Wegen Hitze: Wälder schlucken unsere Klimagase nicht mehr
Ozeane, Wälder, Böden und andere natürliche Kohlenstoffsenken pufferten früher etwa die Hälfte aller menschlichen Treibhausgas-Emissionen ab. 2023 war das anders. Wälder und Böden zeigten massive Schwächen darin, unseren überschüssigen Kohlenstoff zu speichern, stellte ein internationales Forschendenteam fest.
An der Messstation Mauna Loa auf Hawaii lag die CO2-Zunahme bei 3,4 ppm und damit 86 Prozent über dem Vorjahreswert. Die CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen hatten weltweit aber nur um 0,6 Prozent zugenommen. Die an Land aufgenommene Kohlenstoffmenge war vorübergehend eingebrochen, zeigten vorläufige Ergebnisse.
Die Wälder funktionieren nicht mehr
Dieser nie dagewesene Rückgang der CO2-Verwertung an Land lag daran, dass Wälder, Pflanzen und Böden fast keinen Kohlenstoff mehr absorbierten, so das Endergebnis der Studie. Der einzige tropische Wald, der noch Kohlenstoff aufnahm, war das Kongobecken.
Der Amazonas, einst als «Lunge der Erde» bezeichnet, verlor 2023 aufgrund von Entwaldung, Dürre und El Niño-Ereignissen seine Funktion als Kohlenstoffsenke und wurde zeitweise zur Quelle von Emissionen. Und die tropischen Wälder Südostasiens sind wegen der immer umfangreicheren Landwirtschaft inzwischen eine Kohlenstoffquelle.
Prognosen könnten zu optimistisch sein
Wissenschaftler weisen seit langem auf die Bedeutung natürlicher Kohlenstoffsenken hin. Ohne diesen Puffer wäre die Klimakrise weitaus gravierender. Klima-Modelle berücksichtigen, dass die meisten CO2-Senken mit zunehmender Erwärmung weniger Kohlendioxid aufnehmen, schreibt der «Guardian» in einer Zusammenfassung. Die Kohlenstoffemissionen aus dem Boden werden bis zum Ende des Jahrhunderts zudem um 40 Prozent ansteigen.
Grosse Dürren und Waldbrände nicht vorhergesehen
Forschende haben die Veränderung von Meeresströmungen einbezogen und die zunehmende Entwaldung des Amazonasbeckens. Ereignisse wie die riesigen Waldbrände, die in den letzten Jahren drastisch zum CO2-Aufkommen beigetragen haben, schliesse bisher aber kein Modell ein. Die Waldbrände in Kanada im Jahr 2022, die so viel CO2 freisetzten wie die fossilen Emissionen der USA in sechs Monaten, waren beispielsweise nicht vorgesehen.
Dass Dürren die Grösse der Wälder verringern, sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden, sagt Philippe Ciais, Forscher am französischen Labor für Klima- und Umweltwissenschaften und einer der Co-Autoren der Studie, gegenüber dem «Guardian».
«Es könnte sehr viel schneller gehen [mit der Klimakrise als bisher prognostiziert]», sagt auch Andrew Watson, Leiter der Gruppe für Meeres- und Atmosphärenwissenschaften der Universität Exeter.
Die nordischen Wälder schwächeln
Eine im Juli publizierte Studie stellte fest, dass die CO2-Aufnahme durch Wälder in den 1990er- und Nullerjahren etwa gleich blieb. Vermutlich war sie auch zuvor lange stabil. Regional habe sich die Kapazität während der beobachteten Zeit aber verschoben. Die borealen (nordischen) Wälder Skandinaviens, Russlands und Kanadas und die tropischen Wälder nehmen weit weniger Kohlendioxid auf als noch vor wenigen Jahren.
In Europa verzeichneten Frankreich, Deutschland, Tschechien und Schweden einen erheblichen Rückgang der vom Boden absorbierten Kohlenstoffmenge, zurückzuführen auf klimabedingte Trockenheit, Borkenkäferbefall und eine höhere Baumsterblichkeit.
Die Meere absorbieren weit weniger CO2 als gedacht
Die grössten CO2-Schlucker der Erde, die Ozeane, haben in den letzten Jahrzehnten etwa 90 Prozent der menschengemachten globalen Erderwärmung aufgefangen. Je wärmer es wird, desto kleiner wird aber ihre Aufnahmekapazität.
Und auch da gibt es Warnzeichen. Die Eisschmelze verlangsamt den Golfstrom und damit die Geschwindigkeit, mit der die Ozeane CO2 aufnehmen. Das schmelzende Meereis bedeutet auch, dass das algenfressende Zooplankton, das jede Nacht an die Meeresoberfläche kommt, länger in der Tiefe bleiben könnte. Was wiederum die Verteilung von Kohlenstoff(dioxid) innerhalb des Meeres stören würde.
Die Kohlenstoffkreisläufe sind dazu komplex und noch immer nicht durchgehend verstanden. Kurz gesagt: Die Klimaforschung könnte die Dynamik der Klimakrise drastisch unterschätzt haben.
«Wir sehen Risse in der Widerstandsfähigkeit der Systeme der Erde. Terrestrische Ökosysteme verlieren ihre Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern und aufzunehmen, aber auch die Ozeane zeigen Anzeichen von Instabilität», fasste Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, auf der New Yorker Klimawoche im September zusammen.
Bleibt das nun so?
Die Diagnose ist ernst. Aber womöglich ist diese Null-Absorption kein anhaltender Zustand. Was wir bisher wissen, ist, dass 2023 die CO2-Aufnahmekapazität des Planeten an Land temporär zusammengebrochen ist. Ohne aussergewöhnliche Dürren oder Waldbrände könnte die Erde wieder in ihren vorherigen Zustand zurückkehren.
Aber was, wenn nicht? «Netto Null» ist ohne die natürlichen Carbon-Senken für die meisten Länder nicht möglich. Und was, wenn die Kohlenstoffsenken zwar wieder funktionieren, aber unzuverlässig werden?
Ciais ist wenig optimistisch. «Auf der Nordhalbkugel, wo die Hälfte der CO2-Aufnahme stattfindet, sinkt die Absorption seit acht Jahren», sagt er. «Es gibt keinen guten Grund anzunehmen, dass sich das wieder ändert.»
«Der gestresste Planet hat uns stillschweigend geholfen und uns erlaubt, unsere Schulden dank der biologischen Vielfalt unter den Teppich zu kehren», sagt Klimawissenschaftler Rockström. «Wir sind in einer Komfortzone – wir können die Krise nicht wirklich sehen.»
Das klingt dramatisch, ist aber grundsätzlich richtig. In den letzten 12’000 Jahren befand sich das Klima der Erde in einem Gleichgewicht, dem wir, grob gesagt, die menschliche Zivilisation verdanken, wie sie jetzt ist. Stabile Wettermuster ermöglichten die Entwicklung der modernen Landwirtschaft. Wir müssten uns also auf grössere Veränderungen einstellen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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