Wahlwerbung mit Waffenschein und Unterhosengrösse
Jahrelang sammelten amerikanische Waffenhersteller persönliche Daten über ihre Kunden. Dann kauften sie weitere Datensätze ein, um die Menschen nach Persönlichkeitsmerkmalen zu kategorisieren. Und schliesslich nutzten sie die Daten für politische Kampagnen.
Das US-Nonprofit-Medium ProPublica zeigte in einer investigativen Recherche-Serie erstmals, wie diese Daten gesammelt und ausgewertet wurden, um Wählerinnen und Wähler zu manipulieren.
Im Zentrum der Beeinflussungskampagne steht die «National Shooting Sports Foundation» (NSSF), die wichtigste Lobbygruppe der US-Waffenindustrie. Die Organisation arbeitete dafür mit der mittlerweile aufgelösten Beratungsfirma Cambridge Analytica zusammen. Diese entwickelte Werbebotschaften für Donald Trumps Präsidentschaftskampagne 2016. Sie basierten auf der Auswertung von Daten, die ursprünglich zu wissenschaftlichen Zwecken gesammelt wurden.
ProPublica beschreibt drei Phasen der Manipulationskampagne:
Phase 1: Die Datensammlung
Die ursprünglichen Daten über US-WaffenbesitzerInnen stammte von Garantiekarten der Hersteller. Damit sammelten sie seit den 1970er-Jahren Informationen über Millionen KundInnen. Auf einigen der Karten versprachen die Firmen, die Angaben streng vertraulich zu behandeln. Auf anderen hiess es, sie könnten zu Marketing- oder Verkaufszwecken weitergegeben werden. Nirgendwo wurde genannt, dass sie für politische Zwecke benutzt würden. NSSF sammelte diese während 20 Jahren und legte sie in einer Datenbank ab.
Wie Dokumente von Cambridge Analytica zeigten wurden diese Daten hernach mit rund 5000 weiteren Angaben zu Einkäufen oder Lebensstil der Menschen kombiniert und abgeglichen. Diese Daten erhielt die Lobbygruppe von Datenhändlern. Darunter waren Angaben zu Präferenzen bezüglich Musikstil, Automarken, Freizeitbeschäftigungen, politische Einstellung oder die Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen. Aber auch Infos über gekaufte Unterhosengrössen, Haustiere oder Medikamente.
Phase 2: Die Profile
Dann benutzen die Analysten einen Algorithmus, um die Daten zu ordnen. Basierend auf den gesammelten Angaben und mithilfe eines psychologischen Beurteilungstools namens Ocean wurden die Menschen profiliert und nach ihren Verhaltensmustern in fünf Gruppen eingeteilt. Das Ocean-Modell ist in der psychologischen Forschung etabliert. Es besagt, dass sich jede menschliche Persönlichkeit auf fünf Skalen einordnen lässt. Sie heissen: Aufgeschlossenheit, Perfektionismus, Geselligkeit, Kooperationsbereitschaft, emotionale Labilität.
Basierend auf dieser Datenanalyse teilte Cambridge Analytica die Menschen in fünf Gruppen ein: Risk-Taker, Carer, Go-Getter, Individualisten und Supporter. Für jede Gruppe formulierten die Analysten eine bestimmte Überzeugungstaktik.
Risk-Taker wurden beispielsweise so charakteriert: Sie sind schnell frustriert, unorganisiert, oft verspätet und neigen eher zu Suchtverhalten als andere. Sie fühlen sich zu riskanten Situationen hingezogen, sind bekannt dafür, zu überreagieren, oder ohne zu denken, zu handeln, und werden oft als Aussenseiter wahrgenommen.
Als Überzeugungstaktik wurden Botschaften vorgeschlagen, die zuerst negative Szenarien einführten, um darauf eine beruhigende, verbindliche Lösung zu geben.
Die Taktik für Carer hingegen lautete etwa so: Die Botschaften sollten die altruistische Seite der Menschen ansprechen und Ideen fördern, welche ihr Familienleben oder ihren Lebensstil verbessern. Carer sind altruistisch motiviert, und Botschaften sollten sich an ihre Sensibilität und Emotionalität richten und direkt in einem Handlungsaufruf – einem Call-to-Action – münden.
Phase 3: Der Kontakt
Die Kampagne konzentrierte sich auf Schlüsselstaaten wie North Carolina, Pennsylvania oder New Hampshire. Cambridge Analytica fand die Menschen auf Facebook und an ihren Wohnadresse. Sie erhielten so direkt Botschaften und Werbeanzeigen für präferierte KandidatInnen der Waffenlobby in ihren Facebook-Feed und ihre Briefkästen.
ProPublica beschreibt die US-Wahlen von Präsidentschaft und Parlament 2016 als besonders wegweisend für die Waffenindustrie. Zwischen 2009 und 2011 erschütterten zahlreiche Amokläufe und Anschläge wie in einem Kino in Colorado oder an einer Primarschule in Connecticut die USA. Präsident Barack Obama sowie die Mehrheit der Abgeordneten im Repräsentantenhaus sprachen sich für härtere Waffengesetze aus. Einzig im Senat hatten republikanische Waffenfreunde noch eine Mehrheit. Das erklärte Ziel der Kampagne war es deshalb, Donald Trump zur Wahl zu verhelfen sowie republikanische SenatskandidatInnen zu unterstützen, um die Mehrheit in dieser Kammer zu behalten. Dafür sollten die entsprechenden WählerInnen in Schlüsselstaaten mobilisiert werden.
Die Kampagne war letztendlich erfolgreich. In einem NSSF-Report nach den Wahlen hiess es: «Nach acht langen Jahren unter Präsident Obama kann die Waffenindustrie dank der Wahl Donald Trumps endlich ohne tägliche Attacken aus dem Oval Office arbeiten. Zudem, teilweise auch dank unseren Anstrengungen, herrscht eine Pro-Waffen-Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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