1968, die Linke und die «Arbeiterklasse»
Red. Philipp Sarasin lehrt Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Er ist Mitbegründer des Zentrums Geschichte des Wissens, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Internetplattform H-Soz-Kult und Herausgeber von Geschichte der Gegenwart. Er kommentiert privat auf Twitter.
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In den politischen Turbulenzen der Gegenwart ist das Jahr 1968 erneut ein Fluchtpunkt von Kritik wie auch der Selbstreflexion der Linken. Von rechts aussen wird die Liberalität der heutigen Gesellschaften als «links-grün versifft» denunziert und dafür «68» die Schuld gegeben. Etwas wohlmeinendere Liberale beklagen, «die Linke» habe seit 1968 «die Arbeiter» aufgegeben und kümmere sich bald nur noch um die «Identität» verschiedener Gruppen jenseits der «Mitte der Gesellschaft». Das ist ein Vorwurf, der insbesondere von Didier Eribon populär gemacht wurde und der auch die Niederlage Hillary Clintons gegen Donald Trump zu erklären scheint.
In den diversen Lagern der politischen Linken wiederum streitet man darüber, ob 68 eine «Revolution» war, die vielleicht kurzfristig gescheitert sei, deren Impulse aber wieder aufgegriffen werden müssten. Gretchen Dutschke, die Witwe des West-Berliner Studentenführers Rudi Dutschke, hält daran fest, der entscheidende Reformimpuls sei von «68» ausgegangen. Andere 68er bezweifeln das. Der Osteuropa-Historiker und ehemalige KBW-Funktionär Gerd Koenen sagt, die Linke verkläre «68» zum Mythos, sie müsse jedoch anerkennen, dass der gesellschaftliche Reformprozess schon lange vor «68» eingesetzt habe. In ähnlicher Weise schätzt auch der ehemalige Göttinger Studentenfunktionär und spätere Soziologieprofessor Wolfgang Essbach in einem Interview in der FAZ die Bedeutung von «68» ein: Die damalige Revolte sei nicht der Beginn, sondern das «Ende einer Reformphase» gewesen. Und er unterstreicht, die «68er» seien streckenweise auch sehr intolerant und zumindest verbal gewalttätig gewesen.
Amerikanisierung und Nonkonformismus
Um in diesem Gewirr der Fluchtlinien und Rückblicke, die «68» mit der Gegenwart verbinden, den Überblick nicht ganz zu verlieren, kann man festhalten, was allein schon aus chronologischen Gründen unbestreitbar ist: «68» kam spät – zumindest gemessen an der Frage, welche Prozesse die westlichen Gesellschaften in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg am nachhaltigsten verändert hatten. In den 1950er Jahren dominierten unter dem ideologischen Konformitätsdruck, der vom Kalten Krieg ausging, auf der einen Seite zwar die Anstrengungen, die «bürgerliche» Gesellschaft zu restaurieren, die im «Zeitalter der Extreme» (Eric Hobsbawm) zerbrochen war. Auf der anderen Seite aber kündete die gerade von Konservativen vielbeklagte «Amerikanisierung» der Nachkriegsgesellschaft einen tiefgreifenden kulturellen Wandel an.
Meine Eltern gehörten zu jenen, die damals jung und hip waren – die «58er», gleichsam. Sie hatten mit «nonkonformistischem» Gusto alle Normen der Vätergeneration der 1930er und 40er Jahre verachtet – aber sie waren selbstverständlich antikommunistisch eingestellt, wenn auch mehr technokratisch als politisch denkend, und sie blieben bürgerlich, hörten Jazz und verkehrten nur unter ihresgleichen. Von den proletarischen Rockern oder den Halbstarken und ihrer Musik, dem Rock ’n’ Roll, waren sie meilenweit entfernt. In den 60er Jahren veränderte sich diese Welt dann in atemberaubend schneller Weise: Das Amalgam von neuen Konsummöglichkeiten, neuer Musik – die Beatles in erster Linie –, amerikanischer counter culture, «bewusstseinserweiternden» Drogen und den gesellschaftlichen Effekten der «Pille» verschob innerhalb weniger Jahre, vielleicht sogar im Veröffentlichungsrhythmus der Beatles-Alben, die kulturelle Selbstwahrnehmung westlicher Gesellschaften. Es dauerte nicht lange, bis auch die 68er die Krawatte ablegten.
