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Überstürzter Abzug der NATO-Truppen aus Kabul am 16. August 2021 © YouTube © Spiegel

Leere Versprechen an afghanische Verbündete und ein Lichtblick

Gabriela Neuhaus /  Der Westen zieht sich aus den Care- und Asylprogrammen für diese Menschen zurück. Für sechzig Familien aber gibt es Hoffnung.

Red. – Dies ist ein Gastbeitrag, der zuerst im «Offroad Reports Blog» erschien. Titel, Vorspann, Bilder und Zwischentitel von der Redaktion. Gabriela Neuhaus ist freischaffende Journalistin in Print und Filmemacherin. Sie ist Mitinhaberin der Offroad Reports GmbH.

Die Bedingungen, unter welchen ein Grossteil der Menschen in Afghanistan lebt, können wir uns schlicht und einfach nicht vorstellen. Nach Jahren der Hoffnung, sind es nun bald vier Jahre, dass die Taliban am Hindukusch erneut die Alleinherrschaft haben. Mit drastischen, ja tödlichen Folgen – besonders für Menschen, die sich für Frauen- und Menschenrechte engagier(t)en.

Als westliche Soldaten, Regierungsvertreter:innen und Hilfsorganisationen im Sommer 2021 Hals über Kopf Afghanistan verliessen, haben sie die afghanische Bevölkerung im Stich gelassen. Wissend, dass ausgerechnet jene Menschen, die mit ihnen zusammengearbeitet, sich für Gleichberechtigung und Menschenrechte eingesetzt hatten, unter dem Taliban-Régime besonders gefährdet sind.

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Kontrollschleusen am Rollfeld-Rand des Flughafens in Kabul im August 2021 © youtube

Zur eigenen Gewissensberuhigung versprach man diesen Menschen, dass ihnen im Westen Asyl gewährt werden würde. Zumindest solange, bis eine Rückkehr nach Afghanistan ohne Gefährdung der persönlichen Sicherheit möglich ist.

Leere Versprechen

Die Umsetzung des Versprechens kam jedoch nur schleppend voran. Anfang Jahr hofften noch immer 200’000 gefährdete und zurückgelassene Afghan:innen, im Rahmen des von der US-Regierung angebotenen CARE-Programms in die Vereinigten Staaten ausreisen zu können. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump wurde diese Perspektive brutal zerstört, er hat das Programm umgehend gestoppt.

Das Gleiche droht nun auch jenen Afghan:innen, die im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms BAP in Deutschland hätten Zuflucht finden sollen. Statt wie versprochen monatlich 1000 verfolgte Menschen aus Afghanistan aufzunehmen, gelangten auf diesem Weg in den letzten zwei Jahren nicht einmal 2000 gefährdete Personen nach Deutschland.

Aktuell warten in Pakistan weitere 2600 Afghan:innen auf die Reise nach Deutschland. Sie alle verfügen über eine verbindliche Zusage von Seiten der bisherigen deutschen Regierung. Für die Abwicklung der notwendigen Formalitäten und die von den deutschen Behörden auferlegten doppelten Sicherheitschecks mussten sie nach Pakistan reisen, wo sie nun schon seit Monaten ausharren, und immer wieder von neuem hoffen.

Auch Deutschland bremst

Doch die Perspektiven sehen düster aus: Von Seiten der CDU/CSU wird Druck gemacht, das BAP umgehend zu stoppen und keine weiteren Afghan:innen nach Deutschland zu fliegen. Dies, obschon Deutschland gegenüber den verfolgten Afghan:innen, die bereits eine Ausreise-Zusage erhalten haben, damit wortbrüchig würde.

Am Mittwoch, 14. April landete nach längerer Pause endlich wieder ein Charterflug aus Pakistan in Leipzig. An Bord, 140 gefährdete Afghan:innen, die im Rahmen des BAP in Deutschland Aufnahme gefunden haben. Im April sollen noch zwei weitere Flüge durchgeführt werden. Diese werden aber, im Rahmen einer politisch und medial getriebenen Hetzkampagne gegen Afghan:innen und die Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere auch aus Kreisen der CDU/CSU, heftig kritisiert.

Die Situation für Tausende in Pakistan gestrandete Afghan:innen, die darauf vertraut haben, in die USA, nach Deutschland oder in ein anderes sicheres Land im Westen ausreisen zu können, ist dramatisch. Dies umso mehr, weil Pakistan seit Ende März afghanische Flüchtlinge, die in ein Drittland weiterreisen wollten und über kein gültiges Visum mehr verfügen, zurück nach Afghanistan deportiert.

Die Schweiz bremst auch

Im August 2021 hatte auch die Schweiz ihre Niederlassung in Afghanistan – das Büro der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Kabul – geschlossen und ihr Personal evakuiert. Dazu gehörten auch 38 afghanischen Mitarbeiter:innen und ihre Kernfamilien. Sie erhielten im Rahmen des UNO-Resettlement-Kontingents in der Schweiz Asyl. Dabei handelte es sich gerade mal um 219 Personen.

