Kommentar
kontertext: Der Roboter als Attraktion
Der Appenzeller Textilkaufmann August Huber (1911–1970) war fasziniert von Technik und Maschinen. Er war ein Tüftler, der schon als Zwölfjähriger seinen ersten Maschinenmenschen baute. Sabor hiess er, ein mit Stoff überzogenes Holzgerüst, das im Inneren mit einem Radiosender und -empfänger ausgestattet war und sich offenbar bewegen konnte. So genau ist das im Nachhinein nicht mehr zu eruieren. Es gibt nur noch ein paar Fotografien davon. Doch August Huber beliess es nicht dabei. Er entwickelte in den Folgejahren weitere Versionen seines Sabor bis zur Version IV, der 1938 aussah, wie man sich damals zukunftsgläubig einen künstlichen Menschen vorstellte und wie Roboter im Spielzeugladen heute noch ausschauen: Massig, ungelenk und von einem silbern schimmernden Panzer ummantelt.
Sabor war «der erste Maschinenmensch» der Welt, wie es 1939 in einem Prospekt zur Landesausstellung hiess. Auch wenn er diese Ehre vielleicht mit verwandten Tüfteleien teilte, ist es erstaunlich, dass er in einem Atelier in der appenzellischen Provinz entwickelt wurde. Aktuell widmet das Museum Zeughaus in Teufen dieser erstaunlichen Figur eine Ausstellung.
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Unlängst besuchte ich einen Vortrag, zu dem der Vortragende mit einem Umriss seines Themas einstieg, den er sich bei ChatGPT erfragt hatte. Er bediente sich dabei einer Redefigur, die innert kürzester Zeit zum rhetorischen Ritual geworden ist. Kein Vortrag, keine Rede, erst recht kein Schulaufsatz ohne Konsultation von ChatGPT. Was vor zwei Jahren noch aufregend erschien, hat sich gänzlich abgenutzt. Mittelmass befragt Mittelmass, um Mittelmass zu produzieren.
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Sabor IV liess sich ferngesteuert bedienen, er konnte mit der Stimme seines Steuermanns sprechen und als Surplus nicht nur rauchen, sondern mit einem Fingerschnippen auch Feuer geben. Seinen ersten Auftritt hatte er 1938 in London und im Jahr darauf an der Landesausstellung in Zürich. Mit seiner Grösse von 2,37 Metern, dem freundlichen Gesicht und den Antennen anstelle von Ohren machte er einen riesenhaften, jedoch drolligen Eindruck. Einen wie ihn hatte Isaac Asimov womöglich vor Augen, als er 1942 in der Erzählung «Runaround» (der zweiten seiner neun Robotergeschichten) die drei Grundegeln der Robotik formulierte. Die erste und wichtigste lautet: «Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.» Bis heute hegen wir die Hoffnung, dass dieses Gesetz so lange wie möglich massgeblich bleibe.
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Im Sommer 1955 richtete der Computerwissenschaftler John McCarthy einen Projektantrag an die Rockefeller Foundation. Darin schlug er ein «Summer Research Project on Artificial Intelligence» am Dartmouth College vor. Mit einem Mal und wie aus dem Nichts stand damit ein Begriff im Raum, der Karriere machen sollte: Artificial Intelligence, Künstliche Intelligenz. McCarthy bemerkte später dazu: «Den Begriff hatten wir gewählt, um die Fahne an den Mast zu nageln, weil wir enttäuscht waren, wie selten sich Beiträge zu Automata Studies damit befassten, dass Maschinen sich intelligent verhielten. Wir wollten einfach die Aufmerksamkeit der Teilnehmer darauf richten.»
Der Namenswechsel signalisierte einen Perspektivwechsel. Was zuvor technisch nüchtern Kybernetik oder eben «Automata Studies» hiess, erhielt eine neue Dimension. Die Behauptung, dass sich (menschliche) Intelligenz auch künstlich reproduzieren lasse, wurde zur attraktiven, werbewirksamen Formel, die neue Fantasien weckte.
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Der Sabor war kein «Arbeiter« im Sinn des Worts Roboter, das vom russischen «robota» für (Fron-Arbeit) herrührt. Vielmehr war er eine Jahrmarktattraktion, die ab 1950 rund um die Welt reiste. Sabor wurde zum Star, der durch die Innenstadt von Innsbruck wackelte, auf der Erfindermesse in Wuppertal zur Schau gestellt oder vom Fernsehen in die Ed Sullivan Show eingeladen wurde. Seine Arbeit bestand darin, bei seinen Auftritten die Menschen zum Staunen zu bringen und Werbung für Kaufhäuser zu machen.
Mit Fotos und Filmausschnitten gibt die Teufener Ausstellung einen lebhaften Eindruck von diesem Erfolg. Ihr Herzstück ist der reale Sabor V in seiner ganzen Grösse. Sein Oberkörper ist geöffnet und gibt Einblick in das technische Equipment, ein «Nervensystem» aus Batterien, Drähten, Sendern und Empfängern, inklusive Mikrofon und Lautsprecher. Sogar eine gewöhnliche Telefonwählscheibe gehört dazu. Aus heutiger Sicht, wo wir uns an die miniaturisierte Technik gewöhnt haben, wirkt diese Apparatur gleichermassen wuchtig wie fremdartig. Dennoch lässt Sabor erahnen, dass er einmal als technische Meisterleistung gelten durfte. Es wird spürbar, mit welcher Kreativität und Lust an ihm herumgetüftelt wurde, ohne auf einen ökonomischen Nutzen zu schielen. Dass Sabor Feuer geben kann, war schon damals ebenso unnütz wie lustig.
