Arslan und Ali

Entschlossen, sich zu wehren: Hassan Ali (links) und Muhammad Arslan (rechts) bei einem Protest vor den Toren ihres ehemaligen Arbeitgebers. © Sudd Cobas

Arbeitskampf bei Montblanc: «Wir sind keine Wegwerfware»

Florian Blumer /  Pakistaner arbeiten in der Toskana unter unmenschlichen Bedingungen für den Luxusgüterkonzern Richemont. Nun wehren sie sich.

mdb. Dieser Artikel erschien zuerst auf publiceye.ch. Public Eye deckt seit 1968 Menschenrechtsverletzungen auf, die von Schweizer Unternehmen im Ausland verursacht werden. Public Eye setzt sich für gesetzliche Regeln ein, die die Ursachen von Ungerechtigkeit an der Wurzel bekämpfen. Dies ist eine leicht gekürzte Fassung des Artikels. Den vollständigen Artikel finden Sie hier.

Fehlt Ihrem «Business-Outfit» noch «ein raffinierter Touch»? Dann wäre vielleicht die «Sartorial Dokumententasche schmal» von Montblanc das Richtige für Sie – vorausgesetzt, der Preis von 1350 Franken schreckt Sie nicht ab.

Der stolze Preis lässt annehmen, dass die Kund*innen für ihr Geld ein Produkt bekommen, das sie nicht nur mit Stolz, sondern auch mit einem guten Gewissen tragen können. Schliesslich ist die Tasche ein Produkt der Hamburger Traditionsmarke Montblanc, «Made in Italy», hergestellt in Florenz, der traditionellen Metropole des Lederhandwerks.

Montblanc ist eine Marke respektive eine «Maison», wie es im eigenen Jargon heisst, von Richemont, dem zweitgrössten Luxuskonzern der Welt. 2023/24 erzielte dieser einen Umsatz von 22,4 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn von 2,6 Milliarden. Seinen Hauptsitz hat er in Bellevue bei Genf. 

Das Geschäft läuft: Im Januar 2025 verkündete der Schweizer Konzern das beste Quartalsergebnis seiner Geschichte. Er fühlt sich aber eigenen Angaben zufolge nicht nur dem Gewinn, sondern auch der Einhaltung von Gesetzen und den Menschenrechten verpflichtet – auch in seinen Zulieferbetrieben. So steht es jedenfalls im «Verhaltenskodex für Lieferanten» auf der Website des Konzerns.

Tristesse im «Star Department»

Muhammad Arslan und Hassan Ali haben andere Erfahrungen gemacht. Sie berichten von Zuständen, wie man sie mitten in Europa kaum für möglich halten würde. Wir sitzen mit den beiden ehemaligen Arbeitskollegen, beide 27 und aus Pakistan stammend, im Büro der lokalen Gewerkschaft Sudd Cobas im Zentrum von Prato, der zweitgrössten Stadt der Toskana, rund zehn Kilometer von Florenz entfernt.

Bis zu ihrer Entlassung haben Arslan und Ali bei Z Production gearbeitet, einer Zulieferfirma für Richemont in chinesischem Besitz und unter chinesischer Leitung – wie viele der Tausenden Textil- und Lederwarenfabriken in der Region. 

Insgesamt waren rund 70 Personen in der Fabrik beschäftigt, in der auch ein Subunternehmen namens Eurotaglio untergebracht ist – das nach Ansicht der Gewerkschaft Sudd Cobas allerdings weitgehend in die Firma Z Production integriert ist und auch demselben Besitzer zu gehören scheint.

Die meisten Angestellten stammten aus Pakistan, Afghanistan und China. Gemäss Aussage von Arbeitern und der Gewerkschaft produzierten sie ausschliesslich Lederwaren für Montblanc. Arslan und Ali waren Teil der intern «Star Department» genannten Abteilung, in der die Montblanc-Embleme auf die Taschen gestanzt wurden. 

«Teilzeit-Lehrling» in der Fabrik

Wie Tausende andere migrantische Arbeiter*innen sind Arslan und Ali in die Toskana gekommen, um dort ein Auskommen für sich und ihre Familien in der Heimat zu finden. In den Lederfabriken der Region wird mit sehr engen Margen produziert. Public Eye konnte durch Rai-Journalistin Cecilia Bacci behördliche Dokumente zum Fall «Pelletteria Serena» (siehe unten) einsehen. Diesen ist zu entnehmen, dass die ebenfalls zu Richemont gehörende Marke Chloé für eine Luxustasche, die im Laden 1500 Euro oder mehr kostet, im Ankauf rund 200 bis 300 Euro bezahlt.