Der damalige Appell des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR an die Schweiz, angesichts der Notsituation in Afghanistan, mehr Menschen aufzunehmen und ihr bestehendes Resettlement-Kontingent zu erhöhen sowie die Forderung von SP und Grünen nach der Aufnahme von 10’000 gefährdeten Afghaninnen und Afghanen Asyl in der Schweiz, hatten in Bern keine Chance. Bis heute verhallten sämtliche Appelle auch von Organisationen wie der Schweizer Flüchtlingshilfe oder Amnesty International für ein stärkeres Engagement der Schweiz zugunsten gefährdeter Afghan:innen ohne Wirkung.

Im Dezember 2022 hatte die damalige Justizdirektorin Karin Keller Sutter sogar das bestehende Resettlement-Programm des UNHCR, wonach die Schweiz 2022/2023 ein Kontingent von 1600 Flüchtlinge aufnehmen sollte, gestoppt: Die Schweiz sei aufgrund der angespannten Situation im Asylwesen nicht in der Lage, ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nachzukommen, hiess es. Obschon der Bundesrat für die Jahre 2024/2025 auf diesen Entscheid zurückgekommen ist und sich bereit erklärt hatte, in diesem Zeitraum wiederum 1600 «besonders schutzbedürftige Flüchtlinge» aufzunehmen, bleibt das Programm bis heute sistiert.

Petition einer dänischen Menschenrechtsaktivistin

Um dies wenigstens für einige der am stärksten gefährdeten Frauen zu verhindern, hat die dänische Menschenrechtsaktivistin Nadja Muller am 6. Februar 2025 auf change.org eine Petition gestartet, mit der die pakistanische Regierung aufgefordert wird, 60 afghanische Frauenrechts-Aktivistinnen vor der drohenden Abschiebung zu retten.

Da man davon ausgehen musste, dass sich die pakistanische Regierung von einer solchen Aktion nicht beeindrucken lässt, haben sich die Menschenrechtsorganisationen HeartWork, Avaaz, Udhara und Food for Thought Afghanistan zusammengetan, um aktiv nach einer Lösung für die 60 bedrohten Frauen und ihre Familien zu suchen.

Brasilien öffnet eine Tür

Nachdem verschiedene Versuche gescheitert waren, Länder wie Kanada, Dänemark und weitere westliche Staaten zu einer Intervention bei der pakistanischen Regierung und zur Aufnahme der Flüchtlinge zu bewegen, rückte die Option einer Flucht nach Brasilien in den Fokus: Seit dem 1. März gibt es dort ein neues Gesetz, das afghanischen Flüchtlingen die Einreise mit einem humanitären Visum ermöglicht.

Dies unter der Voraussetzung, dass die Reisekosten sowie der Unterhalt für das erste Jahr in Brasilien finanziert sind. Auch das werden die unentwegten Helfer:innen rund um Nadja Muller noch stemmen, wie erste grosszügige Spenden zeigen, für die mittlerweile eine Zusage vorliegt.

Das alles war kein Selbstläufer, wie Muller in ihrem Update zur Nothilfeaktion zusammenfasst: Unzählige schlaflose Nächte, Feuerwehraktionen, um Drohungen abzuwehren, Abschiebungen zu verhindern – Chaos, Zusammenbrüche…

Ein hart erkämpfter Erfolg

Allen Schwierigkeiten zum Trotz, zieht Nadja Muller gut zwei Monate nach der Lancierung ihrer Petition eine positive Bilanz: 60 afghanischen Menschenrechtsaktivistinnen und ihren Familien steht der Weg nach Brasilien offen. Dies, dank gemeinsamem Engagement von verschiedenen Basisorganisationen und zahlreichen Helfer:innen, die sich für die Flüchtlinge eingesetzt haben.

Nadja Muller weiss aber auch, dass dies erst der Anfang war. Nun gehe es darum, die Frauen auch nach ihrer Ankunft in Brasilien weiter zu unterstützen – bei der Integration, mit rechtlicher Betreuung, bei der Verarbeitung ihrer Traumata, mit Lobbyarbeit …

Sie schliesst ihren Bericht mit einem Aufruf, der Mut macht:

Die Welt braucht nicht noch mehr Zuschauer.

Sie braucht Menschen, die bereit sind, das naheliegend Richtige zu tun.

Die sehen, was direkt vor ihnen ist – und ja dazu sagen.

Ja zu Freundlichkeit statt Rechthaberei.

Ja zum Mut, wenn Angst aufkommt.

Ja, um willkommen zu heissen, statt sich abzuwenden.

Ja dazu, Frieden zu schaffen, statt nur darüber zu reden.

Es ist möglich. Das ist der Beweis.

Der Link zur Petition: https://www.change.org/p/save-60-afghan-women-leaders-from-imminent-deportation-saveafghanwomen


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