Furcht vor Schnüffelstaat
Die Polizei im Kanton Solothurn soll künftig eigenständig ohne richterliche Erlaubnis verdeckte Fahndungen zur «Erkennung oder Verhinderung von Straftaten» durchführen können. Nur wenn die Fahndung einen Monat übersteigt, ist eine Genehmigung durch einen Richter erforderlich. Verdeckte Vorermittlungen (mit richterlicher Genehmigung) sollen zudem neu auch in privaten oder abgeschlossenen Räumen möglich werden. Sämtliche Jungparteien des Kantons Solothurn wie auch ein bürgerliches Komitee haben erfolgreich das Referendum gegen das Gesetz ergriffen, weshalb es am 29. November zur Abstimmung kommt.
Wie weit darf die Polizei ohne Tatverdacht gehen?
Der Kampf ums revidierte Gesetz tobt darum, wie weit die Polizei ohne genügenden Tatverdacht gehen kann, um eine mögliche Straftat zu verhindern. Denn wäre der Tatverdacht da, würden die Regelungen in der Strafprozessordnung des Bundes und im bisherigen kantonalen Polizeigesetz genügen.
Die Tendenz, der Polizei mehr Rechte zur Überwachung der Bürgerinnen und Bürger zu geben, ist nicht neu: Seit den Terrorattacken in den USA und in Europa verlangen Polizei und Justiz weltweit zusätzliche Instrumente – immer mit dem Ziel, Taten zu verhindern. Diese Möglichkeiten kollidieren oft mit grundlegenden Freiheitsrechten und dem Recht auf Privatsphäre der Menschen, ohne dass sie den Beweis angetreten haben, dadurch effektiv mehr Sicherheit zu schaffen.
Kampf gegen Pädokriminelle als Argument
Als Beispiel für die Notwendigkeit der neuen Regelungen nennt die Regierung des Kantons Solothurn in den offiziellen Abstimmungsinfos das Entdecken von Pädokriminellen im Internet. Mit verdeckter Ermittlung könnte sich eine Beamtin oder ein Beamter mit dem falschem Profil einer Minderjährigen in einen Chatroom begeben und so Pädokriminelle enttarnen. Das Beispiel ist gut gewählt: Niemand kann gegen eine solche Ermittlung etwas haben. Zurzeit besteht auch keine Bundesregelung für solche zufälligen «Suchaktionen» nach Pädokriminellen ohne Tatverdacht, allerdings wurde bereits ein entsprechender Vorstoss eingereicht, der diesen spezifischen Fall regeln soll. Die Kantone müssen vorläufig also eigene gesetzliche Grundlagen dafür schaffen. «Dann soll man aber eben genau diesen Fall im Gesetz festschreiben und nicht eine allgemeine Formulierung wählen, die sehr viele andere Interventionen ohne Tatverdacht auch möglich macht», sagt Markus Spielmann, FDP-Kantonsrat, Anwalt und Initiant des bürgerlichen Referendums. Das Gesetz mache keine Einschränkungen weder der Delikte noch der Zielpersonen. Die verdeckten Fahndungen könnten ins Uferlose ausgedehnt werden, meint Spielmann. «Das stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre von allen dar und wird wirkungslos bleiben. Wäre das Instrument beschränkt auf schwere Delikte oder auf Pornokriminelle im Internet, könnte man nichts dagegen sagen.»
Juristen und Juristinnen warnen – Regierungsrätin reagiert pikiert
Spielmann ist nicht der einzige Anwalt, der sich gegen das neue Polizeigesetz wehrt. Auch der Solothurner Anwaltsverband (SolAV) stellt sich gegen das Gesetz. Es würde einen enormen Machtausbau für die Polizei bewirken, das sei nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbaren», sagte die Präsidentin des Anwaltsverbandes, Eveline Roos, gegenüber der Solothurner Zeitung.
Den massiven Widerstand gegen das Gesetz wollte die zuständige Regierungsrätin, die SP-Frau Susanne Schaffner, nicht unwidersprochen lassen. In einem vor einigen Tagen erschienenen Interview sagte sie: «Vor allem aus Anwaltskreisen kommt nun aber der Widerstand. Diese schätzen die präventive Arbeit der Polizei offensichtlich nicht. Täterschutz scheint da wichtiger als Opferschutz.» Und weiter: «Es geht den Gegnern darum, Misstrauen gegen den Staat und seine Institutionen zu schüren. Das erachte ich als gefährlich, weil die Solothurnerinnen und Solothurner eine Polizei verdient haben, die sie vor Verbrechen schützen kann.»