Die Neue Linke
Zugleich entstand in den USA und in Westeuropa eine politische Strömung, die der «alten» Linken der reformorientierten Sozialdemokratie wie auch der moskautreuen kommunistischen Parteien das Projekt einer «Neuen Linken» entgegenstellte. Mit ihrem «Neo-Marxismus» – der ein erneuerter «klassischer» Marxismus sein wollte – sollte die Revolution wieder denkbar werden. Die realpolitischen Referenzen dieser jungen Linken waren nicht mehr länger «Moskau», sondern die als «revolutionär» eingeschätzten antikolonialen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt.
Die Neue Linke war zudem ein politisch-intellektuelles Projekt, das sozial darauf basierte, dass in den 1960er Jahren der elitär verengte Zugang zur höheren Bildung sich erweiterte und die Universitäten unter dem Druck des Zustroms aus nicht-bürgerlichen Schichten «reformiert» bzw. auch neu gegründet werden mussten – und dabei viele bisherige Fakultäten und Professoren plötzlich sehr alt aussahen. Weil ein grosser Teil der Kritik der Neuen Linken sich auf die als «muffig» empfundenen – und streckenweise auch noch von alten Nazis durchsetzten – Universitäten bezog, ist es nicht übertrieben zu sagen, dass «68» die erste Revolte der aufkommenden Wissensgesellschaft war: Ein Aufstand von KopfarbeiterInnen gegen die veralteten Produktionsverhältnisse intellektueller Tätigkeit. Wenn etwa Rudi Dutschke nach seinen revolutionären Zielen nicht im globalen Massstab, sondern vor Ort gefragt wurde, antwortete er nicht zuletzt mit Forderungen nach einer anderen Organisation von Seminaren.
In Verbindung mit den oben angedeuteten kulturellen Umbrüchen kann man jedenfalls festhalten, dass «68» der politisierte Höhepunkt einer Kulturrevolution war, in der gleichermassen erbittert über die Länge von Haaren und Röcken gestritten wurde wie über den Krieg in Vietnam, und ebenso über «bürgerliche» Wissenschaft wie den «proletarischen Internationalismus». Vor allem aber: Die «Befreiung» des Individuums gegen einengende Normen war nun kein Eliteprojekt mehr wie der Nonkonformismus der 50er Jahre, sondern einerseits dessen gesellschaftlich breitere Abstützung und Durchsetzung – und anderseits die neue politisch-theoretische Begründung des Nicht-Konformen, Kritischen in einem Denken jenseits des Kalten-Krieg-Konsenses.
Die Arbeiterklasse will nicht
Allein, wo bleibt bei all dem die «Arbeiterklasse»? Man könnte dazu zuerst auf Entwicklungen der Populärkultur hinweisen, auf die schon Erich Keller aufmerksam gemacht hat: Mit den Rolling Stones, die den schwarzen – und proletarischen – Chicago-Blues in die britische Popmusik importierten, und vor allem mit Bands aus der Industriegegend von Birmingham wie Led Zeppelin oder Black Sabbath formierte sich allerspätestens zu Beginn der 1970er Jahre eine kulturelle Verbindung von Mittelschicht-Jugendbewegung und zumindest Teilen der proletarischen Jugendkultur, die es so vorher nicht gab.
Vor allem aber war das politische Denken der Neuen Linken ganz auf «die Arbeiterklasse» bezogen. In riesigen Textfluten, die schon seit den 80er Jahren als unlesbar galten, unternahm sie die Anstrengung, die Kulturrevolution, die sich gerade ereignete, an den theoretischen Rahmen der Revolutionskonzepte von Marx, Lenin und Rosa Luxemburg zurückzubinden. Die «Energie» der Jugend- und Studentenrevolte sollte sich, so die Hoffnung, mit den «objektiven» Interessen der «Arbeiterklasse» verbinden und zur eigentlichen Revolution führen, jene, die den «bürgerlichen Staat» zerschlagen und in Verbindung mit den Befreiungsbewegungen im Weltmassstab «siegen» würde.
