Stiftung Warentest: «Auf Grippeimpfung verzichten»
Die Stiftung Warentest (Stiwa) in Berlin testet nicht nur viele Konsumprodukte, sondern seit 15 Jahren auch Angebote im Gesundheitsbereich. Vor der diesjährigen Grippesaison hat die Stiwa älteren Menschen zum zweiten Mal von der Impfung gegen die Influenza-Grippe abgeraten. Sie sei ausser in Einzelfällen «wenig sinnvoll». Für Personen in medizinischen Berufen sowie für Schwangere ab dem 5. Monat empfiehlt die Stiwa die Influenza-Impfung. Für Kinder und Jugendliche sei die Impfung «erwägenswert».
Damit empfiehlt die unabhängige Stiwa das Gegenteil der Behörden in Deutschland und der Schweiz, welche die Impfung vor allem für Personen ab 65 Jahren (sowie fürs Personal in Spitälern und Pflegeheimen) empfehlen. Tatsächlich sterben an Influenzaviren fast keine Kinder, sondern bereits immungeschwächte Seniorinnen und Senioren. Die Frage ist nur: Sterben ohne Impfung wirklich weniger Seniorinnen und Senioren daran?
«Wenig bis gar keine Wirkung bei Senioren»
Die «Cochrane Collaboration», ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, wertet bereits seit 1993 alle veröffentlichten Studien zum Thema Grippe aus. Der britische Arzt und Cochrane-Forscher Tom Jefferson kam zum Schluss: Gegen Influenza-Infektionen wirkt die Grippeimpfung «im besten Fall mässig». Am besten würden die Impfungen bei gesunden Erwachsenen und Jugendlichen wirken – für welche das Bundesamt für Gesundheit BAG die Impfung gar nicht empfiehlt. Bei den Risiko-Gruppen Kinder und Senioren dagegen würden die Grippeimpfungen «wenig bis gar nichts» nützen, erklärt Cochrane.
Blutproben bestätigen den schwachen Nutzen
Eine neue Studie bestätigt den Befund der «Cochrane Collaboration» und der Stiftung Warentest. Die Körper älterer Menschen würden auf die abgetöteten Virusvarianten des Impfstoffs nicht einfach schwächer reagieren, sondern auf eine andere Art als die Körper jüngerer Menschen. Forscher aus den USA, Grossbritannien und Israel hatten bei über 200 Geimpften verschiedenen Alters mehr als fünf Jahre lang mit Blutproben untersucht, wie die Körper auf die Impfstoffe reagierten. Das berichtete die «Süddeutsche Zeitung» aufgrund einer Studie, die in der Fachzeitschrift «Immunity» erschien. Die meisten Senioren reagierten auf die Impfung mit einer Entzündungsreaktion, die von selbst wieder abklang und keine Schutzwirkung entfaltete.
Erfahrungen aus der Vergangenheit
Empirische Zahlen bestätigen, dass die Grippenimpfungen für die meisten Menschen keinen grossen Nutzen haben:
- In den USA wurden 1980 erst 15 Prozent der älteren Menschen über 65 geimpft, im Jahr 2001 waren es 65 Prozent. Trotzdem haben die Todesfälle infolge Influenza während diesen Jahren nicht etwa abgenommen.
- In der Grippesaison 1997/98 hatten sich andere Virenarten als vorausgesehen verbreitet, so dass der Impfstoff gar nicht wirken konnte. Trotzdem gab es in diesem Winterhalbjahr nicht mehr Grippe-Todesfälle als in andern Jahren.
Einzelne Studien nicht massgebend
Eine Doppelblindstudie über die tatsächliche Zahl von Erkrankungsfällen einer geimpften Gruppe mit einer vergleichbaren ungeimpften Gruppe gibt es nicht. Deshalb können die Meinungen über Erfolg oder Misserfolg der Grippe-Impfkampagnen derart auseinander gehen. Am seriösesten und aussagekräftigsten sind die systematischen Analysen und Vergleiche der vorhandenen Impfstudien, welche die Cochrane Collaboration erstellt. Nur zehn Prozent der vielen Impfstudien sind nach deren Angaben methodisch robust. Der Epidemiologe Johannes G. Schmidt hat die Resultate der Cochrane Collaboration zusammengestellt:
- Bei gesunden Erwachsenen kann die Zahl der Grippefälle leicht reduziert werden. Das hat jedoch keinen Einfluss auf die Zahl der Krankschreibungen oder der Spitaleinweisungen.
