Fleischbraten

Ist rotes Fleisch ungesund oder nicht? Die Studie liefert kein eindeutiges Ergebnis. © twins03 / Depositphotos

Fleisch und Gesundheit: Studien vermitteln falsches Bild

Martina Frei /  Ein «schockierendes» Experiment deckt die Schwächen von Beobachtungsstudien auf. Veröffentlicht wird vor allem, was Eindruck macht.

«Fleisch essen gilt als zunehmend ungesund», schrieb die «NZZ» letzten September. «Die wissenschaftlichen Belege dafür sind allerdings umstritten.»

Tatsächlich ist das Problem aber noch viel grösser als gemeinhin angenommen, wie ein Experiment von Wissenschaftlern an der McMaster University in Kanada offenlegt. Und dieses Problem betrifft nicht allein Studien zur Ernährung, sondern praktisch die gesamte Medizin. Die kanadischen Wissenschaftler zeigen es nur am Beispiel des Fleischkonsums auf.

70 verschiedene Berechnungsmethoden

Ernährungsempfehlungen – auch in der Schweiz – beruhen zum allergrössten Teil auf Studien, die nach Zusammenhängen suchten, zum Beispiel, ob Menschen, die viel rotes Fleisch assen, früher starben als andere Menschen. 

Solche Studien sahen sich die kanadischen Forscher genauer an. Sie interessierte, welche statistischen Berechnungen ihre Kollegen dort angewandt hatten. Denn Datensätze lassen sich auf unterschiedliche Art analysieren – in diesem Fall waren es 70 verschiedene Berechnungsmethoden. Obwohl alle die gleiche Frage untersuchten.

All diese Forscherkollegen hatten Gründe für die von ihnen gewählte Methode. Selbst erfahrene Wissenschaftler seien sich uneinig, welche die beste sei, sagte die kanadische Studienautorin Dena Zeraatkar in einem Podcast von «Sensible Medicine».

… und etwa 50 verschiedene Einflussgrössen

Hinzu kamen in diesen Studien rund 50 Faktoren, welche die Sterblichkeit beeinflussen können, wie das Alter, Rauchen, Alkoholkonsum, hohe Cholesterinwerte, Herzinfarkte bei den Vorfahren, der Beruf etc. Manche Studien berücksichtigten – nebst dem Fleischverzehr – viele solcher Faktoren, andere dagegen nur wenige. 

Je nachdem, welche Faktoren in eine Studie einfliessen, wie stark die Studienautoren diese Faktoren gewichten, für welche Art der statistischen Berechnung sie sich entscheiden und so weiter, ergäbe das zehn Billiarden plausible, verschiedene Analysemöglichkeiten, errechnete Zeraatkars Team.

Angesichts der Unmöglichkeit, so viele Analysen durchzuführen, entschied es sich per Los für 1440 davon. Zeraatkar und ihre Kollegen werteten den immer gleichen Datensatz aus – eine repräsentative Befragung von Einwohnerinnen und Einwohnern der USA –, aber auf 1440 verschiedene Arten. 

Ernährungsempfehlungen stützen sich auf solche Studien

Ihre im «Journal of Clinical Epidemiology» veröffentlichten Ergebnisse waren völlig widersprüchlich: Mal ging der Fleischkonsum mit einem 49 Prozent niedrigeren Sterberisiko einher, ein anderes Mal aber mit einem 75 Prozent höheren. Dazwischen gab es praktisch alles.

Rund zwei Drittel der Analysen ergaben, dass der Verzehr von rotem Fleisch positiv ist, ein Drittel ergab das Gegenteil. Etwa 200 der 1440 Analysen lieferten gar völlig unplausible Ergebnisse. Aus dem Datensatz liess sich also alles herauslesen. Im Mittel lautete das Ergebnis, dass der Verzehr von rotem Fleisch vermutlich weder mit kürzerem noch mit längerem Leben einhergeht.

In den Studien, auf denen unsere Ernährungsempfehlungen beruhen, werde jedoch immer nur eine Art der Analyse gemacht. Diese Studien «spielen eine entscheidende Rolle beim Formulieren von Richtlinien», so die Forscher. 

Die Eidgenössische Ernährungskommission beispielsweise hielt 2014 aufgrund von Studien fest, «dass der Konsum von rotem Fleisch […] bei regelmässigem Konsum über Jahre gesundheitlich negative Auswirkungen bezüglich der Sterblichkeit […] haben kann». Inzwischen ist rotes Fleisch in der Schweiz nicht mehr in der Lebensmittelpyramide abgebildet. 

