Warum die USA in Afghanistan erfolglos Milliarden verpulverten
Im zwanzigjährigen Krieg der Nato gegen «Terroristen» in Afghanistan kamen über 170’000 Menschen ums Leben. Die Kriegsausgaben summierten sich auf weit über eine Billion Dollar. Dazu kam nochmals mindestens eine Billion Dollar, die etwa siebzig Staaten, internationale Organisationen und tausende von Hilfsorganisationen an «Entwicklungshilfe» an Afghanistan aufwandten.
Jetzt hat der langjährige US-Sonderinspektor für den Wiederaufbau in Afghanistan, John F. Sopko, in der «New York Times» zusammengefasst, warum die Regierenden das Desaster so lange nicht kommen sahen. Es ging um Geld und Aufträge und nochmals um Geld und Aufträge.
Einen Abschlussbericht will Sopko noch dieses Jahr veröffentlichen. Er soll die Fragen beantworten, warum so viele hochrangige Beamte dem Kongress und der Öffentlichkeit Jahr für Jahr erzählten, dass der Erfolg in greifbarer Nähe sei, obwohl sie es besser wussten. Zwei Jahrzehnte hätten Beamte behauptet, die Fortsetzung der Mission in Afghanistan sei für die nationalen Interessen von entscheidender Bedeutung. Erst die beiden Präsidenten Donald Trump und Joe Biden seien endlich zum Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall sei.
Deutsche Soldaten in Afghanistan
Bereits seit 2001waren auch Hunderte deutsche Soldaten im Rahmen der Nato in Afghanistan im Einsatz. Der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte: «Nur durch Krieg rückt der Frieden in Afghanistan näher […] Die pseudoreligiös legitimierte und motivierte Gewalt muss durch demokratisch legitimierte Gegengewalt ausser Kraft gesetzt werden.» Aussenminister Joschka Fischer (Grüne) ergänzte: «Jetzt besteht die grosse Chance, diesen Krieg und Bürgerkrieg dauerhaft zu beenden.» Ein Jahr darauf doppelte SPD-Verteidigungsminister Peter Struck nach: «Ich habe gesagt, dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird.»
«Perverse Anreize zum Geldausgeben»
Als Sonderinspektor für den Wiederaufbau Afghanistans hat John F. Sopko seit 2012 gemeinsam mit seinen Mitarbeitern die US-Programme und -Ausgaben für den Wiederaufbau Afghanistans im Auftrag des US-Kongresses geprüft und untersucht. Heute sollen der Kongress und die neue Trump-Regierung aus den Fehlern in Afghanistan lernen, damit es in der Ukraine, im Gazastreifen oder in Syrien nicht zu einem ähnlichen Desaster komme.
Offiziell hätten die USA in Afghanistan dafür sorgen wollen, dass das Land kein Zufluchtsort für Terroristen mehr werden kann, und dass das afghanische Volk eine bessere Zukunft bekommt. Der theokratische, auf Stämmen basierende Staat sollte in eine moderne liberale Demokratie verwandelt werden.
Doch tatsächlich wurde der «Erfolg» während des Kriegs daran gemessen, wieviel Geld für Programme und Projekte ausgegeben wurde, berichtet Sopko. Wegen «perverser Anreize» hätten militärische und zivile Führungskräfte Dienstreisen, die Zahl von Einsätzen, Programmen und Projekte als Erfolge ausweisen müssen, um Beförderungen und einen höheren Lohn zu erhalten.
Die Führungskräfte hatten ein Interesse daran gehabt, positive Informationen zu melden und hervorzuheben und Misserfolge kleinzureden: «Schliesslich führten Misserfolge nicht zu Beförderungen.»
Auch private Auftragnehmer des Militärs oder ziviler Behörden hatten ein Interesse, ihre Aktivitäten in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen, um ja keine Millionenaufträge zu verlieren. Die Höhe der Ausgaben sei zum Massstab für den Erfolg geworden. Sopko erwähnt zwei Beispiele:
- «Ein General erzählte uns, dass er vor einer Herausforderung stand: Wie sollte er die verbleibende Milliarde Dollar aus seinem Jahresbudget in etwas mehr als einem Monat ausgeben? Das Geld zurückzugeben war keine Option.»