Dabei machen die Materialkosten den grössten Teil der Kosten aus. Gerade mal 50 bis 70 Euro können die Fabriken für die Fertigung einer Tasche in Rechnung stellen – im Falle der «Sartorial Dokumententasche schmal» von Montblanc machen die Fertigungskosten also geschätzt rund fünf Prozent des Verkaufspreises aus. Richemont machte Public Eye gegenüber keine Angaben zu den Preisberechnungen.

Arbeitsvertrag
Papier mit geringem Bezug zur Realität: Muhammad Arslans Arbeitsvertrag über eine Anstellung als «Teilzeit-Lehrling».

Muhammad Arslan zeigt seinen Arbeitsvertrag bei Z Production. Er ist auf den 12. Juli 2019 datiert. Damals war er schon rund zwei Jahre in der Fabrik beschäftigt; aufgrund eines Namenswechsels der Firma – eine gängige Praxis in Italien, wenn Probleme mit den Behörden auftauchen – bekam er einen neuen Vertrag. Darin steht, dass er als «Teilzeit-Lehrling» angestellt sei, befristet auf drei Jahre. Die Arbeitszeiten sind in einer Tabelle aufgelistet: Montag bis Freitag, jeweils von 8 Uhr bis 14 Uhr, 30 Stunden die Woche. 

Die Realität war eine andere, so Arslan: «Wir mussten jeweils bis acht Uhr abends arbeiten, zwölf Stunden am Tag, wir hatten nur eine halbe Stunde Pause. Und dies an sechs Tagen die Woche. Auch Ferien konnten wir keine nehmen.»

Für die zusätzlichen Stunden habe er ein paar hundert Euro in bar erhalten, es wurden ihm aber auch wieder Abzüge gemacht, sodass er insgesamt auf 900 bis 1000 Euro pro Monat gekommen sei – auf die Stunde gerechnet rund 3 Euro. Arslan sagt: «Das Leben bestand nur aus Arbeiten. Wenn du so viel in der Fabrik bist, hast du nicht einmal Zeit, einkaufen zu gehen oder deine Kleider zu waschen.»

Dachbesetzungen und Rauchfackeln

Im Sommer 2022 beschliessen Arslan, Ali und elf weitere Kollegen ihrer Abteilung, sich zu wehren. Von anderen Arbeitern in ihrer Unterkunft haben sie gehört, dass es eine junge Gewerkschaft gebe, die sich in Fällen wie ihrem engagiere. Am 31. August klingeln sie an der Glastür des Büros von Sudd Cobas.

Die Gewerkschaft ist seit 2018 im Raum Prato aktiv, heute zählt sie rund 600 Mitglieder aus den verschiedensten Branchen. Sie ist basisdemokratisch organisiert und sorgt für Aufsehen: mit Streikposten, Protestaktionen vor dem Sitz der Regionalregierung und vor – oder auch mal auf dem Dach von – Fabriken, Zeltlagern vor Verkaufsläden, Sprechchören, Bannern und Rauchfackeln.

Sudd Cobas pflegt einen Proteststil, den man sich in der Region von den etablierten Gewerkschaften nicht gewohnt war. Die Aktivist*innen machen sich damit angreifbar, auch im wörtlichen Sinne: So wurden auch schon Streikposten mit Schlagstöcken überfallen. Doch ihre Aktionen erzeugen Druck und sind immer wieder von Erfolg gekrönt.

«Die Menschen erhalten ihr Leben zurück» 

Die Bemühungen um reguläre Arbeitsbedingungen nennen sie die «8×5»-Kampagne. Das Ziel laut Sudd Cobas: «Die Menschen erhalten ihr Leben zurück: Sie lernen Italienisch, um unabhängiger zu werden, sie können sich mit Freund*innen treffen und in der Gewerkschaft Gemeinschaft finden.»

Zu Beginn fanden die Treffen mit Sudd Cobas jeweils um zehn Uhr abends statt, weil die Arbeiter*innen erst dann Feierabend hatten. Doch das ist nicht mehr so. Inzwischen haben viele Arbeiter normale Arbeitszeiten. Sudd Cobas sagt: «Während die grossen Gewerkschaften sich darauf konzentrieren, Arbeiter*innen dabei zu unterstützen, dass sie im Nachhinein Entschädigungszahlungen erhalten, sind unsere Aktionen darauf ausgerichtet, die Arbeitsbedingungen zu ändern und den Arbeiter*innen Weiterbeschäftigung zu garantieren.»

