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Keine Chance für eine Sammelklage gegen VW: In der Schweiz geniessen Konzerne Schutz vor solchen Gerichtsverfahren. © SKS

Sammelklagen «passen nicht zum Schweizer Rechtssystem»

Esther Diener-Morscher /  Politiker wollen kein Recht auf Gruppenklagen: Die grosse Rechtslücke für geschädigte Konsumenten in der Schweiz bleibt.

Ein Beispiel ist der VW-Abgasskandal: Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) reichte 2017 eine kollektive Schadenersatzklage ein. Doch sie schaffte es nicht, diese Klage für 6000 Autobesitzer durchzusetzen. Obwohl die Autofahrer vom Volkswagen-Konzern unwissentlich Fahrzeuge mit manipulierten Dieselmotoren gekauft hatten.

Das Bundesgericht befand damals nämlich, dass die Stiftung für Konsumentenschutz nicht stellvertretend prozessieren dürfe. In der Schweiz muss jede Person ihre Rechtsansprüche selber einklagen. Das gilt etwa auch bei mangelhaften Implantaten. Geschädigte verzichten deshalb meistens auf eine Klage.

Und das wird vermutlich auch so bleiben. Denn die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats versenkte eine Vorlage, die in bestimmten Fällen Sammelklagen erlaubt hätte.

«Amerikanisierung» des Rechtssystems

Die Begründung der Kommission ist schwammig: Sammelklagen passten «nicht zum Schweizer Rechtssystem». Würden sie zugelassen, fürchtet die Kommissionsmehrheit, bestünde das Risiko einer «Amerikanisierung» des Rechtssystems.

Ja noch schlimmer: «Es wird erwartet, dass sich kommerziell ausgerichtete Anwaltskanzleien und Organisationen zur Prozessfinanzierung auf die Einreichung von Klagen spezialisieren könnten, die der Wirtschaft insgesamt erheblichen Schaden zufügen», heisst es in der Mitteilung.

Gebodigt hat die Kommission die Vorlage unter tatkräftiger Mithilfe der «NZZ», welche die Idee der Sammelklage zur Horror-Vorstellung emporstilisierte: «Das Schreckgespenst ist zurück», schrieb sie. Dabei hatte der – notabene bürgerliche – Bundesrat nur vor, eine milde Form der Sammelklage zuzulassen.

Schweiz bleibt eine Insel

Immerhin legte eine Minderheit der Kommission den Finger auf den wunden Punkt: Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten haben deutlich weniger Rechte als ihre europäischen Nachbarn.

Laut der SKS herrscht in der Schweiz eine «gravierende Rechtslücke». Habe eine Gruppe keine Möglichkeit, gegen einen Konzern zu klagen, sei für den Grossteil der Bevölkerung der Gang vor Gericht ausgeschlossen. Zu gross seien die finanziellen Risiken. Kollektiver Rechtsschutz brächte mehr Gerechtigkeit, findet die Stiftung.

Nun, da die Rechtskommission nein gesagt hat, bleiben Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bei Massenschäden rechtlich ungeschützt. Sogar wenn ein Konzern wie Volkswagen mit dem Dieselbetrug offensichtlich widerrechtlich und mit voller Absicht gehandelt hat.

In anderen Ländern wurde Volkswagen dafür verurteilt und musste den betroffenen Fahrzeughaltern Entschädigungen in Milliardenhöhe bezahlen. In der Schweiz dürfen Unternehmen weiterhin Regeln brechen, ohne dass sie riskieren, für die Folgen einstehen zu müssen. Nicht zuletzt ermöglicht es die Rechtskommission mit ihrem Nein den skrupellosen Firmen auch, sich gegenüber den rechtstreuen einen Wettbewerbsvorteil schaffen.

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Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

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