Krebsmedikamente: Pharmaindustrie erhöht Margen auf Rekordwert
Medikamente gegen Krebs kosteten die Krankenkassen im Jahr 2018 über eine Milliarde Franken – ohne die Krebsmittel, die in Spitälern abgegeben werden.
Das Geschäft mit den Krebsmedikamenten floriert, es ist die Zukunft der Pharmaindustrie: Allein in der Schweiz erhalten jedes Jahr rund 40’000 Personen die Diagnose Krebs. Dafür müssen alle Prämienzahlenden tief in die Tasche greifen: Krebspräparate kosten in der Schweiz bis über das 80-fache ihrer Herstellungskosten. Das rechnete jedenfalls das öffentlich-rechtliche Westschweizer Radio RTS in seiner Sendung «Mise au Point» vor.
Die Pharmaunternehmen bringen immer neue Präparate auf den Markt. Eine grosser Teil davon ist für todkranke Patientinnen und Patienten, denen bisher übliche Chemobehandlungen und Bestrahlungen nichts mehr nützen. Sie sollen das Leben um ein paar Monate verlängern oder wenigstens die Lebensqualität bis zum Tod verbessern. Das tun sie jedoch längst nicht immer. Für die in Aussicht gestellten Hoffnungen müssen die Krankenkassen Höchstpreise zahlen.
Starker Anstieg der Kassenausgaben für Krebsmedikamente
In seinem Bericht nannte «RTS» bisher unveröffentlichte Zahlen zu den Kosten von Krebsmedikamenten, welche die Kassen in der Grundversicherung zahlen müssen. Diese seien im Zeitraum von nur fünf Jahren von 603 auf 931 Millionen Franken pro Jahr gestiegen, was einem Anstieg von 54 Prozent entspreche.
Für alle Arten Medikamente mussten die Kassen insgesamt 6,8 Milliarden ausgeben. Am weitaus stärksten sind die Kosten für Krebsmedikamente gestiegen. Ein einziges Krebsmedikament habe beispielsweise über 74 Millionen Franken gekostet. Unter den fünfzehn umsatzstärksten Krebsmedikamenten befinden sich vier Krebsmedikamente des Basler Pharmakonzerns «Roche». Bei Krebspräparaten ist «Roche» einer der Weltmarktführer.
Kosten einzelner Krebsmedikamente von 2014 bis 2018 für die Grundversicherung
«Herceptin» von Roche liegt mit über 250 Millionen Franken an zweiter Stelle. Grössere Auflösung der Grafik hier.
Tiefe Produktionskosten, hohe Preise
Der Grund für die hohe Endabrechnung liegt an den hohen Medikamentenkosten pro Patient. Kosten, die sich pro Jahr und Patient auf 100’000 Franken und mehr belaufen, seien schon beinahe die Norm, erklärte Martina Weiss. Sie leitet für die Krankenkasse Helsana die Abteilung Verhandlungen und Vergütungen. Diese Preise haben nichts mit den Produktionskosten zu tun.
Um die Sachlage zu verdeutlichen, lieferte «RTS» ein prominentes Beispiel: Das Präparat «Herceptin» wird seit zwanzig Jahren auf der ganzen Welt zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt. Damit ist es das Flaggschiff von «Roche», das Präparat habe dem Pharma-Riesen seit zwanzig Jahren weltweit 82,8 Milliarden Franken eingebracht. In der Schweiz kostete «Herceptin» die Kassen zwischen 2014 und 2018 happige 257 Millionen Franken. Immerhin ist die Zweckmässigkeit von Herceptin im Gegensatz zu vielen andern Krebsmedikamenten unbestritten.
Margen von bis zu 85 Prozent
Nun wäre es nützlich zu wissen, welchen Anteil «Roche» in die Entwicklung und Fabrikation des Präparats steckt. Allerdings geben die Pharma-Unternehmen diese Zahlen nicht preis. Deshalb musste «RTS» die Fabrikations- und Forschungskosten von «Herceptin» auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien und Berichten von Finanzanalysten schätzen lassen. Gemäss den Angaben von Biotechnologie-Spezialisten koste eine Flasche «Herceptin» in der am weitesten verbreiteten Form ungefähr 50 Franken. Dieselbe Menge werde in der Schweiz den Kassen aber für 2095 Franken verkauft. Das entspreche dem 42-fachen der Herstellungskosten.
Selbst unter Berücksichtigung der Forschungs- und Vertriebskosten erreiche die Marge für eine Flasche «Herceptin» – trotz eines Preisrückgangs im Jahr 2018 – «mindestens 85 Prozent des Kassenpreises», so «RTS». Das bedeut laut «RTS»: Von den 257 Millionen, die zwischen 2014 und 2018 von den Versicherten in der Schweiz bezahlt wurden, landeten mindestens 221 Millionen in den Kassen von «Roche». Damit werden u.a. in aggressives Marketing sowie hohe Gehälter und Dividenden finanziert.
Was vom Krankenkassen-Preis in welche Taschen fliesst
Mit welcher Methode «RTS» die Kosten ausrechnete, ist am Schluss dieses Artikels nachlesbar.
