Grosser Graben: Europas Landwirtschaft driftet auseinander
Europas Landwirtschaft wird zunehmend zu einem System, das die Grossen belohnt und die Kleinen verdrängt. Viele Kleinbetriebe geben auf, werden aufgekauft und befeuern damit den Trend zum Grossbetrieb. Zusätzlich wächst den Kleinen der Papierkrieg über den Kopf.
Kein Wunder, protestieren Bauern und Bäuerinnen in vielen europäischen Ländern. Die nächste Protestwelle bahnt sich gerade an. Die Realität dahinter ist wie immer um einiges komplexer als diese Kurzbeschreibung.
Viel Gewinn, ungleiche Verteilung
Trotz der oft beklagten schwierigen Bedingungen stehen viele Landwirte in der EU finanziell gut da. Landwirtschaftsbetriebe in Europa haben durch die gestiegenen Preise infolge des Ukrainekriegs Rekordprofite eingefahren, schreibt unter anderem der «Guardian» unter Bezug auf Zahlen von Eurostat und des EU Farming Accountancy Data Networks FADN (Datennetz für landwirtschaftliche Buchführungen).
Der Einkommenszuwachs von Europas Landwirt:innen überstieg schon länger die Inflation. Den Grossteil dieser Gewinne strichen allerdings die grossen Marktteilnehmer ein. Von den Kleinen gibt es immer weniger. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit weniger als 30 Hektaren sei laut Eurostat seit den 2010er Jahren um ein Viertel zurückgegangen, führt der «Guardian» aus. Die Einkommensschere zwischen den grössten und kleinsten Landwirtschaftsbetrieben in Europa habe sich parallel dazu in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt.
Trotzdem gibt es immer weniger Bauern
Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft verdient in einem Grossbetrieb bis zu zwanzigmal mehr als in einem kleinen. Die Gründe reichen von technologischen Lücken über steigende Kosten bis hin zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen. Das Einkommen der meisten Landwirte besteht rund zur Hälfte aus Subventionen.
Grosse Betriebe können Investitionen auf mehr Fläche verteilen und dadurch effizienter arbeiten, während kleinere Betriebe zurückbleiben, das ist nachvollziehbar. Und wer mehr Hektaren bewirtschaftet, bekommt von der EU auch mehr Geld.
Dabei gibt es immer weniger Höfe. 2003 gab es in der EU-27 noch 15 Millionen Landwirtschaftsbetriebe, 2016 waren es noch 10 Millionen, bis 2040 könnte ihre Zahl auf rund 4 Millionen geschrumpft sein («Euronews»).
In der EU-Politik halten das einige für einige ein Fehler im System. Neuere Vorschläge, unter anderem von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zielen darauf ab, kleine Bauernhöfe gezielt zu unterstützen. Eine Allianz aus Landwirten, Einzelhändlern und Umweltschützern fordert, die Agrarsubventionen zu reformieren und nachhaltige Landwirtschaft stärker zu fördern. Die Subventionspraxis der EU müsse sich dringend ändern, damit die Kleinen nicht völlig verschwinden.
Die öffentliche Wahrnehmung stimmt oft nicht
Viele EU-Landwirte sind frustriert vom Marktgefüge, von zunehmend mehr Regulierungen und der Dominanz der globalen Player. Diese wiederum wissen die Proteste in den EU-Ländern für ihre Zwecke zu nutzen. Proteste kleiner Bauern gehen unter oder werden den Grossunternehmen zugeordnet.
Landwirtschaftliche Grossbetriebe dominierten auch die öffentliche Wahrnehmung, kritisiert Antonio Onorati von der Organisation Via Campesina gegenüber dem «Guardian». Das Gemüse in Europa ernte aber nicht der Bauer, den sich die Konsument:innen oft vorstellten, sondern sehr oft rechtlose illegale Landarbeiter.
Populistische Parteien in ganz Europa erfahren grosse Unterstützung durch strukturschwache Regionen, in denen Höfe schliessen müssen oder aufgekauft werden. Ihre Klientel ist dabei eher traditionell gestimmt, wenig flexibel und skeptisch gegenüber Neuerungen.