Veröffentlicht wird nur eine Auswahl

Etwa vier Prozent der Resultate der kanadischen Wissenschaftler waren sogar «statistisch signifikant»: 40 Analysen zeigten, dass der Verzehr von rotem Fleisch mit signifikant niedrigerer Gesamtsterblichkeit einhergehe, 8 dagegen zeigten eine signifikant erhöhte Sterblichkeit. Diese scheinbar «signifikanten» Resultate seien aber am ehesten dem Zufall zu verdanken, sagt Zeraatkar im Podcast. 

Sie weist darauf hin, dass die veröffentlichten Studien zur Frage, ob rotes Fleisch gesund sei, ein ganz anderes Bild vermitteln würden: «Die meisten legen nahe, dass rotes Fleisch sehr schädlich für Ihre Gesundheit ist.» Viele dieser Studien zeigten zudem signifikante Resultate.

Das führt dann zu Schlagzeilen wie: «Eine Studie lässt vermuten, dass schon der regelmässige Verzehr von kleinen Fleischmengen das Risiko […] eines vorzeitigen Todes erhöhen könnte.»

Grosses Problem auch in der Kardiologie

Die kanadische Studie von Zeraatkar habe ihn geschockt, schrieb der bekannte Herzspezialist John Mandrola im Blog «Sensible Medicine» und lobte: Sie sei «fantastisch», «die definitive Analyse von Beobachtungsstudien. […] Jedes Mal, wenn wir eine Beobachtungsstudie in irgendeinem Bereich der Biomedizin lesen, erzählen uns die Autoren von ihrer Analysemethode. Es ist aber eine Methode. Nicht […] 10 Billiarden.»

In der Herzheilkunde gebe es tonnenweise Assoziationsstudien, bei denen nach Zusammenhängen gesucht wurde. «Was wäre, wenn andere Wissenschaftler entscheiden würden, dieselben Daten auf andere Art auszuwerten? Die Ergebnisse würden ganz anders ausfallen», prophezeit Mandrola. Hinzu komme, dass Studien mit auffallenden Ergebnissen eher veröffentlicht werden als solche, die keinen eindeutigen Effekt nachweisen.

Assoziationstudien beeinflussen jedoch nicht bloss die Behandlung von Herzpatienten, sondern die Behandlung aller Patienten. Die Medizin ist voller Beobachtungsstudien. Welche Wirkung haben zum Beispiel Blaubeeren, um Krankheiten zu verhindern? Wie wirksam war die Covid-Impfung in der Praxis? Wie viele Schritte täglich senken die Sterblichkeit? … Die Liste liesse sich fast beliebig fortführen. Die Methode von Zeraatkar und ihren Kollegen könnte auch auf andere Gebiete angewendet werden.

Der eigenen Karriere Schub geben

Ausserdem können Studien die Karriere von Forscherinnen und Forschern beeinflussen – vor allem Studien mit signifikanten Ergebnissen. Man könne sich durchaus vorstellen, dass manche Studienautoren eine ganze Reihe von Analysen durchgeführt hätten – dann aber nur diejenige veröffentlichten, die ein «signifikantes» Resultat ergab, so Mandrola. 

Könnten die Autoren von Beobachtungsstudien nicht gezwungen werden, zumindest Ergebnisse mehrerer Analysen zu liefern?, fragt er. Solange dies nicht passiere, würde er Beobachtungsstudien, die Zusammenhänge untersuchten, «skeptisch gegenüberstehen».

Beim Entscheid, was die Krankenkassen künftig bezahlen müssen oder nicht, sollen aber genau solche Studien mehr Gewicht erhalten, jedenfalls in Deutschland. Politiker und Firmen drängen darauf. Und die deutsche «Methodenbewertungsverfahrensverordnung» schreibt es seit 2020 sogar vor. 

Auswertungsmethode vorab festlegen

Mandrola sieht einen Ausweg in Studien, bei denen die Teilnehmenden per Los verschiedenen Behandlungsgruppen zugeteilt werden (sogenannte randomisierte Studien, siehe Kasten unten). Doch Dena Zeraatkar weist darauf hin, dass auch die randomisierten Studien vom beschriebenen Problem nicht gänzlich frei seien. Es sei dort aber viel kleiner als bei den Beobachtungsstudien.

Die Regeln für vertrauenswürdige randomisierte Studien verlangen, dass die Wissenschaftler vorab festlegen, wie sie später die Daten auswerten möchten. Doch längst nicht alle würden sich daran halten, so Zeraatkar. Bei Beobachtungsstudien würden solche Regeln weitgehend fehlen.

