Kommentar

Die neue deutsche Spaltung beginnt 2025

Heribert Prantl © Sven Simon

Heribert Prantl /  Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD soll das Land auf die «digitale Überholspur» bringen. Sie wird das Land spalten.

Die alte deutsche Teilung begann 1949. Diese Teilung dauerte 41 Jahre; sie dauerte bis zur Wiedervereinigung 1990. Diese Zeit wird auch als die Zeit der deutschen Spaltung bezeichnet. Jetzt gibt es eine neue deutsche Spaltung, eine neue deutsche Teilung; sie ist nicht so augenscheinlich wie die alte, aber doch deutlich spürbar. Sie beginnt mit dem 9. April 2025.

Man wird sich dieses Datum merken müssen; es ist das Datum des Koalitionsvertrages. Dieser Vertrag zwischen CDU/CSU und SPD teilt nicht das deutsche Staatsgebiet – dieser Vertrag spaltet aber die deutsche Bevölkerung: Es gibt künftig die digitalen Deutschen, und es gibt die analogen Deutschen.

Die digitalen Deutschen sind die privilegierten Deutschen; sie haben Zugang zum gesamten öffentlichen und gesellschaftlichen Leben. Sie haben, wie es so schön heisst, die volle «Teilhabe». Die analogen Deutschen haben diesen Zugang und diese Teilhabe nicht.

Das gesamte staatliche und öffentliche Leben, die gesamte Verwaltung, wird nämlich künftig auf Digitalität ausgerichtet. So steht es in den Randziffern 2138 ff des Koalitionsvertrages.

Diese neue deutsche Teilung soll von einem Ministerium für «Digitalisierung und Staatsmodernisierung» dirigiert werden.  Wer unter dieser Teilung leidet, der wird, so heisst es im Koalitionsvertrag, «Hilfe vor Ort» erhalten. Wie diese Hilfe aussieht, wird aber nicht weiter ausgeführt.

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Friedrich Merz präsentiert den Koalitionsvertrag. Er sieht «Digitalisierung und Staatsmodernisierung» vor.

Deutschland soll so auf die «digitale Überholspur» gebracht werden. Man spürt beim Lesen, wie sich die Koalitionäre gegenseitig auf die Schultern klopfen und ihre Modernität feiern. «Unsere Digitalpolitik», so heisst es im Koalitionsvertrag jubilierend, «ist ausgerichtet auf Souveränität, Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt».

Es wird da so getan, als gäbe es den Bürger nur als homo digitalis. Das Leitbild ist «eine nutzerorientierte Verwaltung … rein digital». Die Menschen könnten sich künftig, so sagt der Koalitionsvertrag, «auf einen digital souveränen und handlungsfähigen Staat verlassen».

Das gewaltige Problem dabei ist freilich, dass viele Millionen Menschen mit dieser Zwangsdigitalisierung vom Staat verlassen werden. Die Hälfte der über 65-Jährigen nutzt kein Smartphone, bei den über 8o-Jährigen haben zwei Drittel keinen Zugang zum Netz.

Wer ihn nicht hat, dem ergeht es künftig noch schlechter als bisher: Die Demokratie wird nämlich, wie der Koalitionsvertrag selbstbewusst verkündet, komplett digitalisiert und verdatet. Zu diesem Zweck erhält jeder Bürger verpflichtend auch eine «digitale Identität» – ob er sie will oder nicht.

Wer kein Smartphone hat oder es nicht einigermassen behände bedienen kann; wer keinen Zugang zum Internet hat oder keinen haben will, wer nicht weiss, was ein Browser und was eine Bluetooth-Verbindung ist, oder wer sich schwer damit tut, eine herzustellen – der gerät schon heute ziemlich schnell an den Rand der Gesellschaft, der tut sich schon heute recht schwer, auch nur ein Bahnticket zu kaufen und seine Bankgeschäfte zu erledigen.

Anträge bei Behörden können schon heute oft nur online gestellt werden; immer mehr Dienstleistungen und Terminbuchungen werden nur online angeboten.  Wenn es ein analoges Angebot überhaupt noch gibt, ist es abschreckend kundenunfreundlich. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben steht immer öfter unter Smartphone-Vorbehalt.

