PFAS: Wo es auch ohne die giftigen Chemikalien geht
Als Fleisch aus St. Gallen wegen zu hoher Chemikalienbelastung im August vom Markt genommen werden musste, gelangten PFAS schlagartig ins öffentliche Bewusstsein. Die Chemikalien stammten vermutlich aus mit Klärschlamm gedüngten Feldern.
Möglicherweise war das Fleisch bestimmter Produzenten schon seit Längerem belastet. Doch seit Anfang Jahr gelten Grenzwerte für PFAS (per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen) in Lebensmitteln (Infosperber berichtete). Ende Juli lief die Übergangsfrist aus.
Expert:innen fordern PFAS-Produktionsstop
Nur eine Handvoll PFAS ist bisher reguliert. Etliche Umweltorganisationen und wissenschaftliche Expert:innen fordern, die gesamte Stoffklasse zu verbieten und aus der PFAS-Produktion komplett auszusteigen.
In der EU gibt es entsprechende Pläne. Es würden nur noch sogenannte essenzielle Anwendungen erlaubt, für die es keinen Ersatz gibt. Ein Komplettverbot würde auch verhindern, dass bekannt schädliche PFAS durch andere ersetzt werden, von denen sich erst später herausstellt, wie giftig sie sind, wie bereits geschehen.
Wirkung: Gesundheits- und klimaschädlich, oft unbekannt
Zur Erinnerung: Wegen ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften werden PFAS in tausenden Produkten eingesetzt und bei der Fertigung anderer Produkte verwendet. Viele PFAS sind krebserregend, schaden Leber und Niere, dem Hormon- und dem Immunsystem. Die künstlichen Fluorchemikalien sind in der Natur fast unzerstörbar.
Deshalb reichern sie sich an. Jeder Mensch hat PFAS im Blut – mit unklaren Auswirkungen. Es geht auch nicht um eine Chemikalie, sondern um schätzungsweise 10’000 bis 15’000 Einzelsubstanzen. Einige PFAS sind extrem klimaschädlich, von sehr vielen kennt man noch keine genauen Eigenschaften, weil sie noch nicht untersucht wurden.
Wir brauchen eine Chemiewende»,
Martin Scheringer, ETHZ
PFAS-Befürworter argumentieren, ein Komplettverbot sei wirtschaftlicher Selbstmord. Zu breit seien die Einsatzgebiete und PFAS in vielen Fällen nicht ersetzbar. Das Verbot einer ganzen Chemikalienklasse sei zudem nicht risikobasiert, weil nicht auf einzelne Stoffe bezogen.
Einer der Wissenschaftler, die ein PFAS-Verbot befürworten, ist Martin Scheringer von der ETH Zürich. «Wir brauchen eine Chemiewende», sagt er. Allein die Tatsache, dass wir die Welt mit unendlich haltbaren Chemikalien verschmutzen, von denen wir teilweise nicht wissen, ob sie schädlich sind, spräche für sich, sagte der ETH-Professor bereits in mehreren Interviews. Eines der jüngsten findet sich im Tagesgespräch bei SRF (Audio, 26 Minuten).
Essenzielle Anwendungen «nur ein Bruchteil»
Es gebe zwar einzelne schwer ersetzbare Produkte wie künstliche Herzklappen oder Dialyseschläuche, deren Entwicklung sehr aufwendig sei. Diese aber stellten nur einen kleinen Bruchteil aller Anwendungen dar, sagte er im vergangenen Jahr zur ARD.
Ein Verbot werde in seinen Augen keinen Zusammenbruch, sondern einen Innovationsschub hin zu weniger gesundheits- und klimaschädlichen Produkten ohne PFAS auslösen.
Was alles ohne PFAS geht: Feuer löschen
Die Recherchen der ARD geben Scheringer Recht. Es gibt zahlreiche Produkte, die auch ohne PFAS auskommen. Zum Beispiel dort, wo die grössten PFAS-Verschmutzungen entstehen: Einsätze und Übungen mit PFAS-Löschschäumen verursachen grossflächige Verschmutzungen. Aus verschmutztem Gelände gelangen PFAS ins Grund- und Oberflächenwasser. Eigentlich müsste PFAS-Löschschaum als Sondermüll verbrannt werden.
Die ARD-Reporterin besucht die Fire Academy im Rotterdamer Hafen, wo Feuerwehrleute das Löschen mit PFAS-freiem Löschschaum lernen. Fahrzeuge und Tanks von PFAS zu reinigen und tausende Feuerwehrleute zu schulen, sei eine Riesenaufgabe, aber machbar, sagt Trainer Eike Peltzer zur ARD.
Regenjacken und Outdoorkleidung herstellen
Als Nächstes geht es zum Bekleidungsfabrikanten Vaude, dem ersten Hersteller, der PFAS-freie Outdoorkleidung herstellte. Es sei etwas mehr Aufwand, inzwischen seien die mit PFAS-Alternativen behandelten Kleidungsstücke aber genauso stabil und wasserabweisend wie solche mit PFAS, sagt das Unternehmen.
Als man damals mit der Umstellung angefangen habe, habe es kaum PFAS-freie Chemikalien gegeben, sagt Vaude-Entwicklungsleiterin Bettina Roth. «Die Chemie[lieferanten haben] sie nicht angeboten, weil die Nachfrage nicht da war», erklärt sie. Das hat sich inzwischen geändert. Es gibt einige Ersatz-Chemikalien und ein grosses Angebot an PFC-freien Outdoor-Textilien. Verkauft werde dieses aber vor allem in Westeuropa, stellte die deutsche Umweltorganisation BUND fest.