Preise basieren auf «Nutzen für die Gesellschaft»
«RTS» konfrontierte das Pharmaunternehmen «Roche» mit den hohen Margen auf Krebspräparate. Der Konzern habe sich aber geweigert, darüber Auskunft zu erteilen. Eine Sprecherin habe geantwortet, dass die Preise für die einzelnen Medikamente nicht auf den Investitionen für ein bestimmtes Präparat basieren. Die Arzneimittelpreise würden «auf dem Nutzen basieren, den sie den Patienten und der Gesellschaft als Ganzes bieten.»
Oder anders ausgedrückt: Je effizienter ein Präparat ist, desto höher der Tarif. Selbst, wenn die Produktion eigentlich nur wenig kostet. Diese Kriterien entsprechen jenen, welche das Krankenversicherungsgesetz und die dazu gehörenden Verordnungen vorschreiben.
«Pharma-Unternehmen müssen etwas verdienen, aber es ist unsinnig, solche Margen zu kassieren. In einem wettbewerbsorientierten Markt wäre das nicht möglich», sagte Thomas Cerny, Präsident von «Krebsforschung Schweiz» gegenüber «RTS».
Hohe Margen sind die Regel
«Herceptin» ist ein Beispiel unter vielen. Für «Mabthera», ein anderes erfolgreiches Krebsmedikament von «Roche», hätten sich die Netto-Einnahmen im Jahr 2018 auf mindestens 81 Prozent des Krankenkassenpreises belaufen.
«RTS» liefert mit dem Präparat «Glivec» von «Novartis» ein weiteres Beispiel. Vor zehn Jahren sei das Präparat in der Schweiz für 3940 Franken verkauft worden. Heute koste die Box mit 30 Pillen in der häufigsten Dosierung den Krankenkassen fast 2600 Franken. Wie Thierry Buclin, Pharmakologe am Universitätsspital Lausanne, gegenüber «RTS» sagte, sei «Glivec» in der Herstellung aber nicht teurer als ein standardmässig hergestelltes entzündungshemmendes Mittel, das selten für mehr als 50 Franken verkauft werde.
Laut einer Studie der Universität Liverpool kostet eine Schachtel «Glivec» bei der Herstellung maximal 30 Franken. Das sind nicht einmal 2 Prozent der von «Novartis» ab Fabrik in Rechnung gestellten 2308 Franken. Gemäss den Berechnungen von «RTS»* – unter Berücksichtigung der Forschungskosten – liegen die Netto-Einnahmen von «Novartis» aus einer ab Fabrik für 2308 Franken verkauften Medikamentenbox zwischen 2181 und 2251 Franken. Das ist eine Marge von 94 bis 97 Prozent.
«Die nächste Generation von Behandlungen finanzieren»
Gemäss «RTS» weigerte sich «Novartis», über die hohen Margen Auskunft zu erteilen. Vielmehr habe sich der Konzern auf den Standpunkt gestellt, dass er seine Investitionen in die Forschung an «Glivec» in den letzten 15 Jahren aufrechterhalten habe, und dass die Verkäufe es ermöglicht hätten, die nächste Generation innovativer Behandlungen zu finanzieren – einschliesslich klinischer Studien mit neuen experimentellen Molekülen. Aber auch durch diese neuartigen Moleküle entstehen Probleme und hohe Kosten für das Gesundheitssystem. «Die Pharmaindustrie setzt das Schweizer Gesundheitssystem mit exorbitanten Preisforderungen unter Stress», titelte die NZZ.
«Novartis» habe über die Forschungsbeiträge, die es in «Glivec» reinvestiert hat, keine Auskunft erteilt. Dafür aber an seine jährlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben von neun Milliarden Dollar erinnert.
Dem Argument von den Reinvestitionen in die Forschung widerspricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ihr zufolge haben die hohen Preise für Krebsmedikamente Gewinne generiert, die weit über den möglichen Forschungs- und Entwicklungskosten liegen. Weiter stellte die WHO fest, dass Pharmaunternehmen pro Dollar, der in die Krebsforschung investiert wurde, durchschnittlich 14,5 Dollar Umsatz erzielen. In einem entsprechenden Bericht kommt die WHO zum Schluss, dass «niedrigere Preise für den Zugang zu Medikamenten, die finanzielle Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme unerlässlich sind.» Das trifft ganz besonders für Entwicklungsländer zu.
Preise werden blind fixiert
In der Schweiz werden die Medikamentenpreise vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) verhandelt. «RTS» hat nachgefragt, wie hier die hohen Preise gerechtfertigt werden. «Aufgrund der Kosten für Forschung und Entwicklung ist der Preis von ‹Herceptin› nicht gerechtfertigt», meinte ein BAG-Sprecher. Andererseits entspreche der Preis den wirtschaftlichen Kriterien, «wenn wir uns auf unsere Rechtsgrundlage verlassen». Gemeint ist in erster Linie ein Vergleich mit den offiziellen Fabrik-Listenpreisen im Ausland.