Das alles wird nun noch staatlich forciert. Das klingt modern, ist aber undemokratisch. Es grenzt Millionen Menschen aus. Der Autor dieser Zeilen hat daher schon einige Male gefordert, ein «Grundrecht auf ein analoges Leben» ins Grundgesetz zu schreiben – um auf diese Weise die Ausgrenzung der Menschen zu beenden, für die «die Welt von Computer, Smartphone & Co ein undurchdringlicher Dschungel» ist, wie das die Caritas soeben formuliert hat.

Die Digitalisten halten so ein Grundrecht auf ein analoges Leben für überflüssig, weil, wie sie sagen, das Problem mit den jetzt Alten ohnehin ausstürbe. Im Koalitionsvertrag findet sich daher auch kein Wort von so einem Grundrecht. Im Gegenteil: Dieser Vertrag etabliert einen Digitalzwang im Umgang mit allen staatlichen Behörden.

Das irritiert nicht nur alte und sehr alte Menschen, die sich für ihre digitale Unerfahrenheit und ihre Unkenntnis genieren. Das empört auch ausgefuchste Technikkönner, die die Gefahren der Digitalität gut kennen und vor der damit verbundenen Überwacherei warnen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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4 Meinungen

  • am 20.04.2025 um 11:49 Uhr
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    Wie man hört, soll es allgemeine bekannt sein, dass Friedrich Merz. der neue starke Mann der CDU/CSU und baldiger deutscher Bundeskanzler und bestimmender Politiker der EU sein wird , der auch sehr gute Kontakte zu globalen Grosskonzerne, die sehr gute geschäftliche Beziehungen mit den Trump’schen High-Tech-Giganten haben soll, bedingt durch seine Mandate, die er während seiner Zeit in der Privat-Wirtschaft einsammeln konnte. Und möglicherweise erkannt wurde, dass die Altersgruppe 20 bis 64 Jahre sehr stark abhängig von der digitalen Welt ist und wohl auch gerne bereit sein könnten jeden Preis zu zahlen, um nicht abgeschaltet zu werden und so berufliche und finanzielle haben werden. Das Resultat: Die High-Tech-Giganten können enorme Gewinne in die Taschen stopfen. Die Altersgruppe von 65 bis 99 scheint wohl nicht als sehr gewinnbringend beurteilt zu werden, weil die Rentner in Deutschland möglicherweise als in der Armutsfalle betrachtet werden.
    Gunther Kropp, Basel

  • am 20.04.2025 um 12:22 Uhr
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    Der Artikel ist an den Haaren herbeigezogen. Ich bin 68 und digital topfit. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. Und wenn jemand das ablehnt, dann wird er nicht ausgegrenzt, sondern er grenzt sich selbst aus. Auf uns alte Menschen wird schon so zu viel Rücksicht genommen. Soll die Welt jetzt unseretwegen im Mittelalter verbleiben, oder wie?

  • am 20.04.2025 um 13:01 Uhr
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    In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Unterschriftenaktion „Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz“ von digitalcourage hinweisen. Sie läuft noch bis zum 23. Mai 2025

  • am 20.04.2025 um 19:25 Uhr
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    Den Ausführungen von Herrn Prantl kann man nur zustimmen. Ich selbst bin zwar bereits 80 Jahre alt und nutze meine eigene und externe digitale Infrastruktur täglich intensiv. Das ist aber beileibe nicht Standard und nur deshalb möglich, weil ich mich beruflich immer auf dem Stand der Technik bewegen musste. Das dargestellte Problem betrifft aber nicht nur Senioren, sondern auch jüngere Generationen, die meinen, die Bedienung eines mobilen Engeräts sei bereits der Nachweis digitaler Kompetenz. Ist es bei weitem nicht. Gleichwohl: Es muss für Nutzer die Möglichkeite bestehen, ihre Angelegenheiten auch analog zu erledigen. Zudem sind wir gut beraten, diese Möglichkeit auch aus Gründen der Sicherheit paralell beizubehalten. Ins Grundgesetz muss das nicht, denn der Anspruch auf Teilhabe besteht bereits und diese darf durch Digitalisierung nicht ausgeschlossen werden. Zudem bleibt abzuwarten, wie nutzerfreundlich die Umsetzung wird. Da darf man Zweifel haben.

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