Keine Panik: Schweiz muss keine Blockchain-Vorreiterin sein
Wenn wir früher über Wirtschaft sprachen, ging es um reale Dinge: Nahrung, Wohnung, Energie, Unterhaltung. Aufgabe der Politik war es, dafür zu sorgen, dass wir genug von allem haben. Doch weil wir das, was wir wirklich brauchen, inzwischen mit viel weniger Arbeitsaufwand herstellen können, und weil wir es nicht geschafft haben, den technologischen Fortschritt statt in Arbeitslosigkeit in mehr Freizeit für alle umzuwandeln, haben sich die Vorzeichen geändert: Heute geht es darum, Stellen zu schaffen oder sie den anderen Ländern wegzunehmen. Die Schweiz muss dabei sein, wenn etwas Neues entsteht. Was auch immer: Hauptsache, es gibt Arbeitsplätze.
«Die Schweiz als Vorreiter positionieren»
Vor diesem Hintergrund muss man die Pressemitteilung verstehen, die kürzlich die Swiss Blockchain Federation veröffentlicht hat. Darin freut sie sich über die «positiven Signale des Bundesrats zu zwei wichtigen parlamentarischen Vorstössen, welche die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit des Blockchain-Standorts Schweiz betreffen». Es gehe darum, «die Schweiz weiterhin als globalen Vorreiter im Bereich Blockchain und Distributed Ledger Technology (DLT) zu positionieren». Heinz Tännler, Präsident der Swiss Blockchain Federation und Zuger Finanzdirektor, wird dabei wie folgt zitiert: «Wir sind überzeugt, dass wir durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik, Hochschulen und Behörden die Rahmenbedingungen schaffen können, die weiterhin Innovation fördern, neue Dienstleistungen und Firmen hervorbringen und letztlich Arbeitsplätze schaffen.»
Wie wir dieser Meldung entnehmen können, sieht sich die Schweiz auf diesem Gebiet bereits als globale Vorreiterin. Gut so. Aber in Sachen künstliche Intelligenz, kurz KI, ist nicht nur die Schweiz schlecht positioniert, sondern – laut NZZ – ganz Europa: «Gerade bei der generativen künstlichen Intelligenz, einer Schlüsseltechnologie für Verteidigung und Wirtschaftswachstum, ist Europa weit abgeschlagen.» Doch es kommt noch schlimmer: «Für den bekannten Tech-Investor und TV-Juror Frank Thelen ist die Innovationsfähigkeit in Europa in desolatem Zustand, der KI-Wettlauf bereits verloren. Kommt kein Regierungswechsel, will er Deutschland verlassen.»
Solche alarmierenden Meldungen liest und hört man nicht nur in der NZZ, sondern auf allen Kanälen. Überall macht sich die Meinung breit, dass unser aller Wohlergehen davon abhängt, ob «unser Standort» in den gerade aktuellen «Schlüsseltechnologien» mithalten kann oder abgehängt wird. Warum das so sein sollte, wird immer nur angedeutet. Es werden Drohkulissen aufgebaut: Was, wenn der bekannte TV-Star Frank Thelen seine Drohung wahr macht und Deutschland wirklich verlässt!? Was, wenn die Schweiz «an Wettbewerbsfähigkeit verliert, wenn andere Länder ihre regulatorischen Rahmenbedingungen für die Blockchain schneller weiterentwickeln» als wir? Wie genau wirkt sich das auf unsere Fähigkeit aus, das zu produzieren, was unseren Wohlstand ausmacht?
Das «Blockchain-Ökosystem» schafft null neue Werte
Fangen wir mit dem «Blockchain-Ökosystem» an. Was ist sein praktischer Nutzen? Der Swiss Blockchain Federation fällt in ihrer Pressemitteilung dazu nur ein, dass die Blockchain-Technologie eine «wichtige Rolle bei der Emission von Stablecoins» spiele. Stablecoins? Dabei geht es um folgendes: Statt dass die US-Regierung ihre Anleihen den Anlegern direkt anbietet, verkauft sie sie an den Stable-Coin-Unternehmer Circle, der sie im entsprechenden Gegenwert als «USD Coin» an die Anleger verkauft. Für den Anleger bewirkt dies, dass er seine Dollarguthaben nun in Form von elektronisch gespeicherten Coins zur Verfügung hat und mit ihnen auf dem Blockchain-Netzwerk von Etherum spekulieren kann. Das soll angeblich die Transaktions- und Aufbewahrungskosten senken – zumindest für Grossinvestoren.
