Kommentar

«Presserat muss effizienter werden und näher zum Publikum»

Christoph Schütz © zvg

Christoph Schütz /  Zu lange Verfahren und zu wenig Demokratie: Deshalb möchte unser Gastautor den Schweizer Presserat reformieren.

Red. Der Schweizer Presserat müsse schneller, relevanter und glaubwürdiger werden, findet Christoph Schütz, selber mehrfacher Beschwerdeführer. Er beschreibt in diesem Gastkommentar, wie er den Presserat der Zukunft sieht. Der Text ist im Schweizer Medienmagazin «Edito» erstmals erschienen.

Wer beim Presserat eine Beschwerde einreicht, wartet eine gefühlte Ewigkeit auf eine Stellungnahme. Ein Jahr und mehr ist leider die Regel: Von den 158 im Jahr 2023 hängigen und neu eingereichten Beschwerden wurde letztes Jahr nicht einmal die Hälfte erledigt. Die Zahl der hängigen Fälle stieg Ende 2023 auf 85. Im laufenden Jahr hat der Presserat bloss 49 Stellungnahmen publiziert und konnte damit die Pendenzen aus dem Vorjahr bei weitem nicht abbauen.

«Schnee von gestern»

Die meisten Beschwerden betreffen die Berichterstattung zu aktuellen Themen. Wer sich an den Presserat wendet, wünscht sich eine Reaktion innert nützlicher Frist. Welche Wirkung entfalten Stellungnahmen noch, wenn sie anderthalb Jahre nach der Publikation eines beanstandeten Artikels eintreffen? Nicht nur ist das Thema in der Regel «Schnee von gestern», häufig stehen die durch den Artikel betroffenen Personen – die Journalistinnen und Journalisten inklusive – längst anderswo im Leben. Die Verfahren müssen gestrafft und schneller erledigt werden, der jetzige Zustand grenzt leider an Dysfunktionalität. Dass es auch anders geht, macht die UBI vor: Auf Beschwerden folgt innerhalb von 40 Tagen eine Stellungnahme.

Neue Zusammensetzung nötig

Die zweite Problematik betrifft die Zusammensetzung des Presserates: 15 der 21 Mitglieder stammen aus der Medienbranche, nur deren 6 sind Publikumsvertreter und -vertreterinnen. In Diskussionen und Abstimmungen sind diese in den 7-köpfigen Kammern den Medien im Verhältnis 2:5 chancenlos unterlegen.

Medienschaffende sehen sich zu Recht als demokratierelevant und fordern darauf basierend Steuergelder ein. Wenn das Zielpublikum der Medien die Zivilgesellschaft ist, müssten die Mitglieder des Presserates auch primär aus dieser Anspruchsgruppe rekrutiert werden. Die nun von den Stiftungen explizit geforderte «vollständige Unabhängigkeit» kann nur bedeuten, dass der künftige Presserat auch von den Medien selber unabhängig sein soll, die Zusammensetzung also neu ausgehandelt wird.

Eine solche Palastrevolution im Dienst der Demokratie bedingt auch eine andere Finanzierung. Bisher konnte die Medienbranche über die Höhe der Beiträge indirekt Einfluss auf die Zusammensetzung des Presserates nehmen. Nachzulesen ist dies in dessen Ratgeber: «Die Träger sind entsprechend ihrer Zuwendung mit einer gewissen Anzahl Mitglieder im Stiftungsrat vertreten.» Gewählt werden die Presseratsmitglieder vom Stiftungsrat.

Dank der Krise wird der Presserat aber schon teilweise unabhängig finanziert. Nach der Ablehnung des Medienförderung hat er Unterstützung von zwei privaten Stiftungen erhalten, zudem fliessen via die Beiträge des Bakom schon länger Steuergelder.

Mehr Vertreter der Zivilgesellschaft

Wenn der Presserat sich zu einer Institution weiterentwickeln will, die jener Demokratie dient, für deren Aufrechterhaltung er zusammen mit den Medien kämpft, soll er sich für eine von der Medienbranche unabhängige Finanzierung starkmachen. Dadurch, sowie durch eine primär in der Zivilgesellschaft abgestützte Zusammensetzung, wird sich ein neu konstituierter Presserat jene Rolle zuschreiben können, wie es Beschwerdeführende immer schon getan haben: Sie wenden sich an den Schweizer Presserat in der Hoffnung auf eine neutrale Instanz.

«Es erweckt den Anschein, dass dieses Gremium Redaktionen und Verlage vor Kritik bewahren soll.»