Streik mit Folgen 

Die 13 pakistanischen Arbeiter von Z Production und des Subunternehmens Eurotaglio treten bald nach ihrem ersten Besuch im Büro der Gewerkschaft bei. Nach mehreren Treffen beschliessen sie, in einen «Überstundenstreik» zu treten.

Das heisst, sie brechen die Arbeit jeweils nach der regulären Arbeitszeit ab und erscheinen am Wochenende nicht am Arbeitsplatz. Gleichzeitig verfasst die Gewerkschaft ein Mail an den Chef von Z Production mit der Forderung nach einer gesetzeskonformen Beschäftigung der 13 Arbeiter und einer Entschädigung für geleistete und nicht bezahlte Arbeitsstunden. 

Streik mit Folgen
«Ausgebeutet für den Luxus»: Entlassene Arbeiter*innen von Z Production tragen ihren Protest vor das Montblanc-Geschäft in Florenz, 26. Oktober 2024.

Der Druck wirkt sofort. Der Preis, den Richemont an Z Production zahlt, ist offenbar so knapp bemessen, dass bereits der Wegfall der Überstunden von 13 Arbeitern dazu führt, dass die Firma die vereinbarten Volumen nicht mehr einhalten und nicht mehr zum vereinbarten Preis liefern kann.

Reguläre Arbeitszeiten – aber keine Arbeit mehr

Die beiden Parteien richten einen runden Tisch ein, die Gespräche verlaufen erfolgreich: Am 9. Februar 2023 unterschreiben Muhammad Arslam, Hassan Ali und die elf Kollegen eine Vereinbarung mit Z Production/Eurotaglio. Über die Einzelheiten wurde Stillschweigen vereinbart. Fakt ist aber, dass die 13 Arbeiter fortan nicht mehr dazu angehalten werden, mehr als das gesetzliche Maximum zu arbeiten, und sie ihren Anspruch auf Ferien und Krankheitstage einlösen können. «Auch der Lohn war gut», sagt Arslan, «rund 1500 Euro pro Monat».

Doch wenige Wochen darauf verkündet ihnen – wie einem Grossteil der Belegschaft – der Chef von Z Production, dass die Firma keine Arbeit mehr für sie habe. Pelletteria Richemont (Richemont Lederwaren), der lokale Ableger des Konzerns in Scandicci bei Florenz, hatte das Produktionsvolumen drastisch zurückgefahren und der Firma am 28. Februar mitgeteilt, dass sie den Vertrag mit Z Production per Ende Jahr auflösen werde. 

In einer Stellungnahme gegenüber Public Eye und dem Netzwerk Clean Clothes Campaign (CCC) begründete Richemont die Kündigung damit, dass Z Production sich wiederholt nicht an Richemonts Verhaltenskodex für Zulieferer gehalten habe. Der Entscheid sei erfolgt «nach anhaltenden Verstössen, die zu einem unwiederbringlichen Vertrauensverlust in die Bereitschaft des Managements zur Einhaltung der Vorschriften geführt haben. (…) Das Aufdecken eines nicht deklarierten Sublieferanten während der forensischen Prüfung durch Deloitte im Januar und Februar 2023 führte dann zum Bruch (…).»

Als weitere konkrete Verstösse, die in neun von unabhängigen Firmen zwischen November 2019 und Februar 2023 durchgeführten Audits festgestellt worden seien, nennt Richemont in ihrer Stellungnahme «Verstösse gegen Gesundheits- und Sicherheitsauflagen wie etwa fehlende Brandschutzmassnahmen, einen fehlenden Arbeitsvertrag und fehlende Aufenthaltsbewilligungen sowie das Fehlen eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems».

Von Public Eye nach Arbeitsrechtsverletzungen gefragt, gab Richemont an, dass das wiederholte Auftreten von Verstössen wie das Fehlen eines Zeiterfassungssystems zwar «Verdacht erregt» habe, aber all diese Audits «keine endgültigen Beweise für Verstösse gegen die Beschäftigungsbedingungen» oder für «Menschenrechtsverletzungen» ergeben hätten. Eine Anfrage um Einsicht in die Audit-Dokumente lehnte der Konzern ab.

Hat Richemont von nichts gewusst?

Die Annahme, dass die gewerkschaftliche Organisierung und das Abkommen vom 9. Februar der Grund für die Vertragsauflösung gewesen seien, bezeichnet Richemont als «nicht zutreffend». Richemont sei erst am 31. März 2023 von Sudd Cobas kontaktiert worden und habe bis dahin nichts davon gewusst.