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KI hat sich in den letzten Jahren von der nach Aufmerksamkeit heischenden Idee zu einer Applikation gewandelt, die unseren Alltag mehr und mehr durchdringt. Wir wenden uns an KI-Tools, um Texte zu verfassen oder Bilder zu generieren. Dennoch bleibt der Begriff «Künstliche Intelligenz» eine strittige Behauptung.
Der Teufener Roboter hat mit Intelligenz nichts zu tun, er ist nur ein künstlicher Automat. Dennoch könnte er für eine KI mit anderer Bedeutung stehen. In ihm zeigt sich eine kindliche Intelligenz oder künstlerische Intelligenz, die beides Treiber der menschlichen Imagination sind. Der Maschinenmensch Sabor besitzt etwas Verspieltes, das auf ein Zeigen abzielt, nicht auf ein Beherrschen, trotz seiner massigen Gestalt. Sabor ist eine Technik mit offenem Visier, seine materielle Gestalt macht diese transparent.
Heutige KI-Anwendungen, heissen sie ChatGPT oder Midjourney, faszinieren mit ihrer Effektivität, zugleich verbergen sie ihre Technik. Sie arbeiten hinter einem verspiegelten Display in einer Blackbox, die wir nicht einsehen können. Vielleicht liegt darin ein Grund für die Faszination wie für die Furcht vor solchen Anwendungen. Hinzu kommt, dass hinter ihnen globale Tech-Giganten stehen, die einen ökonomischen Nutzen bezwecken, selbst wo sich ihre Produkte spielerisch geben.
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Beim Sabor stand einst der Mensch Modell für die Maschine. Heutige KI-Anwendungen dagegen werden immer aufdringlicher Modell für menschliches Handeln. 2017 erschien in den Niederlanden eine Erzählung, die mit einem dafür entwickelten Sprachmodell geschrieben wurde. Mit Unterstützung des Autors Ronald Giphart verfasste es eine zehnte Asimov-Geschichte und kreierte dafür den stimmigen Titel: «Der Roboter der Maschine ist der Mensch».
Noch holen sich die Vortragsredner:innen bloss die ersten Sätze beim ChatGPT ab. Doch wie lange noch? GPT und andere Sprachmodelle haben bewiesen, dass sie Texte erzeugen können, die nicht langweiliger sind als was wir Menschen produzieren. Ist es nicht denkbar, dass die Vorträge von ChatGPT zum Modell werden dafür, was wir hören möchten?
Gemeinsam ist den Roboter-Arbeitern und den KI-Anwendungen das Versprechen, dass sie den Menschen von einfachen, monotonen Arbeiten entlasten würden: einsortieren, aufreihen, aussondern. Die Techfirmen haben dieses Versprechen mittlerweile ins Gegenteil verbogen. Amazon betreibt, wie Kate Crawford in «Atlas der KI» erwähnt, ein KI-Programm namens «The Rate», das in Echtzeit die mies entlöhnten Arbeiter:innen überprüft und bewertet, also ausbeutet und allenfalls gleich feuert. Der Mensch ist der Roboter der Maschine, die sich digital den white collar umlegt.
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Die Ausstellung in Teufen ist eine Reise ins Labor der technologischen Entwicklung. Der Sabor ist von heute aus gesehen weder moderne KI-Technologie noch ein Rollenmodell für deren Anwendungen. Er ist eher, McCarthys Begriffssetzung vergleichbar, eine Marktattraktion und ein Antreiber von Fortschrittsfantasien. Heutige Roboter sehen anders aus und verfügen über raffiniertere Fähigkeiten. Der Sabor ist dagegen bloss ein nostalgisch anmutendes Relikt. Vielleicht kann er gerade deshalb auf einen wunden Punkt der technologischen Entwicklung hinweisen. Die Euphorie, die er vor 70 Jahren auslöste und die mit jeder Innovation wieder neu angefacht wird, droht schal zu werden. Selbst wenn wir mit dem ChatGPT spielen, arbeiten wir mit unseren Daten einem System zu, das sich damit optimiert, um uns in der totalökonomisierten Welt mit Fake und Werbung zu überhäufen oder im hintersten Winkel zu observieren. «Teile deinen Aufenthaltsort mit deine Freunden», schlägt Google mit schamloser Freundlichkeit vor.
Die Harmlosigkeit von Sabor kann uns vor Augen führen, wie sehr sich technische Erzeugnisse und digitale Applikationen im Alltag vor uns verschliessen. Der «erste Maschinenmensch» erinnert uns freundlich daran, wie sehr wir die Effekte und das Funktionieren unserer technischen Hilfsmittel aus dem Blick verlieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Beat Mazenauer ist freier Autor, Literaturkritiker und Netzwerker und leitender Redaktor der Buchreihe essais agités. Er lebt in Luzern und Zürich.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein «Darthmoor College» gibt es meines Wissens nicht. Gemeint ist wohl das Dartmouth College in Hanover NH, eine der acht Ivy League Universitäten.