Denn Medikamentenpreise setzt das BAG aufgrund zweier Kriterien fest: 1. einem Vergleich mit den offiziellen Fabrik-Listenpreisen in neun europäischen Ländern, und 2. dem therapeutischen Vergleich. Da es aber für «Herceptin», «Mabthera» und «Glivec» keine gleichwertige Substanz gebe, sei nur der internationale Vergleich der Fabrik-Listenpreise berücksichtigt worden.
Das BAG räumte gegenüber «RTS» ein, dass es die Preise nicht kennt, welche die Krankenkassen im Ausland effektiv zahlen. «Die meisten Krankenkassen zahlen nicht den Fabrikpreis, den die Pharmafirmen angeben. Es ist wie beim Kauf eines Konsumproduktes: Jeder profitiert von einem Rabatt, jeder kommt mit dem Gefühl nach Hause, den besten Preis erzielt zu haben. Aber am Ende ist sich niemand wirklich sicher.»
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*BERECHNUNGSMETHODE von RTS
Méthodologie
Pour calculer les marges des entreprises pharmaceutiques, nous avons soustrait des remboursements les coûts de fabrication, de distribution et les coûts de recherche ventilés sur les ventes des médicaments. Les quantités de vente en Suisse ont été déduites des remboursements divisés par les prix unitaires. Les dépenses marketing n’ont pas été prises en compte.
Cette méthodologie et les estimations qui en découlent ont été soumises à plusieurs experts du domaine.
Les données utilisées sont les suivantes:
HERCEPTIN
Coûts de recherche: 802 millions de francs, selon le rapport de Roche «Développement de nouveaux médicaments anticancéreux & Pipeline Roche Oncologie»
Ventes mondiales totales: 82.8 milliards de francs, selon les rapports annuels de Roche
Coûts de fabrication: 50.56 francs, selon le rapport «Biosimilars: Commercial Perspective» du cabinet spécialisé Alliance Bernstein, cité par la Commission fédérale du commerce des Etats-Unis
Remboursement LAMal 2014-2018: 257.7 millions de francs, selon Curafutura
Prix fabricant (flacon de 20 ml): 1854.24 francs, selon l’ OFSP
Coûts de distribution: 240.91 francs, selon l’OFSP
Coûts de production maximaux estimés (fabrication et recherche): 68.50 francs
MABTHERA
Coûts de recherche: 802 millions de francs, selon le rapport de Roche «Développement de nouveaux médicaments anticancéreux & Pipeline Roche Oncologie»
Ventes mondiales totales: 91 milliards de francs, selon les rapports annuels de Roche
Coûts de fabrication: 91.08 francs, selon le rapport «Biosimilars: Commercial Perspective» du cabinet spécialisé Alliance Bernstein, cité par la Commission fédérale du commerce des Etats-Unis
Remboursement LAMal 2014-2018: 224.5 millions de francs, selon Curafutura
Prix fabricant (flacon de 50 ml): 1415.32 francs, selon l’ OFSP
Coûts de distribution: 198.43 francs, selon l’OFSP
Coûts de productions maximaux estimés (fabrication et recherche): 103.55 francs
GLIVEC
Coûts de recherche: fourchette entre 623 millions (selon Research and Development Spending to Bring a Single Cancer Drug to Market and Revenues After Approval) et 2.3 milliards de francs (selon Innovation in the pharmaceutical industry: New estimates of R&D costs)
Ventes mondiales totales: 55.4 milliards de francs, selon les rapports annuels de Novartis
Coûts de fabrication: 30.35 francs, selon l’étude Estimated costs of production and potential prices for the WHO Essential Medicines List
Remboursement LAMal 2014-2018: 114.8 millions de francs, selon Curafutura
Prix fabricant (400 mg sécables, 30 tablettes): 2308.04 francs, selon l’ OFSP
Coûts de distribution: 284.81 francs selon l’OFSP
Coûts de production maximaux estimés (fabrication et recherche): entre 56.28 francs et 126.10 francs
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Wenn es um «existenziell» sehr bedeutende Produkte und Dienstleistungen geht sind die Gesetze des idealen MARKTes sowieso ausser Kraft.
https://www.ifpma.org/
Wenn ich die globale IFPMA (International Federation of Pharmaceutical Manufacturers Associations) strategisch beraten sollte, würde ich empfehlen all die vielen bekannten aber eher seltenen, hoch-existenzbedrohenden Krankheiten aufzulisten. Dann sollten sich die führenden Pharma-Konzerne der Welt darauf einigen, wer ein Monopol auf welche solche Krankheit bekommt.
Obwohl … wahrscheinlich komme ich mit der der Idee zu spät.
Mit den nicht so seltenen Krankheiten sind die gewohnten Umsatzrenditen, weshalb auch immer, nicht mehr zu erzielen oder zu steigern :
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/471968/umfrage/umsatzrendite-fuehrender-pharmaunternehmen-weltweit/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/471968/umfrage/umsatzrendite-fuehrender-pharmaunternehmen-weltweit/