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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: «Hurt me, baby» und andere Deutschqualen

Daniel Goldstein /  Englische Wörter einzustreuen, hat oft Dudens Segen. Wer ohne den auskommt, kann mit ganzen Sätzen weltläufig posen.

Zum Glück ist die gute alte Zeit vorbei, als Leute mit Bildungsdünkel gern ordentlich Latein in ihre Ergüsse einfliessen liessen. Sie glaubten das zu dürfen, denn quod licet Jovi non licet bovi. Zum Jupiter, der darf, was das Rindvieh nicht darf, fehlte ihnen zuweilen etwas. Daher kam es vor, dass ein Chef vor einer Redeverpflichtung den lateinkundigen Untergebenen seines Vertrauens darum bat, einige passende Zitate ins Manuskript einzuflechten. Heutzutage sind nur noch wenige darauf erpicht, «gebüldet» zu wirken; lieber will man zeigen, dass man up to date ist (scheint’s ein deutscher Ausdruck, steht im Duden).

Das Publikum zu adressieren (dito), indem man Learnings (dito) mit ein paar Samples (dito) Englisch upgradet (dito) – das reicht längst nicht mehr. Es müssen ganze Sätze her, und das sogar in ganz gewöhnlichen Zeitungsartikeln; wer’s nicht versteht, braucht’s ja nicht zu lesen. «Are you kidding?» war nur im Originalton wiedergegeben; ob’s ein Scherz sein solle, bedeutete in einer Reportage aus den USA diese Reaktion eines «Landwirts» (ja tatsächlich, obwohl da «Farmer» gut gepasst hätte – anders als in manchen Berichten aus armen Ländern, wo plötzlich Kleinbauern so heissen). Thema war der Benzinpreis im Zwischenhoch von «fünf Dollar pro Gallone». Wie viel das in Franken pro Liter ist, und wie viel mehr als vor- und nachher – das erfuhr man nicht, das weiss man doch auch gerade, wenn man schon Englisch kann.

Angelsächsisch getränkt

IAG – in Amerika gewesen, das war eine Spottetikette für «Blöffer» nach der letzten Jahrhundert­mitte, als so eine Überseereise noch etwas ganz Besonderes war. Heute ist sie, Medien aller Art sei Dank, nicht einmal mehr nötig, um mit allerlei Englisch begossen zu werden und dann damit um sich zu spritzen. Gelangt’s in die Zeitung, dann vermutlich nicht einmal zum Posen, also um sich in Pose zu werfen: Wer so schreibt, redet wohl einfach ohnehin so. Zum Beispiel so: «Das Album … macht Sehnsucht nach Liebeskummer. Hurt me, baby, one more time.» Wer die Popmusik-Besprechung liest, kennt ohnehin den Hit von Britney Spears, um den es da aber nicht ging und der auch nicht «hurt», also «verletzen» im Refrain hat, sondern den Schlagaufruf «hit me.»

Was der Musikkritikerin recht ist, ist dem Sportreporter billig: «Und jetzt steht YB in der Champions League …: Football, bloody hell!» Schon fast tröstlich, dass hier für einmal nicht amerikanisches Englisch gepflegt wird, sondern britisches. Da hilft freilich der Duden auch nicht weiter, denn für den ist Football ein «amerikanisches Mannschaftsspiel», nicht unser und der Briten Fussball, dem die Champions League gilt. Fürs hiesige Spiel hat der Duden auch Soccer als «amerikanische Bezeichnung» im Sortiment. Dagegen hat «bloody» noch keinen Eingang in den verbrieften deutschen Wortschatz gefunden, anders als das US-Pendant «fucking». Noch versteckt es sich verschämt hinter F-Wort im Duden. Englisches «hell» wiederum trifft man nicht dort, wohl aber in hiesigen Medien, meist als «what the hell» für «was zum Teufel».

Back to the Antike

Noch englischer wird’s gern, wenn Schriftstellernde Kolumnen schreiben dürfen. Kim de l’Horizon zeigte sich auch in dieser Disziplin preiswürdig. Ohne Ironie als Shootingstar präsentiert, also als dem Verlöschen geweihte Sternschnuppe, schrieb they etwa dies: «Es bräuchte nicht noch ein Textlein über JK Rowlings Irrwege. But it’s just so much fun.» Oder gar mit einer Rückblende in klassische Gefilde: «Diese alten Gött*innen waren not all that binär & oppressively hetero.» Auch von ihnen lässt they sich inspirieren: «Ich baue an einem Zwischenboden für den Brückenkopf der Zwischen­wesen. Join me.» Noch gleichentags schloss sich them in den gleichen Blättern ein journalistischer Kollege an, freilich nur beim Anklang an die Antike: «Ab sofort muss sich der Schweizer Chefunterhändler … mit dem Prätorianer der reinen Lehre des EU-Rechts messen.» In Brüssel sitzt also einer wie jene Recken, die römische Kaiser beschützten. Die Typen kennt man doch!

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Anglizismen» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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