- «Ein anderer Beamter, mit dem wir sprachen, wollte ein millionenschweres Bauprojekt nicht absagen, obwohl es die Feldkommandeure gar nicht wollten. Denn die Mittel mussten ausgegeben werden. Das Gebäude wurde nie genutzt.»
Die Sicherheit den Afghanen zu übertragen, war eine Illusion
Nach dreizehn Kriegsjahren begannen die US-Streitkräfte im Jahr 2014 für die Sicherheit afghanisches Militär einzusetzen, das sie zuvor ausgebildet hatten. Amerikanische Generäle und Regierungsbeamte hätten optimistisch verbreitet, dass jetzt afghanische Streitkräfte die Taliban wirksam bekämpfen würden, und dass Korruption und Verletzungen von Menschenrechte eingedämmt seien. Auch die Wahlen in Afghanistan seien demokratisch und fair verlaufen.
Aufgrund solcher Erzählungen war der US-Kongress bereit, weiterhin Milliarden in den Krieg und den Wiederaufbau zu stecken.
Doch spätestens im Jahr 2015 in Kundus, als die Taliban – das erste Mal seit 2001 – die Kontrolle über eine grosse Stadt erlangten, hätten nach Ansicht von Sopko alle Alarmglocken läuten müssen. Doch an der Fiktion, dass die afghanischen Streitkräfte sich durchsetzen und den Weg für einen Rückzug der USA ebnen können, sei festgehalten worden.
Die damalige Realität beschreibt Sopko in der «New York Times» wie folgt:
«Die Taliban-Kämpfer mit ihren Gewehren aus der Zeit des Kalten Krieges und ihren Geländemotorrädern waren oft stärker als die afghanischen Regierungstruppen mit modernster Ausrüstung und Unterstützung durch die US-Luftwaffe. Die Taliban waren religiös motiviert. Sie wollten das Land von ausländischen Invasoren und einer Regierung befreien, die sie als eine von Washington eingesetzte Marionettenregierung betrachteten. Dagegen waren die Mitglieder des afghanischen Militärs oft nur durch ihre Gehälter motiviert. Die Moral war schlecht, die Korruption allgegenwärtig und die logistischen Probleme gross.»
Optimismus verbreiten, um Geldströme aufrechtzuerhalten
Sopko erinnert an die Warnung Präsident Dwight Eisenhowers vor dem Einfluss des «militärisch-industriellen Komplexes». In Afghanistan habe zudem der Komplex der NGO, UN- und Hilfsorganisationen einen grossen Einfluss ausgeübt. Ihre Ziele seien zweifellos edel gewesen: die Bekämpfung der Korruption, der Schutz von Frauen und von Randgruppen, mehr Transparenz.
Doch diese Organisationen hätten zur allzu optimistischen Einschätzung der Lage beigetragen: «Es ging darum, Geldströme aufrechtzuerhalten.»
In Afghanistan sei das Büro des Sonderinspektors oft die einzige Regierungsbehörde gewesen, die zuverlässig über die Lage vor Ort berichtet habe: «Doch wir sahen uns einem starken Widerstand von Beamten des Verteidigungs- und Aussenministeriums, von USAID und den Hilfsorganisationen gegenüber. Wir konnten unsere Arbeit nur deshalb ausführen, weil der Kongress uns die Freiheit gewährte, unabhängig zu agieren.» Das Sonderinspektorat konnte Material veröffentlichen, das bewies, dass die afghanischen Ministerien nicht fähig waren, die direkte finanzielle Hilfe der USA korrekt zu verwalten. Und dass korrupte afghanische Beamte in ihren Dienstplänen fiktive Soldaten und Polizisten auflisteten, um ausbezahlte Gehälter in die eigene Tasche zu stecken.
Wenn die systemimmanenten Fehlanreize zur Geldbeschaffung nicht gebrochen würden, welche der Wahrheitsfindung entgegenstehen, würden die USA auch in Zukunft «Projekte im In- und Ausland verfolgen, die nicht funktionieren, und diejenigen belohnen, die Misserfolge kleinreden, indem sie Erfolge melden und beliebig viele Milliarden Dollar verbrennen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. John F. Sopko ist seit 2012 Sonderinspektor für den Wiederaufbau in Afghanistan. Er wurde von Präsident Barack Obama ernannt und war unter den Regierungen Obama, Trump und Biden tätig. Er war Staatsanwalt, Rechtsberater des Kongresses, Anwalt und leitender Berater der Bundesregierung.
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