Kläranlagen produzieren den Unkrautvernichter Glyphosat
Glyphosat ist das weltweit am breitesten eingesetzte Pestizid und findet sich weltweit in Oberflächengewässern. Ursache ist aber nicht nur der Einsatz des Unkrautvernichters in der Landwirtschaft.
Forschende der Universität Tübingen haben nachgewiesen, dass Glyphosat auch aus Waschmittelzusätzen entstehen kann. Das geschieht in Kläranlagen, vielleicht auch schon in der Kanalisation, schreiben sie in der im Magazin «Water Research» publizierten Studie.
Mehr Glyphosat im Wasser als angenommen
Wie die Forschenden auf das Waschmittel kamen, ist eine fast klassische Wissenschaftsgeschichte: In Deutschland werden 2021 rund 5000 Tonnen Glyphosat verwendet (in der Schweiz laut BLW 105 Tonnen). In Gewässern misst man aber mehr Glyphosat, als nach diesen Mengen anzunehmen wäre. Die Zahlen stimmen nicht überein.
Und auch das Konzentrationsprofil über die Zeit kam der Forschungsgruppe von Carolin Huhn an der Universität Tübingen seltsam vor. Glyphosat tötet fast alle Pflanzen, die damit in Kontakt kommen. Verwendet wird es daher meist nur vor der Aussaat. In den Gewässern bleibe die Glyphosatmenge aber recht konstant, erklärte die Chemikerin gegenüber «Spektrum der Wissenschaft».
Vergleich mit den USA brachte die Forschenden auf die Spur
Weder kürzliche Glyphosatanwendung noch starke Regenfälle beeinflussen die Konzentration. Dafür zeigt sie Übereinstimmungen mit anderen Rückständen wie denen von Medikamenten. Das sprach für eine Quelle im Abwassersystem.
Auch der Vergleich mit den USA legte das nahe. Glyphosat wird dort durchgehend verwendet, weil Kulturpflanzen gentechnisch unempfindlich gemacht werden. In US-Gewässern tauchen höhere Glyphosatmengen gleichzeitig mit anderen Pestiziden auf. Der stetige Glyphosat-Zustrom in Deutschland musste also aus den Haushalten kommen.
Erste Forungsgruppe ging dem Verdacht nicht nach
Einen Verdächtigen gab es bereits 2007, der Verdacht einer französischen Forschungsgruppe wurde aber nicht weiterverfolgt. Die Tübinger:innen gingen ihm nach: In EU-Ländern werden in Flüssigwaschmitteln Phosphonate verwendet, die Kalkbildung verhindern sollen. In den USA sind sie nicht üblich. Ein häufig verwendeter Vertreter dieser Chemikalienklasse ist DTPMP (Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure), die Glyphosat chemisch ähnelt.
Die Tübinger Forschenden begannen, Klärschlamm aus verschiedenen Haushaltskläranlagen mit DTPMP zu «füttern». Es entstand tatsächlich Glyphosat. Dass nicht nur Glyphosat gelöst wurde, das sich schon vorher im Klärschlamm befand, schlossen sie durch Versuche mit isotopenmarkiertem DTPMP aus.
«Ein eindeutiger Nachweis, dass sich DTPMP im Abwasser oder in der Kläranlage in Glyphosat umwandelt», sagte Huhn in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk». Das bestätigt auch der Chemiker Thorsten Reemtsma, den «Spektrum der Wissenschaft» um eine zweite Meinung gebeten hat.
Genauer Mechanismus ist noch unklar
Wie es zum Umbau kommt, wissen die Wissenschaftler:innen noch nicht genau. DTPMP ist nicht biologisch abbaubar. Glyphosat allerdings schon. Ein Abbauprodukt namens AMPA (Aminomethylphosphonsäure) fand sich ebenfalls. Und in zuvor chemisch sterilisiertem Klärschlamm bildete sich sogar mehr Glyphosat. Was wiederum daran liegen könnte, dass Mikroorganismen, die Glyphosat zu AMPA abbauen, diesmal fehlten.
Wie genau die Umsetzung passiert, ist noch unklar. Als Reaktionspartner in Frage kommen Mangansalze, die in Kläranlagen in Fällmitteln verwendet werden. Auch dazu führten die Forschenden Versuche durch.
Es ist auch möglich, dass es noch weitere Überraschungen gibt: Die Glyphosatmenge, die sich in den Versuchen bildete, ist hochgerechnet noch immer kleiner als tatsächlich gemessene Werte im Ablauf von Kläranlagen.
Reemtsma weist darauf hin, dass die von den Tübinger:innen hochgerechneten Glyphosatmengen gegenüber dem landwirtschaftlichen Einsatz vernachlässigbar gering sind. Huhns Team hat für seine Studie bewusst nur Haushaltsabwasser berücksichtigt. Industriebetriebe setzen Phosphonate aber ebenfalls in grossen Mengen ein.
Es ginge auch ohne den Zusatzstoff
Um der Reaktion auf die Spur zu kommen, bereiten die Tübinger Forschenden derzeit einen Versuch in einer Forschungskläranlage vor. Huhn vermutet, dass Glyphosat bereits in der Kanalisation entsteht, bevor das Abwasser die Kläranlage erreicht. Auch dort gebe es Stoffe, die DTPMP zu Glyphosat umsetzen könnten.
Dabei sei Wasserenthärter für das Waschmittel gar nicht unbedingt nötig, sagt die Umweltwissenschaftlerin. Weniger Phosphonat in Waschmitteln einzusetzen, hält sie für machbar. Die Industrie sei da allerdings noch zurückhaltend.
Glyphosat im Ablauf von Kläranlagen wird in Deutschland nicht systematisch überwacht. Höchstwerte gibt es in der EU nur für Trinkwasser. Das könnte sich künftig ändern. «Spektrum» weist darauf hin, dass die EU derzeit die Richtlinien überarbeitet und Grenzwerte für Glyphosat im Oberflächenwasser vorschlagen könne. Bei der Regulierung von Chemikalien spielt es jedoch keine Rolle, wie sich eine Substanz in der Umwelt verändert. Der Vorläufer DTPMP bleibt davon also unbeeinflusst.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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