Randomisierte und Beobachtungsstudien

Randomisierte Studien sind Experimente: Das Los entscheidet dabei, ob die Teilnehmenden zum Beispiel eine bestimmte Behandlung erhalten oder nur ein Placebo. Wenn das Randomisieren glückt, sind etwa gleich viel Raucher in beiden Gruppen, gleich viele junge und alte Menschen, gleich viele dicke und dünne usw. So lassen sich beim Vergleich der Gruppen meist aussagekräftige Schlüsse ziehen. Randomisierte Studien geniessen in der Medizin deshalb im Allgemeinen höheres Ansehen als Beobachtungsstudien. In der Ernährungswissenschaft sind randomisierte Studien aber nicht so einfach machbar. Denn wer möchte schon wochen-, monate- oder jahrelang eine bestimmte Diät einhalten müssen?

Bei Beobachtungsstudien dagegen greifen die Wissenschaftler nicht aktiv ein. In vielen Beobachtungsstudien zu Ernährungsfragen wurden die Teilnehmenden im Lauf ihres Lebens ein- oder mehrmals zu ihren Essgewohnheiten befragt. Die Forscher verglichen dann diejenigen mit hohem Konsum eines Lebensmittels mit denjenigen, die nur wenig davon assen.

Doch solche Studien bergen allerlei Tücken, denn oft unterscheiden sich diese Personen grundsätzlich auch in anderen Punkten, etwa beim Rauchen, beim Körpergewicht usw. Solche Faktoren können die Lebenserwartung massgeblich beeinflussen. Manche lebensverkürzenden oder -verlängernden Faktoren sind bekannt und man kann versuchen, sie bei der Datenauswertung zu berücksichtigen. Andere Einflussfaktoren sind hingegen nicht bekannt oder nicht gemessen worden.

Weitere Schwierigkeiten sind, dass sich Probanden manchmal schlecht erinnern, wie oft sie bestimmte Lebensmittel gegessen haben, dass sich die Vorlieben im Lauf der Zeit ändern, oder dass bestimmte Dinge – etwa hoher Alkoholkonsum – aus Scham eher verschwiegen werden.


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4 Meinungen

  • am 12.01.2025 um 17:39 Uhr
    Permalink

    Selbstverständlich kann man jede Studie in Zweifel ziehen und dann den Status «umstritten» anheften. Lange Jahre wurde das gleiche Spiel beim Rauchen getrieben. Letztendlich war die Studienlage dann doch so überwältigend, dass sich die Schädlichkeit des Rauchens nicht mehr abstreiten liess. Jetzt das gleiche Spiel beim Fleisch. 2015 hat die WHO nach Auswertung von über 800 Studien verarbeitetes Fleisch als «karzinogen» und Fleisch als «wahrscheinlich karzinogen» eingestuft. Offensichtlich wird die biologische Plausibilität dieser Ergebnisse völlig ausgeblendet. Schaut auf die Webseite des BAG, dann sieht man dort, dass Tierprodukte am höchsten mit karzinogen Umweltgiften (PCB, Dioxin) belastet sind. Die Ernährungsphysiologie lehrt uns, dass Tierprotein den IGF-1-Spiegel steigenlässt, was ebenfalls das Krebsrisiko erhöht.

    • Portrait Martina Frei 2023
      am 14.01.2025 um 13:48 Uhr
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      Dena Zeraatkar und ihre Kollegen haben sich nur auf Studien konzentriert, die einen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Todesfällen untersucht haben.

  • am 13.01.2025 um 07:56 Uhr
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    Für mich viel wesentlicher ist der Effekt der Fleischwirtschaft auf die Umwelt und im speziellen auf das Klima. Die heute in der Schweiz produzierte Menge ist nicht nachhaltig und ein wesentlicher Motor der Klimaerhitzung mit einer entsprechenden Anzahl verlorener Lebensjahren. Der optimale Anteil Fleisch ist diesbezüglich nicht Null, da die Nutzung von Grasland sinnvoll ist, jedoch kleiner als heute, wo Futter importiert oder mittels importiertem Dünger hergestellt wird. Beides führt zu einem Überschuss von Stickstoff und seinen Verbindungen und damit weiteren gesundheitlichen Schäden.

  • am 14.01.2025 um 00:42 Uhr
    Permalink

    Randomisierte Studien kämpfen mit ähnlichen Problemen sowie mit Problemen bzgl. Studiendesign. Zudem zeigen Meta-Studien, dass gute Beobachtungsstudien und randomisierte Studien insgesamt ähnliche Ergebnisse liefern. Wichtig ist, mehrere Studien kritisch zu vergleichen, bevor man Aussagen trifft.

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