Auch wenn sich im Rückblick ein etwas spöttischer Ton kaum vermeiden lässt, muss man immerhin festhalten: Die 68er meinten es sehr ernst mit der «Arbeiterklasse». Das gilt vor allem für jene Aktivisten, die sich nach 1968, als die Studenten- und Protestbewegung gescheitert war – und z.B. in Frankreich trotz Massenstreiks im Mai im Juli dann de Gaulle wiedergewählt wurde –, daranmachten, die Reste der Bewegung in Parteistrukturen zu organisieren. In Italien, Frankreich, Deutschland und anderswo entstanden neue, häufig maoistische Kleinstparteien, die sich als Avantgarde-Organisationen verstanden und deren Ziel es war, «die Arbeiterklasse» zu organisieren. Nicht wenige ehemalige Studenten schmissen ihre Studienpläne und Karrieremöglichkeiten hin und gingen in die Fabriken, um Seite an Seite mit den Arbeitern bei Ford oder Opel, bei Fiat oder in der chemischen Industrie zu «malochen». Viele andere standen jeden Morgen in aller Frühe vor den Fabriktoren und verteilten die Rote Fahne, den Roten Morgen und ähnliche Zeitungen der extremen Linken.
Allein, es half nichts. Obwohl ein guter Teil jener, die von der Aufbruchstimmung um «68» bewegt worden waren, sich dafür entschieden haben, «im Dienste der Arbeiterklasse» ein von fieberhaftem Aktivismus getriebenes Leben als leninistische «Kader» zu führen, interessierten sich die Arbeiter kaum für deren schwungvolle Reden über die «objektiven Interessen der Werktätigen». Die wirklichen Interessen der Arbeiter zielten auf Lohnerhöhungen, Reformen und den sozialen Aufstieg ihrer Kinder, nicht auf die Revolution. Auf sich selbst zurückgeworfen, versanken viele dieser «K-Gruppen» in sektiererischen Positionskämpfen und lösten sich oft schon Ende der 1970er Jahre wieder auf, spätestens aber mit dem Jahr 1989, als in Berlin die Mauer fiel.
Der Druck wirklicher Veränderungen
Warum fand die Neue Linke keinen stabilen, länger dauernden Kontakt zur «Arbeiterklasse», um die das ganze neo-marxistische Denken doch kreiste? Und warum fanden die 68er gerade in Deutschland kein Echo bei den «proletarischen Massen», mit denen sie am Fliessband standen? Dazu lassen sich m.E. fünf – allesamt bekannte – Faktoren nennen, die nichts mit einem wie auch immer gearteten «moralischen» Versagen der Linken zu tun haben, alles aber mit dem Druck wirklicher Veränderungen.
Erstens haben die technologische Revolution der 1970er Jahre, vor allem die Computerisierung von Werkzeugmaschinen, die damit verbundene Abkehr vom «fordistischen» Fliessband und die im Gefolge der Wirtschaftskrise einsetzenden Deindustrialisierungsprozesse den klassischen linken Vorstellungen vom «Industrieproletariat» als dem «fortgeschrittensten» und potenziell revolutionärsten Teil der «Arbeiterklasse» jede Grundlage entzogen: Das Proletariat als «Klasse» löste sich auf. 1980 publizierte der marxistische Theoretiker André Gorz sein manifestartiges Buch Abschied vom Proletariat.
Das bedeutet zweitens aber nicht, dass es seither keine marginalisierten Schichten mehr gibt. Viele weiterhin proletarische und sonstige prekäre Beschäftigungsformen wurden jedoch von MigrantInnen übernommen, was diese neue Arbeiterschaft politisch sprachlos machte. Den traditionellen linken Parteien brach auf diese Weise ein substanzieller Teil ihres ehemals «natürlichen» Elektorats weg, während die Neue Linke in Wahlen weitgehend chancenlos blieb.
Drittens: Anfang der 1970er Jahre drängte sich mit aller Macht eine neue Problematik in den Vordergrund – die Umwelt. Der Effekt dieser Verschiebung auf das Politikverständnis der Linken ist kaum zu überschätzen, weil grosse Teile von ihr den technologischen Fortschritt, auf den die Arbeiterbewegung bislang alle Hoffnung gesetzt hatte, plötzlich mit sehr kritischen Augen zu sehen begann. Für die verbliebenen Industriearbeiter konnte dies kein attraktives politisches Projekt sein; mit der eigenen sozialen Lage hatte «die Umwelt» wenig zu tun.
