Paradigmenwechsel

Trams ohne Gleise und Spuren, die ins Nichts führen: So stellt sich Chat-GPT den «Paradigmenwechsel in der Basler Verkehrspolitik» vor. © KI-Bild/Chat-GPT

Manchmal sind Fremdwörter auch lustig

Marco Diener /  Fremdwörter sind meist unnötig. Hin und wieder machen sie – falsch verwendet – auch Spass.

Wer Eindruck schinden will, verwendet möglichst viele Fremdwörter. Das ist zwar nicht sympathisch, aber durchaus wirksam. Dazu ein Beispiel aus der Berner Zeitung. Es ging darum, dass das Gurtenfestival für einen Tag sage und schreibe 7500 Billette zu viel verkauft hatte. In der Not liessen die Veranstalter alle, die ein Billett hatten, aufs Festivalgelände – mit dem Segen der Behörden.

Ein knappes halbes Jahr später kam die Sache heraus. Und die «Berner Zeitung» berichtete: «Nachträglich hätten die Behörden zusammen mit den Veranstaltern proaktiv und transparent informieren sollen.»

Der Satz ist schon fast lustig. «Proaktiv» ist ein Modewort. Der Duden tut sich mit der Erklärung ziemlich schwer: «durch differenzierte Vorausplanung und zielgerichtetes Handeln die Entwicklung eines Geschehens selbst bestimmend und eine Situation herbeiführend».

Dabei ist es eigentlich ganz einfach: «Proaktiv» heisst «vorausschauend».

Die «Berner Zeitung» findet also: «Nachträglich hätten die Behörden vorausschauend informieren sollen.» Mehr Unsinn lässt sich nicht in einen kurzen Satz packen.

Lesen Sie im vierten Teil unserer Serie in alphabetischer Reihenfolge (P bis S), welche Fremdwörter und welche deutschen Wörter Sie vermeiden sollten:

  • Paper: Nichts anderes als ein «Papier» oder «Unterlagen».
  • Paradigmenwechsel: Die «Basler Zeitung» berichtete darüber, dass die SP-Ko-Präsidentin «einen Paradigmenwechsel in der Basler Verkehrspolitik» wolle. Will sie eine «Kehrtwende» oder nur einen «Richtungswechsel»? Beides wäre genauer als der «Paradigmenwechsel».
  • performen: Modewort. Bedeutet alles und nichts. Heutzutage «performen» vor allem Künstler auf der Bühne. Ob sie «singen», «trompeten», «tanzen» oder «ein Lied in den Saal schmettern» – das bringt das Wort «performen» nicht zum Ausdruck. Auch Wertpapiere «performen». Ob sie viel «Ertrag abwerfen» oder ob der «Wert steigt» – auch das bleibt offen.
  • Perimeter: Planer- und Beamtendeutsch. «Gebiet» wäre besser und – wenn es unbedingt ein Fremdwort sein soll – auch «Areal».
  • per se: Die abgetretene Stadtberner Bildungs- und Sozialdirektorin Franziska Teuscher sagte: «Ein Schulhaus steht per se für Zukunft.» Sie hätte «per se» weglassen können – der Satz hätte sich inhaltlich nicht geändert. «Per se» ist überflüssig. Immer.
  • persönlich: Wer sich in den Vordergrund stellen will, sagt nicht nur «ich», sondern «ich persönlich». Alle anderen lassen «persönlich» besser weg.
  • Persönlichkeit: Die «Luzerner Zeitung» frohlockte: «Mit Elisabeth Burger gewinnt Caritas Aargau eine Persönlichkeit mit einer langen politischen Erfahrung.» Warum «Persönlichkeit»? Warum nicht einfach «Person»? Warum so unterwürfig? Interessanter wäre – wenn schon –, dass Burger zur Präsidentin gewählt wurde.
  • Pilot: Nicht jeder «Pilot» kann fliegen. Denn manch ein «Pilot» ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein «Pilotversuch».
  • physisch: Sogar der «Blick» versucht es hochgestochen: «Die physische Verfassung muss stimmen.» Warum nicht die «körperliche»? Ist nur zwei Buchstaben länger. Hinzu kommt: Zwischen «physisch» und «psychisch» besteht Verwechslungsgefahr. Zwischen «körperlich» und «geistig» nicht.
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  • PKW: In Deutschland ist ein Auto ein «Personenkraftwagen». In der Schweiz ein «Personenwagen». «PKW» ist in Deutschland die durchaus passende Abkürzung. In der Schweiz hingegen «PW». Wenn es überhaupt eine Abkürzung sein muss.
  • Player: Ein Wort für Faule. Wer das Wort «Player» verwendet, muss nicht genau überlegen, was er eigentlich sagen möchte. In den Deutschschweizer Medien wurde «Player» letztes Jahr fast 10’000 Mal verwendet. Mal waren grosse Unternehmen wie Microsoft gemeint, mal mächtige Staaten wie die USA, dann wieder grosse Parteien wie die SVP, wichtige Organisationen wie die WHO, aber auch das Bundesamt für Wohnungswesen, Pensionskassen oder Initiativkomitees.
  • postkolonial: Bedeutet eigentlich «die Zeit nach der Kolonialzeit betreffend». Aber das Wort wird mit den unterschiedlichsten Bedeutungen aufgeladen. Deshalb ist häufig unklar, was es bedeutet. Daher: meiden!
  • präferieren: Imponierwort. «Bevorzugen» ist besser.
  • präventiv: Der «Blick» macht schon wieder auf klug, wenn er von «präventiven Wolfsabschüssen» berichtet. Warum nicht von «vorsorglichen Wolfsabschüssen»? Oder noch besser nur von «Wolfsabschüssen»?
  • Preisanpassung: Marketingsprache. Woran werden denn die «Preise angepasst»? An die Gewinnerwartungen der Aktionäre? Wahrscheinlich schon. Denn «Preisanpassungen» sind stets «Preiserhöhungen». Und deshalb sollten wir sie auch als solche bezeichnen.
  • preisintensiv: Ebenfalls Marketingsprache. Bedeutet «teuer».
  • Preismassnahme: Nochmals Marketingsprache. Bedeutet «Preiserhöhung». Siehe auch «Preisanpassung».
  • Prekariat: «Prekariat raus, Oberschicht rein.» Das war eine Schlagzeile von SRF. «Arme raus, Reiche rein» wäre anschaulicher. Oder wenn es sein muss: «Unterschicht rein, Oberschicht raus.» Wer das Wort «Prekariat» verwendet, hat ein «prekäres» Verhältnis zur deutschen Sprache.
  • priorisieren: Heisst eigentlich «bevorzugen» oder «vorziehen».
  • proaktiv: Siehe oben im Haupttext.
  • Provenienz: Kunsthistorikerjargon. Bedeutet «Herkunft». Was erst noch kürzer ist.