Die Gewerkschaft zeigt sich erstaunt ob dieser Argumentation. Dass der Auftraggeber von Z Production bis Ende März nichts von den ganzen Vorgängen erfahren habe, hält sie schlicht für «unmöglich». Sie verweist auf den Überstundenstreik mit den erwähnten Folgen für die Produktion. Und: «Wir wissen, dass von Beginn an fast täglich ein Angestellter von Pelletteria Richemont in der Fabrik anwesend war.» 

Über den Mann, den alle «Alessandro» nannten, sagt Arslan: «Er hat dem Fabrikleiter Vorgaben für die Produktion gemacht, teilweise hat er auch einzelnen Arbeitern direkte Anweisungen gegeben.»

Public Eye konnte unabhängig von Sudd Cobas mit einem italienischen Speditionsarbeiter sprechen, der damals zu regulären Bedingungen bei Z Production beschäftigt war; auch er bestätigt die regelmässige Anwesenheit des Pelletteria-Richemont-Angestellten «Alessandro» in der Fabrik. Richemont hat sich auf Anfrage nicht dazu geäussert.

Kurz vor der Einigung: Abbruch der Verhandlungen

Nach dem Produktionsrückgang und der Vertragskündigung organisiert Sudd Cobas gemeinsam mit den Arbeitern erneute Protestaktionen vor der Fabrik. Und sie tragen die Proteste auch vor die Montblanc-Boutique in der schicken Via de’ Tornabuoni im Zentrum von Florenz. Danach kommt es zu mehreren runden Tischen mit allen Akteuren – mit dem Resultat, dass nach rund einem Monat ein Grossteil der Aufträge zunächst zu Z Production zurückkehrt. 

Darüber hinaus verhandeln Vertreter*innen von Sudd Cobas mit der Pelletteria Richemont mit dem Ziel, dass die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter nach Beendigung des Vertrags mit Z Production beim Zulieferer, der neu die Aufträge erhält, zu denselben Bedingungen weiterbeschäftigt werden.

Die Gewerkschaft sagt: «Richemont hat in den Verhandlungen Bereitschaft für eine solche Vereinbarung gezeigt. Als es aber konkret wurde und darum ging, ein Abkommen zu unterzeichnen, zogen sie sich plötzlich zurück.» Die Gewerkschaft bemüht sich in der Folge immer wieder um die Wiederaufnahme von Verhandlungen – vergeblich, bis heute. 

In der Stellungnahme gegenüber Public Eye geht Richemont nicht darauf ein, warum sie die Verhandlungen abgebrochen haben. Sie verweisen lediglich darauf, dass sie die Kündigung des Vertrags mit Z Production früher als gesetzlich vorgeschrieben mitgeteilt und dem Unternehmen damit genügend Zeit gegeben hätten, neue Auftraggeber zu suchen. Darüber hinaus weist Richemont jede Verantwortung für das Schicksal der Arbeiter von sich: Die Zulieferer seien «eigenständige Unternehmen» und es sei «komplett ihnen überlassen, wen sie einstellen oder entlassen wollen».

«Made in Italy? Shame in Italy!»

Im September 2023 geht das Auftragsvolumen von Montblanc bei Z Production erneut drastisch zurück, im Oktober wird die gesamte Abteilung «Star Department» geschlossen. Nach Auslaufen des Produktionsvertrags mit Richemont Ende Jahr arbeitet die Firma mit geringem Produktionsvolumen und einer kleinen Zahl von Arbeiter*innen für andere Marken weiter. Sudd Cobas handelt mit der Regionalregierung «Regione Toscana» einen so genannten Solidaritätsvertrag aus, der den betroffenen Arbeitern eine teilweise Lohnfortzahlung garantiert.

Aktionstag Basel
Internationale Solidarität: Mitglieder der Gewerkschaft IGA mit Francesca Ciuffi (am Megafon) vor dem Montblanc-Geschäft in Basel, April 2024.

Auch im Jahr 2024 hält die Gewerkschaft gemeinsam mit den Arbeitern den Druck mit Protestaktionen aufrecht. Als im Oktober 2024 der Solidaritätsvertrag ausläuft, entlässt Z Production sämtliche Arbeiter, die sich der Gewerkschaft angeschlossen hatten.

Sudd Cobas organisiert gemeinsam mit anderen Gewerkschaften und Mitgliedern des internationalen Netzwerks Clean Clothes Campaign (CCC) – dem auch Public Eye angehört – einen internationalen Protesttag mit Aktionen vor den Montblanc-Läden in verschiedenen italienischen Städten sowie in Berlin, Lyon, Zürich, Genf und Basel. Sie rufen «Made in Italy? – Shame in Italy!» («Hergestellt in Italien? – Schande in Italien!»).