Viertens: Die 68er-Revolutionäre wurden sehr bald mit einer ganz neuen Form von Kritik konfrontiert – dem Feminismus der Neuen Frauenbewegung. Diese Kritik veränderte die Linke grundlegend: Was die 68er-Theoretiker gerne noch als «Nebenwiderspruch» abgetan hatten, wurde zur unausweichlichen Frage um «uns selbst», um Beziehungen, Lebensweisen. Die Linke konnte, als «fortschrittliche Kraft», diesen Fragen unmöglich ausweichen. Wieso sollte die Unterdrückung von Frauen weniger wichtig sein als die von Arbeitern?
Fünftens aber ging von der seit den 1960er Jahren einsetzenden Individualisierung, Liberalisierung und Pluralisierung von Lebensstilen der grundsätzlichste Veränderungsdruck aus. Er bewirkte nicht zuletzt, dass sich «marginale» Gruppen und Subjektpositionen zu artikulieren begannen, die im traditionellen Deutungs-Repertoire der Linken nicht vorgesehen waren. Auch wenn sich zweifellos nicht alle dieser neuen Gruppen von der Linken repräsentiert sehen wollten, so gilt umgekehrt aber auch, dass die post-industrielle und z.T. auch schon post-marxistische Linke es sich nur um den Preis der Selbstaufgabe hätte leisten können, den Marginalisierten und «Anderen» ihre Stimme nicht zu leihen. Sollten denn MigrantInnen weniger wichtig sein als «weisse» – was man nicht sagt – Frauen oder «einheimische» Arbeiter?
Fazit: Nicht die Linke hat sich dafür entschieden, sich von ihrer traditionellen Rolle als Repräsentantin der Arbeiterschaft zu verabschieden – sie wurde von der Macht sich verändernder Verhältnisse schrittweise dazu gedrängt. Dass ein gewisser Prozentsatz des übriggebliebenen (und stimmberechtigten) Proletariats sich jetzt zusammen mit national gesinnten («Wut»-)Bürgern reaktionären Angeboten wie der AfD, dem Front National oder der Lega Nord an den Hals wirft, ist tragisch und hat viele, komplexe Gründe. Aber es hat nichts mit einem «moralischen» Versagen der Linken zu tun. Und es bedeutet auch nicht, dass die Linke nun den Fehler begehen sollte, die Phantasmen der Vergangenheit – den «traditionellen» Arbeiter einerseits oder die «Nation» andererseits – wiederentdecken zu wollen. Sie muss jene politische Kraft bleiben, die die Unterdrückungs- und Ausbeutungserfahrungen aller Teile der Gesellschaft artikuliert. Auch wenn sie es dabei nicht allen recht machen kann.
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Dieser Text erschien erstmals auf Geschichte der Gegenwart.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die letzten Linken waren bis vor ca. 40 Jahren politisch aktiv und sind seither ausgestorben. Sollte es mal wieder, vielleicht im Kontext der gesellschaftlichen Umwälzung, welche man ‹Digitalisierung› nennt, sollte es mal wieder Linke geben, werden die sich sicher nicht für Arbeiter interessieren.
Die Neue Linke in der Schweiz rekrutierte sich hauptsächlich aus Studenten und Intellektuellen, die grösstenteils aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum stammten, und viele davon machten später im bürgerlichen Staat oder in der Wirtschaft Karriere. Beispiele gibt es mehr als genug. Eine Verankerung in der «Arbeiterklasse» gab es nicht, oder wenn, dann nur ganz lokal und vereinzelt. Die «Arbeiterklasse» war ein Fetisch, an den sich sämtliche Gruppierungen der Neuen Linken mehr oder weniger klammerten, von den Maoisten über die RML bis zur POCH.
Die Neue Linke hat trotzdem vieles bewegt, von Moralvorstellungen bis zum Umdenken in Umweltfragen, z.B, AKW, darum gibt es heute die Grünen und die GLP und in Zürich die AL. Auch in gewerkschaftlichen Kreisen hat die Neue Linke viel bewegt, ohne sie gäbe es z.B. die Gewerkschaft UNIA nicht.