Wärmepumpen fertigen
Ein grosser PFAS-Einsatzbereich sind Klimageräte. Dazu gehören auch Wärmepumpen, die sogenannte F-Gase verwenden. «F» steht für Fluor. Dabei ginge es viel einfacher und ungiftiger mit Propangas, wie es in jeder Campinggasflasche enthalten ist und seit Jahrzehnten verwendet wird. Das sagt das Fraunhofer Institut Freiburg, wo die ARD ebenfalls zu Gast ist.
Propan wurde einst durch PFAS ersetzt, weil es brennbar ist. In Wärmepumpen sei das kein grosses Problem, weil es sich um eine kleine Menge handle, die im Kreislauf bleibe, sagt die betreuende Wissenschaftlerin. Dennoch tobe in Deutschland ein Lobbying-Kampf um die F-Gase in der Wärmepumpe, hat die Sendung «Panorama» recherchiert.
Pestizide ohne PFAS
Auch Pestizide können PFAS enthalten und beispielsweise TFA (Trifluoracetat) abspalten, von dem kürzlich publik wurde, dass es Kaninchenembryonen schadet. Eine Gefährdung für Menschen liegt also nahe (Infosperber berichtete). Würden TFA-haltige Pestizide verboten, beträfe das in der Schweiz 29 von 300 Wirkstoffen. Ohne ginge es also auch.
Windräder bauen
Oft erwähnt werden im Zusammenhang mit PFAS die Windräder. Deren Elektronik kann die Chemikalie SF6 oder Schwefelhexafluorid enthalten. SF6 ist ein sehr klimaschädliches PFAS-Gas, das als Isoliergas im Hoch- und Höchstspannungsbereich verwendet wird. Ein Kilogramm SF6 trägt zur Klimaerhitzung so viel bei wie 22’800 Kilogramm Kohlendioxid.
Schwefelhexafluorid kann auch in älteren Schallschutzfenstern einhalten sein, aus denen es noch immer austreten kann. In Schaltungen ist SF6 in der Regel eingeschlossen, es bedarf besonderer Vorsichtsmassnahmen, wenn sie geöffnet werden.
Alternativen zu SF6 gibt es einige. Viele sind ebenfalls Fluorverbindungen, wenn auch weniger klimaschädlich als SF6. Fluorketon ist beispielsweise etwa gleich schädlich wie CO2. Ganz ohne Klima- und Umweltschaden kommt man mit künstlicher Luft zum Ziel – ein synthetisches, trockenes Gemisch aus 20 Prozent Sauerstoff und 80 Prozent Stickstoff.
Lebensmittel verpacken
Lebensmittelverpackungen aus Papier und Karton sind oft mit PFAS beschichtet, um sie wasser- und fettabweisend zu machen. Dass es auch ohne geht, zeigt Dänemark. Dort sind PFAS in To-Go-Verpackungen wie Burgerboxen, Frittenpapier und Pizzakartons seit 2020 verboten (Infosperber berichtete). Sinnvoller als auf PFAS-freie To-Go-Alternativen umzusteigen, wäre es ohnehin, Mehrwegsysteme zu nutzen.
Pfannen beschichten
Eine der bekanntesten Anwendungen von PFAS ist wohl die Verwendung bei der Herstellung von Teflon, auch bekannt als PTFE. Kann man ohne Non-Stick-Pfannen leben? «Ja», findet «Öko-Test» und weist auf traditionelle Alternativen aus Edelstahl und Gusseisen hin, sowie auf moderne Keramik-Beschichtungen. Von diesen seien allerdings nicht alle PFAS-frei, im Zweifel würde diese Eigenschaft aber prominent beworben. Sicher nicht, weil das den Absatz bremst.
Was noch «ohne» geht
Der von «Öko-Test» befragte Experte Ralf Ebinghaus, Institutsleiter am Institut für Umweltchemie des Küstenraumes am Helmholtz-Zentrum, ist auch zuversichtlich, was eine weitere wichtige PFAS-Anwendung betrifft: Batterien und Brennstoffzellen.
«Ohne» ging es zuletzt auch bei Skiwachs (Infosperber berichtete). Ob sich für PFAS in Gitarrensaiten und Zahnseide ein Ersatz finden lässt, dazu hat die Autorin dieses Artikels keine Informationen. Allerdings sind beide Produkte lange ohne Fluorchemikalien ausgekommen. Und dass PFAS in Kosmetika niemand braucht, erkennt man schon daran, dass sie ohnehin selten sind.
Hersteller experimentieren seit Jahren mit Alternativen
Zugegeben schwierig wird es bei Oberflächenbeschichtungen und -versiegelungen, aber auch da werden fluorfreie Materialien erprobt. Das Fraunhofer IFAM (Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung) zählt hier mehrere auf. Bis solche Produkte auf den Markt kommen, kann es noch mehrere Jahre dauern. Bei Medizinprodukten ist der Weg bis zur Zulassung lang. Viele Hersteller haben deshalb schon vor einiger Zeit begonnen, Ersatz für die «ewigen» PFAS-Chemikalien zu suchen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.