Montblanc fordert Demonstrationsverbot

Die Aktionen erregen Aufmerksamkeit, auch in den Medien – zu viel offenbar für Montblanc: Im Januar 2025 erfährt Sudd Cobas, dass das Unternehmen juristisch gegen sie vorgeht. Die Luxusmarke verlangt vor einem lokalen Zivilgericht den sofortigen Erlass eines faktischen Demonstrationsverbots für Sudd-Cobas-Aktivist*innen vor ihren Geschäften. Die Gewerkschaft ist entrüstet: «Das Begehren ist absolut verfassungswidrig, seit den 1970er-Jahren hat keine private Instanz in Italien etwas Ähnliches zu erwirken versucht. Es verlangt, dass das Recht, Profite zu machen, über das Demonstrationsrecht gestellt wird!»

Gleichzeitig zeigt Montblanc die drei Sudd-Cobas-Exponent*innen Francesca Ciuffi, Sarah Caudiero und Luca Toscano wegen Verleumdung und Nötigung an. Die Forderung nach einem Demonstrationsverbot zieht Montblanc zwar zurück, nachdem Abiti Puliti, der italienische Zweig von CCC, am 29. Januar einen öffentlichen Appell lanciert hat. An der strafrechtlichen Klage gegen die Sudd-Cobas-Exponent*innen hält das Unternehmen jedoch fest.

Dass ein Richemont-Unternehmen Strafanzeige gegen die Personen einreicht, die sich für die Rechte von Arbeitern einsetzen, die jahrelang in der Herstellung ihrer Produkte ausgebeutet wurden, anstatt diese zu unterstützen und Lösungen für sie zu finden, passt schlecht zur Selbstdarstellung als sozial verantwortungsvoller Konzern.

Ebenso wäre zu erwarten, dass er nach Bekanntwerden der Missstände bei Z Production bei neuen Auftragnehmern besonders darauf achten würde, dass diese den Verhaltenskodex einhalten. Zu überprüfen, ob dies geschieht, ist für Aussenstehende schwierig, da Montblanc seine Zulieferbetriebe nicht öffentlich macht. Sudd Cobas bekam auf die Frage, wohin die Produktion verlagert wurde, von Richemont keine Auskunft.

Arbeiter aus China bevorzugt

Im November 2024 lüften dann Reporter*innen von Al-Jazeera in einer Reportage das gut gehütete Geheimnis, zumindest teilweise. Es ist ein Zufallsfund: Als chinesische Investor*innen getarnt, besuchen sie im Juni 2024 die chinesische Lederwaren-Fabrik Pelletteria A&S, rund fünf Kilometer vom Standort von Z Production entfernt.

Die Chefin der Firma, die sich mit dem Namen «Sofia» vorstellt, erläutert den vermeintlichen Geschäftsleuten freimütig ihr System, das ihr eine günstige Produktion erlaube: Sie stelle ihren Angestellten Verträge über vier Arbeitsstunden pro Tag aus, während diese in Wirklichkeit elf bis zwölf Stunden arbeiteten. Sie einige sich mit ihnen auf einen Tarif und bezahle sie privat, so könne sie Versicherungsprämien sparen.

Das Kamerateam dokumentiert auch fehlende Sicherheitsvorkehrungen – und wird gar Zeuge eines Beinahe-Unfalls, als ein Arbeiter ungeschützt an einer Schleifmaschine abrutscht. Ihre Arbeiter*innen aus Bangladesch habe sie entlassen, so die Fabrikleiterin, weil sie sich gegen die Arbeitsbedingungen gewehrt hätten. Sie stelle nur noch Chines*innen ein, diese seien gehorsamer und würden so etwas nicht tun. Im Nachhinein mit den Vorwürfen konfrontiert, hat Sofia laut Al Jazeera geantwortet, dass ihre Fabrik unterdessen geschlossen sei und sie alle Vorwürfe bestreite.

Aufgedeckt: Im Juni 2024 filmte Al Jazeera undercover in einer chinesischen Fabrik unweit von Z Production, wo weiter Arbeiter*innen in der Produktion für Montblanc ausgebeutet wurden (aufs Bild klicken, um das Video auf Youtube anzuschauen).

Als die Al-Jazeera-Journalistin den Sudd-Cobas-Leuten die Aufnahmen aus der Fabrik vorführt, machen diese grosse Augen: Auf Ledertaschen ist eindeutig der Stern von Montblanc zu erkennen. Die Chefin sagt in die Kamera, dass die Marke ein neuer Kunde von ihr sei.