  • Reality-Show: Kommt häufig am Fernsehen. Doch «Reality-Show» ist ein Widerspruch in sich. Handelt es sich um die «Realität»? Oder doch nur um eine «Show»?
  • Regularien: SRF informierte uns darüber, dass es «Regularien für die Ausbeutung des Meeresbodens» brauche. Gemeint waren «Regeln».
Regularien
«Regularien zur Ausbeutung des Meeresbodens»: So stellt sich Chat-GPT das vor.
  • regulieren: Nichtssagender Oberbegriff. Wenn es um Wölfe geht, ist meist «töten» oder «abschiessen» gemeint. Wenn es um Pestizide geht, ist «einschränken» oder «verbieten» gemeint. Warum also nicht genau das schreiben?
  • Resort: Modewort. Ist einfach ein «Feriendorf» oder eine «Ferienanlage».
  • Respekt: Die Leute haben «Respekt vor eine Ansteckung», «vor einer neuen Aufgabe» oder «vor einer Abfahrtsstrecke». Sie wollen ja nicht sagen, dass sie sich «fürchten» oder sogar «Angst haben».
  • restituieren: Jargon – häufig unter Kunsthistorikern (siehe auch «Provenienz»). «Restituieren» bedeutet «zurückgeben». Klingt aber weniger bedeutsam.
  • Roadtrip: Warum nicht «Autoreise» oder «Motorradreise»? Dann weiss jeder, worum es geht.
  • sanktionieren: Ein Wort, das die Gefahr von Missverständnissen in sich birgt. Denn es kann genauso gut «gutheissen» bedeuten wie «ahnden», «bestrafen», «büssen» oder «boykottieren». Also besser meiden.
  • Schummelei: Verbreitete sich nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals. Warum war bloss immer nur von einer «Schummelei» die Rede, wo es doch ein handfester «Betrug» war?
  • Scooter: Wieder ein doppeldeutiges Wort. Kann ein «Trottinett» oder ein «Motorroller» sein.
  • seitwärts: Wirtschaftsjargon. Börsenkurse bewegen sich angeblich «seitwärts». Wer das verstehen will, muss ein Diagramm vor Augen haben. Wenn sich Kurse «seitwärts bewegen» heisst das, dass sie sich gar nicht bewegen. Sie sind «stabil» oder «verharren auf dem gleichen Niveau».
  • Selbstwahlrestaurant: Neumodischer Ausdruck für «Selbstbedienungsrestaurant». Ist aber unsinnig. Jedes Restaurant ist ein «Selbstwahlrestaurant». Denn der Gast kann wählen, was er essen oder trinken möchte.
  • seriös: Stammt aus dem Englischen oder aus dem Französischen: «serious problems» oder «des problèmes sérieux». Wenn deutschsprachige Medien von «seriösen Problemen» schreiben, dann geht es mitnichten darum, dass diese Probleme «vertrauenswürdig» sein könnten, sondern dass es sich um «ernsthafte Probleme» handelt.
  • Slot: Der «Berner Zeitung» entnahmen wir, dass Ursula von der Leyen «in der Woche vor Weinachten einen Slot für Ignazio Cassis frei hätte». Das heisst: «Sie hatte Zeit.» Oder: «Sie hatte kurz Zeit.»
  • Spielermaterial: Die «Berner Zeitung» analysierte das «Spielermaterial» des Schlittschuh-Clubs Bern (SCB). Einen menschenverachtenderen Ausdruck für die «Spieler» dürfte es kaum geben.
Spielermaterial
Klüger und menschlicher als manch ein Sportjournalist: Für Chat-GPT ist «Spielermaterial» nicht eine Gruppe von Spielern, sondern Material für Spieler.
  • Spin-off: Wieder die «Berner Zeitung»: «Das sind zwei Firmen, die von Absolventen der Fachhochschule als Spin-off gegründet wurden.» Für Laien – und vermutlich auch für viele Journalisten ist das unverständlich. Ein «Spin-off» ist eine Geschäftseinheit, die aus einer Firma oder von einer Universität ausgelagert wurde und nun ein rechtlich eigenständiges Unternehmen ist. Das könnte man ja auch so erklären. Wenn es überhaupt wichtig ist.
  • stemmen: Einst brauchte es viel Kraft, damit man etwas «stemmen» konnte. Ein Sportler «stemmte» etwa einen schweren Pokal in die Höhe. «Stemmen» war einmal ein sehr anschauliches Wort. Aber heute? Heute ist daraus ein Wort geworden, das alles und nichts bedeutet. Wenn wir den Zeitungen Glauben schenken wollen, dann werden «Herausforderungen gestemmt», «Umsetzungen gestemmt», «Mieten gestemmt», «Klinikkosten gestemmt» – ja, laut der «Sonntags-Zeitung» wird sogar «Geld gestemmt». Gemeint war: «Geld investiert.»

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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