Das Ziel rechter populistischer Parteien ist es häufig auch, die Umweltgesetze zu schwächen, die sie für den Niedergang verantwortlich machen. Kleinen Bäuerinnen und Bauern hilft das oft nicht. Viele «Kleine» nehmen an Demonstrationen gar nicht teil, weil sie sich weder von der Agrarindustrie noch von rechten Parteien vereinnahmen lassen wollen. Einige auch, weil sie Aktionen ablehnen, bei denen Galgen getragen werden und bei denen es Verletzte gab.
Beim Höfesterben wird das Falsche thematisiert
Höfesterben und die Tendenz zu grösseren Betrieben gibt es auch in der Schweiz. In den 20 Jahren bis 2021 sind fast 20’000 oder rund 30 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe verschwunden. Der heutige Durchschnittsbetrieb mit 21 Hektaren wuchs dabei um sechs Hektaren («Schweizer Bauer»). An der EU-Gesetzgebung kann das nicht liegen.
Es gebe in Deutschland vier Typen von Betrieben, die aufgeben müssten, ordnet der Agronom Alfons Balmann ein. Der Direktor des Leibniz-Instituts für Agarentwicklung in Transformationsökonomien sprach im März auf einem Panel des Science Media Centers Deutschland.
- Betriebe, die sich mit Investitionen übernommen hätten oder deren Landwirte mit dem Betrieb überfordert seien.
- Höfe, die durch Änderungen der Rahmenbedingen wie Marktänderungen oder Regulierungen Probleme bekämen.
- Hinter einem sterbenden Hof stehe oft schlicht die Tatsache, dass sich für einen kleinen Betrieb keine Nachfolger finden. Hohe Subventionen machten Übernahmen dabei schwierig und teuer – etwa, weil Konkurrenz die Bodenpreise hochtreibe, wie in Süddeutschland.
- Es gebe die Tendenz, schon lange unrentable Höfe weiterzuführen, so lange es irgendwie gehe, etwa wegen steuerlicher Vorteile.
Viel gesprochen werde über sterbende Höfe des ersten und zweiten Typs, dabei seien unrentable Höfe und solche ohne Nachfolger sehr viel häufiger.
Die Gründe müssen woanders liegen
Wie Einordnungen versagen können, zeigt zum Beispiel die Entwicklung der Anbindehaltung in deutschen Kuhställen. Diese hat sich zwischen 2010 und 2020 mehr als halbiert – sowohl, was die Anzahl der Tiere wie auch die Anzahl der Betriebe betrifft.
Die Entwicklung laufe ohne Verbote, aber mit erheblichem politischem Druck, schreibt «Agrarheute». Der Grossteil der Betriebe, die die Anbindehaltung aufgaben, war dabei klein bis sehr klein und wurde im Nebenerwerb geführt.
Man kann das so interpretieren, dass schon ein kleiner Anstoss reicht, um einen Landwirt zum Aufgeben zu bewegen. Die tieferen Gründe dafür müssen woanders liegen als in neuen EU-Vorschriften und geringer Rentabilität.
Empfehlungen für Kleinbetriebe sind schwierig
Eine allgemeine Antwort auf die Frage, was für kleine Betriebe eine gute Strategie sei, sei schwierig, ergänzte Andrea Knierim, Professorin für Kommunikation und Beratung in ländlichen Räumen der Universität Hohenheim. Mehr Spezialisierung, höhere Technologisierung oder die Ausrichtung am Exportmarkt sei nur eine Antwort.
Letzteres sei aber politisch womöglich gar nicht gewollt. Skaleneffekte gebe es für kleinere Betriebe meist auch nicht. Sich am regionalen Markt zu orientieren und mehr zu diversifizieren könne ebenfalls erfolgreich sein, genauso Kooperationen – etwa bei der gemeinsamen Nutzung von Maschinen in einem Maschinenring.