- Bei gesunden, über 2-jährigen Kindern ist eine «geringe Reduktion» der Influenza-Fälle festzustellen. Die Zahl der grippeähnlichen Erkrankungen bleibt gleich. Nebenwirkungen sind kaum untersucht.
- Bei älteren Menschen sowie Kindern im Alter von unter 2 Jahren ist keine Schutzwirkung nachgewiesen.
- Wird Personal der Alterspflege geimpft, führt dies nicht zu weniger Influenza-Erkrankungen oder Influenza-Komplikationen. Einzige Ausnahme sind an Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung Leidende (COPD).
Um letzterem Befund zu widersprechen, zitiert zum Beispiel der Zürcher Allgemeinarzt Daniel Schlossberg eine rückwirkend erstellte Kohortenstudie in den USA. Solche im Nachhinein erstellte Studien sind anfällig für Fehlinterpretationen. Auch können einzelne Studien aufgrund ihrer Anlage bessere Resultate zeigen. Solche Studien meist minderer Qualität würden dann von Impfpromotoren gerne herausgepflückt, erklärt Schmidt. Die Cochrane Collaboration hat unter den vielen Studien die Spreu vom Weizen getrennt.
Skepsis beim Medizinpersonal
Besonders gut Informierte, die in Heimen, Spitälern und Arztpraxen arbeiten, lassen sich am wenigsten impfen, obwohl sich die aufwändige Kampagne des Bundesamts für Gesundheit BAG zum Impfen gegen Grippe besonders an das Gesundheitspersonal richtet, welches mit Patientinnen und Patienten zu tun hat, sowie an Seniorinnen und Senioren, die am ehesten an einer Influenza sterben, wenn sie ohnehin bereits geschwächt sind.
Doch bei beiden Zielgruppen erweist sich die jahrelange Kampagne als Flop. Statt den Flop einzugestehen, titelte das Bundesamt für Gesundheit «Wissen und Handeln sind zweierlei».
Der Titel hätte auch heissen können: «Wer besser informiert ist, lässt sich weniger impfen». Das trifft insbesondere für das Gesundheitspersonal zu. Eine im September veröffentlichte Umfrage des BAG ergab, dass sich nur mickrige 14 Prozent des Gesundheitspersonals jedes Jahr impfen lässt. Weitere 16 Prozent nur alle paar Jahre. Im Klartext:
- 70 Prozent des gut informierten Gesundheitspersonals lässt sich nie gegen die Grippe impfen.
Bei den Senioren sind die Zahlen nicht viel besser: Nur 22 Prozent lassen sich jährlich impfen, weitere 16 Prozent nur alle paar Jahre.
- 62 Prozent aller Männer und Frauen im Alter von 65 Jahren und höher lassen sich nie impfen.
Die Einstellung zur Impfung «verändert sich über die Zeit meist wenig», stellt das BAG ernüchtert fest.
Frage des BAG: «Haben Sie sich in den vorherigen 5 Wintern gegen die Grippe impfen lassen? Obige Resultate der Umfrage in grösserer Auflösung hier.
Irreführende Angaben des BAG
Die Influenza-Grippe würde jedes Jahr «durchschnittlich 400 Todesfälle» verursachen, vor allem unter der älteren Bevölkerung, warnt das BAG heute. Noch vor zehn Jahren hatte das BAG behauptet, es gebe jedes Jahr «zwischen 400 und 1000 Todesfälle», also jedes Jahr mindestens 400. Die Korrektur ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass es dank Erfolg der Impfkampagnen zu weniger Sterbefällen kommt. Das BAG hatte die Todesfälle einfach aufgebauscht, um seine Impfkampagne zu unterstützen. Tatsächlich weist die Statistik in mehr als der Hälfte der Jahre nur zwischen 125 und 370 Grippe-Todesfälle aus. Meistens sind alte Menschen betroffen, die bereits krank waren.