Christoph Schütz

In der Vergangenheit wurden sie zu oft mit Entscheiden vor den Kopf gestossen, die den Anschein erwecken, dass dieses Gremium Redaktionen und Verlage vor Kritik bewahren soll. Zur Illustration kann man sich etwa ob den Entscheiden 16/2020, 73/2020 und 21/2022 die Augen reiben.

Ein Blick in die Zehn-Jahres-Statistik des Presserates stützt diesen subjektiven Befund: Von 920 Fällen, die dem Presserat zwischen 2014 und 2023 vorgelegt wurden, wurde auf 711 (77 Prozent) entweder gar nicht eingetreten oder sie wurden abgewiesen. Ganz gutgeheissen wurden gerade einmal 64 der 920 Beschwerden, das sind etwa 7 Prozent. Teilweise gutgeheissen, aber ansonsten abgewiesen wurden weitere 147 Beschwerden, das sind nochmals 16 Prozent. Oder anders ausgedrückt: In 77 von 100 Fällen haben die Beschwerdeführenden gemäss Presserat zu Unrecht Kritik geübt.

Wollen Medien öffentlich mitfinanziert werden, sollen primär Vertreter der Zivilgesellschaft im Presserat Einsitz nehmen und über eine Qualitätssicherung die Arbeit und Privilegien der Journalistinnen und Journalisten legitimieren. Eine Reduktion der Medienvertreter im Schweizer Presserat mag auf den ersten Blick als Machtverlust wahrgenommen werden. Wenn es aber gelingt, über einen in der Gesellschaft besser abgestützten Presserat auch die Glaubwürdigkeit der Medien wieder zu steigern, dürften neben der Demokratie auch die Medien selber wieder profitieren. Der Presserat muss deshalb die Finanzierungskrise als Chance sehen, nicht nur seine Finanzierung breiter und öffentlich abzustützen, sondern sich auch demokratischer aufzustellen.

Vor zwei Jahren musste der Presserat gerettet werden

2022 überlebte der Presserat nur dank Stiftungsgeldern. In den nächsten zwei Jahren wird er von vier Stiftungen mit insgesamt 165’000 Franken jährlich unterstützt. Mit dem Geld soll sich der Presserat nachhaltig für die Zukunft aufstellen. Die «vollständige Unabhängigkeit» soll ausdrücklich gestärkt werden.

Susan Boos: «Es wäre eine andere Organisation»

Die Presserats-Präsidentin Susan Boos setzte sich im Medienmagazin «Edito» mit der Kritik von Christoph Schütz auseinander. Sie schreibt zu den einzelnen Punkten unter anderem:

Zu wenig schnelle Entscheide: «Eine solide Debatte benötigt Zeit. […] In simplen Fällen kommt der Presserat schnell zu einem Ergebnis, bei komplexen kann es nochmals Monate dauern – weil die Kammermitglieder ehrenamtlich arbeiten und nicht ständig tagen oder in schwierigen Fällen sogar das Plenum darüber befinden muss. Klingt langwierig, ist aber wichtig. Der Presserat fällt keine Urteile, er ist der Debatte verpflichtet, um guten Journalismus zu fördern.»

Fehlende Unabhängigkeit: «Auch da liegt ein Irrtum vor. Der Stiftungsrat wählt die Kammermitglieder des operativen Presserates. Dieser beschäftigt sich mit den Beschwerden und ist vollkommen unabhängig vom Stiftungsrat, dessen Aufgabe es ist, für die finanziellen Mittel zu sorgen. Abgesehen davon treten alle Kammermitglieder in den Ausstand, wenn ein Fall ihr eigenes Medium betrifft.»

Nur wenig gutgeheissene Beschwerden: «Das ist richtig. Und? Die Vorstellung, in einem Land zu leben, in dem die Mehrheit der Beiträge gerügt werden müssten, wäre deprimierend.»

Susan Boos kommt zum Schluss: «Das alles spricht nicht gegen die Vorschläge von Christoph Schütz, nur wäre das eine andere Organisation – mit anderen Aufgaben und Zielen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Christoph Schütz (1964) begann 1985 seine journalistische Laufbahn bei der «Solothurner Zeitung» und beim «Bund». Er arbeitete für verschiedene Schweizer Medien als freischaffender Fotograf. Seit 1998 betreibt er ein Atelier für visuelle Kommunikation in Fribourg. Er hat in Fribourg Medienwissenschaften studiert und schreibt gelegentlich zu urheber- und medienrechtlichen Themen in Fach- und Publikumszeitschriften
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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