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Schneiden beim Klimaschutz-Index alle mittelmässig ab: die deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz. © 3sat

«Hinter Ländern wie Nigeria oder Brasilien»

Marco Diener /  Medien berichten gerne über Ranglisten und das Abschneiden der Schweiz. Das wird schnell einmal abschätzig, wenn nicht rassistisch.

Kürzlich berichtete Radio SRF in den Nachrichten über den Klimaschutz-Index, den die Klimaschutz-Organisation Germanwatch jährlich erhebt. «Dänemark, die Niederlande und Grossbritannien sind top, die Schweiz dagegen eher flop», hiess es. Die Schweiz sei «regelrecht abgestürzt – um 12 Plätze auf Rang 33». Sie liege nun «hinter Ländern wie Nigeria oder Brasilien».

Warum erwähnt Radio SRF ausgerechnet Nigeria und Brasilien? Das wollte Infosperber von SRF wissen. SRF wollte nach eigenen Angaben aufzeigen, dass die Schweiz sogar hinter ölfördernde Staaten zurückgefallen sei.

Perfide Aussage

Doch dazu hätte SRF statt Nigeria und Brasilien auch Norwegen erwähnen können. Norwegen liegt im Klimaschutz-Index deutlich vor Nigeria und Brasilien, obwohl Norwegen noch mehr Erdöl fördert als Nigeria. Aber dass die Schweiz in der Klimaschutz-Rangliste hinter einem fortschrittlichen Land wie Norwegen liegt, ist wenig überraschend.

Der Verdacht liegt daher nahe, dass SRF anhand der Beispiele Nigeria und Brasilien auf drastische Weise zeigen wollte, wie schlecht die Schweiz abschneidet – noch schlechter als Nigeria und Brasilien. Die Aussage ist perfid. Denn sie geht davon aus, dass Nigeria und Brasilien rückständig und unterentwickelt seien und die Schweiz natürlich besser abschneiden müsste. Diese Sicht ist abschätzig, ja schon fast rassistisch.

Die Nachrichten von Radio SRF sind keine Ausnahme. Die Formulierung «hinter Ländern wie» kommt häufig vor. Pro Familia, der Dachverband der Schweizer Familienorganisationen, berichtete über die Gleichstellung der Geschlechter. Konkret ging es um «die wirtschaftliche Teilhabe der Frauen». Hier liege die Schweiz «auf Rang 39 hinter Ländern wie Portugal oder Albanien». Pro Familia hätte auch Island, Schweden und Norwegen erwähnen können. Aber das hätte weniger krass gewirkt.

Auch das Bundesamt für Statistik

Sogar Behörden schrecken nicht vor der Formulierung «hinter Ländern wie» zurück. Das Bundesamt für Statistik legte dar, dass die Schweiz punkto Frauenanteil in Forschungsteams bloss «im Mittelfeld der europäischen Länder» liege, «hinter Ländern wie Portugal, Spanien oder Norwegen». Immerhin erwähnte das Bundesamt auch ein Land, das als fortschrittlich gilt: Norwegen.

Jürg Walpen, einst Mediensprecher im Bundesamt für Verkehr und heute Kommunikationschef bei der Cyber-Sicherheits-Firma Dreamlab, sagte gegenüber watson.ch, die Schweiz sei die innovativste Volkswirtschaft der Welt. Betreffend Cyber-Abwehr liege sie aber bloss im Mittelfeld – «hinter Ländern wie Kasachstan, Tansania und Nordmazedonien». Er fügte an: «Das sollte nicht unser Anspruch sein.» Und er meinte wohl, dass es nicht unser Anspruch sein sollte, hinter solchen Ländern zu liegen. Aber das wäre dann doch zu abschätzig gewesen.

Und jetzt sogar Chat-GPT

Lustig ist, wie Chat-GPT die Medien nachahmt und sich die Formulierung «hinter Ländern wie» auch schon zu eigen gemacht hat. Naturschutz.ch, ein Natur- und Umweltschutzportal, dem Organisationen wie Pro Natura, der WWF oder die Stiftung für Landschaftsschutz angehören, hat im Vorfeld zur Abstimmung über die Biodiversitäts-Initiative Chat-GPT befragt.

Frage von naturschutz.ch: «Die Schweiz ist ja eigentlich gerne Vorzeigenation. Wie schneidet sie aber bezüglich Biodiversitätsschutz im Vergleich zum nahen Ausland ab?»

Antwort von Chat-GPT: «Im Vergleich zum nahen Ausland schneidet die Schweiz mittelmässig ab. Zwar gibt es viele Schutzgebiete und strenge Gesetze, aber die Umsetzung und der tatsächliche Schutz der Biodiversität hinken hinter Ländern wie Deutschland oder Schweden her, die oft grössere Flächen renaturieren und stärker in Vernetzungsprojekte investieren.»

Bemerkenswert: Chat-GPT verzichtet darauf, mit Ländern zu vergleichen, die beim Schutz der Artenvielfalt als wenig fortschrittlich gelten. Und er begründet sogar, warum die Schweiz im Vergleich zu Deutschland und Schweden schlecht abschneidet.


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2 Meinungen

  • am 3.12.2024 um 12:19 Uhr
    Permalink

    Art. 4 RTVG: «Redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt müssen Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann.» Also: Medien stellen die nüchternen Informationen bereit und die Einordnung sowie Meinungsbildung ist Aufgabe des Publikums. Leider gibt es praktisch keinen nüchternen Journalismus mehr, sondern fast ausschliesslich politisierte Medien die für die eine oder andere Seite des Meinungsspektrums einordnen und partielle Sichtweisen propagieren. Meines Erachtens sind alle grossen Medienhäuser damit klar demokratiegefährdend, um eine moderne Bezeichnung zu benutzen.

    Ich will ganz grundsätzlich einfach nüchterne Informationen, keine Meinungen und Einordnungen, kein betreutes Denken.

  • am 3.12.2024 um 13:58 Uhr
    Permalink

    Die Information «Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.» gefällt mir sehr.
    Ob Sie schon einmal in Brasilien und in Nigeria waren ist mir nicht bekannt + was die Faktoren, sowie die möglich Auslegung deren für die erwähne Studie auch nicht. Selbst war ich schon in allen von Ihnen erwähnten Ländern beruflich + privat. Aus meiner Sicht gibt es sehr wohl grosse Unterschiede in der Umsetzung des Umweltschutzes, da man das Klima ja nicht schützen kann. Ob dies nun abschätzig oder gar rassistisch ist oder eben einfach die Realität auf Grund von vielen Faktoren ist wohl die gleiche Frage, ob man nun Populismus oder Journalismus betreiben will. Mit den Jahren lernte ich, dass jeder/jede sein Leben so erleben, erarbeiten, planen, gestallten, geniessen und umsetzen kann wie er/sie will, wenn er/sie die Möglichkeit hat, selbst will, kämpft + macht aber auch gelassen wird. Die Realität + nicht die Studie zählt am Ende

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