Die Schweiz ist «aus gutem Grund berüchtigt»
Red. – Steuern sind in Afrika enorm wichtig für den Aufbau von Bildungssystemen für alle, für die Bekämpfung der Krise im Gesundheitswesen, für die Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen. Deshalb fordern insbesondere afrikanische Länder eine Steuerkonvention im Rahmen der UNO. Es geht um Steuertransparenz, die Besteuerung multinationaler Konzerne und von Offshore-Vermögen. Die kenianische Juristin Everlyn Muendo verfolgt für das «Tax Justice Network Africa» die Verhandlungen für eine Steuerkonvention am UNO-Hauptsitz in New York. Die Zeitschrift «global – Politik für eine gerechte Welt» hat mit ihr ein Interview geführt. Infosperber publiziert Auszüge aus dem Interview.
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Was gilt es zu tun in ressourcenreichen Ländern Afrikas, in denen die Rohstoffindustrie ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig ist?
Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten multinationalen Konzerne auf dem Kontinent sind in diesem Sektor tätig. Aber ihre Hauptsitze befinden sich natürlich in den Industrieländern des Nordens. Dahinter steckt eine sehr komplizierte Geschichte, die weit in unsere Kolonialgeschichte zurückreicht: Vor ihrem Abzug bauten die Kolonialisten unsere Wirtschaft noch so um, dass sie auch nach der Unabhängigkeit noch deren grösste Profiteure blieben. Anstatt beispielsweise die Ernährungssicherheit zu verbessern, wurden weiterhin überwiegend Kaffee, Tee, Feldfrüchte und andere Rohstoffe produziert. Also Luxusgüter, die vor allem in Industrieländern gefragt sind. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft. Umgekehrt werden die Produkte, die im Norden auf der Grundlage unserer Rohstoffe hergestellt werden, dann wieder an uns verkauft. Wir profitieren von unseren eigenen Ressourcen nicht so, wie wir sollten.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Welches Land ist für gute Schokolade bekannt? Es ist nicht Ghana.
Die Schweiz?
Sehen Sie! Das ist eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der in die Schweiz importierten Kakaobohnen aus Ghana stammt. Mit schädlicher Steuerpolitik verlagern Konzerne Gewinne in der Höhe Hunderter Milliarden US-Dollar in den Norden. Selbst aus den tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der ausländischen Unternehmen in Afrika erhalten wir nicht unseren gerechten Anteil an Steuern. Das System ist wirklich gegen uns gerichtet.
Es wird noch dauern, bis neue UNO-Regeln Früchte tragen werden. Gibt es auch ausserhalb dieses Prozesses derzeit Möglichkeiten für Verbesserungen?
Wir kämpfen auch für mehr bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen auf der Grundlage des UNO-Modells, das viel besser ist als jenes der OECD. Aber damit waren wir bisher nicht sehr erfolgreich. Die Länder des Nordens sitzen in den Verhandlungen dank ihren Konzern-Hauptsitzen am viel längeren Hebel. Ausserdem sind einige dieser Länder richtige Rüpel! Selbst wenn Entwicklungsländer über viel Know-How verfügen, geben wir am Ende immer noch viele unserer Steuerrechte ab. Solange wir auf Direktinvestitionen aus diesen Ländern setzen, um unsere wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, können wir von ihnen steuerpolitisch unter Druck gesetzt werden. Dieser wirtschaftspolitische Ansatz führt in die Irre.
Die kenianische Regierung hat jüngst mit finanzpolitischen Reformen enorme politische Spannungen im Land ausgelöst. Weshalb?
Bei den Protesten gegen das Finanzgesetz vom Juni 2024 ging es um viel mehr. Sie waren Ausdruck der Frustration hart arbeitender Kenianer:innen über die zunehmenden wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat ist hoch verschuldet, und die Regierung muss dringend mehr Mittel für den Schuldendienst und die wirtschaftliche Entwicklung aufbringen. Dazu führt sie neue Steuern ein, mit denen die Lebenshaltungskosten stark steigen: eine Ökosteuer, eine Kraftfahrzeugsteuer, eine erhöhte Strassenunterhaltsabgabe und die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für bestimmte wichtige Konsumgüter. Das belastet tiefe Einkommen viel stärker als hohe. Gleichzeitig ist der Service public schwach. Der Grossteil der Einnahmen wird für den Schuldendienst verwendet – dieser kann mehr als 50% der Einnahmen verschlingen – und für Korruption, die wichtige öffentliche Dienstleistungen verdrängt: So wurden die Gehälter von Assistenzärzt:innen stark gekürzt. Ein neues Finanzierungsmodell für Universitäten wurde eingeführt. Damit schossen die Studiengebühren in die Höhe. Kenia ist zu einem Experimentierfeld für Austeritäts-Massnahmen geworden – auch unter dem Einfluss des Internationalen Währungsfonds. Dabei zahlen einfache Kenianer:innen mehr und erhalten weniger!