Regierungsrat zur Sachlichkeit verpflichtet
Das waren harte Worte der Regierungsrätin, die wiederum Folgen hatten. Erstens wehrte sich der Anwaltsverband: «Es ist nicht nur in der Schweiz oder in Solothurn richtig und wichtig, dass sich Anwältinnen und Anwälte kritisch mit neuen gesetzlichen Regeln auseinandersetzen, welche die Kompetenzen der Polizei erweitern», replizierte die Präsidentin des Verbandes. Und: «Für Täter und Opfer ist auch im Kanton Solothurn ausschliesslich die Schweizerische Strafprozessordnung anwendbar.» Der Widerstand richte sich nicht gegen die Polizei, sondern gegen das Gesetz, ergänzte sie.
Zweitens reichte Kantonsrat Spielmann im Parlament eine Kleine Anfrage ein mit dem Titel: «Ist das Ergreifen eines Referendums gefährlich für den Staat?» Darin beklagt er «Behördenpropaganda» und fragt den Gesamtregierungsrat, ob er die Aussage seiner Kollegin mittrage, dass ein Referendum das Misstrauen gegen den Staat säe. Zudem will er wissen, wieso auf der Website der Kantonspolizei für das neue Gesetz geworben worden sei und warum zur Erklärung der Vorlage in der Abstimmungsinfo «Gruselbeispiele» gewählt wurden.
Die Antwort dazu wird erst nach der Abstimmung am 29. November eintreffen. Der Anwaltsverband hat aber bereits angekündigt, dass er bei einem Ja der Stimmberechtigten zum neuen Polizeigesetz eine Überprüfung der neuen Regelungen durch das Bundesgericht begrüssen würde.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Beim lesen dieses Berichtes kommt mir unwillkürlich die Fichenaffäre der 80er Jahre in den Sinn.
Ich bin als ehemaliger Fraktionspräsident der SP im Solothurner Kantonsrat (2003-2010) und als ehemaliger Präsident des kantonalen Polizeibeamtenverbandes (2005-2009) ebenfalls Mitglied des bürgerlichen Referendumskomitees. Die Positionierung der Linken und Grünen, die beide offiziell das Gesetz zur Annahme empfehlen, ist für mich absolut unverständlich,
– weil sich die Linke in der Vergangenheit immer und konsequent gegen solche gesetzgeberische Vorhaben gewandt hat (Fichenaffäre, NaDG, Büpf, Sozialversicherungsdetektive etc., etc.) und pikanterweise jetzt gerade auf eidgenössischer Ebene Unterschriften für ein Referendum zum «Terror-Gesetz» sammelt. Inhaltlich ist hier der Kompass verlorengegangen. Da wird viel politische Glaubwürdigkeit verspielt.
– weil eine Linke, die meint, elektoral punkten zu können, indem sie sich auf dem Feld der öffentlichen Sicherheit profiliert und entsprechende Ängste schürt, auf dem Holzweg ist. Indem wie Lemminge der eigenen Polizeidirektorin, aber auch der Parteipräsidentin NR Franziska Roth hinterherrennt, riskiert man bei den kantonalen Wahlen im nächsten Frühjahr eine Klatsche).
Interessant: Zwei ehemalige Präsidenten des kantonalen Polizeibeamtenverbandes (neben mir auch der aktuelle Präsident der kantonalen FDP, Stefan Nünlist) sprechen sich dezidiert gegen das Gesetz aus, die amtierende Präsidentin, die SP-Kantonsrätin Nadine Vögeli, und ihr Vorgänger in diesem Amt, SR Roberto Zanetti, dafür.
Dieser Bericht strotzt vor Einseitigkeit. Irgendwelche bekannte Schlagworte werden benutzt, um reflexartige Nein-Stimmen zu generieren.
Diese Vorlage mit Schnüffelstaat in Verbindung zu bringen, oder mit Polizeistaat und Göbbels und Erdogan wie Kantonsrat Wyssmann SVP es macht, ist eine Frechheit an alle Opfer und Betroffenen in der ganzen Welt.
Spannend und tragisch für mich ist, dass viele Linke und Liberale den Rechtsaussen von FDP und SVP eher glauben als praktisch den ganzen Grünen- und SP-Fraktionen,
die die Vorlage kennen und beraten haben.
Urs Huber, Kantonsrat SP, fichiert bei der Fichenaffäre
Herr Huber, da das Gesetz sehr offen gestaltet ist, muss ich Herr Schneider recht geben.