Der Nachteil liegt darin, dass der Anleger nun nicht mehr nur dem US-Staat (als Schuldner), sondern auch einer Firma namens Circle und dem Etherum-Netzwerk vertrauen muss. Kann er das? Da kommt nun der «Blockchain-Standort Schweiz» ins Spiel. Der muss die beteiligten Mitspieler so gut überwachen, dass die entsprechenden Geschäfte möglichst in der Schweiz oder genauer in Zug abgewickelt werden, in der Hoffnung, dass damit einige Arbeitsplätze und viel Geld in Form von Salären und Steuern in der Schweiz liegen bleiben. Unser Land wird damit zum Helfershelfer des globalen Finanzkasinos. Das kann für die beteiligten Trader, Regulatoren, Rechtsanwälte und Softwerkentwickler lukrativ sein, schafft aber null neue Werte. Keine Wohnungen, Nahrung, Energie, Unterhaltung …
Vielleicht hilft uns KI künftig beim Ausräumen des Geschirrspülers
Ähnlich verhält es sich mit der KI. Noch ist reichlich unklar, wie diese dazu beitragen kann, unser Leben zu erleichtern. Der oben erwähnte Text in der NZZ nennt etwa die «grossen Sprachmodelle», von denen praktisch alle in den USA und in China entwickelt worden seien. Doch vielleicht würden diese «bald zur Massenware, die angesichts der grossen Konkurrenz und des erheblichen Investitionsbedarfs kaum eine Rendite auf das eingesetzte Kapital abwirft.» Ob Sprachmodelle unser Leben verbessern, ist eh fraglich. Des Weiteren wird erwähnt, dass «humanoide Roboter bald unsere Geschirrspüler ausräumen können – weil sie dank KI ihre Umgebung verstehen.» Oder die KI könnte den Pharmafirmen helfen, neue Wirkstoffe zu finden. Wollen wir noch mehr Ozempic?
Der Nutzen der KI ist offenbar auch denen noch nicht klar, die sich darüber beklagen, dass Europa dabei den Anschluss verloren habe. Aber sie kennen deren Kosten: «Um eine Rolle zu spielen, braucht Europa enorm viel günstige Energie», zitiert die NZZ den Investor Frank Thelen. Und weiter: «Die im Jahr 2024 ausgelieferten H100-Chips von Nvidia verbrauchen pro Jahr so viel Strom wie ganz Irland. In Deutschland kann also kein Rechenzentrum entstehen. Selbst wenn wir günstigen und stabilen Strom hätten, ist mir kein grosser Investor bekannt, der bereit ist, Hunderte Milliarden in diese Industrie zu investieren.» So weit Thelen.
Tatsache oder zumindest sehr wahrscheinlich ist aber, dass es Investoren gibt, die diese Milliarden – irgendwo – investieren und die dafür in Aussicht gestellten Subventionen abkassieren wollen. So hat etwa der französische Präsident Emmanuel Macron 109 Milliarden Euro an Investitionen in die KI angekündigt. Standortförderer wie die «Greater Zurich Area» sind darauf getrimmt, einen Teil dieses Mannas in den eigenen Standort zu lenken. Das ist mit der Ansiedlung von Google, Oracle, Meta, Nvidia und so weiter auch nicht schlecht gelungen. Aber selbst die wirtschaftsnahe NZZ fragt kritisch: «Doch was bringen diese Standorte den Schweizer Interessen ausser Prestige und Steuereinnahmen?»
Schweiz wird um 100’000 Einwohner pro Jahr aufgebläht
Gute Frage. Versteht man unter «Schweizer Interessen», die des hier ansässigen Normalverdieners, muss man berücksichtigen, dass die meisten neu geschaffenen Stellen von Expats besetzt werden, die «unser Standort» den anderen abgeluchst hat oder noch abluchsen will. Unser Sieg im Standortwettbewerb bläht die Schweiz pro Jahr um rund 100’000 Einwohner auf. Für die einheimischen Wohnungssuchenden heisst das, dass sie mehr für die Mieten und vermutlich auch für die Energie bezahlen müssen. Für die Boden- und Hausbesitzer bedeutet es in vielen Fällen, dass sie Millionäre werden und sich vorzeitig pensionieren lassen können. Und dass sie mit ihrem gehobenen Lebensstil – etwa mit Kreuzfahrten – die Umwelt noch stärker belasten.
Was bleibt unter dem Strich? Schwer zu sagen. Vielleicht tragen die Standortförderer und Blockchain-Begeisterten per Saldo tatsächlich zum allgemeinen Wohlergehen bei. Doch so klar, wie sie dies in ihrer geschliffenen PR-Sprache darstellen, ist die Sache nicht. Vielleicht sollte es Heinz Tännler bei der nächsten Gelegenheit so formulieren: «Wir sind überzeugt, dass wir durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik, Hochschulen und Behörden die Rahmenbedingungen all derer verbessern können, die mit echter Arbeit reale, für alle brauchbare Werte hervorbringen und damit letztlich unser Leben verbessern.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Könnte die Blockchain-Technik nicht auch im Sozialbereich Anwendung finden, um vom unseligen Giesskannenprinzip wegzukommen? Dies würde bedeuten, dass die Steuer-/Vermögensdaten eines jeden Individuums in der Blockchain hinterlegt würden und Sozialtransfers darauf basierend ausbezahlt würden…….