Offen ist, wo und unter welchen Umständen Richemont heute in weiteren Fabriken produzieren lässt. Gemäss den Filmaufnahmen vom Juni 2024 und den darin gemachten Aussagen der Fabrikbesitzerin hat aber offensichtlich eine neue Fabrik über ein Subunternehmen Aufträge zur Herstellung von Montblanc-Ledertaschen erhalten. Dort wurden die Arbeitsrechte – und der Richemont-Verhaltenskodex – offenbar erneut in krasser Weise verletzt.

Praktiken wie in der Fast-Fashion-Industrie

Vorsichtig formuliert lässt sich sagen: Richemont muss von Anfang an bewusst gewesen sein, dass das Risiko für Arbeitsrechtsverstösse bei ihrem Zulieferer Z Production hoch ist – und hätte genau hinschauen müssen. Denn ausbeuterische Arbeitsbedingungen, wie sie Arslan und Ali erlebt haben, sind insbesondere in der Textil- und Lederwarenindustrie in Italien weit verbreitet. Die Region um Prato und Florenz ist ein europaweites Produktionszentrum dieser Branchen. Das Problem ist in der Öffentlichkeit weitherum bekannt.

Deborah Lucchetti, die an einer CCC-Studie von 2023 über die Fast-Fashion-Industrie in Europa beteiligt war, sagt: «Wir haben bei unseren Recherchen festgestellt, dass in der Luxusbranche die gleichen Praktiken angewandt werden, wie sie in der Fast-Fashion-Industrie üblich sind.»

Diese beschreibt Lucchetti wie folgt: «Die Zulieferer werden unter Druck gesetzt, aus Kostengründen gegen Gesetze und Tarifverträge zu verstossen und ihrerseits Sublieferanten zu beauftragen, weil sie nicht genug Geld erhalten, um alle Kosten decken zu können – angefangen bei den Arbeits- und Sicherheitskosten. Und das trotz der exorbitanten Verkaufspreise der Luxusprodukte. Genau dies sehen wir auch im Fall Montblanc.» 

Schläge bei der Arbeit

Dass ausbeuterische Verhältnisse auch in ihrer Lieferkette vorkommen, muss Richemont spätestens seit 2020 bekannt gewesen sein. Damals wurde ein Gerichtsverfahren gegen das leitende Ehepaar einer Fabrik namens «Pelletteria Serena» eröffnet, die unter anderem Ledertaschen der Richemont-Marke Chloé produzierte.

Der Fall warf hohe Wellen in Italien, als bekannt wurde, dass Arbeiter in der Fabrik geschlagen wurden. Public Eye konnte Gerichtsakten einsehen. Im Urteil sind gravierende Arbeitsrechtsverfehlungen und Zustände beschrieben, die in grossen Teilen an die Erzählungen der Arbeiter von Z Production erinnern:

Arbeitszeiten von bis zu 78 Stunden pro Woche, «etwa das Doppelte und Vierfache dessen, was in den regulären Vollzeit- und Teilzeitverträgen vorgesehen ist», ein durchschnittlicher Stundenlohn von 3 Euro pro Stunde, eine tägliche Ruhezeit, «die sich auf kurze Pausen von wenigen Minuten zur Einnahme der Mahlzeiten beschränkte». Ein namentlich genannter ivorischer Arbeiter sei zudem mehrfach auf den Nacken und mit einem Gürtel auf die Hände geschlagen worden, nachdem seine Arbeit bemängelt worden war.

Die chinesische Leiterin der Fabrik wurde verurteilt für Ausbeutung der Arbeitskraft und Steuerhinterziehung. Sowohl der direkte Auftraggeber als auch Richemont waren nicht Gegenstand des Prozesses.

Gericht sagt: «Ein verbreitetes Produktionssystem»

2024 kam es dann in Mailand zu einem Novum: In drei aufsehenerregenden Prozessen gerieten Luxusfirmen selbst in den Fokus. So wurde unter anderem ein lokaler Ableger der Marke Dior, die zum unangefochtenen Branchenleader LVMH aus Paris gehört, unter Gerichtsverwaltung gestellt, weil es das Gericht als erwiesen ansah, dass die Firma Arbeit an chinesische Zulieferer vergeben hatte, bei welchen Arbeiter*innen misshandelt wurden.

Während auch hier Exponent*innen der Zulieferfirmen strafrechtlich verfolgt werden, läuft gegen Dior kein Strafverfahren. Das Gericht stellte aber fest, wie Reuters in einem Artikel vom Juni 2024 zitiert, dass die Marke «die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und personellen Ressourcen der Zulieferfirmen nicht überprüft» habe. So habe sie es unterlassen, über die Jahre regelmässige Audits durchzuführen.

