Wer ein neues Auto kauft, rettet den Planeten – angeblich
Am buntesten treibt es Fiat. Die Werbebotschaft lautet: «Für den Planeten. Für die Menschen.» Und weiter: «Die Mission dieses Autos ist es, sowohl den Planeten als auch die Menschen zu schützen.»
Doch Fiat ist nicht allein. Volvo wirbt: «Seit jeher ist Volvo eine Marke für Menschen, denen die Umwelt und ihre Mitmenschen am Herzen liegen.»
Skoda behauptet: «Mobilität und Umweltschutz sind keine Gegensätze. Vielmehr kommt es darauf an, beides miteinander zu vereinen.»
«Vollgas für die Umwelt»
Fast schon philosophisch wirkt Mercedes: «Auf dem Weg, unseren CO2-Fussabdruck zu verringern, verbündet sich Mercedes-Benz mit den Elementen, die dem Stern zu Grunde liegen.»
VW setzt auf «Elektroautos für Klimaschutz». Und zitiert den ETH-Professor Anthony Patt: «Für Klimaschutz braucht es keinen Verzicht.»
Seat seinerseits gibt «Vollgas für die Umwelt».
Und Toyota hat erkannt: «Wir müssen den Planeten in einem besseren Zustand hinterlassen, als wir ihn vorgefunden haben.» Ob das klappt, ist allerdings fraglich. Denn Toyota gibt sich mit wenig zufrieden. So lautet eines der konkreten Ziele: «Das Umweltschutzgesetz einhalten.»
Die Fortschritte der letzten 50 Jahre…
Es ist offensichtlich: Die Automobil-Branche versucht mit allen Mitteln, ihren Kunden das schlechte Gewissen zu nehmen. Und dazu ist jedes Mittel recht. BMW blickt zurück: «Tatsächlich hat BMW schon in den 1970er Jahren angefangen, Nachhaltigkeit als zentrales Element der Unternehmensstrategie zu etablieren.»
Doch das scheint in der Zwischenzeit vergessen gegangen zu sein. Vor 50 Jahren leistete das damalige BMW-Flaggschiff, der 3,3 L, 190 PS. Beim heutigen X7 M60i xDrive sind es fast drei Mal so viele – nämlich 530 PS. Um von 0 auf 100 zu beschleunigen, braucht das aktuelle Modell nur noch halb so lange. Dafür ist er doppelt so schwer. Und verbraucht kaum weniger Benzin.
Mit anderen Worten: BMW – und auch die meisten anderen Hersteller – haben die Fortschritte der letzten 50 Jahre genutzt, um grössere, schwerere, stärkere und luxuriösere Autos zu bauen. Statt sparsamere.
Lack aus Raps und Mais
Das Umweltmäntelchen wollen sich die Hersteller trotzdem umhängen. Deshalb schmelzt Hyundai für den Ioniq 5 «bis zu 32 Plastikflaschen» und verarbeitet sie zu einem Garn für die Sitzbezüge. Sie enthalten auch Zuckerrohr und Mais. Und die Türen sind mit Biolack gespritzt, «der Öle aus Pflanzen wie Raps und Mais enthält».
BMW seinerseits gerbt das Leder «umweltschonend mithilfe von Olivenblattextrakt». Der Konzern aus München forscht zudem an Lederalternativen aus Kaktusfasern. «Darüber hinaus bietet BMW schon heute lederfreie Alternativen wie Textilausstattungen.» Was allerdings nicht sonderlich innovativ ist. Stoffbezüge gab es vor 50 Jahren auch schon.
Nicht vegan, aber lederfrei
Einen Schritt weiter ist Volvo. Die Elektroautos sollen künftig zwar nicht vegan, aber lederfrei sein. Als Ersatz dienen «Textilien, die aus rezyklierten Materialien wie Pet-Flaschen, biobasiertem Material aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern in Schweden und Finnland sowie aus rezyklierten Korken aus der Weinindustrie hergestellt werden.»
Bei so viel Recycling kann der potenzielle Autokäufer, die potenzielle Autokäuferin nun wirklich ruhig schlafen.
«Bilanziell CO₂-neutral»
VW versucht den Kunden auf andere Weise ein gutes Gewissen zu verschaffen. Das ist ein bisschen kompliziert, und es klingt auch so: «Mit den vollelektrischen ID-Modellen kommen die ersten Volkswagen aller Zeiten, die nicht nur bilanziell CO₂-neutral produziert, sondern auch bilanziell CO₂-neutral an Sie übergeben werden.»
Konkret heisst das: VW und seine Lieferanten verpflichten sich, bei der Produktion und bei der Lieferung an die Kunden möglichst wenig CO2 auszustossen. Den Rest kompensiert VW mit Klimaschutzprojekten. Als Zugabe gibt es von einer «unabhängigen Prüfstelle» einen Brief mit einem Siegel, der bestätigt, dass es sich um ein «Klimaneutrales Produkt» handle. Allerdings ist die CO2-Kompensation eine umstrittene Sache. Infosperber hat verschiedentlich darüber berichtet.
«Und nach der Übergabe?», fragt VW gleich selber. Die Antwort lautet: «Wir helfen Ihnen dabei, ihren ID langfristig CO2-emissionsarm weiterzufahren.» Die Tipps:
- Ökostrom beziehen.
- Den Arbeitgeber bitten, Ökostrom-Ladesäulen einzurichten.
- Die Ionity-Ladestationen nutzen, an denen – nebenbei gesagt – VW beteiligt ist.
- Das wär’s.
Kein Wort darüber, dass CO2-Emissionen auch mit dem Verzicht auf die eine oder andere Autofahrt vermieden werden könnten. Dass vorausschauendes Fahren viel Energie sparen würde. Und dass es das alte Auto vielleicht auch noch täte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die von Infosperber kritisierte AMAG-Werbung hat Tradition. Die Amag warb vor mehr als 50 Jahren (1973) damit, dass für jeden verkauften VW ein Baum gepflanzt werde. Die aus heutiger Sicht harmlose Werbung wurde damals von Umweltkreisen als Werbe-Unfug bezeichnet. Das SRF selbst kritisierte die Werbung ebenfalls scharf («Werbe-Trick», «grobe Irreführung des Publikums»).
Link zur Sendung: https://www.srf.ch/play/tv/antenne/video/umweltschutz-oder-werbe-unfug?urn=urn:srf:video:9522b737-5627-4004-a569-8812b621b617
Schöner Artikel. Danke.
Der Kater nach dem Klima Hype wird wohl gross.
Den Planeten retten wir definitiv nicht indem wir die Verantwortung abschieben (z.b. ein Kompensationshäkchen bei unserem nächsten Online Einkauf setzen oder anderweitig Zertifikate kaufen) sondern indem wir unser Denken und Handeln auf eine bewusst verantwortungsvolle Ebene lenken.
Das kommt insbesondere im letzten Absatz sehr gut rüber!