Kommentar
kontertext: Wie Kriegsvokabular die Sprache verseucht
«Wir sehen uns bei Philippi wieder!» SVP-Zar Christoph Blocher, durch Geld und Fleiss zu Einfluss gekommen, warf diese Drohung im Dezember 1999 in den Nationalratssaal. Das Zitat stammt aus Shakespeares «The Tragedy of Julius Caesar» und benennt die Gewissheit, auf dem Felde Rache zu nehmen. Die Botschaft war klar: War diese eine Wahl verloren gegangen, so musste die nächste zum Blutbad für den Gegner werden. Bis dahin sollte er sich belagert und gejagt fühlen.
Was damals im edlen Wams der klassischen Bildung daherkam, hat heute in den täglichen Sprachgebrauch Einzug gehalten: die Gewohnheit, im Streit um Meinungen und Positionen kriegerische Metaphorik ins Feld zu führen. Nach der Wahl lese ich vom «Massaker an der Urne» und dass die Parteien sich im TV-Studio «zerfleischt» hätten. Nicht von ungefähr ist das Format nach der Arena benannt, jener sandbestreuten Kampfbahn des römischen Reichs, wo Stierkämpfe und blutige Rencontres zwischen Gladiatoren dargeboten wurden (und wo der gereckte Daumen, heute zum Emoji geschrumpft, über Sein oder Nichtsein entschied). Wer sich noch immer diese Sendung antut, ein veritables Schlachtross des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, mag an das oft kolportierte Zitat von Frank Zappa denken: «Politik ist die Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.»[1]
Schleichende Aufrüstung
Die Schweiz rühmt sich, über 200 Jahre keinen Krieg geführt zu haben. Nur auf Landsleute schoss das Milizheer in dieser Zeit: auf streikende Arbeiter in Grenchen und auf antifaschistische Demonstrantinnen in Genf. Zählt auch Gummischrot zur scharfen Munition, so verhalf diese glorreiche Erfindung den Behörden immer wieder zu Blitzsiegen im Kampf gegen die eigene Bevölkerung. Immerhin, es ging um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung – das Gewaltmonopol des Staates, sonst sorgsam hinter Anstaltsmauern versteckt, zeigte sein Gesicht auf der Strasse.
Sprachlich erlebt das «friedfertige Land im Herzen Europas» schon länger eine schleichende Aufrüstung. Für Bürgerinnen einer verschonten Nation mag es wenig stossend sein, wenn ein Trendscout, der keine Ahnung von Sprengfallen hat, «Lunte riecht», wenn nach der Wahl von der «Mobilisierung an der Urne» die Rede ist oder Amtsträger «im Kreuzfeuer» der Kritik stehen. Wie aber mag dies auf Ukrainerinnen wirken, deren Angehörige eingekesselt sind?
Takt oder Taktik?
Eines ist gewiss: Auf der Friedensinsel Schweiz tobt der Krieg bisher nur im übertragenen Sinn: um den besten Preis, um Aufmerksamkeit, um Meinungsführerschaft. Da braucht es also eine «Strategie», um Jagd auf Kundinnen zu machen und Stakeholder zu gewinnen. Oder fliegt man besser unterm Radar? Reihum präsentiert sich Kriegsvokabular: SRF will sich an der Newsfront verstärken; in der Politik marschieren Parteisoldaten, um «Themen aggressiver zu besetzen»; in mancher Branche ist Ertüchtigung wider den starken Franken gefragt, und der designierte US-Präsident wird wohl einen Preiskrieg anzetteln. Doch viele CEOs geben sich siegesgewiss – ihr Unternehmen sei «breit aufgestellt».
Was soll denn dabei sein? Das sind Worte, nicht mehr: Ein Parlamentarier, der es auf die Ersatzliste schaffte, bezeichnet sich als Reservisten; die Rechte vermutet bei der Mitte-Partei eine offene Flanke nach links und verlangt, dass die Bürgerlichen die Reihen schliessen. Mein Bankberater möchte mir den Unterschied zwischen strategischer und taktischer Asset Allokation begreiflich machen. Die Inflation bezeichnet er dabei als Nebenkriegsschauplatz.
Empfiehlt es sich also, gegenüber dem Gesamtmarkt in Deckung zu gehen?
Oder empfiehlt es sich im Gegenteil, breiter zu streuen?
Was ist angesagt, die Stellung zu halten oder das Lager zu wechseln?
Aus diesen Sprachbetrachtungen heraus könnte man mit Clausewitz sagen, Wirtschaft sei nur «eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln». Gewiss, es geht hier nur um Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch, es mag also wortklauberisch sein, solche Beispiele aufzuspiessen wie warnfarbene Insekten. Doch ist es nicht auch eine Frage des Taktes (und nicht nur der Taktik), welche Begriffe wir wählen und welche wir meiden?
Kompaniedeutsch
Neulich ist mir dieses Problem wieder ins Auge gesprungen, als eine von mir beratene Institution erklärte, sie wolle sich künftig besser «positionieren»; man fühle sich dafür inzwischen «gut aufgestellt». Gerade diese Formel erfreut sich gerade regen Gebrauchs, obwohl sie dem Methodenschatz des Stellungskriegs entstammt. Die Institutsleiterin verkündete, in spätestens vier Jahren wolle man wieder «in der ersten Reihe» stehen (also im Feuer). Ich empfahl einen geordneten Rückzug, wenigstens an der Sprachfront, wurde aber überstimmt – man könne sich solche Sensibilitäten nicht leisten, hiess es, zu hart sei auch im Kulturbereich der Konkurrenzkampf.
Ist er so hart, dass wir bis ins Alltäglichste hinein auf Kompaniedeutsch setzen müssen, um zu beschreiben, wie es in unserem Leben zugeht? Ist schweres Geschütz gefragt, um Widersacher aus ihren ideologischen Schützengräben zu treiben? Und sind alle, die solcher Rhetorik misstrauen, einfach zu zartbesaitet für diese Welt?
Wenn die Politik zum Krieg der Schlagworte wird, wenn man sich mit Argumenten «eindeckt», Schlachtrufe absetzt und zum Halali auf den Gegner bläst, wenn selbst die Partnerschaft zur Nahkampfzone im Krieg der Geschlechter wird, möchte ich lieber auf der Seite derer stehen, die es mit Immanuel Kant halten. Der alte Aufklärer hat einmal erklärt: «Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.» Und sei es nur, dass diese Vernunft ihre Wurzeln in der Sprache findet, mit der wir beschreiben, was wir tun. Das könnte ein Anfang sein, um Philippi wieder als das zu sehen, was es schon vor Shakespeares Zeit war: eine Hafenstadt am Golf von Thasos, wo bis heute Menschen unterschiedlicher Gesinnung zusammenleben. Soweit friedlich, wie man hört.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
[1] Aus einem Interview mit dem Magazin «Keyboard» – das Zitat wurde in der hier genannten, nachträglich abgeänderten Form breit tradiert.
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