Das Gericht kam zum Schluss: «Dies ist kein sporadisch auftretendes Phänomen, das einzelne Produktionsstätten betrifft, es ist im Gegenteil ein weit verbreitetes und konsolidiertes Produktionssystem.» Neben dem Ableger von Dior wurden mit Alviero Martini und einem Ableger von Armani denn auch zwei weitere Unternehmen, die Arbeiter*innen unter unzumutbaren Bedingungen beschäftigten, unter juristische Zwangsverwaltung gestellt.

Luca Toscano von Sudd Cobas sagt, dass die Feststellung des Gerichts ihre Erfahrungen bestätige: «Die Luxusmarken wollen das gute Image von ‹Made in Italy› nutzen. Deshalb verschieben sie die Produktion nicht in noch kostengünstigere Länder in Asien. Doch sie bringen die Arbeitsbedingungen von China, Pakistan oder Bangladesch nach Italien und beuten hier bei uns Arbeiter*innen aus.»

Aus der Sicht des Mailänder Gerichts hat seine Massnahme gewirkt: Ende Februar 2025 hat es alle drei Akteure vorzeitig aus der Zwangsverwaltung entlassen, weil diese «extrem schnell» Beziehungen mit «Risiko-Zulieferern» gelöst und weitere Massnahmen ergriffen hätten, die das Gericht überzeugten.

Das klingt gut, doch Deborah Lucchetti von CCC sagt: «Die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Bekleidungslieferkette ist ein systemisches Phänomen, das nicht einfach durch den Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu Risiko-Lieferanten gelöst werden kann. Denn dies führt dazu, dass die verletzlichsten Arbeitnehmer*innen ohne Arbeit und ohne sozialen Schutz dastehen.»

Es sei notwendig, die Ursachen der Ausbeutung zu beseitigen, die in erster Linie in den unfairen Geschäftspraktiken der Marken und Konzerne liegen. Für Lucchetti ist deshalb klar: «Es braucht Gesetze, die Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette verpflichten, wie die Sorgfaltspflichts-Richtlinie der EU oder wie sie die Konzernverantwortungs-Initiative in der Schweiz fordert.»

Ein Präzedenzfall für die ganze Region?

Francesca Ciuffi, Luca Toscano und ihre Kolleg*innen bei Sudd Cobas hoffen dennoch, dass die gerichtliche Feststellung, dass auch Konzerne und ihre Marken in der Pflicht sind, eine Signalwirkung erzeugt, die nach Prato und Florenz ausstrahlen wird. Sie haben beschlossen, auch ihrerseits zu klagen: Im Namen von Arslan, Ali und vier weiteren ehemaligen Arbeitskollegen hat Sudd Cobas die Kündigungen angefochten – und zwar nicht nur gegenüber Z Production, sondern auch gegenüber dem Schweizer Konzern, für den die Produkte hergestellt wurden: Richemont.

Dieser sieht nach wie vor die volle Verantwortung beim Zulieferbetrieb, wie er in seiner Stellungnahme gegenüber den Vorwürfen von Public Eye noch einmal deutlich machte: «Ihr Fokus sollte auf der anhaltenden Nichteinhaltung der Vorschriften durch Z Production liegen und nicht darauf, zu Unrecht auf Montblanc zu zielen, das in gutem Gewissen gehandelt hat, um die Einhaltung der Vorschriften (…) sicherzustellen (…).» Z Production hat auf unsere Anfrage um Stellungnahme nicht reagiert.

Sollte Sudd Cobas am Ende Recht bekommen und sollten die Gerichte feststellen, dass der Konzern eine direkte Verantwortung für die Zustände bei seinen Zulieferern hat, wäre dies ein grosser Erfolg – es würde einen Präzedenzfall für die ganze Produktionsregion Prato-Florenz und darüber hinaus schaffen.

Der Prozess dürfte jedoch Jahre dauern, entsprechend düster ist die Aussicht für Muhammad Arslan, Hassan Ali und ihre Kollegen auf eine baldige Wiedereinstellung. Sie leben aktuell von staatlichem Arbeitslosengeld und sind auf Jobsuche. Diese gestaltet sich schwierig: Eine Anstellung zu regulären Bedingungen zu finden, erscheint nahezu aussichtslos. 

