Für Glitter riskieren Vierjährige ihre Gesundheit
Glitter ist ein Symbol für Luxus und Lebensfreude. Er ist Bestandteil von Lidschatten, Nagellack und Puder, Autolacken und Elektronik.
Ein grosser Teil davon stammt aus bettelarmen Gegenden in Indien und Madagaskar. Organisationen wie Terre des Hommes machen immer wieder darauf aufmerksam, dass bei der Gewinnung Kinder arbeiten. Alternativen gibt es zwar, sie setzen sich aber nur sehr langsam durch.
Die Zahl der Kinder im Mica-Abbau steigt
Glitter ist ein Silikatmineral, das Mica heisst und im Bergbau gewonnen wird. Mica-Mineralien kommen in Brocken vor, die aus Platten oder Plättchen bestehen. Gut ein Viertel davon kommt aus den indischen Bundesstaaten Bihar und Jharkhand.
Mica-Abbau ist für viele Familien oft der einzige Weg, zu überleben. Zum Teil noch sehr kleine Kinder sortieren den ganzen Tag Mica-Plättchen, helfen beim Transport oder müssen in engen Tunneln arbeiten.
Der Lohn für die schwere Arbeit ist lächerlich gering. In Madagaskar geht ein Kilogramm Mica für durchschnittlich 2 Cent an die Zwischenhändler. Die Exportpreise sind bereits zehnmal so hoch. In Indien werden immerhin 9 bis 11 Cent pro Kilogramm bezahlt, die Zwischenhändler verlangten 2022 schon 50 Euro. Ein Kilogramm Mica von sehr guter Qualität kostete 2008 auf dem Weltmarkt um die 2000 US-Dollar.
Rund 22’000 Kinder arbeiteten laut Terre des Hommes vor Beginn der Corona-Pandemie in illegalen Minen in Bihar und Jharkhand. 2023 waren es schon 30’000 Kinder. In Madagaskar arbeiteten 2024 rund 11’000 Kinder in den Minen. Abbau und Handel erfolgen in beiden Ländern oft illegal.
Mica-Abbau ist gesundheitsschädlich – vor allem für Kinder
Auch in China, Sri Lanka, Pakistan und Brasilien schürfen Kinder Mica. Eine schwere und gefährliche Arbeit, die über wie unter Tage in allen Ländern der Welt für Kinder verboten ist.
Die Kinder können in den Tunneln oft stundenlang nicht trinken, sie tragen häufig Schnittwunden davon, der Mica-Staub schadet der Lunge. Zusammen mit der prekären Ernährungssituation in den armen Ländern fördert der Staub das Auftreten von Tuberkulose. Es kommt immer wieder zu schweren Unfällen, wenn Minen einstürzen.

Auch der Umwelt tut der Mica-Abbau nicht gut. Oft wird für Mica-Minen Land abgeholzt, was die Situation der Bevölkerung rund um die Minen eher verschlechtert.
Mica-Lieferketten sind schwer nachvollziehbar
Mica wird auch in Ländern produziert, in denen es selten oder gar keine Kinderarbeit gibt wie Russland, Finnland, den USA, Südkorea, Frankreich und Kanada. Die beste Qualität stammt aber aus Indien und Madagaskar. Indien exportierte 2023 120’000 Tonnen Glimmer und hatte damit den finanziell grössten Marktanteil. Es folgten China und Madagaskar, die grössten Mica-Mengen exportiert China.
Mica-Lieferketten seien häufig kaum nachvollziehbar, sagen Hilfsorganisationen. Wie bei anderen problematischen Produkten würden auch häufig Produkte unklarer Herkunft mit «sauberen» Mica-Platten gemischt. Lizenzen, die die Herkunft aus Minen ohne Kinderarbeit bescheinigen sollen, würden gefälscht.