Vor einem Jahr räumte das BAG ein, dass die Daten zur saisonalen Grippe bisher «ungenau und lückenhaft» waren. Mit einer «nationalen Strategie zur Prävention der saisonalen Grippe 2015-2018» möchte das BAG jedoch nicht etwa abklären, bei wem und ob die Impfung überhaupt zu weniger Influenza-Erkrankungen, Spitaleinweisungen und Todesfällen führt. Sondern im Fokus steht vielmehr die Frage, «weshalb die Impfung als wirksamste präventive Massnahme gegen die Grippe nicht weiter verbreitet ist».
Einige Vergleiche
Aufwändige Kampagnen und Strategien wären andernorts dringlicher gefragt:
- Über 3700 Menschen sterben in der Schweiz vorzeitig wegen der Belastung der Luft mit Feinststaub (Bundesamt für Raumentwicklung 2005).
- Über 2000 Frauen und Männer sterben jedes Jahr wegen eines vermeidbaren Fehlers in Spitälern (BAG 2014).
- Über 1100 Todesfälle pro Jahr verursacht die körperliche Inaktivität (BAG 2014).
- Die zehn Prozent wirtschaftlich und sozial Schwächsten der Bevölkerung sterben zehn Jahre früher als die zehn Prozent wirtschaftlich und sozial Stärksten.
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GEGEN INFLUENZA-VIREN UND ERKÄLTUNGEN VORBEUGEN
- Sitzen Sie nicht nahe von Personen, die niesen und husten.
- Falls Sie selber niesen und husten, dann tun Sie es in den Ellbogen. Entsorgen Sie benutzte Papiertaschentücher.
- Berühren Sie mit Ihren blossen Händen in Zügen, Trams und Bussen keine Stangen und Türen.
- Berühren Sie unterwegs mit Ihren Händen möglichst nicht die Augen, die Nase oder den Mund.
- Waschen Sie häufig die Hände, wenn möglich mit Seife.Trinken Sie häufig, damit ihre Schleimhäute feucht bleiben.
- Bewegen Sie sich viel.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Bei meiner Version über die Grippeimpfung kamen offenbar zwei unterschiedliche Artikel durcheinander: zwischen den Ausführungen zur Grippeimpfung plappert immer wieder Freysinger und der walliser Bischof drein über Religionsunterricht …
Der Mensch ist keine Ware und der Vergleich von Kohorten 1980 und 2001 ist kein verlässlicher Test. Solange es keine randomisierten doppelblinden Placebo kontrollierten Studien gibt, wissen wir bloss, dass die Influenzaimpfung nicht schadet sondern nützt, letzteres in unbekanntem Ausmass. Stelle ich diesem Wissen die Kosten der Impfung von etwa Fr. 25 (Impfstoff und Honorar für Arzt oder Apotheker) gegenüber, empfehle ich weiterhin jedem Menschen, sich impfen zu lassen, aus gesundheitlichen und aus ökonomischen Gründen.
@Binder. Solange es keine der erwähnten Studien gibt, wissen wir doch auch nicht, welche unerwünschten Nebenwirkungen und Schäden die Impfung verursacht.
@Gasche: Es gibt über mögliche Impfnebenwirkungen grosse Register. Bei der Influenzaimpfung darf ich aus bald 30-jähriger eigener Praxiserfahrung sagen, dass ich keine einzige ernsthafte Nebenwirkung gesehen habe.
Sollte die Impfung bei älteren Menschen tatsächlich weniger wirksam sein als bei jüngeren, wäre es erst Recht die solidarische Pflicht aller jüngeren Menschen, sich impfen zu lassen um die Verbreitung des Influenzavirus und damit das Erkrankungsrisiko gefährdeter alter und / oder schwer kranker Menschen zu reduzieren.
Das Aufbauschen von Zahlen spricht nicht für das BAG. Es wird hier offensichtlich «Risiko-Kommunikation» gemacht, – das heisst, den Leuten Aktivität und Sinn liefern.