Es bleibt die Hoffnung, dass der Schweizer Konzern sich doch noch auf seine proklamierten Werte besinnt und dafür sorgt, dass die ehemaligen Arbeiter von Z Production nicht länger mit Arbeitslosigkeit für die Verfehlungen ihres Arbeitsgebers bezahlen müssen. Und dass ihr Wunsch erfüllt wird: wieder in der Produktion von Richemont-Luxuswaren arbeiten zu können – und zwar zu Bedingungen, wie sie für die meisten Menschen in Italien und anderswo selbstverständlich sind.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor arbeitet für Public Eye.
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5 Meinungen

  • am 18.04.2025 um 10:23 Uhr
    Permalink

    wem nützt dieser » * «?

  • am 18.04.2025 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Dass die Camorra-Mafia seit über einem Jahrzehnt in Italien eine Schattenwirtschaft mit Schwarzarbeit für die Parallel-Produktion von Luxusgütern wie Kleider und Schuhe unter Stillschweigen der Luxusfirmen aufgebaut hatte, enthüllte Roberto Saviano 2006 in seinem Buch Gomorrha. Es sieht so aus, dass trotz der Zerschlagung dieses Ausbeutungs-Rings, die Methode dieser Schattenwirtschaft weiterhin floriert.

  • am 18.04.2025 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Ich bin erstaunt, dass sich die mutige Gewerkschaft nicht umgeschaut und gesehen hat, dass andere Länder das schreckliche Sub, Subsub und Subsubsub System seit Jahrzehnten durch den Anspruch des die tatsächliche Arbeit Verrichtenden gegen den Hauptauftragsgebers gesetzlich festgelegt haben. In Deutschland gibt es das seit mehr als 30 Jahren im Baugewerbe und jetzt auch in der Fleisch verarbeitenden Industrie. Der Anwalt der Gewerkschaft könnte bei einem solchen eingeführten Gesetz direkt gegen die Firma Montblanc gerichtlich vorgehen. Dann wäre noch eine empfindliche Ordnungsstrafe gegen den Hauptauftragsgeber einzuführen, so empfindlich, dass der Hauptauftragsgeber von allein dafür sorgt, dass die letzten Subunternehmer ihre Arbeiter immer voll bezahlt bekommen.

  • am 19.04.2025 um 08:20 Uhr
    Permalink

    Ja, auch ich bin immer wieder erstaunt, dass die Schweizer über die Grenzen schauen und öffentlichte heftige bis herabsetzende Kritik betreiben, wenn doch der stinkende Fischkopf in der Schweiz zuhause ist. Z.B. Richemont! Subsubsub und Schwarzarbeit in der CH?
    «Es bleibt die Hoffnung, dass der Schweizer Konzern sich doch noch auf seine proklamierten Werte besinnt….» blablabla. Nestlé, Lindth haben ein «Papier» unterzeichnet, in dem sie sich verpflichteten bis 2007 Kindersklavenarbeit auf den Kakao Plantagen in der Elfenbeinküste und Ghana zu verbieten. Doku. Film «Schmutzige Schokolade». Seit diesem Wisch, sind laut Radio SRF 2 die Kindersklaven auf 2 Millionen gestiegen. Die Hoffnung stirbt zuletzt? – Nein, ich glaube nicht das es Hoffnung gibt, dass Schweizer Konzerne sich für Menschenrechte einsetzen, weder in Italien noch sonst wo auf der Welt.
    PS. ich habe diese Zeilen durch das Chatgpt gejagt, Anwort: Dieser Inhalt verstößt möglicherweise gegen unsere Nutzungsrichtlinien.

  • am 19.04.2025 um 12:02 Uhr
    Permalink

    Von den Margen, wie im Artikel-Beispiel, geht dann noch ein viel zu grosser Teil an die viel zu hohen Kaderlöhne und Palast-Mieten. Das ist parasitär und vernichtet jede Möglichkeit, das Geld ins gesamte System zu bringen; leider aber kapitalistisch-moralisch korrekt und bleibt daher unhinterfragt.
    Auch der Konsument hätte eine Verantwortung; diese im Alltag zu übernehmen, wird ihm aber schwierig gemacht; wir sollen und wollen den Schaden nicht sehen, der unser Überkonsum anrichtet, nur so funktioniert dieses schamlose System heiter weiter!
    Solange wir Gewinne von Konzernen, welche working poors beschäftigen und die Natur nachhaltig schädigen, an den Börsen feiern, wird sich gar nichts ändern.
    Diese Gewinne müssen auf Ausbeutung und Umweltzerstörung basieren – woher sollen sie sonst kommen? Verdienen ist ja in Ordnung, ausrauben aber nicht!
    Danke für diesen Artikel; eine nicht gegenderte, trivialere Version könnte die dringende Mission vielleicht noch beflügeln.

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