In der indischen Statistik gibt es noch nicht einmal Mica-Abbau in Bihar und Jharkhand. Nach offiziellen Zahlen werde Mica nur in den Bundesstaaten Andhra Pradesh und Rajasthan abgebaut, legt der Blog des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit dar. Was daran liege, dass viele Exporteure fälschlicherweise die Herkunft aus Andhra Pradesh und Rajasthan auswiesen, weil die Minen in diesen beiden Bundesstaaten legal betrieben werden dürften.
Den Konsument:innen ist die problematische Herkunft oft unbekannt
Die Herkunft von Mica und die Umstände des Abbaus werden alle paar Jahre von Hilfsorganisationen oder Medien thematisiert, sind Konsument:innen aber oft unbekannt.
Am Weltkindertag 2024, dem 20. November, lancierte Terre des Hommes Niederlande beispielsweise die Doku «Ending Child Labour in the Mica Mines of Madagascar», ein Video beschreibt ein Hilfsprojekt in einem madegassischen Dorf. Ähnliche Projekte gibt es auch in Indien, sie erreichen aber nur wenige tausend betroffene Kinder. Zuletzt hatte «Öko-Test» Mica in Kajalstiften thematisiert. In der Zutatenliste von Kosmetika wird Mica als «Mica», «CI 77019» oder «Potassium Aluminium Silicate» deklariert.

Besser als nichts: Responsible Mica Initiative (RMI)
Bemühungen, die Umstände im Mica-Abbau zu ändern, gibt es. Einige Hersteller weisen bei ihren Produkten auf ihre Mitgliedschaft in der Responsible Mica Initiative (RMI) hin. Die RMI will dafür sorgen, dass Mica nur aus einwandfreien Quellen stammt. Sie bietet keine Zertifizierung an, arbeitet aber auf weltweite Standards hin.
Mitgliedsunternehmen erklären sich bereit, ihre Mica-Lieferkette transparent abzubilden und die Verantwortung sowohl für Lieferanten als auch für Zwischenhändler zu übernehmen. Es soll möglich werden, Glitter bis zu den Minen zurückzuverfolgen. Mit dem Ziel, bis 2030 Lieferketten mit fairen Arbeitsbedingungen ohne Kinderarbeit zu etablieren. Das klingt zumindest nach einem Anfang – wohlgemerkt bei einem Thema, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Dass Vierjährige in Minen schuften, sollte jenseits jeder Toleranzgrenze sein.
Die RMI hat mehr als 100 Mitglieder, darunter H&M, Chanel, L’Oreal, BASF, Avon, Ford, Volvo, Mercedes Benz, Porsche und Merck. Auch die Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes ist Gründungsmitglied.
Migros und Coop teilten dem SRF 2023 auf Nachfrage mit, dass ihre Lieferanten Mitglieder des Mica-spezifischen Teils einer anderen Initiative, der Responsible Minerals Initiative, seien.
Alternativen: Kunstglimmer und Fischschuppen
Synthetische Mica-Alternativen gibt es zwar, aber sie setzen sich nur sehr langsam durch. Hier ein Beispiel für Farb-Glimmer. Auch in Kosmetika ginge es ohne. Die Kosmetik-Kette Lush setzt seit 2018 auf synthetisches Fluorphlogopit, um einen Glitzereffekt zu erzeugen. Laut «Utopia» gibt es auch Glitzerprodukte auf Zellulosebasis, die von Avocadostore als «Eco Glitter» oder «Bio Glitter» vermarktet werden, sowie Glitter aus Kunststoffen.
Eine weitere Glitzersubstanz ist Guanin, genannt «Perlessenz», «Perlmuttglanz» «Pearl Essence» oder «Fischsilber». Das schimmernde Pigment wird seit dem 15. Jahrhundert aus Fischschuppen hergestellt und in Kosmetika verwendet. Guanin ist gekennzeichnet als «CI 75170». Die Gewinnung aus Schuppen von Hering, Sardine und Ukelei ist aufwendig. Für ein halbes Kilogramm Silberglanz sterben laut Wikipedia 18’000 bis 20’000 Fische.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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