Philip Sarasin selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass die sogenannte Linke keinen wirklichen Bezug zur Arbeiterschaft hat und diese Menschen schon immer eher gering schätzte: Vor einigen Jahren hat er sich öffentlich abschätzig über jene geäussert, die eine Berufslehre absolvierten – im Sinne von: Wer nicht für ein Studium tauge, der mache eben einfach eine Lehre und das sei weniger wertvoll.
Dieser Auffassung widerspricht aber unter anderem die frühere amerikanische Botschafterin, die dieses duale Schweizer Bildungssystem lobte, da es den Lehrabsolventen durch die Möglichkeit eine Berufsmatur zu erwerben auch eine Chance zur akademischen Weiterbildung biete und deshalb als Beispiel für eine breit gefächerte Ausbildung gelte.
Zudem gehörte die Bank Sarasin der Familie Philipp Sarasins. ( Brecht schreibt dazu: «Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank ? » )
Sarasin selbst lebte also immer in privilegierten Verhältnissen – dass er materiell weniger Begüterte, wie beispielsweise Absolventen einer Berufslehre in einem Zeitungsartikel herabwürdigte, passt zur Haltung vieler materiell begüterter Linker, die im Gegensatz zu Menschen aus Arbeiterfamilien nie darben und um Anerkennung kämpfen mussten.
In diesem Zusammenhang scheint es interessant zu sein, dass nach dem Konkurs der Bank Sarasin jene Bank, die später die Bank Sarasin aufkaufte, vom Personal nur die Lehrlinge übernehmen wollte – die Teppich-Etage wurde entlassen
Sehr geehrte Frau Haldner
Ihr Meinungsbeitrag enthält eine Reihe von Unterstellungen, die ich gerne korrigieren möchte. Erstens: Ich habe mit der Bank Sarasin – jetzt Saffra Sarasin – nicht das Geringste zu tun, es bestehen weder familiäre noch sonstige Beziehungen. Zweitens: Ich habe in keinem meiner Beiträge zur Diskussion um die Gymiquote in Zürich die Berufslehre herabgewürdigt oder mich «abschätzig» über jene geäussert, die eine Berufslehre absolvieren. Ich habe mich kritisch mit dem Bildungssystem auseinandergesetzt. Dass Sie mit meiner Position in dieser Frage nicht teilen, ist eine andere Sache. Mit freundlichen Grüssen, Philipp Sarasin
Sehr geehrter Herr Sarasin
Was Ihre Aussage, Sie seien mit der Familie der Besitzer der Bank Sarasin, heute Saffra Sarasin, nicht verwandt, betrifft, ist es sicher wichtig, das richtig zu stellen-aber die Aussage in meinem Text, nämlich, dass Sie als (zumindest heute) materiell Privilegierter vermutlich weniger Tuchfühlung haben mit der Arbeiterklasse ist nicht in Abrede gestellt u. ich nehme an, dass Sie trotzdem nicht aus einer Arbeiterfamilie stammen.
Wenn Sie schreiben, Sie hätten nicht die Berufslehre herabgewürdigt, so gibt es einige Beiträge, die dem widersprechen:Z. Bsp. ein Interview mit Patrik Schellenbauer zu der Debatte der Vor-u. Nachteile von Berufslehre und Gymnasien in der Berner Zeitung vom 24.10.2011:"Philipp Sarasins Artikel hat viele Leser verärgert, weil er die Schweiz «bildungsfeindlich» nennt. Verstehen Sie die Empörung?
Schellenbauer: «Ich verstehe vor allem, dass die pauschale Etikettierung der Berufsbildung als Mittelmass auf Unmut stösst. Diese Sicht verkennt, dass viele Berufslehren auf hohem Niveau sind und vielseitige Ansprüche stellen, durchaus auch kognitive. Wenn diese Lehren noch mit der Berufsmatura kombiniert werden, entstehen Ausbildungen, die -obwohl sie anders sind-den Vergleich mit der Matur nicht zu scheuen brauchen.» Zu der Gymiquote in Zürich gibt es ebenso Artikel, die meine Aussage beweisen:"Scharfe Kritik an Gymiprüfung» NZZ 14. 6.09.Ich teile aber durchaus Ihre Meinung,dass der Zugang zum Gym für alle Schichten offen sein soll.