwendet, um den Kapseln eine weiße Farbe zu verleihen.
Gern empfehlen wir Ihnen zunächst ein apothekenexklusives Gelenk-Präparat ohne Titandioxid: Doppelherz system Kollagen 11.000 Plus (PZN 0762503).
Zudem möchten wir Ihnen noch allgemeine Informationen zu Titandioxid (E 171) als Lebensmittelzusatzstoff geben. Auch wir verfolgen die aktuellen Diskussionen, inwieweit die Aufnahme von Titandioxid möglicherweise ein gesundheitliches Risiko darstellen könnte. Denn Qualität und Sicherheit spielen bei der Entwicklung und Herstellung unserer Produkte eine herausragende Rolle. Selbstverständlich dürfen Nahrungsergänzungsmittel weder gesundheitsschädlich noch für den Verzehr ungeeignet sein. Für Nahrungsergänzungsmittel gelten dieselben strengen Sicherheits-Anforderungen wie für alle Lebensmittel.
Bei dem als Farbstoff eingesetzten Titandioxid (E 171) handelt es sich um einen zugelassenen Zusatzstoff, d. h. dessen Sicherheit wurde in umfangreichen Untersuchungen nachgewiesen.
Die Risikobewertung von verwendeten Zusatzstoffen erfolgt einheitlich durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Als weißer Farbstoff wird Titandioxid vielfach eingesetzt, z. B. als Überzug bei Schokolinsen oder Kaugummidragees oder aber als Farbstoff im Tablettenfilm. Der Stoff ist nicht wasserlöslich, sondern verteilt sich in sehr feinen Partikeln im Produkt. Es wird darüber diskutiert, ob Titandioxid als technisch hergestelltes Nanomaterial angesehen werden müsste. Als Nanomaterial gelten Stoffe, die einen bestimmten Anteil an „Nanopartikel“ (< 100 nm) aufweisen und besondere – von den Nanopartikeln ausgehende – Eigenschaften haben. Solche Stoffe müssen als Lebensmittelzutaten zusätzlich gekennzeichnet werden. Derzeit ist die Partikelverteilung bei Titandioxid noch nicht geklärt – das ist nicht einfach zu messen. Vor diesem Hintergrund ist der Erlass zum Verbot von Titandioxid durch die französische Regierung vom 25. April 2019 zu sehen: In Frankreich dürfen Lebensmittel mit dem Zusatzstoff E 171 ab Januar 2020 zunächst für ein Jahr nicht vertrieben werden. Eine anerkannte wissenschaftliche Begründung gibt es dafür nicht. Denn die Studie, die Frankreich zur Sicherheitsfrage von Titandioxid vorbringt, wurde von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit – EFSA – längst widerlegt. Frankreichs Vorgehen gegen die Verwendung von Titandioxid ist somit nicht wissenschaftlich begründet. Am Beispiel von Titandioxid soll vielmehr politischer Druck aufgebaut werden mit dem Ziel, Nanomaterialen umfassender zu definieren und die Vorschriften zur Kennzeichnung zu verschärfen. Eine Verschärfung der Kennzeichnungsvorschriften für Nanomaterialien sehen wir grundsätzlich als positiv an. Nicht nachvollziehen können wir jedoch das einzelstaatliche Vorgehen von Frankreich gegen Titandioxid, einem von der EFSA als sicher bewerteten Lebensmittelzusatzstoff, dessen Verwendung in allen anderen europäischen Ländern weiterhin zulässig ist. Queisser Pharma GmbH & Co. KGSchleswiger Strasse 74, 24941 Flensburg, Germanycustomer-service@queisser.de
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Sie schreiben: «Bei Kosmetika, die Titanoxid enthalten, besteht keine Gefahr. Durch die Haut wandern die Titanoxid-Partikel nicht. Ganz anders sieht es aus, wenn sie eingeatmet werden, beispielsweise im Sprühnebel von Lack oder Sonnencreme. Die EU-Chemikalienbehörde ECHA beurteilte den Titanoxid-Staub schon 2017 als «vermutlich krebserregend bei Inhalation».»
Dies ist für mich ein wenig verwirrend. Scheinbar ist es kein Problem in Kosmetika aber hier soll es bei der Sonnencreme ein Problem sein?
Bei den naturkosmetischen bzw. mineralischen Sonnencremes (wenn möglich Bio-zertifiziert) wird Titandioxid eingesetzt. Diese Teilchen sind nicht in Nanogrösse und müssen auf der Haut wirken und nicht in der Haut.
Das Thema ist komplex und ich bin froh, dass Ihr hier darüber schreibt.
@Daniel Müller Da geht es um Sonnencremes, die durch Aufsprühen aufgetragen werden. Dabei entsteht ein Nebel, der eingeatmet werden kann.
Liebe Frau Gschweng, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Problematisch sind die Aerosole welche beim Einatmen gesundheitliche Schäden verursachen. Bei den naturkosmetischen Sonnensprays handelt es sich nicht um Aerosole. Bei diesen Produkten entsteht kein feiner Sprühnebel. Wichtig ist auch zu wissen, dass Nanoteilchen in der Naturkosmetik verboten sind.