Was sagen Sie zum in der Schweiz oft erhobenen Vorwurf, dass von zusätzlichen Steuereinnahmen in afrikanischen Ländern sowieso nur korrupte Politiker:innen profitieren würden?
Wie könnt Ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass Ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid! Im Ernst, es braucht immer zwei für einen Tango. Ja, den korrupten afrikanischen Beamten gibt es. Aber wer besticht ihn? Viele Konzerne, zum Beispiel Euer Glencore! Dessen Korruptionsfälle sind sehr aufschlussreich. Wieso wird die Verantwortung immer nur der einen Seite zugeschoben? Wir müssen anerkennen, dass undurchsichtige Finanzplätze wie die Schweiz korrupten Leuten aus unseren Ländern als sichere Verstecke dienen. Deshalb wird doch ein Grossteil der Vermögen im Ausland gehalten. Niemand sagt: «Oh, ich werde mein Geld in Kenia verstecken.» Nein! Es ist die Schweiz! Ihr seid aus gutem Grund berüchtigt!
Kommen wir zur UNO. Im Februar stehen die nächsten Verhandlungen an. Könnten sich die Positionen des Globalen Nordens verändern?
Nun, es gibt in dieser Beziehung zwei interessante Entwicklungen: Erstens haben sich die EU-Staaten bei der Abstimmung über die Eckwerte einer Steuer-Konvention im August enthalten, statt nein zu stimmen, wie sie das bei den früheren Resolutionen getan haben. Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass sich die sehr starke Skepsis des globalen Nordens gegenüber dem Prozess an sich etwas entschärft. Das könnte sich positiv auf die nächsten Verhandlungsrunden auswirken. Zweitens könnte der Sieg Donald Trumps in den US-Präsidentschaftswahlen dazu führen, dass die USA sowohl OECD- wie UNO-Prozesse völlig blockiert. Bisher haben die Länder des Nordens immer gesagt, es brauche bei der UNO Entscheide im Konsens. Ich denke aber, dass sie diese Position angesichts der Entwicklungen in den USA jetzt anpassen müssen.
Worauf wollen Sie hinaus?
Wäre es nicht besser, sich mit einfachen Mehrheitsentscheiden zufriedenzugeben, auch wenn der Konsens das Ideal ist? Manchmal läuft es halt einfach nicht nach dem eigenen Ideal. Statt sich von einem einzigen Land oder einer kleinen Gruppe von Ländern aufhalten zu lassen, wäre es demokratischer, allen anderen zu erlauben – sei es aus dem Globalen Norden oder Süden – vorwärtszumachen. Werden Entscheide im Konsens gefällt, haben die USA als wirtschaftlich stärkstes Land aber quasi eine Vetomacht. Da wäre es viel demokratischer, jedem Land in Mehrheitsentscheidungen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.
Wo sehen Sie auf dem afrikanischen Kontinent positive Entwicklungen?
In verschiedenen afrikanischen Ländern fordern die Menschen mehr Rechenschaftspflicht von Spitzenpolitiker:innen und Wirtschaftsführer:innen. Vor allem in Westafrika, zum Beispiel im Senegal. Die Aufstände, die wir dort erlebt haben, sind bis zu einem gewissen Grad auch ein extremer Ausdruck des Wunschs nach Selbstbestimmung in Gesellschaften, die wir immer noch als postkolonial bezeichnen können. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Egal ob wir uns den Handel, die Verschuldung, die Steuern oder was auch immer anschauen: Wir mögen zwar völkerrechtlich anerkannte Staaten mit politischer Souveränität sein, von wirtschaftlicher Souveränität sind wir aber weit entfernt. Indem wir uns in der Steuerpolitik an die UNO wenden, können wir diese grundlegenden Herausforderungen angehen. Denn Souveränität in der Besteuerung ist ein sehr wichtiger Teil wirtschaftlicher Souveränität.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Die Kenianerin Everlyn Muendo ist Juristin beim Tax Justice Network Africa (TJNA). Sie beschäftigt sich dort mit der Frage, wie die internationale Steuerpolitik die Entwicklungsfinanzierung afrikanischer Staaten beeinflusst. Das ganze Interview mit ihr ist auf der Webseite von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, publiziert worden.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Super – ausgerechnet jene Länder, die wir seit 60 Jahren mit Milliarden von Geldern für die «Entwicklungshilfe» beglücken, wagen es noch, unser Land zu kritisieren und zu beleidigen!
Afrikanische Länder haben Gold- Silber- und Diamantenminen, und andere Bodenschätze, und sind somit nicht grundsätzlich arm!
Vielleicht werft ihr mal Eure Diktatoren aus dem Land, welche den ganzen Reichtum abschöpfen – beim Schah von Persien oder jetzt bei Assad hat das ja auch geklappt !!