Die gleiche Kommunikation macht das BAG auch beim Mobilfunk: kein Inhalt, keine Relevanz. Dabei ist das die Noxe mit der höchsten Wachstumsrate und der breitesten Wirkung auf unseren Organismus: Eingriffe in DNA und ZNS und unser ganzes mikro-austariertes, an Sonnenstrahlung angepasstes Leben mit hochfrequenter Strahlung. Wer sich darüber mehr Gedankem machen möchte, darf weiterlesen:
http://www.hansuelistettler.ch/index.php/umwelt/35-werden-wir-wirklich-immer-aelter
H & M : Händedesinfektion und Maske, sind probate Mittel, um die Ausbreitung der Grippe einzudämmen. Ohne Nebenwirkung und billig. In Japan gehört es zum normalen Anstand, bei grippalen Infekten eine Maske zu tragen. In Luzern sieht man sie oft auf der Strasse. Wenn immer möglich bei Erkrankung zuhause bleiben!
Die oben genannten vorbeugenden Empfehlungen sind z.T. schlecht realisierbar: Wie soll ich im Bus oder Zug fahren, ohne Stangen und Türen zu berühren? Jede und jeder kann aber Desinfektionstüchlein oder ein Fläschchen bei mir haben. Ob in den Ellbogen niesen und husten wirklich hilft? Ich zweifle.
Eine gute Maske nützt bestimmt! Wer zeigt als erste Europäer Zivilcourage und setzt sich eine passende Gesichtsmaske auf bei der nächsten Grippe oder Erkältung?
Also: H, M und wenn immer möglich ins Bett!
Jacques Schiltknecht, Arzt, Luzern
Dass es keine Doppelblindstudien gibt, ist doch sehr aufschlussreich. Methodisch wäre es ohne weiteres möglich, solche Studien zu machen.
Offensichtlich sind die einschlägigen Kreise (BAG, Industrie,..) nicht an verlässlichen Informationen interessiert. Weil sie wahrscheinlich selbst nicht daran glauben, dass die Resultate seriöser Studien eine gute Werbung für die Grippeimpfung wären.
Lieber müllt man die Bevölkerung mit moralisierenden Impfenmpfehlungen zu, die im Falle des Gesundheitspersonals durchaus den Charakter von Drohungen erhalten.
Die Gedanken zur Grippeimpfung dürfen natürlich nicht pauschal auf alle Impfungen übertragen werden. Es gibt andere Impfungen, die sehr nützlich und segensreich sind!
Es wird argumentiert, eine Doppelblindstudie sei ethisch nicht verantwortbar, weil man die Placebo-Gruppe einem bekannten Grippe-Risiko aussetze.
Es ist klar, dass die Gegner von seriösen Wirksamkeitsstudien ihre Motive nicht ehrlich benennen können. Da schiebt man lieber ethische Bedenken vor.
Die Frage ist: Würde man mündige, urteilsfähige Erwachsene finden, die freiwillig an einer solchen Studie teilnehmen würden? Ich glaube schon. Und wenn die Probanden freiwillig teilnehmen, haben die Profi-Ethiker nichts mehr zu husten.
Die Teilnehmer einer solche Studie müsste seriöserweise sowieso regelmässig ärztlich untersucht werden. Man muss den Gesundheitszustand der Probanden ja dokumentieren, um Resultate zu erhalten. So wäre die gesundheitliche Sicherheit der Probanden wohl nicht schlechter, sondern besser gewährleistet als die der durchschnittlichen Bevölkerung.
Daniel Heierli hat völlig recht. Das Ethik-Argument ist unethisch. Für zahllose neue Medikamente wird für die Zulassung ganz selbstverständlich eine randomisierte Doppelblindstudie verlangt.
Schleierhaft ist das Verhalten des BAG. Man könnte meinen, diese «Impfeuphohriker» bekämen Boni von den Herstellern.
Ich bin nahe 90. Seit Gedenken lasse ich mich gegen Grippe jedes Jahr impfen. Den Begriff «Grippe» kenne ich nur vom hören-sagen.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Grippe gehabt zu haben.
Das ist wohl das stärkste Argument:
"70 Prozent des gut informierten Gesundheitspersonals lässt sich nie gegen die Grippe impfen.»
Impfverzicht muss gesund sein, die gut informierten Impfskeptiker nehmen zu – scheinen eine geringere Sterblichkeit zu haben 🙂
Gute Entwicklung, die omnipräsente Hirnwäsche der Produzenten und ihrer Amtsstellen scheint ihre (Heil?) Wirkung zu verfehlen.