Viele Vorstellungen von Landwirtschaft stimmen nicht
Das Bild des familiengeführten Bauernhofs im Haupterwerb, das viele Menschen bei Kleinbetrieben im Kopf hätten, sei oft ein Klischee, sagt Knierim. Und vor allem über jüngere Kleinstbetriebe mit Flächen von ein, zwei Hektaren wisse man so gut wie gar nichts. Diese seien aber oft Innovationsträger, die die Landwirtschaft als Ganzes vorwärtsbringen könnten.
Auch viele andere Bilder von Landwirtschaft stimmen nicht, das wird auf dem Panel deutlich. Dass Kleinbetriebe grundsätzlich ökologischer und nachhaltiger wirtschaften, sei falsch, da sind sich die Teilnehmenden am Panel, zu denen auch Bernhard Forstner vom Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume in Braunschweig gehört, beispielsweise einig. Kleinteilige Landwirtschaft fördert nicht notwendigerweise die Artenvielfalt.
Derzeit sei auch keine aussergewöhnlich belastende Zeit für die Landwirtschaft, sagt Forstner. Der Strukturwandel finde permanent statt und sei schon deutlich schneller gewesen. Und es kämen auch Möglichkeiten dazu, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gegeben habe, etwa Einkommen durch Agrophotovoltaik oder Windkraft.
Die Landwirtschaft hat vor allem ein Personalproblem
Der Druck für viele Landwirte sei dennoch gestiegen. Viele Höfe stehen und fallen mit einer einzigen Person. Fällt diese aus, steige der Druck sofort. Forstner lobt den Schweizer Agrarbericht, der den Burnout bei Bauern schon seit 20 Jahren thematisiere.
Ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, Kleinbetriebe zu fördern und die Anzahl der so belasteten Personen noch zu erhöhen oder ob es besser ist, den Betroffenen Ausstiegshilfen anzubieten, wird schon länger diskutiert.
Sind demonstrierende Landwirte also vor allem zu viel allein? Besser wird die Situation jedenfalls kaum werden. Agronom Balman weist darauf hin, dass auch grössere Höfe in Zukunft Schwierigkeiten haben werden, Arbeitskräfte zu finden, wenn sie sie nicht bereits haben. In Deutschland und auch in der Schweiz sind andere Arbeitsplätze zunehmend attraktiver und die demografische Entwicklung gegenläufig.
Grosse Agrarunternehmen in landwirtschaftlich geprägten Ländern wie Ungarn investierten deshalb längst in lokale Infrastruktur wie Schulen und Sportvereine, um ihre Arbeitskräftebasis zu erhalten, berichtet Balman. Auch das schafft Abhängigkeiten, die niemand will. Dagegen zu demonstrieren wäre aber deutlich schwieriger als jetzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich halte das Personalproblem tatsächlich für ausschlaggebend – und DAS ist überhaupt nicht lösbar, weil zunehmend niemand die Landarbeit zu geringem Lohn wird machen wollen.Erst wenn die großflächigen industriellen Anbaumethoden in Monokulturen zur biologischen Katastrophe geführt haben werden, wird man irgendwie umsteuern. Falls das noch möglich ist.
Ist der grösste Treiber hin zu grösseren Höfen nicht einfach die technologische Entwicklung? Die einzelne landwirtschaftliche Arbeitskraft ist in den letzten hundert Jahren so viel schlagkräftiger geworden, dass sie nicht mehr nur 4 Hektaren bewirtschaften kann. Gleichzeitig sind in derselben Zeit die Erlöse für die Lebensmittel gesunken, so dass den einzelnen Bewirtschaftenden unter dem Strich von den Produkten nicht mehr bleibt. Dafür von den Direktzahlungen. Denn grundsätzlich dürfte man den Grossbauern ihre hohen Einkommen ja gönnen, in anderen Branchen wird das Geld immer noch einfacher verdient. Was aber hier für den Steuerzahler störend ist, ist deren Höhe für Grossbetriebe. Knapp tausend Betriebe erhalten in der Schweiz über 200’000.-, knapp zweihundert Betriebe über 300’000.- und knapp zehn Betriebe bei einer Million DZ herum. Wenn das Parlament wollte, könnte es dies einfach ändern, indem man ab einem gewissen DZ-Betrag pro zusätzliche Hektare die Beiträge stark kürzt…